Winzerlegende Dirk Niepoort, Portugal
„Da ich nichts gelernt habe, sage ich gerne, ich bin nicht kastriert.“
Text: André Dominé, Foto: z.V.g.
Es gibt kaum einen anderen Weinmacher, der so offen ist für neue Projekte und mit so vielen Kollegen und Kolleginnen gemeinsam experimentiert hat. Dabei hat Autodidakt Dirk Niepoort ein weitgefächertes Angebot eigener Weine entwickelt, die vom Bestseller «Fabelhaft» bis zu filigransten Lagenweinen reichen, und nicht zu vergessen: seine herausragenden Ports.
Dirk Niepoort versprach, mich am Flughafen Porto abzuholen. «Melde dich, wenn gelandet», textete er. Tat ich und steuerte von der Ankunft auf den Ausgang zu. Horden von Fluggästen und Stau. «Bin am Abflug», meldete sich Dirk. Da stand er mit seinem Lexus, fast allein. Typisch. Dirk ist ein Mensch, der Situationen blitzschnell erfasst und praktisch handelt. «Was möchtest du essen?», fragte er, als wir auf die Stadt zurollten. «Meeresfrüchte», antwortete ich spontan, «dafür seid ihr doch bekannt.» Dirk steuerte Matosinhos an, berühmt für seinen Hafen und die Strände, inzwischen praktisch Teil von Porto und sehr angesagt. In der Rua Roberto Ivens reihen sich Fischrestaurants aneinander. In der Esplanada Marisqueira «A Antiga» wartete auf der langen Theke ein sagenhaftes Angebot an Krustentieren, Muscheln, Fischen, Seeigeln, Austern und Percebes. Dirk traf besonnen seine Wahl. Während wir auf das Päckchen warteten, probierten wir den Vinho Verde Tinto des Patrons. Unglaubliche Farbe, amüsantes Prickeln, tolle dunkle Frucht. Ausgezeichnet zu den Krabben. Den besten, die ich jemals ass. «Ist es hier üblich, dass man in einem Restaurant seinen Fisch kaufen kann?», fragte ich ahnungslos. «Nein», erwiderte Dirk, «aber der Wirt ist ein Freund.»
Eigene Tee-Plantage
In ihrem Haus in Areosa bei Porto begrüsste mich Nina, Dirks deutsche Frau, herzlich und führte mich in die schmale Küche. Sie hatte eine leckere Wasserkressecreme zubereitet. «Ich trinke fast nie eigene Weine», bemerkte Dirk, aber er wolle mich nicht verärgern. So schenkte er einen wunderbar belebenden Conciso Blanco aus dem Dão ein. «Sonst mache ich das nicht. Das habe ich vermutlich von Angelo Gaja gelernt. Er ist ein Mensch, der viel Einfluss auf mich hatte.» Dann holte er aus dem Garten frischen Koriander und machte sich ans Kochen. Herzmuscheln in Weisswein. Beim folgenden edelsüssen Wein tippte ich auf die Mosel. Tatsächlich war es ein Wein von Wilhelm Haag, der Dirk viel zeigte und den er verehrt. Nur war es ein 1990er Vinho Verde Loureiro mit grossartiger Botrytis. Mit einem unglaublich vielschichtigen Madeira 1870 klang der Abend aus. Dirk liebt es, Menschen zu überraschen und zu begeistern.
Das tun er und Nina inzwischen auch mit Tee. Als leidenschaftliche Liebhaber von grünem Tee schenkte ihnen ein Freund einen Teestrauch, den sie in ihren Garten pflanzten und der prächtig gedieh. So begann das Paar 2011 zunächst, 200 Teesträucher zu importieren. Inzwischen haben sie im Minho eine Plantage mit 1200 Pflanzen im Bioanabau angelegt, beraten von japanischen Teebauern. In diesem Jahr werden sie die erste eigene Ernte einbringen. Der erste Festlandtee Europas. Kamelien gedeihen wunderbar in Portugals Norden und Tee gehört zur selben Familie. Ihr Projekt Chá Camélia bietet aber schon jetzt ausgewählte grüne Tees, darunter die ersten im Portweinfass ausgebauten Teeblätter mit feinen typischen Fruchtnoten.
Keimzelle Douro
«Niepoort hatte gar nichts», berichtete Dirk. «Wir waren nur Négociant. Wir hatten einen Kellermeister, der in der dritten Generation war. Mit dem habe ich das Zeitlose gelernt. Gelernt, in 20 Jahren zu planen, gelernt, geduldig zu sein. Wir haben sehr viel miteinander probiert und philosophiert. Heute bin ich die fünfte Generation im Hause und die fünfte Generation der Kellermeister arbeitet mit uns. Das gibt es wohl auf der ganzen Welt nicht.»
«Unsere Weine sind ganz anders als alle anderen Weine im Douro. Meine Kollegen lachen mich alle aus. Aber ich mache meinen Weg.»
Aber Niepoort besass keine Quinta und selbst die Kellergebäude in Vila Nova de Gaia gehörten ihnen nicht. Als Dirk 1987 nach einem Jahr in Kalifornien zurückkehrte, drängte er darauf, ein Anwesen zu kaufen. Eigentlich wollte er die Quinta de Nápoles nicht, denn ihre 25 Hektar Weinberge am Têdo eignen sich nicht für Portwein. Sein Versuch, dort einen guten Port zu machen, scheiterte. «Damit war es für mich klar: Wir müssen Wein machen.» So fing es mit Niepoorts trockenen Weinen an.
Dirk ist es als einem der fünf «Douro-Boys» mit zu verdanken, dass die Douro-Rotweine heute international ein Begriff sind. Eine Kehrtwendung gab es für ihn, als er 2004 beschloss, einen Wein mit Telmo Rodriguez (siehe VINUM 11/2016) zu machen. «Das war eine schöne Erfahrung. Telmo hatte einen Holzgärständer gebracht und sagte: ‹Die Trauben rein und dann gar nichts machen. Du musst es riechen, wenn es anfängt zu gären. Das wird das schönste Erlebnis für dich im Leben sein. Das ist ganz anders, als wenn du das zermatschst.› Ich habe dann eine ganze Zeit gewartet, bis das anfing zu gären. Und das war wirklich ganz anders. Das hat mein Leben verändert.» Schon als er aus Kalifornien abreiste, wo damals alle Weine Monster waren, war er überzeugt, dass er einmal feine Weine machen würde. «Ich denke, 20 Jahre später sind unsere Weine viel eleganter, viel perfekter, viel filigraner. Das ist halt ein Prozess. Unsere Weine sind ganz anders als alle anderen Weine im Douro. Meine Kollegen lachen mich alle aus. Aber ich mache meinen Weg.» Nach sieben Jahren Überlegen und Planen mit dem Architekten Andreas Burghardt wurde 2007 die Kellerei der Quinta de Nápoles in Rekordzeit errichtet. Sie fügt sich mit ihren Schieferwänden und begrünten Dächern vorbildlich in die Terrassenlandschaft des Douro ein. «Sie kostete uns 5 Millionen Euro und 2 Millionen für das Lagerhaus, wo unser Büro ist. Ich unterschrieb diese beiden Verträge innerhalb von einer Woche. In einer Woche gab ich 7 Millionen in einer Firma aus, die einen Umsatz von 3,5 Millionen machte.» Doch damit schuf Dirk die Voraussetzungen für die weitere Entwicklung von Niepoort. «Ich schere mich nicht um Geld, aber anscheinend weiss ich, wie man Geld macht. Wenn wir die Sachen richtig gut machen, dann machen wir mehr Geld als die anderen, weil wir eben nicht nach dem Geld gieren und die Dinge anders anpacken. Ich mag keine halben Sachen. Entweder ist es perfekt oder wir machen es nicht.»
König Portwein
Seit 2004 hat Dirk mit vielen Winzern gemeinsam Weine gemacht: mit Telmo Rodrigues (OmLet), Álvaro de Castro (Doda), Raúl Pérez (Ultreia), Eben Sadie (Cape Charming, Cape Fortified), Equipo Navazos (Navazos), Dorli Muhr (Muhr van der Niepoort), um nur einige von ihnen zu nennen. «Da ich nichts gelernt habe, sage ich gerne, ich bin nicht kastriert», scherzt er. «Meine Idee: Da ich nichts gelernt habe, lerne ich, indem ich mache. Und je mehr unterschiedliche Sachen ich mache, desto reicher werde ich im Kopf. Deswegen ist es mir ganz wichtig, viele Sachen zu machen, um die wichtigen Sachen immer besser zu machen.» So verliebte er sich durch ein gemeinsames Projekt mit Felipa Pato in die Bairrada, wo er 2012 die Quinta de Baixo kaufte. Sein Freund Álvaro de Castro führte ihn im Dão auf die Quinta da Lomba mit ihren über 60 Jahre alten Reben an den Ausläufern der Serra da Estrela. Da konnte Dirk nicht widerstehen.
Seine grosse Liebe zur Mosel stellt er seit 2016 unter Beweis, als er mit Sohn Daniel im Keller und Philipp Kettern aus Piesport im Weinberg das Weingut Fio gründete, was auf Portugiesisch Faden bedeutet. Spontan im Fuder vergoren und lange ausgebaut, werden hier Moselweine voll Mineralität und Charakter produziert. Dennoch bleibt Portwein die Basis von Niepoort. «Wenn du mich fragen würdest, was der beste Wein ist, den ich bisher gemacht habe, dann ist das ein Portwein. Ich liebe Madeira, Moscatel, ich liebe alles, was gut ist, aber Portwein ist, glaube ich mal, der König von allen.»
Elegant, perfekt und filigran
Wo Dirk Niepoort bei Weinen anpackt, wird auf die Bremse getreten, was Reife, Alkohol und neues Holz angeht. Andererseits vertraut er grossen Terroirs und alten Rebstöcken. Er schert sich gar nicht um Trends, gibt sich und seinen Weinen viel Zeit.
Niepoort V.V., Quinta de Baixo, Cordinhã, Bairrada, Bical Maria-Gomes 2015
17.5 Punkte | 2019 bis 2030
Über 80 Jahre alte Reben der Sorten Bical und Maria-Gomes vom Kalkterroir. Biologischer Säureabbau und 20 Monate Ausbau in alten Moselfudern. Helles Zitronengold. Floral, kräuterig, gelbe Stachelbeeren und Zitrusfrüchte. Seidiger Ansatz, schönes Volumen mit reifer Säure, viel Konzentration, Frische und rauchige Mineralität. Ein grosser komplexer Weisswein mit viel Zukunftspotenzial.
Niepoort, Vila Nova de Gaia, Douro, Redoma Tinto 2016
18.5 Punkte | 2019 bis 2046
Über 70 Jahre alte Rebstöcke der Sorten Tinta Amarela, Touriga Franca, Rufete, Tinta Roriz und Tinto Cão auf der linken Douro-Seite. Ganze Beeren in Lagares vergoren und danach in alten Fässern über 20 Monate gereift. Florales Bouquet mit Wildkräutern, Sauerkirschen, Humus und Gewürzen. Hinreissende Frische, feinkörnige Textur, spannend, mineralisch und sehr authentisch.
Niepoort, Vila Nova de Gaia, Douro, Charme 2016
19 Punkte | 2019 bis 2046
Vorwiegend Tinta Roriz und Tinta Franca von uralten Stöcken aus dem Vale de Mendiz, nicht entrappt in Granit-Lagares vergoren, 15 Monate in Barriques gereift. Ganz eigenes Profil, intensiver Duft von Walderdbeeren, Wildkirschen, dezenten Gewürzen. Samtig, komplex, faszinierendes Spiel zwischen Fruchtsüsse, Frische und edlen Tanninen, spannend, tief, balsamisch, unwiderstehlich.
Quinta de Baixo, Cordinhã, Bairrada, Poeirinho Baga 2012
19 Punkte | 2019 bis 2042
Dirks erster Roter in Bairrada und gleich ein Volltreffer. Von Parzellen mit 80 bis 150 Jahre alten Reben, nur teilweise entrappt, zum Teil in Lagares vergoren. In der Nase dicht, jetzt etwas verschlossen, mit Noten von Bitterschokolade und Kräutern. Im Mund unglaubliche stimulierende Präsenz, sehr komplex, würzig, erdig, echte Lakritz, grossartige Tanninstruktur, enorme Länge.
Niepoort, Vila Nova de Gaia, Colheita 2004
18 Punkte | 2019 bis 2054
Tawny von 2004, diverse Rebsorten aus dem besten Duoro-Teil, mit Füssen gestampft und in alten Pipas von 550 Litern ausgebaut. Im März 2018 abgefüllt. Sehr intensiver, komplexer Cocktail an Aromen von einer Vielzahl an Früchten: getrocknet, kandiert, in Alkohol; auch Nuss, Kakao, Tabak. Voll und viril mit toller Tanninstruktur und feiner Säure, hervorragend ausgewogen und ewig lang.