Winzerlegende Robert Drouhin, Burgund
«Meine Schule war das Leben»
Text: Barbara Schroeder, Fotos: Rolf Bichsel
Mit seinen rund 130 Hektar eigenen Reben in Spitzenlagen in der Côte d’Or, in Chablis und im Willamette Valley in Oregon gehört das Burgunder Handelshaus Joseph Drouhin zu den exklusivsten Familienbrands der Welt. Seinen heutigen Status verdankt das Unternehmen Weinlegende Robert Drouhin. Er leitete es von 1957 bis 2003.
«Ich frage mich, woher sie immer neue Geschichten nehmen», sagte er ganz ohne Ironie. «Wein hat doch so wenig mit Sensation und Scoop gemein, sondern mit Geduld und Erfahrung, Sorgfalt, gut gemachter Arbeit, langer Kellerruhe, während der nicht viel passiert. Nein wirklich, ich frage mich, wie Sie Ihre Leser bei der Stange halten.» Das war vor vielen Jahren, vor der Erfindung von Internet, Google oder Facebook. Robert Drouhin stand noch aktiv im Leben, leitete mit der ihm eigenen Mischung aus Umsicht, Inspiration, innovativem Unternehmertum und Traditionsbewusstsein das 1880 von seinem Grossvater Joseph Drouhin gegründete Burgunder Handelshaus.
«Mein Vater, der ebenfalls die Weine der Domaine de la Romanée-Conti vertrieb, brachte mir bei, wie wichtig lange Kellerreife ist. Ich konnte von den Besten lernen.»
Seit 2003 ist der grosse alte Mann der Burgunder Weinszene im Ruhestand. Hat die Zügel seinen vier Kindern übergeben, auch wenn er weiter in seinem Büro im Stammsitz in Beaune anzutreffen ist. Er verfolgt das Geschehen, weiss im Detail, wie die jüngste Ernte ausgefallen ist, bleibt nie einen weisen Rat schuldig. Gewiss, das Alter hat Spuren hinterlassen. Er nimmt die Treppe zu seinem Büro nicht mehr im Sturm, sondern lässt sich Zeit und stützt sich auf seinen Gehstock. Doch er hat seine imposante und gepflegte Erscheinung des Mannes von Welt nicht abgelegt. An seiner Einstellung zum Wein hat sich wenig geändert. «Ich finde, heute wird viel zu viel über Wein gesprochen. Man geht auf technische Details ein, diskutiert pH-Wert oder Tanninindex, ohne recht zu wissen, was das bedeutet, und vergisst darüber das Essenzielle: Finesse und Harmonie, Terroircharakter, Typizität. Doch das sind Vorgaben, die brauchen etwas Erfahrung», sagt er.
Erfahrung? Hat ihm die nicht gefehlt, damals, als er mit 24 Jahren praktisch aus dem Stand an die Spitze des Unternehmens katapultiert wurde? «Mag sein. Doch ich bin mit Wein gross geworden. Natürlich hätte ich einiges darum gegeben, Weinbau studieren zu können. Das Leben hat aber anders entschieden. Ich bin zwar in gewisser Hinsicht ein Autodidakt. Doch ich konnte mich immer auf die Erfahrung meines Vaters stützen, gute Mitarbeiter, mein Interesse für Wissenschaft und Technik, meine natürliche Neugierde. Während meiner Laufbahn habe ich den Wein quasi aus dem Mittelalter in die Moderne begleitet. Als ich begonnen habe, arbeiteten wir noch mit dem Pferd. Das Önologiediplom hatte ich gerade zwei Jahre in der Tasche. Dann kamen plötzlich Traktoren und Kunstdünger und Moleküle auf, und schliesslich mussten wir wieder lernen, was naturnaher Anbau heisst. Das Leben war meine Schule.»
Eine Schule, die Robert Drouhin summa cum laude absolvierte. Er kann zufrieden sein mit seiner Karriere. Er hat aus dem relativ kleinen, praktisch auf die Côte de Beaune beschränkten Weinbaubetrieb, den er von seinem Vater übernahm, nachdem dieser aus gesundheitlichen Gründen zurücktreten musste, eine Weltmarke gemacht, die ganz oben am Burgunder Weinfirmament leuchtet. Die 12, 13 Hektar eigener Reben in Beaune und Vougeot hat er auf fast 130 Hektar in zwei Kontinenten aufgestockt. Der Name Joseph Drouhin steht für Weine aus möglichst naturnahem Anbau, gemacht mit neuzeitlicher Technik, doch mit dem Respekt traditioneller Burgunder Terroirphilosophie, er vermittelt Werte wie tadellose Machart, Typizität, Eleganz, Spitzenlagen. «Mein Verdienst mag sein, dass ich immer ein offenes Ohr hatte für Neuerungen, mich wirklich für Weinbau interessierte. Doch der Rest ist der Weitsicht meines Vaters Maurice Drouhin zu verdanken!»
Pioniergeist und Weitsicht
Maurice Drouhin führte seinen Ziehsohn auf lange Spaziergänge durch die Reben, zeigte ihm, wie man anhand der Blätter einen Pinot Noir von einem Chardonnay unterscheiden konnte, liess ihn schon im Alter von 14 Jahren Weine verkosten, erläuterte die Unterschiede von Jahrgängen und Climats, gab Robert seine Erfahrungen weiter, auf praktische Art, nicht in der Theorie. Weil er ebenfalls die Weine der Domaine Romanée-Conti vertrieb, lernte Robert von den Besten. «Ich erinnere mich bis heute an die Jahrgänge zwischen 1929 und 1947. Sie haben mich als Vorbilder durch mein Leben begleitet.»
Auch wenn er seine Rolle herunterspielt: Er gehört zu den Pionieren, die das Burgund Anfang der 1960er Jahre aus dem Dornröschenschlaf weckten, aber auch zu den Ersten, die 20 Jahre später vor den Konsequenzen der rasanten Entwicklung warnten und eine vorsichtigen Schritt zurück predigten. Weitsicht hat er nicht nur damit bewiesen, dass er genau zum richtigen Zeitpunkt in Grand-Cru-Climats in der Côte d’Or investierte – Corton, Musigny, Echezeaux, Chambertin, um nur einige zu nennen. Er war auch einer der Ersten, die an das Potenzial von Chablis glaubten, als grosse Reblagen in der Côte d’Or knapp wurden. Ab 1968 erwarb er Reben in Grands Crus wie Vaudésir und Les Clos und die Domaine de Vaudon. Bereits 1961 besuchte er ein erstes Mal nicht nur Kalifornien, sondern auch das kaum bekannte Oregon, das ihn noch mehr beeindruckte als das Nappa Valley. «Das heisse Klima von Kalifornien schien mir wenig geeignet für unsere
Chardonnay und Pinot Noir. Stattdessen reiste ich durch Oregon und knüpfte erste Kontakte zu lokalen Winzern.» Als seine Tochter Véronique 1987 nach absolviertem Studium ein Praktikum in Amerika machen wollte, organisierte er eine Stippvisite zu seinen alten Winzerfreunden im Willamette Valley in Oregon. Wenig später erwarb er 50 Hektar ausgezeichnete Lagen in dieser noch kaum bekannten Region und betraute Véronique mit der Leitung der «Domaine Drouhin Oregon». Die gewagten Investitionen hatten allerdings ihre finanzielle Kehrseite. Nach mehreren Krisenjahren wurde die Schuldenlast 1993 so erdrückend, dass Robert Drouhin 51 Prozent der Anteile an seinen japanischen Importeur abtreten musste. Er verhandelte eine Rückkaufsklausel, die er 2004 geltend machte: Heute ist Joseph Drouhin wieder ganz in der Hand der Familie.
Pioniergeist bewies Robert Drouhin mehrmals in seinem aktiven Leben. Er glaubte an moderne Keltertechnik, investierte in ein eigenes Önologielabor und war der erste Burgunder, der 1976 eine Frau als Önologin einstellte. Auch wenn er wie alle an den Fortschritt glaubte und an Errungenschaften wie chemischen Pflanzenschutz oder Kunstdünger, stellte er diese auch wieder in Frage. «Kellertechnische Errungenschaften haben die Weinqualität verbessert. Doch nach und nach merkte ich, dass sich der Charakter unserer Weine nachteilig veränderte.» Er riet zu grösserer Vorsicht, pochte auf Burgunder Tradition, verzichtete mehr und mehr auf Kunstdünger und Reinzuchthefen, schränkte die Verwendung von neuen Eichenfässern ein. Der Schritt zu nachhaltigem Anbau ist seinen Kindern zu verdanken. Seinem Sohn Philippe vor allem, der 1988 die Leitung des Weinbaus übernahm, auch wenn die Umstellung auf biologischen und biodynamischen Anbau mit finanziellen Risiken verbunden war. «Die Biodynamik schien Vorteile zu haben und kaum Nachteile», sagt er mit kaum verhülltem Stolz auf seine Kinder, die sein Lebenswerk weiterführen.
Gibt es denn einen besonders unvergesslichen Moment in seinem Leben? «Ich war bei einem Winzer zu Besuch, dessen Gewohnheit es war, einen seiner Weine blind zu servieren. Ich schnüffelte am Glas und sagte spontan und ohne den Wein in den Mund zu nehmen: Clos de la Roche 1971. Ein Treffer ins Schwarze! Doch mit Begabung hatte das wenig zu tun. Ich kannte die Climats des Hauses und wusste, dass das Clos 1971 vom Hagel getroffen worden war. Durch Hagel beeinträchtigte Beeren ergeben Weine mit charakteristischer Aromatik. Ich hatte einfach einen guten Riecher, ein gutes Gedächtnis, Erfahrung und eine gehörige Portion Glück.»
Finesse und Harmonie
Wenn es eine Handschrift Drouhin gibt, beschreibt sie das Streben nach Ausgewogenheit, Trinkigkeit, immer mit Respekt vor der Herkunft, der Climats oder Lagen. Das gilt auch für die Weine aus der Neuen Welt.
Joseph Drouhin Clos des Mouches Rouge 2015 Beaune 1er Cru
18 Punkte | 2022 bis 2035
Mit 25 Hektar ist das Clos die zweitgrösste Premier-Cru-Lage in Beaune und Drouhin mit 14 Hektar der wichtigste Besitzer. Zu verdanken ist dies Maurice Drouhin, der hier in den 1920er Jahren über 40 Parzellen erwarb und zu einem stolzen Rebbesitz vereinte. 7,5 Hektar sind mit Pinot Noir bestockt. Der noch sehr jugendlich wirkende Rotwein duftet besonders verführerisch nach Kirsche, Eiche und Röstnoten; der Ansatz ist voll, die Entwicklung dicht und samtig.
www.drouhin.com
Joseph Drouhin Clos des Mouches Blanc 2009 Beaune 1er Cru
17.5 Punkte | 2020 bis 2025
Das Clos ist so eng mit dem Namen Drouhin verknüpft, dass viele Weinfreunde es sogar für ein Monopol des Hauses halten. Weissweine werden auf 6,5 Hektar erzeugt. Der 2009er zeigt sich noch recht zurückhaltend, aber hat vielschichtige Reifenoten von Backgewürzen, Vanille und Dörraprikose; voller Ansatz, samtige, sogar sämige Entwicklung, doch auch von gleichsam seidiger Frische bei idealer Länge, Finale auf vergnüglichen Noten von Trockenfrüchten, mit zarter Bitterkomponente; jetzt perfekt, auch wenn er weiter reifen kann und darf.
www.drouhin.com
Joseph Drouhin Musigny 2009 Grand Cru
18.5 Punkte | 2020 bis 2030
Eines der von Robert Drouhin erworbenen Grands Crus: diskrete, aber bereits verführerische, sehr reintönige Nase von roten Beeren und Gewürzen, beginnende Komplexität; sanfter Ansatz, ungemein fruchtiger Bau, sehr feinkörniges Tannin, langes, fruchtiges Finale.
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Joseph Drouhin Montrachet 2006 Grand Cru
18 Punkte | 2020 bis 2025
Leuchtendes Gold; braucht Belüftung; dann komplex, Honig, Karamell, Café, Vanille, Trockenfrüchte, Kräuter, mineralische Komponente, Gewürze auch; kompakter Auftakt, gemächliche Entwicklung, grosse Dichte, gut strukturiert und betont mineralisch, grosse Spannkraft und Länge; besonders stilvoll, hat Reserven.
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Domaine Drouhin, Oregon Laurène 2015 Pinot Noir Dundee Hills
17 Punkte | 2021 bis 2028
Etwas holzbetont in dieser Phase, Mokka, Kirsche, braucht etwas Luft; voller Ansatz, doch dann von überraschender Eleganz und Seidigkeit, Tannin mit Schliff, gute Länge: das Beste aus zwei Welten.
www.drouhin.com