Trinken, kochen, essen: Fisch, Kartoffeln … – und so viel mehr!
Mosel
Text: Ursula Heinzelmann, Foto: StockFood/Gräfe & Unzer Verlag/Schardt Wolfgang
Die Mosel, oder vielmehr die Weinberge entlang von Mosel, Saar und Ruwer, das sind über 300 Kilometer meist steile Flussufer, an denen sich die Reben in teils schwindelerregender Weise in den schiefersteinigen Boden klammern – seit zwei Jahrtausenden von Menschenhand gehegt und gepflegt.
Die steilsten Weinberge und die älteste Weinbauregion Deutschlands – im Alltag bedeutet das 2000 Jahre harte Knochenarbeit. Wer je in einer der schmalen Terrassen hoch über dem Flussufer stand, der Boden rutschig, der Blick nach unten endlos, der weiss: Hier ist jeder Handgriff – beim Rebenschneiden, Triebebinden, Traubenlesen, und das bei Wind und Wetter – wirklich heldenhaft.
Am Anfang waren Cäsars Römer, die aus Gallien einfielen und Trier gründeten, eine Kaiserresidenz und eine schnell wachsende Stadt mit entsprechend vielen weindurstigen Soldaten und Beamten, präsent. Die sanfteren, vom Muschelkalk geprägten Hänge der Mosel zwischen der heutigen luxemburgischen Grenze und der Porta Nigra hiessen die Südländer noch halbwegs willkommen, dann jedoch hiess es, dem Rheinischen Schiefergebirge Weinberge förmlich abzutrotzen. Aber Moselaner sind nicht ohne Grund für ihre Sturheit bekannt; archäologische Funde belegen Kelteranlagen und Transportschiffe von beeindruckenden Ausmassen.
Als die Truppen abzogen, blieben viele zurück, die sich hier längst zu Hause fühlten und die Kultur bewahrten, bis Zisterziensermönche aus dem Burgund kamen und wiederum für einen Wissenschub in Sachen Wein sorgten. Was auch blieb, waren die Knochenarbeit und wegen der kalten Winde aus Eifel und Hunsrück ein Bangen um jede Sonnenstunde – trotzdem hielt man hartnäckig an den Reben fest, setzte auf den Riesling und schuf über die Jahrhunderte einen enormen Erfahrungsschatz. So richtig Aufschwung nahm der Absatz der Weine aus diesen hart erkämpften Trauben in der wilhelmischen Zeit. Dann endlich waren die besten Abfüllungen nahezu weltweit angesagt, erzielten so gute Preise, dass man neue schiefergraue Gutshäuser bauen konnte und so mancher Weinbauer seinen Namen um einen kleinadeligen Titel erweiterte.
Die Alltagshelden in den Weinbergen tranken allerdings noch lange weder duftigen Kabinett noch schmelzende Auslese, assen weder Rehbraten aus den Hunsrückwäldern noch Zander aus der Mosel, sondern stillten ihren Durst vor allem mit Viez aus Äpfeln und den Hunger mit Kartoffeln, nach wie vor fester Teil der Moselküche, von Schales, einem Auflauf mit Rauchfleisch, Teerdisch, gestampft mit Sauerkraut oder Krumpernschnieden, Kartoffelpuffer.
Heute hingegen hat die Mosel dank vieler neuer und alter sturer Helden zu ungeahnter Form und ganz zu sich selbst gefunden. Neben den Winzern gibt es ebenso viele heldenhafte Gastronomen, die der mineralischen Komplexität im Glas mit feiner Würze auf dem Teller begegnen. Dank all der Beharrlichkeit und Knochenarbeit lässt sich an der Mosel eine grossartige alte und doch vollkommen moderne Kultur erleben – ob nun tatsächlich vor Ort oder in der eigenen Küche.
Die Mosel ist aber auch…
So viel mehr! Ja, der Riesling wächst auf zwei Dritteln der Rebfläche. Doch aus diesen Trauben entstehen so viele Weintypen. Da sind zum einen die grossen Gewächse, gestandene, kraftvolle trockene Weine, die die Spitzenlagen prägnant zum Ausdruck bringen. Am anderen Ende des Spektrums liegen Müller-Thurgau (Nummer zwei unter den Weissweinen, häufig geschmäht und doch potenziell so vergnüglich) und Elbling. Letzterer geht zurück aufs Mittelalter, fühlt sich besonders wohl auf den Muschelkalkböden der oberen Mosel und sorgt für fantastisch leichte Sommer- und eindrucksvolle Schaumweine.
Apropos Schaumweine: Die entstehen nicht nur aus Elbling, sondern selbstverständlich auch aus Riesling, und immer häufiger aus den Burgundersorten, von fröhlich-spritzig bis sehr seriös mit langem Hefelager – unbedingt probieren!
Seit der Anbau von Burgundersorten wieder zugelassen ist, wird Weissburgunder immer häufiger als «rundere» Alternative zum Säurefeuerwerk des Rieslings angeboten. Zusammen mit dem Spätburgunder korrigiert er das traditionelle Bild der «nördlich-kühlen» Mosel. Rotwein an der Mosel? Genau. Was jahrhundertelang Tradition war, dann als Witz galt, ist heute wieder beeindruckende Wirklichkeit, voller Mineralik, Transparenz und Fruchtbrillanz.
Was uns zurück zum Riesling bringt, und den Fruchtschätzen, die er als feinherber, rest- und edelsüsser Wein zu bieten hat. Kabinett, in seiner wunderbaren Leichtigkeit, ist beinahe ein Wein zum Nüchterntrinken, während schmelzig-brillante Auslesen fruchtige Desserts begleiten oder auch ersetzen. Beeren- und Trockenbeerenauslesen (und auch Eiswein) aus rosinierten und/oder botrytisierten Trauben sind eine ganz eigene Klasse – in ihrer Jugend oft mehr beeindruckend als einladend. Doch (und das gilt für alle restsüssen Weine!) mit entsprechender Flaschenreife, je konzentrierter, desto länger, verschmelzen Süsse, Säure und Mineralik zu grandioser, balsamischer Komplexität und bringen die ganze Genialität der Mosel zum Ausdruck.