Winzerlegende Josko Gravner, Oslavia
Meister der vergrabenen Weine
Text: Christian Eder, Fotos: Hans-Peter Siffert
Francesco «Josko» Gravner gilt als der Ahnvater der Vini Naturali in Italien. In den Hügeln des Collio, diesseits und jenseits der italienisch- slowenischen Grenze, bewirtschaftet er knapp 18 Hektar Rebberge streng nach biodynamischen Grundsätzen und lässt seine Weine monatelang auf den eigenen Hefen in grossen Amphoren aus dem Kaukasus mazerieren.
Bei Josko Gravner steigt der Blutdruck, wenn man seine Weine als Orange Wines bezeichnet: «Orange bedeutet für mich oxydiert und das sind sie nicht», erklärt der braungebrannte Winzer mit den kurzgeschnittenen weissen Haaren bestimmt. Ihre Farbe sei ganz klar «ambrato», bernsteinfarben, aber vor allem seien es natürliche Weine, Natural Wines: Mit dieser Bezeichnung könne er gut leben, auch wenn eigentlich alle Weine und sonstigen Lebensmittel «Natural» sein müssten. Damit hätten wir auch schon die passende Kategorie des Weines, der vor uns auf dem Esstisch in intensivem Bernstein im Glas schimmert: Es ist der Bianco Breg 2009, Josko Gravners Blend aus verschiedenen Rebsorten, die auch seine persönliche Geschichte widerspiegeln: Sauvignon, Pinot Grigio, Chardonnay und Welschriesling erinnern an die Zeiten, als er noch an diese Rebsorten glaubte. «Sie erinnern auch an die Fehler, die ich gemacht habe», sagt Gravner mit einem wehmütigen Lächeln, «und die ich gerade versuche, wieder auszubessern.»
Einst liebte er die Technik, hatte Stahl und Barriques im Keller und internationale Rebsorten in den Rebbergen. Heute ist Gravner hingegen ganz dem Minimalismus verpflichtet: Das beginnt schon bei der Architektur und beim Interieur seines Wohnhauses, bei seiner grossen Leidenschaft, für die er selbst verantwortlich zeichnet, führt über den Keller, in dem es nur noch Ton, Holz und Glas gibt, und endet in seinen Weinbergen, die er 2012 «minimalisiert» hat: Chardonnay und Co. hat er in den Lagen Bracik, Polje oder Puska entfernt und die Rebberge zum Teil wieder mit Bäumen bepflanzt. Und mit den beiden Rebsorten, die für ihn die Zukunft bedeuten: die weisse Ribolla Gialla und die rote Pignolo. Deshalb ist der Bianco Breg in seinem heutigen Blend ein Auslaufmodell: In wenigen Jahren werden auch die letzten noch im Holzfass lagernden Bregs aus internationalen Rebsorten abgefüllt und verkauft sein.
Dann wird es im Hause Gravner nur mehr Ribolla und Pignolo geben, beide seit Jahrhunderten im Collio heimisch. In dieser hügeligen Region zwischen Italien und Slowenien liegt das Weingut Gravner. Vor Joskos Haustür treffen die romanische und die slawische Kultur aufeinander, die italienische und die slowenische Sprache, die auch zuhause bei Josko Gravner gesprochen wird. Sogar die Weine Gravners sind zweisprachig: Mehr als die Hälfte der 18 Hektar Rebberge – 15 davon in Produktion – liegen jenseits der Grenze in Slowenien, gekeltert werden die Trauben aber im Keller des Gutes in Oslavia auf der italienischen Seite.
Gerade wegen diesem Keller ist Josko Gravner berühmt geworden: Hier sind die inzwischen mehr als 40 Amphoren in der Erde vergraben. In den monumentalen Tongefässen lässt Josko seine Weine monatelang mazerieren, und das seit 2001. Damals holte er sich die ersten Kvevri – so der georgische Name der Gebinde – aus dem Kaukasus. Bis zu einem Jahr verbleiben die Weine in den mehr als 1300 Liter fassenden Amphoren, bevor sie für weitere sechs Jahre in grossem Holz ruhen. Sieben Jahre insgesamt, bevor sie auf den Markt kommen. Denn Josko Gravner glaubt an die Sieben, wie er mir erklärt, während er seinen Breg 2009 sanft im Glas schwenkt: «Jeder hat seine eigene persönliche Zahl – für mich ist es diese.» Die biologische Entwicklung des Menschen laufe nämlich in Sieben-Jahres-Schritten ab, so der Collio-Winzer, daher habe er auch mit dem Jahrgang 2003 die Weinproduktion auf sieben Jahres-Schritte umgestellt: Sieben Jahre lässt er seine Annata-Weine im Keller (ein Jahr in Ton, sechs Jahre in Holz). Zwei mal sieben Jahre – 14 – die Riserve: Die Riserva 2003 des Rujno und der Ribolla kommen noch im Spätherbst 2017 auf den Markt, die Annata 2010 von Ribolla Gialla und Bianco Breg ebenso.
Diesseits und jenseits der Grenze
Aber das ist noch nicht alles: Pro Pflanze belässt er neuerdings sieben Triebe statt sechs, nicht nur der Zahl wegen, sondern auch um seine karge Produktion von rund 220 Hektolitern Wein (knapp 30 000 Flaschen) etwas zu erhöhen. Das hat er mir am Vormittag während einer Runde durch seine Rebberge diesseits und jenseits der italienisch-slowenischen Grenze gezeigt: 18 Hektar Weingärten, eingebunden in 32 Hektar Besitz, eine Landschaft mit Bäumen, kleinen Teichen und Wiesen, die unterschiedlichsten Spezies Unterschlupf bieten, denn das natürliche Umfeld gehört zu Natural Wines dazu. «Nur so ist auch das Ergebnis in der Flasche in Harmonie», sagt Josko, während wir durch das kniehohe Gras zwischen den Rebzeilen stapften, «gerade der Wald ist essentiell, die Lunge unserer Erde.» Seine Parade-Lagen Runk, wo Ribolla Gialla und Pignolo wachsen, und Hum, neben dem alten Haus seiner Grossmutter, haben wir ebenso besucht, wie Joskos neue Hoffnung Dedno: 2010 hat er begonnen, auf der steilen Lage neue Terrassen anzulegen und diese neu zu bepflanzen. Work in Progress sozusagen, selbst die Unterlagsreben werden von ihm selbst aufgepfropft. Alle seine Reben sind natürlich als Alberello gezogen, dem Buschbäumchen, schon seit Jahrtausenden die traditionelle Rebziehung im Mittelmeerraum.
Auf Rudolf Steiners Spuren
Wir kehren zurück in Gravners Haus in Oslavia zum Bianco Breg 2009, der in Gravners für seine Weine selbstentworfenem Glas schimmert: Eigentlich ist es eine breite Weinschale, einem tönernen Weintrinkgefäss des Kaukasus nachempfunden, mit zwei Wölbungen für die Finger. Gravner hat sie gemeinsam mit einem italienischen Glasproduzenten entwickelt. Josko ist ein Design-Freak: Auch die Möbel für sein Wohn-Ess-Zimmer, in dem wir gerade am grossen Esstisch sitzen und zum Breg einen Salat aus dem eigenen Garten geniessen, hat er selbst ausgesucht: Rundherum alle Möbel minimalistisch und klar wie seine Weine. Unter den Bildern an der Wand fällt ein Foto auf, das ihn mit seinem 2009 verunglückten Sohn Miha zeigt, der das Gut übernehmen hätte sollen: Miha vorne, sein Vater Josko im Hintergrund. Josko: «Wir waren schon in der Phase, in der ich mich schön langsam zurückgezogen hätte, um ihm immer mehr die Führung zu überlassen.» Ähnlich hatte es auch Joskos Vater vor ihm gemacht, «mein grosser Lehrmeister, der mir fast alles beigebracht hat.» Dann passierte der Unfall.
«Am liebsten trinke ich wirklich meinen eigenen Wein: Da weiss ich wenigstens, was drin ist.»
Seinen anderen Lehrmeister hat Josko Gravner nie kennengelernt: Rudolf Steiner, den Begründer der Biodynamie. Ihm folgt er treu, im Weinberg und im Keller ebenso wie im Leben. Und das seit Mitte der 1990er Jahre, als ihn eine Erkrankung dazu brachte, seine Philosophie als Weinbauer und auch als Mensch zu revolutionieren. Seit damals hat er Stahl und Barriques aus dem Keller verbannt, dafür kamen Ton, grosses Holz, indigene Hefen und eine Arbeitsphilosophie, die im Rebberg, im Keller und im Leben auf den Mondphasen basiert. Eine Zertifizierung als Biodynamiker interessiert ihn allerdings nicht: «Ich mache das, weil ich daran glaube, nicht weil ich es aufs Etikett schreiben will.»
Seit damals ernährt er sich auch so natürlich wie möglich. Vieles produziert er selbst, vom eigenen Gemüse und der hausgemachten Salami bis zum Wein: «Es klingt zwar etwas eingebildet, aber am liebsten trinke ich wirklich meinen eigenen Wein», versichert Josko, «da weiss ich wenigstens, was drin ist.» Dazu kommt ein geregelter Tagesablauf mit Aufstehen um vier, Rebberg um fünf, Büropause und Merenda um acht. Nach ein paar weiteren Stunden in den Reben wartet ein ausgiebiges Mittagessen. «Deshalb habe ich auch zwei, drei Kilo zu viel», schmunzelt der Winzer, «aber das geht während der Lese wieder runter.» Bei unserem Pranzo hat Josko zur Pasta (aus den Marken und natürlich von einem biologisch wirtschaftenden Produzenten) mit selbstgemachtem Sugo von eigenen Tomaten inzwischen eine Flasche seiner Ribolla Gialla 2008 geöffnet, einer seiner Lieblingsjahrgänge: Die Ribolla duftet nach Salbei und Minze, ist am Gaumen geschmeidig, mit geschliffenem Tannin und einem ausserordentlich feinen mineralischen Finale. «Ich würde am liebsten nur noch Ribolla Gialla keltern», meint Josko. «Das ist die Traube, mit der ich aufgewachsen bin und die auf diese Hügel gehört.» Ribolla gialla, die gelbe Ribolla, heisst sie wegen ihrer goldgelben Schale, wenn sie gegen September, Oktober ihre Vollreife erreicht. Josko liest sie so spät wie möglich.
Weine für Herz und Seele
Aber Gravner wäre nicht Gravner, wenn es nicht sogar bei seinem Paradepferd Ribolla in Zukunft Veränderungen geben würde: Ab dem Jahrgang 2016 werden die Trauben nicht mehr entrappt, dadurch – so erwartet sich Josko – bekomme der Wein noch mehr Charakter. Das entspräche am ehesten seinem persönlichen Geschmack, sagt er, «und den Wein musst du schliesslich für dich selbst machen und nicht für die anderen.»
Von industriell produzierten Weinen hat er nämlich genug: «Se il vino non tocca il cuore e l’anima, è solo una bibita», gibt er mir noch mit auf den Weg, nachdem ich ihn nach Caffé und Dolce verlasse: Wenn der Wein nicht das Herz und die Seele berührt, ist er nur ein Getränk. Und ein Getränk zu produzieren, das überlässt er anderen. In seinem Leben hat übrigens vor zwei Jahren mit dem 63. Geburtstag ein neuer Siebener-Zyklus begonnen, fügt er hinzu: In den nächsten fünf Jahren, bis zu seinem 70., will er sich etwas mehr aus dem Tagesgeschäft zurückziehen. Bereits jetzt unterstützen ihn zwei seiner drei Töchter im Betrieb, sein 23-jähriger Enkel Gregor könnte sogar in seine Fussstapfen treten. Noch führt er eine Diskothek, doch Josko sieht in ihm eine Eigenschaft, die Erfolg verspricht: «Er hat Interesse für den Weinbau und er kann zuhören, nur so lernt ein junger Mensch. Das konnte Miha und das kann auch er».
Der Geschmack des Collio
Josko Gravners Weine mazerieren lange in der Amphore: Getrunken werden daher selbst die Weissweine bei Zimmertemperatur.
Bianco Breg 2008
18 Punkte | 2018 bis 2025
Wurde aus Sauvignon, Pinot Grigio, Chardonnay und Welschriesling gekeltert: Die Rebstöcke für diesen Blend aus verschiedenen Rebbergen wachsen auf der Ponka, dem klassischen Verwitterungsgestein des Collio, das stark zur Komplexität der Weissweine beiträgt. Noten von Salbei und Minze, ist am Gaumen geschmeidig, mit geschliffenem Tannin, mineralisch das Finale. 2008 auch ohne Botrytis – wie in den Jahren 2011 und 2016 – ein kompletter, perfekt gebauter Wein.
Bianco Breg 2009
18 Punkte | 2018 bis 2025
Derselbe Blend wie im Vorjahr, in diesem Jahrgang aber von Botrytis befallen: Noten von Nüssen, reifer Aprikose und Orangenzesten, dazu Honig und Rosmarin. Die vollmundige straffe Textur wird sehr gut durch die akzentuierte Säure ausbalanciert, überraschend frisch und lang. Gefällt mit seinem Charakter und doch auch seiner Eleganz.
Ribolla 2007
18.5 Punkte | 2018 bis 2023
Bernsteinfarben, im Bouquet Noten von kandierten Orangen Nüssen und Aprikosen. Vielschichtig und finessenreich zugleich, ein grosser Wein aus einem guten Jahrgang. Ribolla Gialla teilt sich übrigens rund die Hälfte ihrer genetischen Eigenheiten mit Heunisch Weiss, einer Rebsorte, die einst über weite Teile Europas verbreitet war und Gemeinsamkeiten mit vielen Reben (unter anderem Chardonnay) aufweist. Eine andere Rebsorte, die eng mit Ribolla Gialla verwandt scheint, ist Gewürztraminer. Beide können als Eltern der Ribolla Gialla im Friaul angesehen werden.
Ribolla 2009
18 Punkte | 2018 bis 2025
Überaus elegantes Bouquet nach Honig, Blüten und Aprikosen; sehr geschmeidig am Gaumen, gut und lang. Voller Eleganz, mineralisch, schmelziger Abgang. Kann man mit Gersten- und Bohnensuppe kombinieren, mit Eintöpfen, Pasta mit Fleischsugo, mit weissem Fleisch wie Hühnchen, Kaninchen oder Wildgeflügel. Passt auch zu japanischer Tempura.
Rosso Breg 2005
17.5 Punkte | 2018 bis 2023
Laut Josko Gravner ein warmer ausgewogener Jahrgang, in dem vor allem Pignolo gute Ergebnisse brachte. Seit 2003 wird der Rosso Breg aus dieser autochthonen Rebsorte gekeltert. In der Nase Röstaromen, aber auch üppige Beerenfrucht; am Gaumen exzellent abgerundet, geschliffen, mit einem langen Verlauf auf Kirschen und balsamischen Aromen. Für seine Rotweine empfiehlt Josko Gravner übrigens dieselbe Serviertemperatur wie für die Weissweine: 18 bis 20 Grad.
8910
17.5 Punkte | 2018 bis 2024
Die Ribolla-Gialla-Trauben für diesen Süsswein wurden in den Jahren 2008, 2009 und 2010 gelesen, daher der Name. Bis lange in den November hinein hingen sie überreif auf den Stöcken, auch Botrytis trug das Ihre zur Qualität des Weines bei: Überaus feinziselierte, elegante Nase mit Noten von Litschi, Tee, Honig und getrockneten Blumen. Am Gaumen süss, mit den überraschend präsenten Tanninen perfekt ausbalanciert, anhaltend das exotisch-frische Fruchtfinale.