Mr. Kontrolliertes Nichtstun

Winzerlegende Hans-Günter Schwarz, Pfalz

Text: Rudolf Knoll, Fotos: Armin Faber

  • Sabine Schwarz und ihr Hans-Günter sind seit 15 Jahren ein Paar, das sich perfekt ergänzt. Und sie lässt sich gern von ihrem Gatten in Sachen Wein fortbilden
  • Hans-Günter nach der Ernte von gesunden Trauben auf dem Weg in den Betrieb

Normalerweise würde demnächst, am 23. Juni, eine lange Schlange von Gratulanten vor der Adresse Am Herzel 51 in Neustadt-Haardt anstehen, um einen der grossen Männer des deutschen Weinbaus hochleben zu lassen. Denn Winzerlegende und Lehrmeister Hans-Günter Schwarz wird 80 Jahre jung. Corona wird vielleicht noch beim Feiern dazwischen pfuschen. Aber Alternativen sollten sich finden lassen…

Da war selbst die sonst so souveräne Sabine Klara Schwarz, seit 15 Jahren die Frau an der Seite von Hans-Günter Schwarz, baff. Auf offener Strasse umarmte eine Journalistin aus Speyer ihren Gatten lang und innig. «Das musste sein, ich habe Ihnen so viel tolle Weine zu verdanken», erklärte sie hinterher lachend. Der Betroffene hat eben viele Freunde und Fans in der Weinszene, weil er vor 60 Jahren begann, sich einige Feinde zu schaffen. «Übermässige Stickstoffdüngung, zu viel pumpen, mehrfach filtrieren, Einsatz von Gelatine, Aktivkohle und Bentonit, dagegen hatte ich etwas», reiht er auf. «Die Säuerung von Wein ist für mich ein Verbrechen.» Als gerade 19-Jähriger, frischgebackener Betriebsleiter im Weingut Müller-Catoir schwamm er vor 60 Jahren damit keck gegen die seinerzeitige Praxis und wissenschaftliche Meinung an. «Aber mir war klar, dass das innere Gefüge des Weines ernsthaft gestört und das Potenzial von Sorten und Böden nicht annähernd ausgeschöpft wird.»

Einzigartiger Catoir-Stil

Im Lauf der Jahre wurde diese Einstellung, die letztlich zu einem Catoir-Stil mit ungemein delikaten, raffinierten, im Aroma oft zauberhaften Weissweinen führte und dem Betrieb zur Fünf-Trauben-Höchstbewertung im «Gault & Millau» verhalf, auf zwei Worte reduziert. Hätte er dafür jemals Tantiemen verlangt, wäre Hans-Günter Schwarz längst ein reicher Mann. Denn «Kontrolliertes Nichtstun» findet sich heute in zahlreichen Betriebsbeschreibungen über die Arbeit im Weinkeller, selbst bei Winzern, die niemals Kontakt mit dem Pfälzer hatten oder von ihm ausgebildet wurden.

«Ich schätze mich glücklich, dass aus allen meinen Lehrlingen gute Winzer geworden sind.»

Der allererste Lehrling von Schwarz, Hansjörg Rebholz aus Siebeldingen, weiss, dass mit dieser Arbeitsbeschreibung einiges verbunden ist: «Nichtstun funktioniert nur, wenn die Kontrolle stimmt und wenn im Vorfeld, vom Weinberg bis zum Ausbau, alles akribisch und bis hin zur Perfektion durchdacht und ausgeführt wurde. Was Hans-Günter vorgemacht hat, bedeutet weg vom Schema F oder einem starren Kellerfahrplan, hin zum Beobachten, Abwarten, aber auch zum schnellen Entscheiden, wenn notwendig. So etwas bringt einfach mehr als marktschreierischer Aktionismus.» An eine besonders schnelle Entscheidung kann sich Schwarz selbst erinnern. «Einmal haben wir an einem 24. Dezember Eiswein geerntet. Am ersten Weihnachtsfeiertag wäre das nicht mehr möglich gewesen.» 40 Jahre war er bei Müller-Catoir in der Verantwortung. Die Familie Catoir wusste, was sie an ihm hatte und wer für den steilen Aufstieg des Weingutes verantwortlich war. Ab 1970 nahm er Auszubildende auf. Rund 40 Jungwinzerinnen und Jungwinzer sowie etwa 20 Praktikanten prägte er in den folgenden 30 Jahren. «Aus allen ist etwas geworden, sie haben sich danach noch weiterentwickelt.» Es waren keineswegs nur Pfälzer, die auf ihn hörten und heute noch im Rückblick von ihm schwärmen. Als da beispielsweise wären die Badener Markus Wöhrle und Konrad Salwey, der Franke Martin Steinmann (Schloss Sommerhausen), die Wachauer Franz Hirtzberger jun., Lukas Pichler, Leo Alzinger und die burgenländische Blaufränkisch-Lady Sylvia Heinrich, die verrät, dass es Schwarz war, der ihre Entscheidung, ins elterliche Weingut einzusteigen, wesentlich beeinflusste. «Es war eine faszinierende Zeit in der Pfalz. Ich habe viel gesehen, gelernt, durfte teilhaben an privaten Abenden, Verkostungen und Diskussionen.»

Allen Nachwuchswinzern konnte Schwarz seine Leidenschaft für grosse Weine vermitteln. Er tat es auf subtile Art, zeigte ihnen, dass sich Beruf auch mit Spass verbinden lässt, liess immer mal einen trockenen Witz fallen, hatte Lob parat, wenn angebracht, aber auch Kritik, wenn notwendig. «Seine menschlichen Qualitäten sind ebenso hoch einzuschätzen wie die fachlichen», registriert Franz Hirtzberger jun. aus Spitz in der Wachau. «Er besitzt die Fähigkeit, auf junge Menschen zuzugehen.»

Ratgeber in allen Lebenslagen 

Eine besondere Beziehung gibt es zu Julia Keller aus Flörsheim-Dalsheim, die mit ihrem Mann Klaus Peter für Riesling G-Max und andere bedeutende Weine zuständig ist. Dass bei den Kellers Rieslaner ausgebaut wird, liegt daran, dass diese Sorte einst Medium für die Bekanntschaft von Senior Klaus Keller mit seiner späteren Frau Hedwig war. Zu Ehren der 2002 verstorbenen Schwiegermutter pflegt Julia die Neuzüchtung weiter. Erste Bekanntschaft mit dem Rieslaner schloss sie während ihrer Lehrzeit bei Schwarz, der die Rebe in Franken kennen und schätzen gelernt hatte, sie in die Pfalz «importierte» und den meist edelsüssen Weinen faszinierende Frucht-Aromen entlockte. 
Was der Familie Keller widerfuhr, musste auch Hans-Günter Schwarz schon im Frühjahr 2000 verkraften. Seine Frau verstarb nach 35 Jahren Ehe. Sie hatte zwei Kindern das Leben geschenkt. Mit fünf Enkeln ist die Schwarz-Familie weiter gewachsen. Als er mit dem Jahrgang 2001 die Betriebsleitung bei Müller-Catoir abgab, fiel er nicht in ein Loch. Eher das Gegenteil war der Fall. Wo der stets leutselige Pfälzer auftauchte, war er Mittelpunkt und ein begehrter Ratgeber. «Ich bin immer noch ehrenamtlich unterwegs, gebe Tipps für betriebliche Abläufe.» Im Hintergrund hat er einige Personalentscheidungen in der Szene wesentlich beeinflusst. Dass das relativ junge, aufstrebende Weingut Odinstal hoch über Wachenheim mit Andreas Schumann einen fähigen Betriebsleiter hat, wurde vom einstigen Lehrherrn eingefädelt. Dass der Betrieb vor kurzem in den VDP aufgenommen wurde, lässt Schwarz strahlen. Auch bei der Neukonstruktion der drei Deidesheimer Weingüter von Winning, Reichsrat von Buhl und Bassermann-Jordan waren seine Ratschläge gefragt. Schwarz war ein guter Freund von Eigentümer Achim Niederberger (1957 bis 2013), für den er einige Jahre auch einen Hobby- Weingarten in Neustadt betreute. 

In den letzten Jahren musste er verstärkt auf seine Gesundheit aufpassen. Aber aktuell ist wieder alles in Ordnung, so dass er seinem grossen Hobby, der Arbeit im eigenen Garten nachgehen kann. Hier stehen auch, er kann es halt nicht ganz lassen, fünf Rebstöcke der Sorte Muscat Bleu, eine Schweizer Tafeltrauben-Züchtung. Bislang gibt es davon keinen Wein, aber dass es dabei bleibt, darauf sollte man nicht wetten. «Wenn man das Richtige tut, kann man daraus vielleicht guten, aromatischen Wein machen», überlegt er, während das Wachstum der Stöcke überprüft wird… 

Was ihn aktuell besonders freut, ist der Zusammenhalt der jungen Winzerschaft, der hier gepflegte Erfahrungsaustausch. «So etwas wäre früher undenkbar gewesen.» Dass es ihm selbst rundum gut geht, ist auch seiner Sabine zu verdanken, die ihn vor 15 Jahren nach gelegentlichen Begegnungen auf Weinverkostungen näher kennenlernte, schliesslich heiratete und seitdem darüber wacht, dass er es mit seiner Beratungstätigkeit nicht übertreibt. «Manchmal muss ich ihn bremsen», schmunzelt die Bildungsreferentin und einstige Lehrerin. Nicht hindern kann sie ihn daran, dass er sie selbst nach wie vor in Sachen Wein schulen will. «Ich muss bei verdeckten Proben die Sorte erkennen und den Wein beschreiben, und das schon, seit wir uns kennen.» Aber offenbar hat sie ein Wein-Gen intus. Ihr ältester Sohn aus erster Ehe, Andreas Hütwohl, ist als studierter Önologe zum stellvertretenden Betriebsleiter und Exportchef des Weingutes von Winning in Deidesheim avanciert. Vermutlich kennt er auch einen Lieblingswitz von Hans-Günter: «Ich habe immer eine leere Flasche Riesling im Kühlschrank. Falls jemand zu Besuch kommt, der keinen Wein mag.»

Topweine der acht Lehrlinge

Hier Tipps zu von Hans-Günter Schwarz ausgebildeten Pfälzer Winzern. Auf Noten wurde verzichtet. Die Begehrlichkeit nach dem zweiten Schluck war sehr ausgeprägt.


Weingut Fader, Rhodt unter Rietburg, Gewürztraminer Rosengarten Réserve 2019 

Knut Fader 

Dezenter, aber delikater Duft von gelben Rosen; sehr elegant, geschmeidig, ungemein stimmig und lang.

2021 bis 2030

Weingut Pfeffingen, Bad Dürkheim, Riesling Weilberg Grosses Gewächs 2019 

Jan Eymael 

Apfel und Pfirsich werden im Aroma mineralisch untermalt; komplexer, vielschichtiger Wein mit tollem Geschmacksbild.

2021 bis 2032

Weingut Faubel, Maikammer, Weisser Burgunder Kostbar 2019 

Gerd Faubel 

Goldgelb, delikate Würze (Kokos) und gelbe Frucht; feste Struktur, elegant und kraftvoll, reichlich Volumen, aber Alkohol bestens integriert.

2021 bis 2028

Weingut Möwes, Weyher, Rieslaner Auslese Michaelsberg 2020 

Michael Möwes 

Wein von perfekt gesunden, hochreifen Trauben. Maracuja und Ananas im Duft; feingliedrig, rassig, viel Spiel und herrlich anregende Säure.

2021 bis 2035

Weingut Odinsthal, Wachenheim, Riesling Basalt Landwein 2018 

Thomas Hensel 

Die Reben stehen auf Basalt; enorm konzentrierter, kraftvoller Wein, viel Spannung, etwas Fruchtsüsse.

2021 bis 2032

Weinhaus Pfaffmann, Frankweiler, Gelber Muskateller 2.0 Exklusiv 2019 

Tina Pfaffmann 

Zurückhaltend, Curry und Muskat; feine Cremigkeit und Schmelz, betonte, angenehme Würze. Spontan vergoren.

2021 bis 2029

Weingut Ökonomierat Rebholz, Siebeldingen, Gewürztraminer Albersweiler Latt 2019 

Hansjörg Rebholz

Wein aus einem 74 Jahre alten Pergola-Weingarten; ungemein klar, vornehm; cremig, feingliedrig, einfach delikat.

2021 bis 2035

Weingut Darting, Bad Dürkheim, Rieslaner Dürkheimer Nonnengarten Beerenauslese 1999 

Helmut Darting 

Bernsteinfarben, Litschi, Honig, Schokolade und Apfel; feiner Schmelz, viel Extrakt, zeitlos. Erst im April 2019 abgefüllt.

2021 bis 2029

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