Winzerlegende Léonard Humbrecht, Elsass

Nur Exzellenz bringt uns zum Träumen

Text: Barbara Schroeder, Fotos: Rolf Bichsel

  • Léonard Humbrecht
    Léonard Humbrecht gehört zu den letzten noch lebenden modernen Weinpionieren Frankreichs.
  • Léonard Humbrecht
    Alles, was die Humbrechts auf die Flasche bringen, ist von absoluter Extraklasse.
  • Léonard Humbrecht
    Das Empfangs- und Verwaltungsgebäude der 1992 erbauten Kellerei ist nur die Spitze des Eisbergs. Die eigentlichen Keller liegen darunter.
  • Léonard Humbrecht
    Herzstück der Anlage in Turckheim ist der Verkostungsraum mit Blick auf das Fasslager mit den bauchigen Eichenstanden, in denen die meisten Weine reifen.
  • Léonard Humbrecht
    Vater und Sohn prüfen regelmässig die Entwicklung ihrer breiten Palette ungewöhnlicher Kreszenzen. Die Sammlung reicht zurück bis in die 1970er Jahre. Langweilig wird es...

Zind-Humbrecht ist ein magischer Name. Die Elsässer Spitzendomäne mit 40 Hektar Reben, darunter zahlreiche legendäre Grand-Cru-Lagen, gehört heute zu den wichtigsten Weinbaubetrieben der Welt. Geführt wird sie von Olivier Humbrecht – gegründet hat sie Vater Léonard. Er gehört zu den letzten noch lebenden modernen Weinpionieren Frankreichs.

Ah, die Frauen. Hätten sie nicht solch magische Anziehungskräfte, denen nicht einmal Fast-zwei-Meter-Riesen widerstehen, müssten wir wohl heute auf einen der besten Elsässer Weinbaubetriebe verzichten. Und Olivier Humbrecht, der Spross, der die Familientradition fortführt, würde irgendwo in Schwarzafrika eine Bananenplantage pflegen oder Ananas anbauen. Geneviève Zind hat das verhindert, genau im richtigen Augenblick. Nur darum habe ich das Glück, heute mit dem grossen alten Mann des Elsass an einem Tisch zu sitzen und mir seinen Werdegang schildern zu lassen. Doch ich greife vor. Darum mal schön der Reihe nach.    

Die Humbrechts sind Winzer im Dorf Gueberschwihr seit 1620. Hier kam Léonard Humbrecht 1935 auf die Welt, in einem Kleinbauernbetrieb mit zwei Kühen, sechs Schweinen, zwei Dutzend Hühnern und zwei Hektar Reben. Das genügte bei weitem nicht, die Familie zu ernähren, trotz Rekorderträgen von 120 Hektolitern pro Hektar. Der Vater arbeitete zusätzlich als Makler. 

Als Ältester von vier Sprösslingen lernte Léonard schon früh, mit Hand anzulegen. Bis zu seinem 18. Lebensjahr arbeitete er in dem Betrieb. Doch er träumte von einem anderen Leben. Er wollte die Welt sehen. Er absolvierte unter anderem ein sechsmonatiges Praktikum bei Louis Latour auf Château Corton-Grancey im Burgund und entdeckte so, dass nur ein Weinbaubetrieb mit guten Lagen und dem entsprechenden Know-how eine Existenz sichern kann. «Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Der Elsässer Weinbau war nicht überlebensfähig, wenn er weiter einseitig auf Menge setzte. Da halfen weder Träumen von uralter Grösse noch uralte, schon im Mittelalter bekannte Spitzenlagen. Niemand war bereit, für Trauben aus diesen Spitzenlagen einen höheren Preis zu bezahlen», gibt Léonard Humbrecht zu Protokoll.Er war fest entschlossen, dem Weinbau für immer und ewig den Rücken zu kehren, schrieb sich an der Hochschule für tropische Agrarwissenschaften in Nogent-sur-Marne ein, lernte René Dumont, den bekannten Agraringenieur und Soziologen, kennen, der schon damals den verhängnisvollen Einfluss von chemischem Pflanzenschutz erkannte, und bereitete sich auf eine Reise nach Niger vor, wo er sein Glück versuchen wollte. Zum Abschiedsfest kam auch die beste Freundin einer Freundin. Sie hiess Geneviève Zind und warf resolut alle Zukunftspläne über den Haufen. Daraufhin blieb Léonard im Elsass, ehelichte die Tochter einer Winzerfamilie, die fünf Hektar Reben in der produktiven Ebene besass und eine Parzelle in der späteren Grand-Cru-Lage Hengst. Gearbeitet wurde in der Garage. 1959 baute das Paar in Wintzenheim die erste Kellerei: Die Domaine Zind-Humbrecht war geboren. 

Mit dem schwarzen Kontinent blieb Léonard Humbrecht trotzdem verbunden. Während seines Studiums freundete er sich mit mehreren Afrikanern an. Einer wurde später Agrarminister. Er kam regelmässig zu Besuch und versuchte Léonard zu überreden, doch noch auszuwandern. Das Argument schien bestechend: Er gäbe ihm die schönste Frau zur Hand oder auch zwei, meinte er vor allen geladenen Gästen. «Stellen Sie sich die Gesichter meiner Schwiegereltern vor!» Léonard blieb monogam und dem Elsass treu, aber auch seinem Vorsatz, sein Heil nicht in Mengenproduktion zu suchen.

Gegen den Strom

Durch Kauf oder Tausch gegen Parzellen aus der Ebene erwarb er nach und nach historische Spitzenlagen, die ohnehin niemand unterhalten wollte. «Nur wer riskiert, gewinnt. Ich wandte das an, was ich im Burgund gelernt hatte: Weniger ist mehr.» Natürlich ruderte er mit dieser Einstellung völlig gegen den Strom. Der Vater machte sich grösste Sorgen. «Du hast einfach nicht das Zeug zum Winzer. Schau doch, wie wenig du produzierst!» Doch Léonard hielt weiter Kurs. «Seien wir ehrlich: Ich habe nichts erfunden. Ich habe einfach ein paar altüberlieferte Regeln übernommen. Die besagen zum Beispiel, dass Lagen mit Sicht auf den Kirchturm die besten seien. Natürlich spielt der Kirchturm keine Rolle, sondern die Tatsache, dass man hier den Kirchturm meist von den besten, steilsten, windgeschütztesten Lagen aus sieht. Wir haben einfach eine rationale Erklärung für eine irrationale Regel gefunden. Am Wert der Regel ändert das wenig.» Nicht einmal die Tatsache, dass viele dieser Lagen heute klassiert sind und das Hundertfache kosten. Das Abenteuer Zind-Humbrecht wäre aktuell gar nicht mehr möglich. Schon gar nicht für einen einfachen Winzersohn. 

Die Domäne wuchs rasch und platzte bald aus allen Nähten. Dreimal wurde die Kellerei in Wintzenheim ausgebaut. 1978 erstand Léonard die Lage Rangen Clos Saint Urbain in Thann. Weitere legendäre Crus wie Brand, Clos Jebsal, Clos Windsbuhl, Heimbourg folgten. Bei der Wahl verliess sich Léonard Humbrecht ganz auf seine Nase. «In einigen Lagen fühlte ich mich wohl, in anderen nicht. Letztere hätte ich nie kaufen können. Ich hatte nicht einmal Lust, deren Weine zu probieren.» Geradezu euphorisch reagierte er, als er zum ersten Mal im Clos Windsbuhl stand. «Böden von Muschelkalk, reich an Magnesium, südöstliche Ausrichtung und 40 Hektar Wald, die heute uns gehören und optimalen Schutz garantieren. Da konnte nichts schiefgehen!»

Tatsächlich. Schief ging wirklich nichts. Léonard schaffte sich höchstens eine Handvoll Feinde, denen seine revolutionäre Auffassung des Elsässer Weinbaus, die in den 1960er und 1970er Jahren nur wenige teilten, ein Dorn im Auge war. Zu seinen verqueren Ideen gehörte, dass er hohe Pflanzdichte verteidigte und kleine Erträge. 9000 Stöcke pro Hektar hatten nicht mehr als 35 Hektoliter zu ergeben und damit basta. «Die Rebe muss leiden, um gute Weine zu ergeben, sagten die Alten. Heute wissen wir, dass sich kein gutes Wurzelsystem entwickelt, wenn die Rebe alles, was sie braucht, an der Oberfläche vorfindet. Bei der ersten Hitzewelle leidet sie unter Trockenheit und bei Regen faulen die Wurzeln im Wasser.»

Freie Wahl der Lagen

So sehr sie heute ausgetreten und hohl wirken mögen, weil jeder sie im Mund führt: Begriffe wie Terroir oder Grand Cru sind Léonard Humbrecht heilig. Wenn sein Sohn Olivier und bald auch sein Enkel über zahlreiche Spitzenlagen verfügen, dann, weil Léonard als einer der ersten Elsässer Winzer an deren Potenzial glaubte und davon erwarb, als sich kaum ein anderer dafür interessierte. Er konnte noch frei wählen, sich die wirklich besten Lagen sichern, die echten, nicht die auf dem Papier, auch wenn er, wie er lächelnd eingesteht, «mit einem Bein dauernd kurz vor der Scheidung stand». Denn seine Frau kümmerte sich um die Finanzen und musste die Schecks ausstellen. «Heute beklagen sich unsere Praktikanten bei ihren Winzereltern darüber, dass diese damals den Zug verpasst hätten. Sie können sich gar nicht vorstellen, wie viele Schlachten ich dafür ausfechten musste.» In der Lage Thann etwa erwarb er die wohl steilsten Hänge der Region. Rebarbeiten können dort nur mit der Hand verrichtet werden. Die fünf Hektar beschäftigen sechs Monate lang fünf Personen. Gewiss, den Kauf konnte er für ein Butterbrot tätigen. Doch die Kosten des Unterhalts liessen sich nur rechtfertigen, wenn die Weine entsprechende Preise erzielten. Mittelmass lag da nicht drin. Nur absolute Spitze. Und internationale Akzeptanz. Denn im Elsass war niemand bereit, selbst für exzellente Topweine tief in die Tasche zu greifen.

Léonard verfasste einen Brief an André Soltner, den Elsässer Inhaber des «Lutece» in New York, des besten Restaurants der Vereinigten Staaten. Prompt setzte Soltner Zind-Humbrecht-Weine auf die Karte. Zu seinen Stammkunden gehörte Präsident Nixon. Der wollte zuerst nichts von einem Tokay Grand Cru Rangen Clos Saint Urbain wissen. «Was soll ich mit einem Wein aus dem kommunistischen Ungarn?», soll das Staatsoberhaupt mürrisch geantwortet haben. Soltner liess den Wein in eine Karaffe füllen und stellte ihn trotzdem auf. Zwei Stunden später klopfte Nixons Chauffeur an die Tür des «Lutece» und orderte 50 Flaschen. Nixon bedankte sich in einem Brief für den Wein, dessen Kopie Léonard heute wie eine Jagdtrophäe schwenkt. Das Original hat er der Gemeinde vermacht.

«Mir fiel es wie Schuppen von den Augen. Der Elsässer Weinbau war nicht überlebensfähig, wenn er einseitig auf Menge setzte. Da halfen weder das Träumen von uralter Grösse noch die uralten, bekannten Spitzenlagen. Niemand war bereit, für Trauben aus diesen Spitzenlagen höhere Preise zu bezahlen.»

Der Stein kam so langsam ins Rollen. Parker verteilte grosszügig hundert Punkte wie andere Bonbons, Sterne-Köche wie Freddy Girardet in Crissier schworen bald auf Zind-Humbrecht-Weine, die Domäne rückte mehr und mehr ins Rampenlicht, gehörte bald zur absoluten Weltspitze, wurde Gütern wie Yquem oder Romanée-Conti gleichgesetzt, und heute gehen 85 Prozent der Produktion in den Export.  Zind-Humbrecht wurde zur Lokomotive, die den Elsässer Qualitätszug mit sich schleppte und nach und nach in einen TGV verwandelte.

1992 übernahm Sohn Olivier das Steuer, und die Humbrechts liessen eine neue, moderne Kellerei in Turckheim hochziehen. Dort entstehen die Weine bis heute, sechseinhalb Meter unter der Erde, bei natürlich konstanten Temperaturen zwischen 10 und 14 Grad und einer idealen Hygrometrie dank gepflasterter Böden und einem Kalkbelag zwischen den Fudern. Verarbeitet wird die Ernte von 40 Hektar Reben, davon ein Drittel in Grand-Cru-Lagen. Abgefüllt werden rund 200 000 Flaschen. 1997 wurde Zind-Humbrecht zum Pionier des naturnahen Anbaus. «Schon während meiner Studienzeit interessierte ich mich für Ökologie. Dass Olivier solche Ideen hier auf der Domäne erfolgreich verwirklicht hat, erfüllt mich mit besonderem Stolz.» Heute kann sich Léonard gemütlich zurücklehnen. Für die Nachfolge ist gesorgt. «Mein Vater ist mit 96 gestorben. Er trank jeden Tag einen Liter Wein und am Morgen sein Schnäpschen. Meine Diät ist ähnlich. Ausser dem Schnaps. Ich gönne mir höchstens ab und zu einen guten Whisky oder Armagnac.» Sagt’s, greift nach dem Glas und schmunzelt.

Edle Extraklasse

Alles, was die Humbrechts auf die Flasche bringen, ist von absoluter Extraklasse, ob es sich um süsse Spätlesen oder trocken ausgebaute Weine handelt, um «einfache» Lagenweine oder um langlebige Grands Crus aus legendären Lagen wie Brand, Hengst oder Rangen de Thann. 

Weine des Winzers

Brand Grand Cru, Riesling 2014 

18 Punkte | 2020 bis 2030 

Recht kräftige, reifende Aromatik, dominiert von ersten fruchtigen Akzenten, Litschi; noch verschlossen im Mund, fast prickelnd-säurebetont, vielversprechend, grosses Entwicklungspotenzial, herrliches Finale von Pomelo; nur wer jugendlich-knackige Weine mit unverhohlener Säure mag, soll diesen Wein bereits öffnen. 

 

Clos Saint Urbain Rangen de Thann Grand Cru, Riesling 2014 

19 Punkte | 2022 bis 2040

Gewiss der verschlossenste der drei Rieslinge, doch auch von besonderer Klasse, alle Komponenten sind exakt aufeinander abge-stimmt, besitzt umwerfende Tiefe, Mineralität, Dichte, Kraft, Eleganz und Länge: einer der grossen Weissen der Welt. 

 

Clos Saint Urbain Rangen de Thann Grand Cru, Gewurztraminer 2013 

17.5 Punkte | 2017 bis 2021 

Zurückhaltende Gewürztraminer-Aromatik von Litschi und Rose; perfekte Balance von Dichte, Süsse und Säure, keine Spur von Schwerfälligkeit, herrlicher Wein, der bereits Spass macht, aber auch noch etwas reifen darf. 

 

Clos Windbuhl, Riesling 2014 

17.5 Punkte | 2018 bis 2024 

Superbe, noch jugendliche Aromatik mit ersten Reifeakzenten, ein Hauch Petrol, mineralische, fruchtige Noten; von dichter, ausbalancierter, frischer Art; langes Finale auf zartbitter-fruchtiger Note. Her-vorragend, mit Persönlichkeit. 

 

Clos Jebsal, Pinot Gris 2008 Vendange Tardive 

17.5 Punkte | 2017 bis 2019 

Zurückhaltende Reifearomatik von besonderer Komplexität, unaufdringliche Gewürznoten; vollmundig, komplex, sowohl dicht als auch frisch und saftig, ungemein lecker, mit Dörrfruchtfinale, alle Komponenten in perfekter Harmonie, und wer flüchtige Säure notiert, ist nicht auf das Haar in der Suppe gestossen, sondern auf das Salz.

 

Hengst Grand Cru, Gewurztraminer 2013 

17.5 Punkte | 2017 bis 2020 

Angenehm zurückhaltend. Eine Spur komplexer als der Rangen, mit Noten von Dörrfrüchten, Aprikose; liegt weich im Mund, dicht, saftig, frisch. Auch hier eine bemerkenswerte Balance. Darf in den nächsten Jahren genossen werden.

www.zindhumbrecht.fr

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