Terroir - Weinkultur und Weingenuss in einer globalen Welt
20.04.2009 - arthur.wirtzfeld
DEUTSCHLAND (Winningen/Mosel) - Heute dominieren technisch gemachte, genormte Weine den Markt. Sie wecken zunehmend die Sehnsucht nach ehrlichen, authentischen Weinen, nach kulturbeseelten Terroirweinen, entstanden im schöpferischen Zusammenspiel von Weinberg, Rebe, Klima und der Kunst des Winzers. Reinhard Heymann-Löwenstein plädiert kenntnisreich und geistvoll für eine neue Weinkultur, für "Terroir" als Gegenbewegung zu industrialsiertem Fastfood.
Das Buch "Terroire - Weinkultur und Weingenuss in einer globalen Welt" ist ein Essay über Steine und Steiner, Aufklärung und Fooddesign, Gaschromatographie und Chaostheorie, Dieter Bohlen und Egon Müller, systematische Volksverdummung und systemische Komplexität, scholastische Fundis und idealistische Schwärmer, globale Heimat und heimatlose Globalität, trinkende Götter und göttliche Trinker.
Was die Beweggründe für den Dipl. Ing. agr. Reinhard Heymann-Löwenstein waren, dieses Buch zuschreiben, wie er den Begriff Terroir definiert, ob er sich als Traditionalist begreift und was er unter Weinkultur versteht, dazu haben wir ihn persönlich befragt:
YOOPRESS:Was war der Auslöser bzw. der Antrieb für Sie, dieses Buch zu schreiben?
Reinhard Löwenstein: Nun, der Anstoß kam vom Stuttgarter Kosmos -Verlag. Es war ein Anstoß, der auf fruchtbaren Boden gefallen ist da ich mich ja nun schon seit vielen Jahren mit dem Thema Weinkultur beschäftige. Die Idee, meine Gedanken geordnet zu Papier zu bringen habe ich daher gerne aufgegriffen.
YOOPRESS:Sie sagten einmal bei einer Ihrer Weinproben "Einer der wesentlichen Aspekte von Terroir ist, das wir nichts wissen". Wie definieren Sie selbst den Begriff "Terroir"?
Reinhard Löwenstein: (Lacht...) Lesen Sie das Buch! Hier sind auf 180 Seiten die für mich wichtigsten kulturellen Aspekte von Wein, die als Gegenbewegung zum modernen Food-Design den Begriff Terroir mit Leben füllen, beschrieben.
YOOPRESS:Ihre Rieslinge werden seit Jahren mit dem Begriff "Terroir" verknüpft. Zu Recht? Ein Phantom? Oder wie schmeckt das Terroir Ihrer spontan vergorenen Rieslinge?
Reinhard Löwenstein: Was erleben Sie bei einem Konzert der Rolling Stones? Was bei der 8 Sinfonie von Schostakowitsch? Es ist ein elementarer Aspekt eines Terroirweins, dass sich seine hohe Komplexität für jeden Genießer unterschiedlich erschließt. Der Fokus unserer Arbeit im Weinberg und unserer Vinifikation liegt auf der Kommunikation von Schiefer, von insgesamt acht verschiedenen vor 400 Millionen Jahren in den Tropen entstandenen Meeressedimenten, die von den Rieslingreben wieder zum Leben erweckt und geschmacklich erfahrbar werden. Wie das schmeckt? Probieren!
YOOPRESS: Ihnen schreibt man die Begriffsdefinition "Terrassenmosel" zu. Ist es hier im nördlichen Teilabschnitt des unteren Moseltales, wo sich Ihre Weinberge befinden, aufgrund klimatischer Bedingungen und aufgrund der vorhandenen Böden leichter Terroir-Weine zu erzeugen oder könnten das Ihre Winzerkollegen anderswo genauso?
Reinhard Löwenstein: Terroir ist für mich weit mehr als nur ein Wein mit Bodengeschmack. Terroir ist auch die "innere Haltung" des Winzers, der bewusste Verzicht auf das technisch Machbare und auf die vielen zweifelhaften Segnungen der Moderne zur Geschmacksoptimierung. Die Terroirbewegung versteht sich als Weiterentwicklung der Ökobewegung im Ringen um einen echten, authentischen, um einen kulturbeseelten Wein. Und da viele sinnvolle kulturelle Ansätze existieren, gibt es auch eine gleich große Vielfalt an Terroirweinen. Überall auf der Welt.
YOOPRESS: In Ihrem Wirken als Erzeuger verstehen Sie sich als Traditionalist, haben aber mit dem Begriff als intellektueller Winzer und Mensch doch so Ihre Probleme. Wie definieren Sie daher den Begriff "traditionell"?
Reinhard Löwenstein: Mit dem Begriff "Traditionalist" habe ich nur dann Probleme, wenn er als Marketingtool missbraucht wird. Wenn sich ein Winzer bestimmten Traditionen verpflichtet fühlt - warum soll er sich nicht als Traditionalist bezeichnen? Mit Terroir hat das jedoch wenig zu tun. Hier wäre erst einmal die Frage zu klären welchen Traditionen man sich ggf. verpflichtet fühlt. Davon gibt es ja nun auch solche und solche. Und die momentan wie immer populärer werdende Tradition, das eigene Hirn partiell auszuschalten, um nach dem für viele erlebten Bankrott der Aufklärung wieder in die dunkelsten Ecken des geistigen Mittelalters zurückzukehren und mit einem primitiven schwarz-weiß-Denken Gurus à la Rudolf Steiner und Nicolas Joly hinterher zu laufen. Das ist genau das Gegenteil von Terroir. Die Terroirbewegung nährt sich aus andern Wurzeln: Den Traditionen eines respektvollen Umgangs mit der Umwelt, aus dem Humanismus und dem menschlichen Bestreben nach Freiheit und Emanzipation.
YOOPRESS:Sie plädieren seit langem, dabei unermüdlich und auch streitbar für eine neue Weinkultur, für Terroir, als Gegenbewegung zum industrialisierten genormten Wein. Bemerken Sie diesbezüglich Änderungen in der Weinwelt?
Reinhard Löwenstein:Die fortschreitende Globalisierung des Weinmarktes mit ihrem großen Verlust an Geschmackskultur nährt schon seit Jahren die Gegenbewegung, die Terroirbewegung. Was wir momentan erleben ist eine klare Marktspaltung. Technisch mehr oder weniger hervorragend gemachte moderne Industrieweine auf der einen und individuelle, kulturbeseelte Terroirweine auf der anderen Seite.
YOOPRESS:Herr Löwenstein, wir danken Ihnen für das kurze Gespräch.