Winzerlegende: Maurizio Zanella, Franciacorta
Easy Rider
Text: Christian Eder, Fotos: Hans-Peter Siffert
Maurizio Zanella gilt als einer der Pioniere des italienischen Weinbaus: Als Gründer des Weingutes Ca’del Bosco und als Präsident des Winzerkonsortiums Franciacorta hat er dazu beigetragen, dass flaschenvergorener Schaumwein vom Stiefel weltweit ein Begriff ist. Mit seinen 59 Jahren hat er noch einiges vor – in- und ausserhalb der Rebberge.
La Patata Viola, il Gambero Rosso e il Franciacorta heisst das Gericht, und so sieht es auch aus: eine Schicht veilchenfarbenen Risottos, darüber eine knackige Garnele und ganz oben violette Kartoffelchips. «Die sind natürlich so gewachsen und nicht gefärbt», grinst Maurizio Zanella, während er ein Glas seiner Cuvée Prestige einschenkt. Maurizio Zanella ist mit uns beim Essen, und das in einem seiner Lieblingslokale, dem michelinsternbekränzten «Due Colombe» vor den Toren von Erbusco. Wir blicken durch das Fenster auf die blühenden Bäume und die Kellereien von Berlucchi auf der anderen Strassenseite. Der Endfünfziger sieht gut aus: Er kommt gerade von einer Detox-Therapie in Deutschland, hat ein paar Kilo abgenommen, die Bräune stammt noch von einem Trip nach Südamerika mit seiner brasilianischen Lebensgefährtin. Maurizio Zanella hat sich ein paar Wochen Auszeit gegönnt: Ende 2015 hat er sein Amt als Präsident des Winzerkonsortiums der Franciacorta nach zwei Perioden und sechs Jahren niedergelegt.
«Das Terroir, die Leidenschaft und den ökonomischen Rückhalt für Investitionen – das besassen wir bald. Es fehlte dem jungen Gebiet nur die Tradition, die Historie, auf der Weinbau basiert. Nach vier Jahrzehnten besitzen wir auch in der Franciacorta eine Geschichte, die es uns erlaubt, grosse Weine zu produzieren.»
Idealer Zeitpunkt für ein kleines Resümee. Dazu gehen wir weit zurück, in eine Zeit, von der Zanella immer wieder gerne erzählt und die sein Leben geprägt hat: Vor 52 Jahren – 1964 – erwarb seine Mutter, Annamaria Clementi, in der Franciacorta ein Haus, das Ca’ del Bosco hiess, das Haus im Wald. Nach Problemen in der Schule und einigen weiteren Eskapaden in seiner Heimatstadt Mailand wurde der 14-jährige Maurizio von seinen Eltern dorthin verbannt. «Das ist das Ende der Welt, dachte ich, ein Haus umgeben von Kastanienbäumen. Und Erbusco war ein Dorf! Kein Vergleich zu Milano.»
Die Franciacorta mit ihren Moränenhügeln und vereinzelten Rebbergen war damals ein noch weitgehend unbekannter Teil der Lombardei, südlich des Iseo-Sees zwischen Brescia und Bergamo gelegen. Und Maurizio sah auch, dass Güter wie Berlucchi dort bereits Schaumweine produzierten. Die Natur rund um das Ca’ del Bosco nahm ihn immer mehr gefangen: die Wälder, die er durchstreifte, vor allem aber auch ein kleiner Rebberg hinter dem Haus, der es ihm angetan hatte. Der Rest ist Legende: Anfang der 70er Jahre eine Reise ins Burgund, nach Bordeaux und dann in die Champagne und die Idee, solche Weine auch in der Franciacorta zu produzieren. Die Unterstützung seiner Eltern, vor allem seiner Mutter Annamaria Clementi, hatte er. Der junge Zanella trieb seinen ersten Keller elf Meter in den Boden, führte Stockdichten von bis zu 10 000 Pflanzen ein und verlangte von seinen Rebbergarbeitern eine Ausdünnung der Reben. Von Anfang an setzte Zanella auf die moderne Önologie, um eine optimale Qualität des Endprodukts zu erreichen. Die ersten Spumanti wurden 1976 produziert: ein Brut, der Dosage Zéro und ein Rosé. Vinifiziert wurden sie von André Dubois, dem Chef de Cave, den Zanella als Beute von seinen Reisen nach Frankreich mitgebracht hatte.
«Terroir, Leidenschaft, Arbeit»
Aber zurück ins «Due Colombe»: Vier Flaschen stehen vor uns, vier Weine, die Maurizio Zanella als seine persönlichen Favoriten ausgewählt hat: zwei Spumanti, dazu noch sein Chardonnay und der Wein, der seinen Namen trägt – Maurizio Zanella. «Das Terroir, die Leidenschaft für die Arbeit und den ökonomischen Rückhalt, um Investitionen zu tätigen, das besassen wir bald. Es fehlte dem jungen Gebiet nur die Tradition, die Historie, auf der Weinbau basiert. Aber nach vier Jahrzehnten besitzen wir auch in der Franciacorta eine Geschichte, die es uns erlaubt, grosse Weine zu produzieren.»
Dafür steht die Cuvée Prestige, der erste Wein in unserem Glas: Ca’ del Bosco produziert diesen Wein in einer Auflage von mehr als 800 000 Stück. Unabhängig vom Jahrgang soll er stets einen wiedererkennbaren Charakter haben. Dafür sorgen unter anderem ein Drittel von bis zu fünf Jahre alten Jahrgängen, die in der Cuvée integriert werden. «Mit diesem Wein beschreitet unsere Kellerei einen neuen Weg», erklärt Zanella, «bislang waren alle unsere Produkte Ca’-del-Bosco-Weine. Dieser hier ist ein Franciacorta, aus verschiedensten Rebbergen der Region.» Fruchtig und fein, mit viel Rasse und Schliff zeigt er, was das Terroir im Süden des Iseo-Sees bieten kann.
1985 liess Zanella schliesslich in dem Hügel hinter dem Ca’ del Bosco, in dem er bis dahin lebte, die neue Kellerei errichten: Ihr Kern ist bis heute – mit 17 Metern Höhe – die unterirdische Kuppelhalle, von der sternenförmig die Galerien mit den gelagerten Schaumwein- und Weinflaschen abstrahlen. Hier hat Zanella einst auch geheiratet. Um die Kellerei ist auch seit Jahrzehnten ein Kunstprojekt gruppiert: Neben fotografischen Arbeiten ist vor allem Bildhauerei ein Bestandteil davon. Das beginnt beim Eingangstor (das 1987er-Werk von Arnaldo Pomodoro stellt die aufgehende Sonne dar) und endet beim Peso del TempoSospeso, in der Vinifikationshalle: ein hängendes Nashorn aus Glas und Beton, 2003 von Stefano Bombardieri geschaffen.
Das Geheimnis grosser Weine
Im Glas perlt inzwischen der Annamaria Clementi 2006, 1989 zum ersten Mal produziert und nach Zanellas Mutter benannt, die bis zu ihrem Tod 2014 die Kellerei und die Rebberge liebte. Ein grosser Schaumwein, der erst nach neun Jahren auf der Hefe auf den Markt kommt. «Wir wollten und wollen damit einen Wein kreieren, der Emotionen vermittelt, der anders ist als das Übliche. Das ist das Geheimnis grosser Weine: Sie lassen dich träumen! Manchmal haben sie sogar einen kleinen Defekt, aber das ist mir allemal noch lieber, als ein Wein, der zwar ohne Fehler ist, aber dafür seelenlos.»
Draussen auf der Strasse knattern inzwischen zwei Motorräder vorbei, Harley Davidsons wohl, dem Lärm nach zu urteilen. Maurizio Zanellas Augen beginnen gleich noch mehr zu leuchten, als sie es bislang schon tun. «Zwei Harleys stehen auch in meiner Garage», erzählt er, «dazu zwei KTM, eine Trialmaschine und ein Trike.» Gerade die Geländemaschinen haben es ihm angetan. Früher ist er selbst Cross gefahren: «Damit habe ich auch einige der schönsten Reblagen der Franciacorta entdeckt.» Und im Winter war Skifahren seine grosse Leidenschaft.
Ein heikler Punkt seiner Geschichte kommt dann zur Sprache: Seit 1994 ist Ca’ del Bosco Teil der Gruppe Zignano der Familie Marzotto (Santa Margherita). «Das wurde ich immer wieder gefragt, warum ich einen Teil meiner Kellerei verkauft habe: Aber es war eine logische Entscheidung. Wir konnten wichtige Investitionen tätigen, die wir uns sonst vom Mund absparen hätten müssen. Meine Familie ist bis heute Eigentümer der Rebberge, die sie an Ca’ del Bosco vermietet.» Und vor allem: Maurizio Zanella hat bis heute – als Präsident von Ca’ del Bosco – die Fäden in der Hand, «obwohl wichtige Entscheidungen, wie es sich bei Partnern gehört, natürlich gemeinsam getroffen werden».
Zu diesen Entscheidungen gehört es auch, seit jeher auf Chardonnay zu setzen: Für Zanella ist das die wichtigste Rebsorte der Franciacorta. Diese Traube könne hier das Maximum an Reife erreichen, versichert er, und damit die optimale Konzentration der Aromen. Das demonstriert auch der holzgereifte Chardonnay, der dritte Wein unserer Degustation. Der Jahrgang 2009 überzeugt durch sein intensives Bouquet nach reifen Früchten und Blüten, am Gaumen ist er harmonisch, kernig und betört mit seinem überaus langen Fruchtfinale. Er passt hervorragend zum Risotto, mit etwas Franciacorta aufgegossen, das uns serviert wird. Damit sind wir bei einem weiteren Lieblingsthema Zanellas, der Franciacorta als Weinbauregion. 16 Millionen Flaschen Schaumwein Franciacorta DOCG werden heute produziert, doch stehe die Region noch nicht am Höhepunkt: «Durch die Zonation des Gebietes wissen wir nun, welche Zonen für welche Trauben geeignet sind. In fünf, zehn Jahren werden wir Trauben haben, mit denen man wirklich arbeiten kann. Dann erst wird man sehen, welche Möglichkeiten die Franciacorta tatsächlich bietet.»
Grillhühner-Fattoria
Ein neues Projekt, um die Region aufzuwerten, hat der Winzer auch im Ärmel: eine traditionelle Fattoria auf dem Gelände seiner Kellerei, wo Hühner herumlaufen, Gemüse und Getreide angebaut werden. Der Grund ist einfach: «Eines meiner Lieblingsgerichte ist Pollo alle Bracce, ein Grillhuhn, einfach, aber fast ausgestorben. In Zukunft kann ich es mir selber machen.» Das passt auch dazu, dass Ca’del Bosco ab 2017 zu einhundert Prozent ein Biobetrieb sein wird. Auf dem Etikett wird das aber nicht stehen: «Es soll kein Marketingargument sein, sondern dem Wein nur eine zusätzliche Qualität verleihen.» Im «Due Colombe» haben wir inzwischen ein saftiges Rinderfilet auf dem Tisch, ein Gericht, das Zanella zu seinem Maurizio Zanella ausgesucht hat – einer der ersten Bordelaiser Italiens, den er 1980 kreiert hat. Der Jahrgang 2003 ist würzig, fruchtig, komplex und doch leicht zu trinken, wie wir nach dem zweiten Glas feststellen.
Dann ist es Zeit aufzubrechen. Zanella hat einen Termin in den Büros der Region Lombardei. Die Politik lässt ihn auch nach Ende seiner Funktion als Präsident der Franciacorta-Winzer nicht los. Nun versucht er, der Franciacorta und ihren Gemeinden mehr Autonomie bei Entscheidungen zu verschaffen, erzählt er, indem er sie als politische Provinz verankern will. Die Harley wartet schon auf dem Parkplatz: Maurizio Zanella setzt den Helm auf, steigt auf seine Maschine, winkt mir noch einmal zu und knattert über den staubigen Schotterweg davon. Zurück auf die Hauptstrasse und durch die Berlucchi-Reben, dann nach Erbusco. Zu hören ist er noch lange.
Facetten der Franciacorta
Die Palette von Ca’ del Bosco besteht nicht nur aus Schaumweinen: In einigen ausgesuchten Rebbergen gedeihen auch Trauben für hervorragende Stillweine – von Chardonnay über Carmenère bis Pinot Noir. Aber ob Wein oder Schaumwein: Alle brauchen sie Zeit, um ihre ganze Finesse und Rasse zu entwickeln.
Cuvée Prest
16.5 Punkte | 2017 bis 2021
Fast die Hälfte der gesamten Schaumweinproduktion von Ca’del Bosco macht die Cuvée Prestige aus. Die Chardonnay-Rebstöcke für diesen Blend aus den verschiedensten Parzellen der Franciacorta wachsen auf Moränenböden. Neben dem Grundwein aus dem aktuellen Jahrgang sind auch rund 30 Prozent Weine aus den vergangenen fünf Jahren vertreten. Noten von Zitrusfrüchten, Gras und Brot im Glas. Cremige Textur mit belebender Säure, hat Schliff und Finesse. Mineralischer, schmelziger Abgang. Mit gerade mal drei bis fünf Gramm Zucker ein klarer Brut, elegant, fein und universell einsetzbar.
Vintage Collection Dosage Zéro 2
17.5 Punkte | 2016 bis 2022
Einer der drei Weine in der Linie der Jahrgangsschäumer, die erstmals mit dem Jahrgang 2005 auf den Markt kam: ein Blend aus 20 Basisweinen mit Chardonnay, Pinot Nero und Pinot-Bianco-Trauben. Finessenreicher Wein, der nach frischen Früchten und Brotnoten duftet; grazil und doch komplex im Mund, langes, mineralisches Finale.
Maurizio Zanella 2
17 Punkte | 2016 bis 2020
Die Ikone im Stil eines klassischen Bordelaiser Blends: 1980 war er einer der ersten Weine dieses Typs in Italien. Im Jahrgang 2003 wurden Cabernet Sauvignon, Cabernet Franc und Merlot aus zehn verschiedenen Rebbergen um den 10. September gelesen, separat vinifiziert und nach der Assemblage 13 Monate in Holz gereift. Aktuell ist der Jahrgang 2010 am Markt, den 2003er sieht Maurizio Zanella aber als einen der besten Jahrgänge seines Herzensweines an. Duftet verführerisch nach Waldbeeren und Gewürzen. Füllig und rassig am Gaumen, der Ausklang opulent. Hervorragend als Essensbegleiter.
Annamaria Clementi 2
18.5 Punkte | 2016 bis 2022
Der Wein, der nach Maurizio Zanellas Mutter benannt wurde: Feinperlend und goldgelb schimmert der Jahrgang 2006 im Glas, am Gaumen ist er ausgewogen und überaus elegant. Aber lassen wir Maurizio Zanella sprechen: «2006 war einfach alles perfekt: Dieser Annamaria Clementi ist einer der besten, den wir je produziert haben.»
Carmenero 2
16.5 Punkte | 2018 bis 2026
Einst vielfach als Cabernet Franc missinterpretiert, hat Zanella der Carmenère diesen reinsortigen Wein gewidmet, den er sieben Jahre reifen lässt, bevor er ihn auf den Markt bringt: Die Trauben stammen von zwei Rebbergen bei Passirano und wurden Ende September 2008 gelesen. 18 Monate bleibt der Wein dann im vorwiegend neuen Holz und fünf Jahre in der Flasche, um sich abzurunden. Verführerische Nase nach Waldfrüchten und Gewürzen, auch herbale Noten. Kompakter Bau, robuste Gerbstoffe, zeigt Charakter und Finesse.
Chardonnay 2
17 Punkte | 2017 bis 2022
Kaum zu glauben, dass dieser Wein sieben Jahre auf dem Buckel hat. Die Trauben wurden verhältnismässig früh, um den 25. September, gelesen, erinnert sich Zanella. In der Nase Noten von exotischen Früchten, auch balsamische Noten. Komplex der Auftakt, getragen von einer aufgeweckten Säure. Anhaltend der Abgang, schmelzig und facettenreich.