Einfach machen
Hanspeter Ziereisen
Text: Harald Scholl, Fotos: Jana Kay
Hanspeter Ziereisen scheint das Zeit-Raum-Kontinuum in ganz eigener Weise zu interpretieren. Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft stehen in seinem Denken nebeneinander, er fügt unterschiedliche Zeitspannen zu einem Ganzen zusammen. Dabei ist «HP» beileibe kein theoretischer Physiker, er steht mit beiden Beinen – und Armen – fest auf dem Boden der Tatsachen.
Mehr Südwesten geht nicht. Efringen- Kirchen ist tatsächlich der äusserste Zipfel der Bundesrepublik, direkt im Dreiländereck Deutschland-Frankreich- Schweiz gelegen. Wenn man von Norden her in den 9000 Einwohner zählenden Ort kommt, fallen einem sofort die grossen Kalksteinbrüche vor dem Ortsschild auf. Leuchtend helle Gruben, in denen Kalk als Baustoff gewonnen wird. Wie gefrässige Monster haben sich die Maschinen in den porösen Felsen gefressen, der Efringer Ölberg ist über die Jahrzehnte von zwei Seiten angeknabbert worden.
«Die Pfälzer sind für mich das grosse Vorbild, wenn es darum geht, wie man Wein leben kann.»
Das ist der Boden, auf dem auch die Reben von Hanspeter Ziereisen wurzeln, das Terroir, aus dem sie ihre kühle mineralische Energie beziehen. Allerfeinster, hellgelber Jurakalk, ähnlich wie in den besten Lagen des Burgunds. Gute 30 Hektar gross ist der Ölberg, mehr als die Hälfte davon gehört Ziereisen. Seine klimatische Einmaligkeit, die Lage direkt gegenüber der burgundischen Pforte, dem Einlasstor für warme Luft aus dem Mittelmeerraum, dazu die Böden aus Jurakalk mit unterschiedlich dicken Lössauflagen und Eisenanteilen und zu guter Letzt der jahrzehntealte Rebbestand – all das ist für Ziereisen eine Mischung, wie es sie nur selten im deutschen Weinbau gibt.
Und doch ist es alles andere als einfach, hier Weinbau zu betreiben: «Im Efringer Ölberg sind wir nur noch zu dritt, alle anderen Winzer haben aufgegeben. Wenn ich wollte, könnte ich jeden zweiten Tag eine Parzelle dazubekommen, vor allem die Genossenschaftswinzer geben nach und nach auf», fasst HP die Lage zusammen. Daran ist nicht zuletzt die wechselvolle Geschichte schuld. So ist die Region um Efringen in den «Genuss» der ersten Flurbereinigung Deutschlands gekommen. Die Weinbergsstücke hatten vorher eine durchschnittliche Grösse von sieben Ar, umgerechnet 700 Quadratmeter. Das war für wirtschaftlichen Weinbau völlig unrealistisch, viele Lagen und Gewanne waren durch die ständigen Teilungen regelrecht zerrissen.
Schwierige Zeiten, grosse Chancen
Und heute? Lohnt sich der Weinbau trotz der grösseren Parzellen nur für die wenigsten Winzer. Das hat auch mit der eingangs beschriebenen Lage im Dreiländereck zu tun, die Segen und Fluch zugleich ist. Die Preise für Güter und Dienstleistungen auf der deutschen Seite sind ungewöhnlich hoch, einfach weil die Kaufkraft aus dem nahen Basel die Preise nach oben treibt. Der Mindestlohn in Basel liegt bei 24 Franken, umgerechnet 26 Euro, da arbeiten die Deutschen lieber auf der anderen Seite der Grenze in der Schweiz. Etwa 50 000 bis 60 000 Menschen pendeln täglich über die Grenze zum Arbeiten – wer wollte bei diesen Bedingungen noch im heimischen Weinberg schuften, bei Auszahlungssummen von 4000 Euro pro Hektar? Für Ziereisen hat die Situation auch gute Seiten. Er bekommt im übernächsten Jahr noch einmal vier Hektar Rebfläche dazu. Feinster, reiner Gelbkalk, das bringt HP regelrecht ins Schwärmen. Darauf stehen alte Spätburgunder- und Gutedelstöcke, die er wieder aufpäppeln wird.
Denn er reisst keinen alten Weinstock aus, er baut, wenn es geht, jeden alten Rebstock wieder auf. So ähnlich wie er es mit Fässern, Maschinen oder Häusern macht. Ein altes Weinberghäuschen hat er gerade fertig gestellt. Alles in Handarbeit, bis hin zu den Fensterrahmen. Schliesslich ist er gelernter Schreiner, da kann man sowas. Und die Stühle und den Tisch baut er auch noch dazu.
Der Blick nach Westen
So kommt es, dass die von den Grundvoraussetzungen eigentlich bevorzugte Region ein wenig ins Hintertreffen geraten ist. Denn das Potenzial ist unumstritten, auch international klangvolle Weingutsnamen wie Franz Keller – mit dem Weingut am Klotz – Fritz Waßmer, Martin Waßmer, Wasenhaus und Dörflinger haben Rebflächen in der Region. Das Markgräflerland war über viele Jahrhunderte eine regelrechte Schatzkammer, die Weine der Region – namentlich der Gutedel – gehörten zu festen Grössen im internationalen Weinhandel. Vor allem das Alterungspotenzial der Weine scheint im Rückblick legendär. HP Ziereisen hat einen alten Katalog, aus dem er gerne zitiert: «Auf dem Mülheimer Weinmarkt, erstmals 1872 abgehalten, wurden nach dem handgeschriebenen Marktverzeichnis des städtischen Archivs damals angestellt: Von 172 Ausstellern aus der gesamten Marktgrafschaft 333 Muster…darunter befand sich als ältester und teuerster Wein ein Fass Mülheimer Reggenhag des Jahrgangs 1802…ferner ein Fass 1822 Reggenhag und ein Fass 1825 Auggener. Auch in den jüngeren Jahren überwogen die alten Jahrgänge, die vorherrschende Sorte war der Gutedel.» Für Ziereisen der unschlagbare Beweis für das Alterungspotenzial der Rebsorte Gutedel.
Die eigene Handschrift
Diese Zeit hat auch er gebraucht, um seinen Stil zu finden. 2004 kam es zu einem radikalen Bruch in seiner Weinbereitung, namentlich bei den Weissen. Seitdem wird alles im Hause Ziereisen nach einem relativ einfachen Schema verarbeitet: plusminus 24 Stunden Presszeit, auch bei den Basisweinen. Der Pressvorgang wird manuell gesteuert, da wird abends der Wecker gestellt und nachts um 2 oder 3 Uhr nochmal der Druck kontrolliert. Danach wird spontan vergoren, die Weine liegen rund zwei Jahre ohne Schwefel im Holzfass – auch die Basisweine.
Alle Weine machen einen BSA (Anm.: Biologischer Säureabbau, die apfelige Säure wird zu Milchsäure umgewandelt) durch. Das beginnt in der Regel im März nach der Ernte. Danach müssen die Weine noch ein Jahr lang liegen, damit der beim BSA entstehende Joghurtgeschmack vergeht. «Ich habe viel gelernt von meinem Nachbarn, Jahrgang 1904. Er hat immer gesagt ‹Man nimmt das Kind nicht von der Mutter›, also den Wein nicht von der Hefe», erklärt Ziereisen. Und schiebt gleich eine weitere Weisheit des Nachbarn hinterher: «‹Wenn du viel Säure willst, musst du spät lesen, wenn du wenig Säure willst, musst du früh lesen.›» Warum das so ist, konnte der betagte Nachbar nicht erklären. Dabei ist es ganz einfach, sagt Ziereisen: «Früh gelesener Gutedel hat viel Apfelsäure, da kommt es beim Ausbau zu den sogenannten Säurestürzen. Spät gelesener Gutedel hat mehr Weinsäure, und die bleibt stabil.»
Charakter ist alles
Hanspeter Ziereisen und die amtliche Weinkontrolle, auch das ist ein Thema für sich. Alle seine Weine werden seit Jahren schlicht als «Landwein» deklariert, auf Diskussionen mit den amtlichen Weinkontrolleuren über Geschmacksprofile oder das, was «sortentypisch » ist, hat er einfach keine Lust mehr gehabt. Aktuell geht es um die Namensgebung seiner Weine. Rhini und Tschuppen sind alte Gewannennamen, die sind noch toleriert. Aber aus dem Viviser 2021 – dem alten Synonym für Gutedel – musste jetzt V 21 werden, das Steinkrügle 2021 ist jetzt ST 21. Irgendwer im Amt legt die Verordnung zur Namensgebung jetzt anders aus, Ziereisen bleibt nichts anderes übrig, als zu reagieren. Aber der Ärger mit den offiziellen Stellen geht noch weiter: «Wir haben gerade ein Problem mit dem Landratsamt. Wegen des geplanten Neubaus. Sie finden den viel zu gross. Aber ich brauche den Platz, wir haben immer drei Jahrgänge im Keller, zwei im Fass und einen auf der Flasche. Das sind über 400 Fässer, die brauchen Platz. Aber das geht nicht in die Schädel der Bürokraten rein.» Dennoch ist Hanspeter Ziereisen zuversichtlich. Irgendwann werden die Damen und Herren auch das verstehen. Er hat ja Zeit.
Ab der Basis grosses Kino
Hanspeter Ziereisen lässt seinen Weinen viel Zeit im Keller. Nach und nach kommen jetzt die 2021er in den Handel.
Gutedel Heugumber 2021
16.5 Punkte | 2024 bis 2030
Der Basiswein des Hauses, das Role Model für alle anderen Weine. Markanter Auftritt, verschlossenreduktive Nase, Zitrusfrucht, frischer Grasschnitt, Kamille. Hat nominell zehn Prozent Alkohol – und brennt am Gaumen ein Feuerwerk ab. Hat Kraft, ist dicht, leicht cremig, darunter frischer Zug. Steht auf der Zunge, mittlere Länge. Schmeckt nach so viel mehr, als er koste…
Gutedel ST 2021
17.5 Punkte | 2025 bis 2048
Mit Luft zeigt sich helle, gelbe Frucht, Quitte, Birne, dezent und reduktiv. Vornehme Struktur, leichte Phenolik am Zahnfleisch spürbar. Betont mineralisch, keine Frucht, lebt von seiner Textur. Im Mund leicht pikante, salzige Schärfe, dabei ungemein leichtfüssig, bis ins Finale elegant zurückhaltend.
Blauer Spätburgunder Rhini 2021
18 Punkte | 2023 bis 2045
Zeigt den hohen Eisenanteil des Bodens schon in der Nase: rohes Fleisch, Holunderbeere, Eukalyptus, Süssholz. Am Gaumen mit gehörigem Druck, dunkle Aromatik nach Schwarzkirsche, Rauch. Geschliffenes Tannin, massive Salzspur am Zahnfleisch, dazu saftig. Feste Struktur, beinahe muskulös. Hallt unglaublich lange nach. (ab März 2024 erhältlich)
Gutedel 10 hoch 4 2021
19.5 Punkte | 2026 bis 2040
Gutedel 10 hoch 4 aus 2021… was für ein Gänsehautmoment! Eigentlich völlig unvorstellbar, ein Weisswein mit 10,5 Prozent und 0,4 Gramm Restzucker mit so viel Tiefe, Kraft und vollkommener Eleganz. Fragt nicht nach Frucht, das ist reine Struktur, salzige Mineralität, wenn Frucht, dann nur als Ahnung. Bleibt minutenlang am Gaumen, ewig im Gedächtnis. (Noch nicht im Verkauf)
Alle Weine ab Weingut erhältlich.