Winzerlegende: Bodegas Barbadillo
Barbadillo
Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Heinz Hebeisen
Es ist eine weisse Stadt. Es ist eine magische Stadt. Es ist die Stadt des Manzanilla. Und die Stadt einer Familie, die entgegen dem Zeitgeist noch immer mehr als zwei Dutzend geniale Sherrys in die Flaschen bringt: Die Barbadillos aus Sanlúcar de Barrameda kultivieren den schönsten Anachronismus unserer Weinwelt.
Wanderer, kommst du nach Sanlúcar de Barrameda, dort wo der Guadalquivir in den Atlantischen Ozean mündet, dann besuche zuerst die «Casa Balbino», diesen heiligen Tempel der andalusischen Tapas-Kultur. Traue dich in das Gewusel am Bartresen, bestelle Tortilla de Camarones (knusprig gebratene Kartoffel-Julienne mit rosa Garnelen) und Solear Manzanilla. Kämpfe dich mit Speis und Trank durch die Menge zurück nach draussen, an ein Tischchen auf der Plaza Mayor, betrachte die Menschen, die hier clanmässig zusammenstehen und -sitzen, so dass man nie so recht weiss, wer jetzt eigentlich die Mutter oder die Tochter oder der Freund, der Onkel oder der Bruder ist. Und dann, mit dem allerersten Schluck dieses eiskalten, knochentrockenen und radikal frischen Solear, bist du angekommen in der Manzanilla-Welt des Barbadillo.
Am nächsten Morgen im Barrio Alto: Zwischen den weiss getünchten Mauern der Kellereien klingt sogar das Knattern der Vespas wie Musik. Dazu eine frische, salzige Brise vom Meer, und über allem dieser unverschämt blaue Himmel. All das gibt es nur hier, am südlichsten Zipfel Andalusiens, im Niemandsland zwischen Europa und Afrika.
In der Calle Luis de Eguilaz sind plötzlich alle Haustüren knallrot gestrichen. Ein klares Indiz dafür, dass wir uns nun im Reich der Barbadillos befinden, genauer gesagt in ihrem Kellerlabyrinth aus 17 Gebäuden. Eine Stadt in der Stadt. Nur der Sockel vor dem Haupteingang, auf dem Manuel Barbadillo thronte, der charismatische Patron aus dem vergangenen Jahrhundert, ist leer. «Mein Grossvater wurde leider gestohlen. Es gibt hier inzwischen Banden, die Bronzeskulpturen einschmelzen und sie zu Geld machen», sagt Rosario Perez Barbadillo.
Ein eigener Kosmos
Der Gärtner macht das laute Laubgebläse sofort für eine Minute aus, als wir mit Rosario durch den Garten spazieren. Als Vertreterin ihrer Familie ist sie hier eine Respektsperson mit natürlicher Autorität, obwohl sie als Leiterin des Besucherzentrums nicht zur Geschäftsführung gehört. Diese besteht grundsätzlich aus externen Personen, wird aber durch einen Exekutivrat der Familie kontrolliert. «Das ist alles sehr komplex, kein Wunder, wenn man bedenkt, dass die Kellerei heute 90 Barbadillos gehört.»
Dann erzählt sie aus jener noch nicht lange zurückliegenden Zeit, als die Sherry-Dynastien in Sanlúcar in einer in sich geschlossenen Welt lebten. Ihre Eltern etwa sind Verwandte dritten Grades. Als sie erstmals ihren Freund mit nach Hause brachte, habe ihr Vater nur gesagt: «Ich glaube, ich habe diesen jungen Mann in unserer Strasse noch nie gesehen…» Sie habe erklären müssen, dass ihr Freund gar nicht aus Sanlúcar komme, sondern aus dem benachbarten El Puerto de Santa Maria, worauf es sehr still geworden sei am Tisch…
Die Barbadillos waren vor 15 Jahren die Ersten, die einen neunjährigen Manzanilla unfiltriert direkt vom Fass «en Rama» in kleine Flaschen abfüllten. Vier Abfüllungen pro Jahr, eine zu jeder Jahreszeit, gibt es seither von dieser Spezialität, die nur in limitierten Mengen von jeweils 2640 Flaschen auf den Markt kommt. Kein Wein hat die Manzanilla-Szene so revolutioniert wie dieser. «Der ‹en Rama› hat den Weinfreaks gezeigt, welchen zentralen Einfluss der Hefeflor auf den Charakter eines Manzanilla hat», sagt Montse Molina, die Kellermeisterin von Barbadillo.
Der Hefeflor, der von der feuchten Atlantikluft beeinflusst wird, beginnt jeweils im Frühling zu wachsen und erreicht Ende Mai seine höchste Aktivität. Von Juni bis Ende November verliert er dann kontinuierlich an Kraft. Danach beginnt der Kreislauf von neuem. Die Konsequenz dieses Phänomens: Jede «en Rama»-Abfüllung schmeckt anders, aber am charaktervollsten zeigt sich immer der Saca de Verano, also die Sommeredition, die direkt nach der Periode der stärksten Florbildung abgefüllt wird.
Jedem Weinfreak, der diesen Wein direkt mit dem Standard-Manzanilla, dem Solear, vergleicht, ist ein sensorisches Schlüsselerlebnis sicher. Hier die kantige, fast skelettartige Frische und konsequent geradlinige Struktur des hellgrün schimmernden Solear mit seinem Duft nach Kräutern und Salz. Und dort der fast schon goldgelb glänzende Saca de Verano mit komplexen, an Gebäck erinnernden Hefearomen und einer unglaublichen Fülle, Komplexität und vor allem Cremigkeit am Gaumen. Darf man die zwei überhaupt miteinander vergleichen? «Nun ja, der Saca de Verano ist sicher in jeder Beziehung der intensivere Wein, doch dieses Mehr an allem bedeutet noch nicht, dass er auch in jeder Situation der bessere Wein ist», meint Rosario Perez Barbadillo diplomatisch.
Kellergeheimnisse
Wer sich in den dunklen Kellern, wo es so unnachahmlich nach Erde und nach in Alkohol eingelegten Rosinen riecht, wo Weine in alten Fässern jahrzehntelang einer noch nicht definierten Bestimmung entgegenschlummern und man im grellen Gegenlicht der Fenster zwischen Tausenden von Spinnfäden das Meer schimmern sieht, wer also hier, in diesen heiligen Sherry-Kathedralen, mit Rosario Perez Barbadillo und Montse Molina, den beiden «guten Feen» dieses famosen Sherryhauses, über die Unterschiede zwischen dem Fino aus Jerez de la Frontera und dem Manzanilla aus Sanlúcar de Barrameda zu philosophieren beginnt, merkt schnell, dass alle Zeit dieser Welt nicht reichen würde, um endgültige Antworten zu finden.
«Die Florhefe gibt ihr Geheimnis nie preis. Aber sie ist da, und mit Intuition und Erfahrung können wir ihren Effekt optimal nutzen.»
Montse Molina Kellermeisterin
Klar ist, dass die Florhefe, die sich in den nicht ganz gefüllten Fässern wie ein Film über den Wein legt, beide Sherrytypen entscheidend prägt. Unbestritten ist auch, dass diese Florhefe im direkt am Meer liegenden Sanlúcar aktiver ist als im Landstädtchen Jerez. Der Manzanilla reift also in gewisser Hinsicht reduktiver, weil er von der dickeren Florschicht besser vor Luftkontakt geschützt wird. Gleichzeitig nährt sich der Flor von den Inhaltsstoffen des Weins, vor allem von Zucker und Alkohol. Weil die dickere Florschicht in Sanlúcar mehr Nahrung braucht, entzieht sie dem Wein mehr von diesen Inhaltsstoffen. Alle diese Effekte führen dazu, dass die Manzanillas oft eine Spur schlanker, leichter, frischer und salziger wirken als die Finos.
«Ja, das ist die Theorie», sagt Montse Molina und erklärt: «Man hat die Florhefe jahrelang mittels DNA-Analysen und anderen Verfahren untersucht. Es hat sich gezeigt, dass die Florhefe von Keller zu Keller, von Raum zu Raum, von Fassreihe zu Fassreihe, ja von Fass zu Fass oft grössere Unterschiede aufweist als in geografischer Hinsicht zwischen den Städten Sanlúcar und Jerez.» Längst ist die Barbadillo-Kellermeisterin überzeugt, dass die Florhefe ihr Geheimnis nie preisgeben wird. «Aber sie ist da, und mit Intuition und der individuellen Erfahrung über Jahre hinweg können wir ihren Effekt optimal nutzen.»
Nach dreistündiger Audienz im Barbadillo-Reich wird uns plötzlich klar, dass wir nur über die Manzanillas gesprochen haben, nicht aber über die mindestensso grossartigen Amontillados, Olorosos, Palo Cortados und Pedro Ximénez, die das Haus besonders mit seinen Edellinien V.O.R.S. und Reliquia hervorbringt. «Wir füllen noch immer rund 30 verschiedene Sherrys ab, das ist wirtschaftlich gesehen eigentlich totaler Irrsinn», sagt Rosario. Mag ja sein, aber es ist auf jeden Fall ein wunderschöner Irrsinn. Darum zahlen Sherry-Aficionados in New York, Singapur oder London auch mal 600 Euro für einen Reliquia, der in handbeschriftete Karaffen abgefüllt wird. Denn diese Elixiere stammen aus Soleras, die vor mehr als 150 Jahren installiert worden sind und lediglich aus drei oder vier Fässern bestehen. Aus jedem dieser Fasssysteme werden jährlich nicht mehr als 30 Karäffchen à 0,75 Liter, das sind insgesamt keine 23 Liter, abgefüllt.
Ersetzt werden diese homöopathischen Entnahmen wiederum durch 30-jährige Spitzenqualitäten. Es sind Weine, die sich kaum in Worte fassen lassen, selbst Superlative wirken irgendwie hilflos. Gut,man könnte sagen, dass einem allein der Duft des Reliquia Palo Cortado an den Gang durch ein altes Herrenzimmer erinnert, dessen Mahagoniholzboden eben frisch gewachst worden ist, während auf dem Salontisch eine offene Zigarrenkiste und ein Teller mit frischem Rosinengebäck stehen. Aber auch das trifft die Wahrheit nur annähernd. Tja, um die Reliquias zu beschreiben, müsste man schon ein Poet wie Paul Éluard oder Walt Whitman sein…
Abends dann, zuerst in der «Casa Balbino» und später in der «Casa Bigote», dem legendären Fischrestaurant an der Bajo de Guía, dem kleinen Fischer- und Hafenviertel von Sanlúcar, stellt sich erneut die Manzanilla-Frage: Was soll’s sein, ein cremig-komplexer 2013er Saca de Verano oder ein ultrafrischer Solear? Und wieder geben wir der geradlinig-frischen Standardabfüllung den Vorzug.
Bodegas Barbadillo - Sherry-Juwelen in Hülle und Fülle
Mit dem Solear und den ausdrucksvollen, weil unfiltrierten «en Rama»-Abfüllungen ist Barbadillo qualitativ wie quantitativ der führende Manzanilla-Hersteller. Doch auch die Amontillados, Olorosos und ganz speziell der Palo Cortado zählen zur absoluten Spitzenklasse.
Weine des Winzers
1 Solear Manzanilla muy seco
17 Punkte | 2013 bis 2015
Aromen von Medizinalkräutern, Jod und Salz. Am Gaumen ungemein geradlinig, ja kantig strukturiert, getragen von einer kompromisslos frischen Säure. Unbedingt kalt servieren! Da die Manzanillas stets ausgetrunken werden sollten, lohnt es sich, kleine Flaschen zu kaufen.
2 Solear en Rama Saca de Verano 2013
18 Punkte | 2013 bis 2015
Leuchtendes Goldgelb. Komplexe Aromatik mit Hefegebäck, Wiesenblumen, Medizinalkräutern und Meersalz. Am Gaumen voll und vielschichtig. Präsente, aber angepasste Säure und viel Schmelz. Sehr langanhaltend. Mächtiger Manzanilla, der sich seine Frische bewahrt hat.
3 Amontillado V.O.R.S. 30 Years
18.5 Punkte | 2013 bis 2030
Dichtes Bernstein. Offene und überaus vielschichtige Aromatik mit Nüssen, kandierten Früchten, Rosinen, Gebäck, Tee, aber auch frischen Zitrusblüten. Am Gaumen enorm dicht, kraftvoll und trotz der gewaltigen Fülle sehr geradlinig. Ein Amontillado der Ausnahmeklasse.
4 Oloroso Seco V.O.R.S. 30 Years
18.5 Punkte | 2013 bis 2030
Dichtes Bernstein. Intensive, leicht süsse Aromatik mit Rosinen, Nussgebäck und den typischen Mahagoni- und Bohnerwachsnoten. Am Gaumen monumental, mit viel warmer Fülle und Temperament, aber elegant und perfekt ausgewogen. Ein Meditationswein par excellence!
5 Amontillado Reliquia
18.5 Punkte | 2013 bis 2050
Helles, rötliches Bernstein. In der Nase zuerst überaus vornehm, aber verhalten. Dann Aromen von Mandeln und Walnüssen, dazu ein Hauch Rosinen, feinstes Gebäck und edle Röstnoten. Am Gaumen zugleich enorm dicht und subtil. Balance auf höchstem Niveau. Sehr langanhaltend.
6 Palo Cortado Reliquia
19 Punkte | 2013 bis 2060
Die Aromatik wirkt zuerst fast zart, mit einem Hauch von Zitronenzesten und Trockenfrüchten, dann folgen Noten von Nüssen, Kaffee, Blätterteiggebäck und Tee. Auch am Gaumen vollkonzentriert und enorm delikat zugleich. Ein in jeder Beziehung überwältigender Wein.