Winzerlegende Blaise Duboux, Epesses
Schwerarbeiter im Paradies
Text: Thomas Vaterlaus, Fotos: Hans-Peter Siffert
Wer in Epesses als Sohn eines Winzers auf die Welt kommt, ist ein Glückspilz. Wie ein Vogelnest thront das Dorf am Rebhang über dem mächtigen Genfersee. Blaise Duboux repräsentiert die 17. Generation seiner Familie, die hier Wein keltert. Seine Chasselas-Crus verdienen den Superlativ «Weltklasse».
Ein Range Rover ist eigentlich ein zu grosses Auto für dieses kleine Dorf mit den schmalen Gassen. Erst recht während der Erntezeit. Denn Epesses zur Erntezeit ist ein Dorf im Ausnahmezustand. In diesen Tagen schlafen nicht nur die 373 Einwohnerhier, sondern auch noch geschätzte600 Erntehelfer. Der Duft von frischem Most und Trester hängt in den Gassen. Aus den 23 Kellern hört man das Ratternder Pumpen und das Spritzen von Wasser. Draussen stehen Traktoren mit Anhängern, Pick-ups und Pritschenwagen und unzählige Inox-Behälter und Plastikboxen für die Trauben. Blaise Duboux pilotiert sein Gefährt erstaunlich schnell und traumwandlerisch sicherdurch dieses exakt orchestrierte Chaos. Den Abstandswarner hat er ausgeschaltet, denn das permanente Pfeifen würde nur seine Nerven unnötig strapazieren. So fährt nur jemand, der hier nun wirklich jede Ecke und jeden Pflasterstein kennt. Über uns dröhnt der Helikopter, der die grossen, mit Trauben gefüllten Kunststoff -Bottiche aus dem Steilhangdes Dézaley hinauf zur alten Landstrasse, der Route de la Corniche, fliegt. Die Trauben von Blaise freilich werden nach alter Manier in kleinen Kisten auf dem Rücken zur Strasse getragen. Er mag die Helikopter nicht. Schon seit Jahren bewirtschafteter seine Rebberge nach biologischen Richtlinien. Doch eine Zertifizierung war wegen der Helikopterspritzungen beziehungsweise deren Abdrift nicht möglich. Erst nachdem die Winzer vor einem Jahrbeschlossen hatten, dass die Helikopterkeine synthetischen Mittel mehr spritzendürfen, konnte Blaise Duboux den Antrag zur Zertifikation stellen.
Feintuning
Wer das Winzerdorf Epesses besucht, wähnt sich an einem Ort, an dem die Irren und Wirren des Zeitgeistes wie an einem Felsen abprallen. Das gilt auch für das Weingut von Blaise Duboux. Seine Parzellen in den Grand-Cru-Lagen Calamin und Dézaley, sein verwinkelter Keller am Chemin de Creyvavers im Zentrum von Epesses – alles wirkt unverändert seit dem letzten Besuch. Und doch hat hier eine kleine Revolution stattgefunden. Vor 20 Jahren wiesenseine Flaggschiff -Weine aus dem Dézaley in warmen Jahren kaum mehr als drei Gramm Säure pro Liter auf, manchmal lagen sie sogar knapp darunter und zeigten sich erstaunlicherweise trotzdem ausgewogen und lagerfähig. Mit den letzten Jahrgängen erreichte er hingegen Säurewerte von rund 3,8 Gramm. «Der Kampf um mehr Säure ist harte Arbeit», sagt er.
«In Winzerfamilien wie der unseren wird die Zeit nicht in Stunden gemessen, sondern in Generationen. Die Spuren unserer Väter und deren Väter begleiten uns bei jedem Gang durchs Dorf.»
Ein entscheidender Beitrag zu dieser positiven Entwicklung habe die Umstellung auf biologische Bewirtschaftung geleistet, zu der er sich vor sieben Jahren entschieden hat. Zudem hat er auch die Schwefeldosierungen markant reduziert. So weisen seine weissen Topweine heute kaum mehr als 70 Milligramm Gesamtschwefel pro Liter aus, der freie Schwefelliegt gar bei minimalen 25 Milligramm. Diese Reduktion war laut Blaise Duboux möglich, weil er gasförmigen Schwefeleinsetze und zudem die Schwefelungen konsequent bei absteigendem und abnehmendem Mond durchführe, was die Wirksamkeit des Schwefels im Weinsignifikant erhöhe. Dieses Feintuning an seinen Weinen hat dazu geführt, dass besonders seine Chasselas-Crus noch mehr Lagencharakter zeigen. So wirkt sein Calamin, der in einem schweren Lehmboden reift, im jugendlichen Stadium tiefgründig und auf positive Weiserustikal, während seine zwei Dézaleys, die auf purem Fels wachsen, mehr filigrane Eleganz zeigen. Alle drei Chasselas-Grands-Crus brauchen Zeit, um sich zu entfalten. Nach drei Jahren Flaschenreifezeigen sie ihr Potenzial am besten. Auch wenn Blaise Duboux ständig an der Qualitätseiner Gewächse weiterfeilt und die Suche nach der perfekten Traubenreife, sprich dem idealen Erntezeitpunkt, als den anspruchsvollsten Teil seiner Arbeit bezeichnet, so hat er die grundsätzlichen Prinzipien seiner Vinifikation nie in Fragegestellt: «Die malolaktische Gärung ist Teil des Terroirs. Wenn man auf den Säureabbauverzichtet, ist das Terroir verdeckt», sagt er. Und ebenso wichtig: «Eine forcierte Kohlensäure und Restzuckersind nichts anderes als Tricks, um die mangelnde Struktur eines Chasselas zu kaschieren. Wer gut arbeitet, hat solche Tricks nicht nötig.»
Terroir pur – Blaise Duboux
Acht Sorten und fünf verschiedene Lagen in einer Region, dem Lavaux – das ist die Klaviatur, mit der Blaise Duboux seine Werke kreiert, die er selber mit «Arte Vitis» umschreibt. Der Chasselas, der 75 Prozent seiner insgesamt fünf Hektar Reben belegt, spielt ganz klar die Hauptrolle. Er baut die Leitsorte in allen fünf verschiedenen Lagen an, die er bewirtschaftet, und versteht es in faszinierender Weise, die jeweiligen Terroir-Charakteristika in die Flaschen zu bringen.
Villette Les Murets
AOC Lavaux 2015
17.5 Punkte | 2016 bis 2020
Dieser Chasselas, in einem Boden mit hohem Sandanteil gereift, beeindruckt
mit seiner mineralisch-filigranen Art. Aromen von Blüten, Salz, Nüssen und Agrumen, im Gaumen herrlich geradlinig, frisch und beschwingt.
Calamin Cuvée Vincent
AOC Lavaux 2015
17 Punkte | 2016 bis 2023
Intensives, helles Gelb. Klassischer, qualitativ hochstehender Chasselas mit reifen Aromen von Lindenblüten, Grüntee und mineralischen Noten. Im Gaumen gut strukturiert und füllig. Präsenter Gerbstoff im Abgang und angepasste Säure.
Dézaley Haut de Pierre Vieilles Vignes
AOC Dézaley Grand Cru 2014
18 Punkte | 2016 bis 2025
Ein Chasselas mit fast schon burgundischer Finesse. Aromen von Lindenblüten, Blüten und Wiesenkräutern. Auch Agrumen und Feuerstein. Im Gaumen ausgesprochen filigran, elegant, glasklar strukturiert, vielschichtig und frisch. Grosser Wein!
Dézaley Haut de Pierre Vieilles Vignes
AOC Dézaley Grand Cru 2010
17 Punkte | 2016 bis 2022
Toll ausgereifter Chasselas mit Noten von Lindenblüten, Fenchel, Anis und Medizinalkräutern. Dazu ein Anflug von edler Firne. Zeigt im Gaumen viel Fülle
und einen Anflug von Extraktsüsse. Angepasste Säure.
Marsanne & Chardonnay
AOC Dézaley Grand Cru 2014
18 Punkte | 2016 bis 2025
Die Cuvée, in welcher die Sorte Marsanne mit 60 Prozent den Ton angibt, stammt aus einer gemischt bepflanzten Parzelle, deren Boden von Kieselsteinen geprägt ist. Edle, vielschichtige Aromatik mit Agrumen, frischen Kräutern und Noten von aufgeschlagenem Ei und Gebäck. Perfekt integrierte Würznoten. Im Gaumen überaus vielschichtig, eng gewoben, ausdrucksstark und langanhaltend. Getragen von einer tollen Säure.
Plant Robez
AOC Lavaux 2015
17 Punkte | 2016 bis 2020
Mit einem Anteil von 0,5 Hektar ist der Plant Robez, dieser alteingesessene
Edelklon des Gamay, heute die zweitwichtigste Sorte in der Domaine von Blaise Duboux. Jugendliche Aromen von roten Beeren und Veilchen. Im Gaumen temperamentvoll, kernig. Zeigt viel eigenständigen Charakter.
dé Zaley Pinot Noir
AOC Dézaley Grand Cru 2015
17 Punkte | 2016 bis 2022
Selektion von drei verschiedenen Burgunderklonen aus den höchsten Lagen des Dézaley. Reife Frucht mit roten Beeren, Pflaumen und etwas Rumtopf. Auch Wacholder und Lakritze. Im Gaumen füllig und weich. Erst im Abgang sorgt der Gerbstoff für pikante Frische.
Le Treillant Dézaley Rouge
AOC Dézaley Grand Cru 2014
18 Punkte | 2016 bis 2025
Cru aus seiner gemischt bepflanzten Parzelle mit den Sorten Cabernet Franc, Merlot und Syrah, die alle zu einem Drittel in dieser Cuvée vertreten sind. Aromen von roten und dunklen Beeren, vor allem Johannisbeeren, dazu herbale Noten, eine Spur Pfeffer und ein Anflug von edler Würze. Im Gaumen ungemein dicht gewoben und vielschichtig. Feinkörniges Tannin, getragen von einer saftigen Säure.
Auf den Spuren der Väter
Blaise Duboux ist kein Freund von grossen Worten und Gesten. Was er zu sagen hat, finden wir in seinen Weinen. Nur einmal kann er seine Emotionen nicht ganz verbergen, nämlich als er über seinen Vater Vincent Duboux spricht, der vor zwei Jahren im Alter von 78 Jahren gestorben ist. Fast 30 Jahre lang haben die beiden Tag für Tag zusammengearbeitet. Schon Vincent Duboux war ein Qualitätspionier in Epesses und hat die Basis geschaffen für die grossartigen Crus, die Blaise heute aus seinen Lagen herauskitzelt. Zudem war er 20 Jahre lang der Gemeinderat von Epesses und hat viel dazu beigetragen, den traditionellen Charakter des Dorfes zu bewahren. Mitte der 90er Jahre hat er sich beispielsweise für den Erhalt des Dorfladens mit Bäckerei eingesetzt, der damals das soziale Zentrum von Epesses war. Der Laden ist inzwischen leider verschwunden, doch das Dorf lebt. Man trifft sich am zentralen Platz, kurz «La Place» genannt, beim Dorfbrunnen oder sitzt in der «Aubergedu Vigneron», einer Pinte wie aus dem Bilderbuch, wo zu den Crus aus dem Dorf die Klassiker der Waadtländer Küche serviert werden. Als sein Vater verstarb, sandte Blaise Duboux folgende Worte an die Freunde des Hauses: «In Winzerfamilien wie der unseren wird die Zeit nicht in Stunden gemessen, sondern in Generationen. Die Spuren unserer Väter und deren Väter begleiten uns bei jedem Gang durchs Dorf. Die Rebberge sind lebende Denkmäler ihrer Liebe und ihrer Arbeit für ihr Land. Mein Vater ist gestorben, und es ist nun unsere Bestimmung, sein Erbe zu pflegen und für die nächste Generation zu bewahren.»
Grosses kündigt sich an
Wer wie Blaise Duboux in eine alteingesessene Weinbaufamilie hineingeboren wird, findet sich automatisch in den Zyklen, Kreisläufen und Gesetzmässigkeiten wieder, die das Leben der Winzerhier seit jeher bestimmen. So dient er wie vor ihm sein Vater dem Dorf als Gemeinderat der Kommune Bourg-en-Lavaux, zu der Epesses heute gehört. Er ist auch Präsident der Winzervereinigung im Lavaux sowie Vizepräsident jener Vereinigung, die das UNESCO-Weltkulturerbe Lavaux hütet und weiterentwickelt. Und er engagiert sich selbstverständlich für das Fête des Vignerons, dieses weltweit einzigartige Mysterienspiel, das nur alle 20 bis 25 Jahre stattfindet und bei dem jeweils 5000 Akteure während zweier Wochen allabendlich über 16 000 Zuschauerverzaubern. 1977 spielte Blaise Duboux als Zwölfjähriger bei diesem Spektakel einen Bäckerssohn und trat mit einem weissen Zwergesel auf. 1999 sang er im Chor der Winzer, während seine damals sechsjährige Tochter Flore als «Enfant Cep» jeweils die Veranstaltung mit den Worten «Amour et Joie» beendete. Für das nächste Spektakel 2019 arbeitet Blaise Duboux in jenem 24-köpfigen Gremium mit, welches das Winzerfest organisiert. Und weil die Lebenspartnerin von Blaise, die ursprünglich aus dem Alentejo stammende Marie-Jo Valente, als Vizedirektorin dieses Grossanlasses mit einem Budget von über 70 Millionen Franken agiert, hat das Fête de Vignerons 2019 im Hause Duboux im Prinzip schonlängst begonnen. Flore Duboux übrigens ist heute 23 Jahre alt und studiert Psychologie an der Universität Lausanne. Von den drei Töchtern des Winzers ist sie diejenige, die sich am meisten für das Weingut interessiert. Und so könnte es gut sein, dass nach 17 Generationenerstmals eine Frau das Zepter in diesem Weingut übernimmt.
Die Erntetage im Hause Duboux enden immer mit dem gemeinsamen Abendessen in jenem Raum, wo sonst die Abfüllanlage steht. Bei unserem Besuch wird zuerst eine «Caldo verde» aufgetragen, eine typisch portugiesische Suppe, die Marie-Jo Valente und ihre Schwester zubereitet haben, die für die Verpflegung dieser 16-köpfigen Truppe verantwortlich sind. Getrunken wird ein Wein von einem Winzer aus dem Languedoc, bei dem Blaise Duboux ebenso als Berateragiert wie bei zwei Weingutsbesitzern im Libanon. «Für mich, der 90 Prozentseines Lebens in dem Dorf verbringt, wo er geboren worden ist, sind die Reisen zu diesen Weingütern wichtig. Man braucht ab und zu einen Break», sagt er. Und auch die Ernte ist so ein Break. Denn es ist eine bunt gemischte Truppe, die in diesem altehrwürdigen Keller zusammengefunden hat. Zwei junge Frauen aus Argentinien und Estland, ein junger Mann aus Kalifornien, bulgarische Mazedonier, Franzosen, Portugiesen und Schweizer. Nach dem Essen ziehen die Jüngeren noch durch die Gassen, aber schon um zehn Uhr abends wird es still in Epesses. Die Arbeit im Steilhang fordert ihren Tribut. Richtig gefeiert wird nur am letzten Tag, bevor sich diese Gemeinschaft wieder in alle Himmelsrichtungen auflöst. Dann wird es wieder still am Chemin de Creyvavers. Der Jahresablauf im Weingut Duboux verläuft nach unveränderbaren Regeln. So weiss Marie-Jo Valente schon jetzt, dass sie Blaise von Ende Oktober bis Januar kaum mehr sehen wird. «Dann ist er ganz bei seinen Weinen unten im Keller», sagt sie.