Winzerlegende Frank Cornelissen, Ätna
Der Mann vom Vulkan
Text & Fotos: Christian Eder
In Barbabecchi qualmt’s gewaltig. Das hat aber nichts mit dem 3300 Meter hohen Ätna zu tun, dem höchsten aktiven Vulkan Europas, der sich mit seinen schneebedeckten Hängen über uns erhebt, sondern mit den winterlichen Rebarbeiten: Zweige von Olivenbäumen und Rebschnitt landen in den Flammen und verbrennen knisternd zu Asche.
Frank Cornelissen blickt sinnend auf seine qualmenden Barbarbecchi-Rebterrassen. Hier standen bis vor kurzem Olivenbäume, in Kürze sollen 3000 neue Rebschösslinge gepflanzt werden, Direktträger von Nerello Mascalese. Mehr als hundert Jahre alte Alberelli – Buschbäumchen – der eleganten roten Rebsorte vom Ätna sind in der Lage Barbabecchi bereits jetzt die Basis von 1500 Flaschen Magma, dem Spitzenwein von Frank Cornelissen. Der Name Magma ist Programm: Der Wein nimmt seine Kraft, seinen Zunder und die Eleganz aus den vulkanischen Böden. Unzählige Eruptionen haben über die Jahrtausende dafür gesorgt, dass kaum ein Rebberg an den Hängen des Ätna dem anderen gleicht. Jeder Ausbruch fördert andere Metalle und mineralische Komponenten zutage. Um Ordnung in das eruptive Chaos zu bringen, wurden die Rebberge in Contrade (Lagen) unterteilt. Mehr als 130 sind es am Ätna. Aber auch innerhalb dieser Contrade findet man zum Teil gewaltige Unterschiede. «Und den Charakter der Böden, der Mikroklimata – alles findet man im Wein wieder», sagt Frank Cornelissen.
Später, in einem von Cornelissens Stammlokalen, dem «San Giorgio e il Drago» in Randazzo, erinnert er sich, dass er mit dem sizilianischen Winzer Giusto Occhipinti in einem Restaurant in Modica im Süden Siziliens sass. Seit 1995 hatte der Weinbroker geplant, selbst Wein zu produzieren, aber erst damals kam bei diesem Gespräch mit Occhipinti der Ätna ins Blickfeld. Dort war alles vorhanden, was er sich von seinem eigenen Weingut erwartete: «Die Reben sollten wurzelecht sein, Schnee sollte es ebenso geben wie einen langen Vegetationszyklus, der Wein sollte Komplexität und Tiefe haben. Ich wollte zu den Ursprüngen des Weines zurückkehren. Der Ätna und ich, wir hatten aufeinander gewartet.» Und hatte schon damals eine lange Weinbautradition: Die Rebberge waren jahrzehntelang in den Händen von Grossgrundbesitzern, die ihr Geld mit «Kellermedizin» verdienten. Nerello Mascalese wurde tankweise in den Norden verschifft, um schwachbrüstige Weine in Frankreich oder dem Piemont aufzupeppen. Doch das war längst vorbei, als Frank hier ankam: Die alten Rebberge waren überwuchert, Neupflanzungen basierten auf Merlot und Cabernet.
«Der Name ‹Burgund des Südens› hat seinen Sinn. Aber nicht nur: Der Wein vom Ätna ist auch generös und mediterran.»
Zeit für einen Neubeginn. Er kaufte sich einen ein Hektar grossen Rebberg und begann, in Solicchiata, im Nordtal des Vulkans, Wein zu keltern. Damals sprach aber noch niemand vom Weinbaugebiet Ätna, die ersten zugereisten Winzer hatten gerade mal gepflanzt, nur einige wenige Betriebe wie Benanti oder Cottanera hielten das zarte Ätna-Pflänzchen am Leben. Amphoren und wurzelechte Alberelli, die Buschbäumchen, auf denen die autochthonen Rebsorten des Ätna gediehen, sollten die Ingredienzien für die Weine von Frank Cornelissen sein. Denn ein Besuch in Georgien ein paar Jahre zuvor und die dort produzierten Amphorenweine «hatten meine Seele berührt, mich aus den Socken gehauen. Es sollte wirklich möglich sein, Wein ohne Technologie zu machen!» Und dies in Zeiten von eichenholzdominierten, überextrahierten Weinen, die man mit Löffeln essen musste.
Ein Auto für einen Rebberg
Frank hatte von seinem weinhandelnden Vater eine sehr klassische Geschmacksausbildung erhalten: «Mein Gaumen war von Bordeaux, Burgund und Barolo geprägt. Mein Vater liess mich Eleganz und territoriale Identität im Wein suchen. Und das wollte ich auch am Ätna finden.» Und fand noch mehr: «Der Name ‹Burgund des Südens› für den Ätna hat seinen Sinn. Aber nicht nur: Der Wein vom Ätna ist auch generös und mediterran.» Schnell wurde Cornelissen zu einem Aushängeschild der Naturweinszene. Gleich danach kam jedoch die Krise. 2003 hatte er den Grossteil der Produktion verloren, 2004 war ebenfalls ein sehr schwieriges Jahr. Er hatte Edelfäule im Rebberg und auch die unbehandelten Amphoren machten Probleme. Mit seinem Hektar Rebberge stand er vor der Wahl, alles aufzugeben und wieder im Weinbusiness zu arbeiten oder nochmals zu investieren. Gesagt, getan, er verkaufte seinen Alfa, legte sich dafür nochmals zwei Hektar Reben zu und begann, seine Weine in Epoxy-Behältern zu vinifizieren und auszubauen. Aber was ihn vielleicht am meisten verändert hat, erzählt er mir im «San Giorgio e il Drago» bei einem Teller Pasta mit Spinat, war eine Mail von einer jungen Japanerin, die sein Gut besuchen wollte: Aki Misono, die sich für Naturküche interessierte, kam, sah, blieb einige Monate und wurde später – nach einem Italienisch-Kurs in Salerno – seine Frau. 2009 wurde Tochter Clara geboren, 2011 Sohn Arturo.
Obwohl er sich immer noch als Produzent von Naturweinen fühlt, sieht er das inzwischen ganz unangestrengt: «Ich liebe die Technik, wenn sie mir hilft, bessere Weine aus einem starken Terroir zu holen.» Über ein Dutzend dieser «neoklassizistischen» Terroirweine hat er inzwischen im Programm. MunJebel nennt er seine Crus, versehen werden sie auch noch mit einer Lagen-Abkürzung wie VA (für Vigne Alte) oder MC (für Monte Colla). Seit 2007 vinifiziert er sie separat. «In diesen Jahren habe ich viel über meine Lagen gelernt, ob sie Tiefe haben, das Potenzial, allein auf die Flasche gezogen zu werden, oder besser im Blend landen. Und jedes Jahr überraschen sie mich: 2016 war Magma der beste Wein, 2014 war es Vigne Alte, 2018 wird es vielleicht der Monte Colla.»
Ci vuole passione
Heute ist die kleine Kellerei ein Familienbetrieb, seit 2017 arbeitet Aki mit ihm in der Verwaltung des Gutes. Sie malt auch die rote Magma-Kalligrafie auf die 1500 Flaschen seines Icon-Weins. Und irgendwann, hofft er, werden seine Kinder in seine Fussstapfen treten. «Ich war immer ein ungeduldiger Mensch, heute nicht mehr: Weinbau und Familie haben da einen therapeutischen Effekt. Vor allem, wenn man überlegt, dass vieles, was man macht, bereits für die nächste Generation ist.» Und da hat er einiges vor: Elf Hektar hat er gerade gekauft, sechs davon in der Contrada Rampante, in den nächsten Jahren will er sie bepflanzen, ein Teil bleibt aber aus nachhaltigen Gründen Wildnis. «Ci vuole passione», sagt er noch bei einem Amaro im «San Giorgo e il Drago» und erzählt von einem anderen grossen Winzer, den er sehr geschätzt hat: Den 2019 verstorbenen Brunello-Produzenten Gianfranco Soldera. «Amo il vino», hat dieser immer gesagt: «Nur wenn man den Wein trinkt, spürt man seine Seele.»
Aber auch der Ätnawein ändert sich, vor allem durch den Klimawandel. «Bis 2009 hatten meine Weine zwischen 13,5 und 14,5 Vol.-% Alkohol, heute liegen sie zwischen 14 und 15.» Daher müsse man dem Wein mehr Zeit lassen, sich in der Flasche zu entwickeln, seine Eleganz zu zeigen, meint Cornelissen. Deshalb soll bis August sein neues unterirdisches Lager fertig sein, um seinem Wein mehr Zeit im Keller zu gönnen. Neu auf den Markt kommt der MunJebel Perpetuum: Der Blend aus drei Jahrgängen, 2015, 2016 und 2017, reift in einem 7000-Liter-Fass, dem immer 2000 Liter entnommen werden, um abgefüllt zu werden. Die fehlende Menge wird mit dem neuen Jahrgang aufgefüllt. Das ist nur eines der vielen Projekte, mit denen Frank Cornelissen schwanger geht, andere – exotischere – sind noch in der Reifephase. Der 59-Jährige will nichts mehr überhasten: «Ich habe meinen Platz gefunden», sagt er, als wir uns am Hauptplatz von Randazzo verabschieden und auf den rauchenden Ätna blicken. «Hier fühle ich mich zuhause. Und der Berg gibt mir die Energie, die ich brauche.»
Früchte der Lava
15 Weine hat Frank Cornelissen im Portfolio, neben den klassischen Linien Susucaru und MunJebel auch je nach Jahrgang bis zu neun Crus (ebenfalls unter dem Namen MunJebel). Von den meisten Lagenweinen werden nur rund 2000 Flaschen produziert, vom Magma nur 1500.
IGP Terre Siciliane Rosso MunJebel FM (Feudo di Mezzo Sottana) 2017
17 Punkte | 2022 bis 2027
Feudo di Mezzo ist eine ausgedehnte Contrada, der Rebberg Sottana liegt in 580 Meter Meereshöhe bei Passopisciaro: verführerischer Duft nach Johannisbeeren, feine Würze; im Mund schöner Schliff, elegant, weich, einnehmendes Beerenfinale.
IGP Terre Siciliane Rosso MunJebel PA (Feudo di Mezzo Porcaria) 2017
18 Punkte | 2022 bis 2029
Stammt in diesem Fall aus der Lage Porcaria in 640 Meter Meereshöhe: wunderbare Beeren- und Kräuteraromatik, auch Noten von Himbeeren; salzig-mineralische Finesse, Dichte und Schmelz, endet lang und facettenreich.
IGP Terre Siciliane Rosso MunJebel CR (Campo Re) 2017
17.5 Punkte | 2023 bis 2030
Einzellage mit ihren mehr als 70 Jahre alten Nerello-Mascalese-Reben: verführerische Waldfruchtaromatik, feine Würze, auch balsamische Komponenten; im Mund kernig, kraftvolle Evolution, würzig und opulent das Finale.
IGP Terre Siciliane Rosso MunJebel VA (Vigne Alte) 2017
18.5 Punkte | 2023 bis 2032
Stammt von drei unterschiedlichen Positionen in bis zu 1000 Meter Meereshöhe: Nase nach roten Beeren und Kräutern; am Gaumen saftig, vielschichtig, salzige Textur mit guter Säure, eleganter Verlauf, viel Schmelz und Saft, reich und süss bis ins Finish. Grosser Wein.
IGP Terre Siciliane Rosso MunJebel MC (Monte Colla) 2017
18 Punkte | 2022 bis 2028
Hier wachsen die mehr als 70 Jahre alten Nerello-Mascalese-Pflanzen auf sandig-lehmigen Böden: betörende Blume nach Schwarzbeeren, Kräutern und Graphit; am Gaumen saftig, weich, schöner Schliff, finessenreich und anhaltend.
IGP Terre Siciliane Rosso Magma 2017
19 Punkte | 2022 bis 2032
Mehr als hundert Jahre alte Reben in der Lage Barbabecchi bilden die Basis dieses Weines: Im Jahrgang 2017 betört eine überraschend feinziselierte Nase nach roten Früchten, Gewürzen, Leder; am Gaumen Tiefe, Wucht, Samtigkeit, Saft und gute Säure, grandiose Fülle und Eleganz.