Interview mit Ueli Schiess
Der Zauber der Italianità
Fotos: Thomas Hary, z.V.g.
Ueli Schiess, erinnern Sie sich noch an Ihr erstes Glas Wein?
Nein. Ich wurde in eine Weinhändlerfamilie geboren und könnte heute 127 Jahre «im Wein» feiern. So bekam ich wahrscheinlich nicht grad ein Glas, aber bestimmt schon mal ein Schlücklein zur Begleitung des Babybreis!
Und wann hat Sie die Faszination Wein gepackt?
So richtig erst mit der Ausbildung zum Ingénieur en Viticulture et Oenologie in Lausanne/Changins (1971–1974).
Wie kamen Sie schliesslich – erst 1991 – zu Caratello?
Ich war zuvor schon in zwei Weinbau- und Weinhandelsunternehmen tätig. Dann wollte ich mich beruflich neu orientieren und mich selbstständig machen. Caratello war schon früher eine kleine Enoteca mit Restaurant in St. Gallen mit Hauptaugenmerk auf italienischen Weinen. Diese Enoteca bot sich als prima Plattform an, etwas professionell aufzubauen.
Sie haben von Anfang an «nur» auf italienische Weine gesetzt. Warum?
Ja, Italien hatte mich schon immer fasziniert. Die italienische Weinwelt war ab den 1980er Jahren in einem fundamentalen Auf- und Umbruch, lange bevor Ähnliches im Burgund und in anderen wichtigen Weinbauregionen passierte. So gründeten wir die neue Caratello Weine AG. Mit der Fokussierung auf die besten Weine Italiens zu vernünftigen Preisen haben wir uns schon zu Beginn klar positionieren können, sowohl im Markt Schweiz wie auch gegenüber den Produzenten in Italien. So haben wir unser Portefeuille von einer Hand- voll auf gut 70 meist kleine bis sehr kleine Winzer ausbauen können. Gleichzeitig haben wir durch die Konzentration auf Italien bei unseren Kunden ein klares Profil bekommen.
Was macht denn die besondere Faszination für italienische Weine aus?
Als Italien-Liebhaber ist es schwer, sich dem Zauber der Italianità zu entziehen, und nirgends wird der Charme der Welt Italiens besser verkörpert als durch die italienische Weinkultur. Gleichzeitig faszinieren uns neben der Vielfalt der Anbaugebiete und der Traubensorten vor allem die kompetenten und sympathischen Winzer, mit denen wir zusammenarbeiten dürfen. Jeder von ihnen ist anders, hat eigene Rahmenbedingungen und eine eigene Art, Wein herzustellen – gemeinsam sind ihnen nur das Engagement und der Wille, Jahr für Jahr etwas Gutes zu schaffen.
Ihr Angebot ist zwar über die Jahre gewachsen, ist aber gleichzeitig von grosser Konstanz. Warum bieten Sie nicht häufiger neue Weine an?
Die wirklich guten Produzenten zählen auf Kontinuität in den Geschäftsbeziehungen, genauso wie wir auch. Deshalb ist die Sorgfalt bei der Auswahl unserer Winzer immens wichtig. Neuheiten erlauben wir uns, wenn die bestehenden Produzenten aus einer Region mit den mit uns erreichten Resultaten zufrieden oder gar am Limit ihrer Kapazität angelangt sind. Wird dann einer in unsere Collezione aufgenommen, verkaufen wir alle Weine, die er/sie herstellt. Denn die Art und Weise, wie er seine Reben anbaut, pflegt und seinen Wein zur Reife führt, ist eine Frage seiner Werte, seiner Haltung. Entweder macht einer gute Weine – oder er kann oder will es nicht. Mit dieser Strategie sind wir gut gefahren, denn viele der kleinen, unbekannten Weinproduzenten, die wir meist schon seit Jahrzehnten betreuen, haben sich inzwischen zu den berühmtesten und besten Produzenten Italiens entwickelt.
Woran erkennt man einen guten Wein?
Indem man ihn probiert und sich wenn möglich beim Fachhändler etwas über den Hintergrund informiert. Das wäre doch wichtig! Wenn er rundum schmeckt, soll man ihn sich schmecken lassen. Und wenn man ihn bei einem bestimmten Fachhändler eingekauft hat, sollte man diesem weiterhin vertrauen – und vielleicht hin und wieder etwas Neues probieren. Denn auch beim Wein gilt: Vielfalt ist Leben.
Wenn man Weinkennern zuhört, scheint das Trinken von Wein häufig eine intellektuelle Herausforderung zu sein. Wie gehen Sie mit Fachurteilen über Ihre Produkte um?
Intellektuell? Lassen Sie sich nicht blenden! Fremdurteile benutzen wir in der Werbung, da viele Kunden sich danach orientieren. Selbst aber beurteilen wir unsere Weine nach eigenem Gutdünken.
Und wie ist es mit Weinsammlern? Man hört ja immer öfter, dass Weine auch als Investment geschätzt werden.
Vom Investment rate ich ab. Es sei denn, es ist ein Investment in genussreiche Momente in sympathischer Runde… Einige – und immer mehr – unserer Weine sind tatsächlich gefragt bei Sammlern. Die sind dann aber meistens auch so rar, dass für jeden Kunden nur wenige oder gar nur einzelne Flaschen verfügbar sind. Auch macht es sich nicht so gut, wenn wir Kunden danach fragen, ob sie den Wein sammeln, in einen Banktresor legen, verschenken oder selber trinken wollen.
Caratello hat mittlerweile eine gute Reputation. Warum lassen Sie als Ingenieur, der doch wissen müsste, worauf es ankommt, nicht eine oder mehrere Selezione Caratello abfüllen?
Das liefe darauf hinaus, stromlinienförmige, einem möglichst breiten Geschmack entsprechende Weine in Auftrag zu geben. Dies steht im krassen Widerspruch zu meiner und aller meiner Mitarbeitenden Auffassung von dem, was Wein sein soll: das gekonnte Zusammenspiel von Natur und Mensch, aus dem Vielfalt, Nuancenreichtum, gegensätzliche Charaktere und vieles anderes mehr entstehen. Diesen Reichtum, diese Authentizität wollen wir unseren Kunden vermitteln.