Stationen der Weingeschichte
Jo-Jo in der Rebplantage
2016 werden europaweit die Pflanzrechte liberalisiert. In Frankreich macht die Vereinigung «Elus de la Vigne» dagegenmobil. Neu ist das nicht. Zwischen Freiheit und Diktat oszilliertder Wein seit 2000 Jahren.
Schauen wir weit zurück: Im Jahr 92 unserer Zeitrechnung verbietet der römische Kaiser Domitian jede Neuanlage und lässt die Hälfte der Weinberge in den Provinzen roden. «Rom handelt nicht anders als Brüssel im Jahre 1980», zieht der französische Weinfachmann Jean Clavel in seinem Buch «Le 21. siècle des vins du Languedoc» den Vergleich. Seit 1980 reguliert die Europäische Union den Weinbau, wirft grosszügig mit Ausreissprämien um sich und verfolgt Rodungen, etwa in Süditalien, per Satellit.
Im 18. Jahrhundert verfasst der Philosoph Montesquieu aus La Brède bei Bordeaux ein stürmisches Manifest, in dem er festhält, dass die Guyenne (Bordeaux und Umland) «unterschiedlichste Sorten von Weinen exportieren muss, so unterschiedlich wie ihre Terroirs. Denn der Geschmack der Ausländer ändert sich laufend, nicht ein Wein, der vor 20 Jahren Mode war, ist es heute noch, was damals verpönt war, ist heute gefragt. Man muss sich dem anpassen und soll in aller Freiheit pflanzen und roden dürfen.»
Auslöser dieser Worte ist ein Erlass des Königs, der ab 1725 das Anlegen neuer Rebberge im ganzen Königreich untersagt hatte, was den guten Montesquieu, Verfasser des Standardwerks «De l’Esprit des Lois» («Vom Geist der Gesetze»), vor allem darum auf die Palme bringt, weil es ihn daran hindert, auf seinem eigenen Landbesitz Reben zu pflanzen.
Willkür machthungriger Politiker? Diktat weltfremder Funktionäre? Intelligente Agrarpolitik? Merke: Weinbau ist nicht Kontinuität, sondern fröhliches Jo-Jo, einmal Überschuss, einmal Mangel und umgekehrt, das Politiker – meist vergeblich – mittels Restriktion im Griff zu halten suchen. Fluchen nützt wenig, verstehen vielmehr. Auf geht’s: Im Jahre 79 nach Christus flutet nach dem Ausbruch des Vesuv eine Lavawelle über Pompeji und zerstört eine reiche Stadt mit 200 Weinschenken und 30 weinproduzierenden Villen.
Der Jahrgang 78 geht in Flammen auf. In Rom wird Wein Mangelware. Die Römer zeigen sich reaktiv: Wein ist die einfachste Art, rasch zu Vermögen zu kommen. Es folgt eine Anbauschlacht rund um Rom, der hinterletzte Kornacker wird berebt, nach Ebbe herrscht Weinflut und bald drauf Mangel an Getreide.
Etwa 1600 Jahre später, 1709, erfrieren die Reben des Pariser Grossraums, die Weinhändler der Kapitale suchen Ersatz im Süden, der pflanzt fröhlich drauf los, das Gleichgewicht läuft aus dem Ruder. Und 1980? Angesichts der Tatsache, dass ein Drittel der Weltweinproduktion, vorab durch Europa bestritten, nicht trockene Kehlen, sondern Brennhäfen mit Stoff versorgt, arbeitet Brüssel daran, dass Menge durch Qualität abgelöst wird.
Die geplante Freigabe der Pflanzrechte ist im Grunde genommen nichts anderes als das letzte Kapitel eines zwar selbstmörderischen, aber irgendwie konsequenten Liberalismus, mit dem man den neuen Weinländern, die kaum Einschränkungen kennen, die Stirn bieten will. Und das Jo-Jo hüpft fröhlich weiter. Das Retourticket ist bereits gebucht.