KULINARIK
Weinvariationen zu: Saibling!
Text: Ursula Heinzelmann, Fotos: Manuel Krug
Forellenquintett und schöner Müllerin zum Trotz: Wir lieben auch und ganz besonders einen Verwandten, den fein orange gesprenkelten Saibling. Die Salmoniden sind willige Verwandlungskünstler, die leicht und beschwingt an lauen Sommerabenden besonders gerne mit und im Wein schwimmen.
Um es gleich vorwegzunehmen: Alles, was Ihnen zur Forelle einfällt, trifft grundsätzlich auch auf den Saibling zu. Die Familienbande der Salmoniden, also Lachsartigen, sind verwirrend, komplex, hier eigentlich nebensächlich und daher am besten mit einem Glas Wein hinuntergespült. Denn all diesen im klaren Wasser silberblitzenden Schwimmern ist eins gemeinsam, sei ihr Fleisch nun ganz hell oder richtiggehend orange: Sie sind für beinahe alles offen. Sie lieben die kulinarische Vielfalt und legen eine grossartige Anpassungsfähigkeit an den Tag, ohne ins Bedeutungslose abzudriften.
Sie sind allein und haben Zeit und Anlass für ein richtig gutes Essen? Ein Saibling oder eine Forelle ist eine perfekte Portion. Ausnehmen (lassen), salzen, in viel frischer Butter braten, Mandelblättchen dazugeben, gegen Ende viel grob gehackte glatte Petersilie und ganz zum Schluss frische Zitrone. Grossartig und viel zu selten serviert. Im Glas zahlt sich dazu eine gewisse Tiefstapelei aus, wie etwa Müller-Thurgau vom Bodensee, zart und mineralisch. Sonst eher zurückhaltend, jubiliert er hier und schwingt sich in luftige Höhen, bringt den zarten Fisch zum Singen und reisst die grüne Petersilie, die Zitrone, selbst die Butter mit – ein Fest. Und selbstverständlich auch auf zwei, drei, vier am Tisch zu erweitern, vorausgesetzt, Sie stellen ausreichend Wein kalt.
Noch «einfacher»: blau (der Fisch, nicht Sie selbst), also im essigsauren Sud gekocht. So schlicht und doch von einer ganz eigenen Faszination. In einem ihrer bemerkenswerten Essays erzählt die amerikanische Food-Autorin MFK Fisher (ja, ganz recht, dies ist eine kulinarische Leseempfehlung) von der perfekten Forelle blau. Auf einer Wanderung im nördlichen Burgund kehrt sie am späten Mittag in ein verlassenes Sternerestaurant ein, als betrete sie ein Märchenschloss. Saftig und doch fest ist das Fleisch des blauen Fisches, den die geheimnisvolle Kellnerin, «wie aus dem Mittelalter und vom Teufel besessen», ihr serviert. Nicht ohne ihn vorher lebend in einem Eimer zu präsentieren – denn frisch muss er sein, sonst wird er nicht blau in der essigsauren Court-Bouillon. Dazu kleine gekochte Kartoffeln, ein wenig mit Schnittlauch aromatisierte Sahnesauce... und Chablis. «1929er Chablis, nicht Chablis Village!», ordert Fisher explizit, also eher zugänglich und ein wenig gereift (sie datiert die Episode auf 1936).
Ernest Hemingway liess sich Forellen auf seinen Wanderungen in den Schweizer Alpen servieren, als er in den 1920er Jahren in Chamby bei Montreux wohnte (nur wenige Kilometer von Chexbres entfernt, wo MFK Fisher zehn Jahre später lebte). Auch er erklärte das Blaukochen zu einer der bestmöglichen Zubereitungsarten, und selbstredend gehörte zu seinen Forellen Wein: Explizit und erfreut erwähnt er in seinem Kochbuch den «Plopp» des Sion. Dem können wir nur zustimmen; wie der Bodensee-Müller-Thurgau ist auch frischer, floraler Walliser Fendant (aka Chasselas) in vielen Varianten tatsächlich ein grossartiger Forellen- und Saibling-Begleiter.
Aber unsere silbernen Freunde können auch ganz anders als bescheiden. Bleiben wir beim Literarischen: Der tschechisch-österreichische, später amerikanische Jurist und (Gastro-)Journalist Joseph Wechsberg berichtete in den 1950er Jahren von einem Besuch beim grossen Fernand Point, Vater der modernen französischen Küche. Der redet zwar von «une truite au bleu», serviert den im Essigsud gekochten Fisch dann jedoch filetiert und enthäutet «au porto», gefüllt mit einem Ragout aus Trüffeln, Pilzen und Gemüse, mit einer Sauce aus Butter, Sahne und Portwein. Im Glas (nach einigen Gläsern Champagner): ein «eleganter, luftiger Montrachet».
Fröhliche Scheurebe zu frischem Carpaccio
Nicht so ganz Ihre Kragenweite? Unsere auch eher selten... Ausserdem ist es bald Sommer, wer will da lange am heissen Herd stehen? Auf der heimischen Terrasse, am grossen Tisch servieren wir unsere silbernen Freunde deshalb als Carpaccio, während sie sich auf der grossen karierten Picknickdecke als Ceviche ausgesprochen wohlfühlen. Für den Ausflug ins Grüne filetieren wir den ganz frischen Fisch (siehe dazu auch unseren Tipp) bereits zu Hause, schneiden ihn von der Haut und in nicht zu dünne Scheiben und transportieren ihn gut gekühlt in der Eisbox. Letztere ist sowieso unabdinglich, denn was wäre ein sommerliches Picknick ohne entsprechende Erfrischung in den Gläsern?
Wenn die Decke dann ausgebreitet ist (und erst dann!), kommt reichlich Limettensaft über den Fisch, ein wenig Salz, nach Geschmack ein Hauch von roter Zwiebel, frischer Chili und vielleicht ein paar Blätter frischer Koriander – fertig. Wenige Minuten genügen, um den Fisch zu «garen». Gerade genug Zeit für den nächsten Griff in die Eisbox, zum Wein. Fröhlich soll er sein, eine trockene Scheurebe, Sauvignon Blanc der beschwingten Art oder der äusserst fischaffine Assyrtiko. Wohin auch immer auf Planet Wein er uns entführt – und zum Carpaccio ergeben sich da noch viel mehr Möglichkeiten –, der erste Schluck gebührt auf alle Fälle der unvoreingenommenen Weltoffenheit von Forelle und Saibling.
DIE WEINE
Allesamt so lebhaft wie die Fische im Wasser, doch das auf ganz unterschiedliche Weise – probieren Sie selbst!
Riesling Centgrafenberg 2012
Rudolf Fürst, Bürgstadt, Franken (D)
12,5 Vol.-% | 2016 bis 2025
Beim fränkischen Fürst stehen die Rieslinge oft etwas im Schatten der (grossartigen) roten Burgunder. Vollkommen zu Unrecht, wie dieser tief mineralische, von grünweisser Frucht, kühler Säure und der reifen Art des Jahrgangs geprägte Wein beweist. Ein absoluter Langläufer, herb und dicht, der geduldig auf seinen Einsatz wartet.
Chemin F Collioure Rosé 2014
Collectif Anonyme, Port Vendrée, Collioure (F)
13,5 Vol.-% | 2016 bis 2020
Ein junges, internationales Start-up-Kollektiv, das an den steilen Schieferhängen der Pyrenäen-Ausläufer am französischen Mittelmeer zur «Bergrettung» angetreten ist. Manuell, biodynamisch, so natürlich und fair wie möglich. Ihr Rosé aus halb Syrah und halb Mourvèdre ist üppig, streichelweich und doch so klar wie der kalte Tramontane-Winterwind.
Crémant du Jura Brut Blanc
Domaine Pignier, Montaigu, Jura (F)
12 Vol.-% | 2016 bis 2020
Von einer Domaine, die in siebter Generation im Familienbesitz ist und auf eine noch viel längere Klostervergangenheit zurückblickt (heute biodynamisch bewirtschaftet), kommt dieser Chardonnay, in traditioneller Flaschengärung und über ein Jahr auf der Hefe gelagert. Das hat ihn zu mineralischer, ganz trockener Gebirgsklarheit verschlankt, lässt ihn floral duften und seidig wirken.