Winzerlegende: Nicolas Joly, Savennières Der Druide von der Loire

Der Druide von der Loire

Text: Dominik Vombach, Fotos: Théophile Trossat

  • Nicolas Joly
    Innerhalb weniger Jahre stellte Nicolas Joly das elterliche Weingut auf biodynamische Wirtschaftsweise um.
  • Nicolas Joly
    Die Kuhhörner werden mit Kuhdung befüllt und im Herbst vergraben
  • Nicolas Joly
    Wenn die Hörner nach der Tagundnachtgleiche des Frühlings wieder ausgegraben werden, hat die Anzahl der Bakterien im Dung um das 80-Fache zugenommen.
  • Nicolas Joly
    Daraus entsteht ein Spritzpräparat zur Anregung der Bodenfruchtbarkeit.
  • Nicolas Joly
    Die legendäre La Coulée de Serrant wurde bereits 1130 von Zisterziensermönchen angelegt und ist seit mehr als 800 Jahren mit Reben bestockt.

Lange bevor biodynamischer Weinbau normal wurde, begann Nicolas Joly seine Reben nach den Prinzipien Rudolf Steiners zu bewirtschaften. Wie viele Vordenker galt er als Spinner. Seit rund 30 Jahren kämpft der wortgewaltige Pionier für die Wahrheit des Geschmacks. Ein Kampf, der Früchte trägt.

Nicolas Joly war in seinem früheren Leben Investmentbanker. Er arbeitete für J.P. Morgan in London und New York. «Die letzten beiden Monate in dem Job waren für mich kaum auszuhalten, wir wurden so hoch bezahlt», sagt Joly etwas ungläubig und schüttelt den Kopf.

Ende der 70er ist Geld der unangefochtene König und Nicolas Joly einer der Kronprinzen. Den faden Beigeschmack nimmt er sehr plötzlich wahr. Während seine Kollegen darüber nachdenken, ob es ein Porsche, oder ein Ferrari sein soll, denkt er darüber nach, seinen eigenen Ziegenkäse herzustellen. «Ich konnte auf einmal nicht mehr in der Bank arbeiten», sagt Joly. Weder die investierte Zeit für das Wirtschaftsstudium in den USA noch die glänzenden Karriereaussichten brachten ihn davon ab, dem Bankenwesen den Rücken zu kehren.

Im Jahr 1978 ging er zurück an die Loire, den Ort seiner Kindheit, und unterstützte seine Mutter fortan auf der familieneigenen Domaine La Coulée de Serrant. Ein mystischer Ort, dessen Geschichte bis in das zwölfte Jahrhundert zurückreicht. Damals pflanzten Zisterziensermönche die ersten Reben in der Einzellage La Coulée de Serrant, der sieben Hektar grossen Appellation d’Origine Contrôlée, die alleine Familie Joly gehört. Sie ist das Herz des Weinguts, weshalb Joly sie auch bei seinen ersten biodynamischen Gehversuchen aus Furcht verschonte. Er beschränkte sich auf eine kleine Cabernet-Parzelle, etwa einen drittel Hektar gross. Nicolas Joly war sich sicher, dass die biodynamische Bewirtschaftung funktionieren würde, wollte aber kein zu grosses Risiko eingehen: «Zu Beginn hatte ich immer Angst, die gesamte Ernte zu verlieren, aber ich hatte Glück.»

Mit den ersten Ergebnissen und spürbaren Resultaten schwand die Furcht. Die Böden atmeten wieder, Insekten kehrten zurück, und Joly stellte bald die gesamten zwölf Hektar des Weinguts nach den Lehren des österreichischen Anthroposophen Rudolf Steiner um. Nicht ohne auf Widerstand zu stossen. «Die Berater der Landwirtschaftskammer und die Kunden erzählten meinen Eltern damals, dass ich auf diese Art und Weise die Weinberge nachhaltig zerstören würde. Zum Glück war ich durch die eigene AOC abgeschirmt, was meine Arbeit unendlich erleichterte», sagt Nicolas Joly. Die Kritiker verstummten nie, aber er lernte über die Jahrzehnte wegzuhören.

Telefongespräch mit dem Kosmos

Mit jedem Jahr, mit jeder Vegetationsperiode tauchte Nicolas Joly tiefer in den Kosmos der biodynamischen Landwirtschaft ein, lauschte der Natur und liess das Erlernte in die Praxis einfliessen. Heute verwendet er beispielsweise 20 ergänzende Präparate zu den von Rudolf Steiner empfohlenen. Eines davon wird aus dem Knochenmark einer Kuh gewonnen, das, mit Calciumpulver versetzt, ein Jahr lang an einer Eiche hängt und währenddessen die Energien aus dem Kosmos aufnimmt. Niemand erläutert Prozesse, die das Vorstellungsvermögen sprengen, so selbstverständlich wie Nicolas Joly: «Es geht bei der Bewirtschaftung der Weinberge nicht um Materie, sondern um Prozesse. Es geht darum, das gesamte System inklusive Kosmos zu nutzen.»

Man müsse sich die Verbindung zu den kosmischen Energien wie ein Telefongespräch vorstellen, erklärt Joly weiter. Mit der einen Telefonnummer, die einem bestimmten Präparat entspricht, erreicht man einen bestimmten Gesprächspartner beziehungsweise ein bestimmtes Element wie Phosphor. Mit einem anderen Präparat beispielsweise Calcium. «Heute nutzen wir Handys und viele andere Geräte, mit denen wir Strahlen kreieren, welche die kosmische Energie beeinflussen. Die Energien kommen einfach nicht mehr an», erläutert er. Seiner Meinung nach wirkt sich diese Störung im Kontakt zum Solarsystem direkt auf das Klima aus. Diesen Klimawandel spürte er zuerst 2007. Es war zwar nicht sehr heiss, aber sehr sonnig, und die Trauben, vor allem die Kerne, brauchten sehr lange, bis sie ausreiften. Der Alkoholgehalt der Weine aus diesem Jahr ist dementsprechend hoch. Joly ist der Überzeugung, dass es wichtig ist, die Ursache zu erkennen und nicht nur die Auswirkung zu bekämpfen, wie es die konventionelle Landwirtschaft oder auch die Schulmedizin praktizieren.

Lehren, nicht predigen

Vor 30 Jahren, als Joly begann, die Lehren Steiners im Weinberg umzusetzen, wurde er belächelt – er galt als Spinner. Ein Schicksal, das viele Vordenker ereilt. Manch einer wird missmutig und erholt sich nie wieder, Joly aber wirkt in jedem Moment, in dem man ihn heute erlebt, unglaublich gelassen und entspannt. Sobald er zu reden beginnt, sprudeln die Worte nur so aus ihm heraus. Immer geordnet, immer der Beweiskette folgend, überzeugend, ohne missionierend zu sein. Er ist ein Lehrer, kein Prediger.

Weinbauschulen sind ihm ein Dorn im Auge, denn dort lerne man jahrelang, wisse am Ende aber rein gar nichts. Wer Skifahren lernen möchte, müsse Ski fahren und nicht im Internet Skifahrvideos anschauen. Joly, der Pionier, lehrte in unzähligen Vorträgen die Basis des biodynamischen Weinbaus, schrieb ein Buch («Le vin – du ciel à la terre», zu Deutsch: «Beseelter Wein») darüber, weil es keines gab, und brachte das Thema so vielen Menschen näher – ohne dass sie das Martyrium der sehr schwer zu lesenden Steiner’schen Schriften durchleben mussten.

«Seit über 30 Jahren kämpfe ich für die Wahrheit des Geschmacks. Ich respektiere alle Richtungen und bin der Ansicht, dass der Konsument wissen soll, was er trinkt. Es geht mir nicht ausschliesslich um die verteufelten Massenweine, nein, es geht mir vor allem um grosse Weine, die sehr technisch produziert werden. Müssten alle Zusatzstoffe deklariert werden, hätten es diese Produkte nicht mehr so einfach beim Konsumenten», sagt Nicolas Joly. Ein Merlot im Bordeaux ist von Jahre zu Jahr anders wie sein Chenin Blanc aus Savennières eben auch: Das ist die Wahrheit des Geschmacks.

«Der Coulée de Serrant 2004 wurde von Kritikern und Sommeliers für seine Botrytisnote kritisiert, es sei untypisch für Chenin Blanc aus Savennières. Für mich drückt der Wein den Jahrgang, das Terroir und vor allem den Verzicht auf Botrytizide aus», sagt Joly. Dieselbe Konsequenz fordert er von den Mitgliedern seines 2001 gegründeten Vereins Renaissance des Terroirs. Die Mitglieder, darunter so klingende Namen wie Leflaive, Zind-Hubrecht oder Wittmann, verschreiben sich einer strikten Qualitätscharta, bei der es nicht um bio oder nicht bio geht, sondern um die Voraussetzungen dafür, den Ausdruck der Lage zu fördern.

«Seit über 30 Jahren kämpfe ich für die Wahrheit des Geschmacks. Der Konsument soll wissen, was er trinkt. Es geht mir dabei nicht ausschliesslich um die verteufelten Massenweine, sondern vor allem um grosse Weine, die sehr technisch produziert werden. Müssten alle Zusatzstoffe deklariert werden, hätten es diese Produkte nicht mehr so einfach beim Konsumenten.»

Die Massnahmen beginnen damit, dass im Weinberg kein Glyphosat verwendet wird, und hören beim Verzicht auf Ascorbinsäure im Wein auf. Neumitglieder müssen ihre Weine zunächst bei einer Blindverkostung auf Herz und Nieren prüfen lassen. Joly will von den Verkostern keine Punkte oder Aromen hören, es geht ihm um die Emotion, die ein Wein beim Trinken auslöst. «Das ist deutlich schwieriger, als Punkte zu bekommen, und viele grosse Namen sind an diesem Aufnahmeritual schon gescheitert», sagt Joly und beginnt laut und herzlich zu lachen.

Einen Schönheitspreis gewinnt Nicolas Joly für seinen Keller sicher nicht. Dieser Ort soll kein steriles Laboratorium sein, sondern vielmehr eine Stätte, in der durch Gärung etwas zum Leben erweckt wird. Jeder kellertechnische Einfluss verschleiert Jolys Ansicht nach, was im Weinberg versäumt wurde. Dort entsteht der Wein, und dort ist Joly zuhause. Seine Chenin Blanc geniessen Freiheit, keine Manipulationsversuche, ausschliesslich dezente Harmonisierung. Dazu gehört der Ausbau in 15 Jahre alten Barriques, deren Eiform für Joly sehr eng mit der Entstehung des Lebens verbunden ist und somit kosmische Kräfte anzieht, die sich positiv auf den Wein auswirken sollen. Was es auch ist, der Clos de la Coulée de Serrant gehört zu den Weinen, die man einmal in seinem Leben getrunken haben sollte. In den besten Jahrgängen vereint er schwebende Filigranität mit saftiger Intensität. Man könnte es auch so beschreiben: Der Wein spannt den Bogen zwischen Kosmos und Erde.

Joly verzichtet im Keller auf vieles, auf Schwefel zu verzichten, käme ihm jedoch niemals in den Sinn: «Heute bekämpfen die Menschen Schwefel, dabei ist er nichts Schlechtes. Ich meine nicht den Schwefel, der als Abfallprodukt der Industrie entsteht, sondern natürlichen Schwefel, wie er beispielsweise in Vulkanen vorkommt.» Gerade gestern kaufte er einen leuchtend gelben Schwefelkristall von den Kanaren. Ein befreundeter Tüftler baute ihm eine spezielle Maschine, mit der er die Kristalle verbrennen und das entstehende Gas direkt in den Wein leiten kann. Die Debatte um schwefelfreie Weine ist Jolys Ansicht nach unnötig, denn statt auf Schwefel zu verzichten, sollten endlich die Voraussetzungen für vollumfängliche organische Landwirtschaft geschaffen werden.

Wir steigen die schmale, wackelige Holztreppe hinauf, seine Tochter Virginie wartet bereits. Sie und Nicolas Joly führen das Weingut mittlerweile gemeinsam. Nicolas Joly verabschiedet sich und huscht ins Nebenzimmer. Er sei dabei, seinen Rentenantrag auszufüllen, erzählt uns Virginie, könne sich aber nicht mehr an das Jahr erinnern, in dem er seinen Militärdienst leistete. Ein kleines Detail im Leben eines grossen Mannes. Es ist schwer vorstellbar, dass ein Mensch wie Joly jemals in Rente geht. «Ich habe so viele Träume und so wenig Zeit.» Ein Satz, der uns noch lange in Erinnerung bleibt.

Die Wahrheit des Geschmacks

Die Erlebbarkeit der Lage und des Jahrgangs stehen bei Nicolas Jolys Weinen im Fokus. Der Coulée de Serrant ist sein Flaggschiff . Ein Wein, der zwischen Leichtigkeit und Bodenständigkeit schwebt, der Kosmos und Erde verbindet. Seine Weine brauchen Zeit auf der Flasche oder Luft und sollten nicht zu kühl genossen werden.

Les Vieux Clos 2013

2016 bis 2024

Einstieg in das Joly-Universum. Die Rebstöcke für diesen Blend aus fünf verschiedenen Savennières-Parzellen wachsen auf Sand und Ton. Wie alle Weine von Joly zu hundert Prozent Chenin Blanc. Die Trauben wurden in diesem Jahr nur sehr langsam reif, und der Botrytisbefall war gering. So verhalten, wie er sich zu diesem Zeitpunkt präsentiert, kann er noch gut ein bis zwei Jahre auf der Flasche verbringen, bis er trinkreif ist. Mit ausreichend Zeit frische Orangen, Honig, Safran und kandierte Zitrusfrüchte im Glas. Cremige Textur und sehr langer Abgang mit anregender Bitternote.

Clos de La Bergerie 2012

2015 bis 2030

Wieder hundert Prozent Chenin Blanc, aber aus der nur 3,5 Hektar grossen Appellation Savennières Roche-aux-Moines, die sich drei Weingüter teilen. Die Rebstöcke sind im Durchschnitt 25 Jahre alt und wachsen auf Schiefer. In der Nase deutlich expressiver als der Vieux Clos, aber elegant. Noten von Kamille, reifer Aprikose und frisch geschnittener Orange, dazu Honig und kräuterwürzige Aromen. Dicht, vollmundig, straff , lang, schmelzig. Angenehmem Restzuckerschwänzchen.

Coulée de Serrant 2013

2017 bis 2045

Die Ikone. Hundert Prozent Chenin Blanc aus der geschichtsträchtigen, gleichnamigen, sich vollständig im Besitz von Joly befi ndenden Appellation. Im Durchschnitt 35 bis 40 Jahre alte Rebstöcke, die auf Schiefergestein stehen. Strahlendes Bouquet mit kandierten Orangen und Salzzitronen. Noch etwas jung. Am Gaumen Chinin, Kreide, Orangenschale. Salziger Abgang mit Schieferwürze und etwas Phenol.

Coulée de Serrant 2012

2015 bis 2035

Die Lage ist erkannbar, die Aromatik schwebt zwischen Sellerie, frisch geschnittenem Holz, Kreide und Liebstöckel, dazu Honig und Orangenschale. Kraftvoller Typus mit dunkler Aromatik. Mineralischer, schmelziger Abgang.

 

Coulée de Serrant 2009

2015 bis 2025

Laut Joly ein lichtbetonter Jahrgang und einer der Jahrgänge, die den Klimawechsel verdeutlichen. Es war nicht sonderlich heiss, aber sonnig, und die Trauben brauchten lange, bis sie physiologisch ausreiften. Das äussert sich hier in 15,8 Vol.-% Alkohol. Deutlich reifere Aromatik, zunächst etwas belegt, dann rauchig, reifes Kernobst, am Gaumen deutlich kerniger.

 

Coulée de Serrant 2007

2015 bis 2040

2007 war ein sehr warmes, trockenes Jahr, in dem das Lesegut mit etwa zehnProzent Botrytisanteil gelesen wurde. Offenbar perfekte Bedingungen. Elegantes Bouquet mit Noten von Gebäck, Butterscotch, Speck, wieder Honig und etwas Krokant. Ausgezeichnete Säurestruktur, klar, geradlinig und kein bisschen verspielt. Ein karger Typus, lang und mineralisch.

Coulée de Serrant 1995

2015 bis 2025

Kaum zu glauben, dass dieser Wein fast 20 Jahre auf dem Buckel hat. Die Trauben wurden verhältnismässig früh, um den 25. September, gelesen, erinnert sich Joly. In der Nase sehr frisch, mit viel Honig, kräuterwürzigen Noten, gedörrten Früchten und gerösteten Nüssen. Gut strukturiert, kraftvoll, aber nicht überbordend. Ein Wein, der Eleganz und Jugendlichkeit ausstrahlt und salzig-fruchtig endet. Gross.

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