Winzerlegende: Álvaro Palacios, Katalonien
An der Spitze Spaniens
Text: André Dominé, Fotos: Mariano Herrera
Mit seiner unerschütterlichen Vision vom grossen Wein zeigt Álvaro Palacios seinem Heimatland den Weg in eine noch oft ungewollte, aber vielversprechende Zukunft.
Gratallops strahlt bunt im Morgenlicht. Am Vorabend hatten heftige Winde vom 50 Kilometer entfernten Mittelmeer um die alten Gemäuer gepfiffen. Doch jetzt ist es windstill, zwar noch kühl, aber eine herrliche Frühlingssonne weckt die Farben. Gegenüber der Kapitale des Priorats, die inzwischen 23 Bodegas beherbergt, thront Álvaro Palacios’ Kellergebäude auf einem Hügel. Vom Stararchitekten Jesús Manzanares 2003 konzipiert, hat es keinerlei Patina angesetzt. Ein moderner Klassiker. Klare Linien, überragt von einem kleinen quadratischen Turm. Álvaros Wohntrakt. Daneben steigt über Büroräumen und Gärkeller das traditionell mit römischen Schindeln gedeckte Dach an. «La masía» nennt Álvaro seine Kellerei angetan.
«Die meisten Menschen – nicht nur die Konsumenten, auch die Profis – sehen nur den Wein im Glas. Sie sehen nicht, was in den Weingärten stattfindet. Man muss aber sehen, wie sich eine Rebsorte an den Ort anpasst. Wenn man grössere Flächen in ökologischem Weinbau hat wie ich, stellt man fest, dass die lokalen Rebsorten am leichtesten zu behandeln sind.»
Er führt mich in den verglasten Verkostungsraum mit traumhaftem Blick aufs Dorf. «Du hast in den letzten 20 Jahren die spanische Weinszene revolutioniert», setze ich an. Er unterbricht mich vehement. «Ich bin nie ein Revolutionär gewesen! Nie habe ich den Rahmen der Appellation verlassen. Niemals! Weder im Priorat noch im Bierzo oder in der Rioja.» Vor knapp einem Jahr, als wir hier das letzte Mal zusammensassen, war er dabei, für den Consejo Regulador einen Katalog der Dörfer und ihrer Lagen aufzustellen. «Ich arbeite weiter daran, die echten Namen der Weingärten zu erfassen und sie zu lokalisieren. Das wird noch einige Zeit brauchen.»
Immerhin war der gebürtige Riojaner, als er 1989 ins Priorat kam, ein Aussenseiter, und die Einheimischen staunten verblüfft über den blutjungen Önologen. Dass er heute im Rat der DOCa Priorat aktiv dessen Politik mitbestimmt,spricht dafür, wie sehr seine Winzerkollegen ihn anerkennen. Damals hatte er gerade sein Studium in Bordeaux abgeschlossen und Erfahrung auf Château Pétrus gesammelt. «Meine Leidenschaft für grosse, herausragende Weine kommt aus Frankreich», gesteht er. «Mein Respekt für den Weinberg und den Weinbau ist dort gewachsen. Ich habe den Wert und die Aktualität der Tradition schätzen gelernt und eine Portion der Besessenheit mitbekommen, die einen dazu führt, immer nach perfekter Qualität zu streben.»
Auf seinen zahlreichen Reisen begriff er, dass die wirklich grossen Weine immer aus alten anerkannten Lagen stammen, ob in Frankreich, Deutschland oder im Piemont.«Das Maximum an Appellation, das wir in Spanien haben, ist jedoch regional», bedauert er. Das verbietet jede präzisere örtliche Bezeichnung auf dem Etikett.
«Spanien braucht eine Klassifizierung»
«In Spanien versteht man nicht, dass man, wenn man einen teuren Wein macht und ihn respektiert haben will, nicht nur die Qualität braucht, sondern dass er auch anerkannt sein muss. Nicht nur von dir als Erzeuger, sondern auch von der Verwaltung, der Region und vom Land. Spanien braucht eine Klassifizierung, eine anerkannte Qualitätspyramide.» Seit seiner Zeit in Frankreich versucht er, Spitzenlagen aufzuspüren. Im Priorat landete er 1993 einen Volltreffer. Damals erwarb er einen nach Nordosten ausgerichteten, mit alten Garnacha-Reben bestockten und von einer Einsiedelei gekrönten Schieferhang: L’Ermita. Teurer als Vega Sicilia 1995 lanciert, steht dieser Spitzen-Cru für Álvaros unbestechliche Suche nach höchster Qualität, trotz des Talents als Geschäftsmann.
Anfangs eine Assemblage der alten Garnacha mit einem Fünftel Cabernet Sauvignon, reduzierte Álvaro ab 2000 dessen Anteil immer weiter und füllte den historischen Weinberg mit dem Jahrgang 2006 zum ersten Mal pur ab. Dabei reduzierte sich die Menge von über 4000 auf 1200 bis 1400 Flaschen (2013 nur 650!). Dadurch gewann der Wein eine völlig neue Dimension. Allerdings auch im Preis. «Die höchste Qualität im Wein enthält etwas Spirituelles, etwas Unbeschreibliches, etwas Emotionales und Intimes», sagt Álvaro. Dafür ist er bereit, vier Leute einen Monat lang jeden Tag die Trauben von L’Ermita kontrollieren und jede Beere, die einen Ansatz von Graufäule zeigt, entfernen zu lassen. Wie beim warmfeuchten Finale 2014.
Alte Klone und Maultiere
Direkt hinter der Kellerei steigt der Weg an und führt in die Weinberge. Álvaro steuert den Geländewagen an Parzellen des Clos Mogador von René Barbier vorbei zur Finca Dofí. Die jungen Blätter tanzen leuchtend grün an den niedrigen Reben. «Ich habe immer Angst, wenn die Zeit des Blattaustriebs kommt», gesteht Álvaro. «Denn ich arbeite mit alten Klonen von Garnacha. Bei einem späten Blattaustrieb gibt es einen schlechten Beerenansatz, und man erhält nur eine kleine Ernte.» Als er die zehn Hektar grosse Finca Dofí 1990 kaufte, pflanzte er dort zusätzlich Cabernet, Merlot und etwas Syrah.
Als moderner Priorat begeisterte der Wein Kritik und Weinfreaks. «Die meisten Menschen – nicht nur die Konsumenten, auch die Profis – sehen nur den Wein im Glas. Sie sehen nicht, was in den Weingärten stattfindet. Man muss aber sehen, wie sich eine Rebsorte an den Ort anpasst. Wenn man grössere Flächen in ökologischem Weinbau hat wie ich, stellt man fest, dass die lokalen Rebsorten am leichtesten zu behandeln sind.» So hat er in den letzten acht Jahren fast alle internationalen Sorten auf Garnacha und etwas Samsó (Cariñena) umgepfropft – mit alten Klonen aus dem ältesten, 1910 gepflanzten Teil der L’Ermita und aus einem uralten Weinberg in Bellmunt, seinen zwei «genetischen Banken». Finca Dofí bestand 2011 zum ersten Mal nur aus Garnacha und einem Hauch von Cariñena.
Schon vor mehr als einem Jahrzehnt(ich kenne ihn, seit er 22 ist) sagte Álvaro zu mir, dass er sich vorgenommen hätte, die Distanz zwischen Trauben und Kelter, zwischen Weinbauer und Kellermeister zu überwinden. Dabei würde ein Wein sehr viel seines Charakters verlieren. Das hatte die Umstellung auf Bioanbau zur Folge und die (Wieder-)Einführung der Maultiere. An diesem Morgen pflügen drei Arbeiter mit drei Maultieren die fast einen Halbkreis bildenden Steilhänge von Finca Dofí. «Jetzt weiss ich, wie man ein Maultier kauft», erklärt Álvaro stolz. Die Reben sind im traditionellen Becherschnitt an Einzelpfählen erzogen. Beim Pflügen entstehen zwischen den Reihenebene, schmale Terrassen, die es so viel leichter machen, die Reben anschliessend zu spritzen. Höchste Weinbergskunst.
Keine halben Sachen
Auf dem Rückweg zur Kellerei, vorbei an den Saisonarbeitern, die den Bereich zwischen den Rebstöcken per Hand hacken, schellt Álvaros Handy. Nun ratterter in Castellano, lacht kehlig und beginnt plötzlich ein paar Takte Flamenco zu singen. Sein Freund Tio aus Andalusien. «Ich liebe es, Wein zu trinken und Flamenco zu singen», bekennt Álvaro. Am liebsten würde er Fino machen, aber dazu fehle ihm die Zeit. Schliesslich hat er mit seinem Neffen Ricardo Perez ein grossartiges Projekt im Bierzo verwirklicht: Descendientes de José Palacios. Ricardo stiess 1998 beim Städtchen Corullón auf alte Weinberge in Höhenlagen mit Schieferböden. Sofort erkannte Álvaro das herausragende Potenzial. Seither bestellt Ricardo die dortigen 40 Hektar Weinberge biodynamisch.
Ihr Villa de Corullón repräsentiert die Dorfappellation, nur existiert die noch gar nicht. Die Crus heissen Fontelas, Moncerbal, Las Lamas und La Faraona, ein Cru, der höchst rar ist. Alles Mencia-Weine von grossem Charakter. Dabei bezirzt das Duo mit dem Pétalos auch Bierzo-Neulinge. Jetzt haben sie Rafael Moneo damit beauftragt, dort eine Bodega zu bauen. Der Altmeister der modernen spanischen Architektur geht dabei 15 Meter in die Tiefe. Die Spitzenweine werden in einer natürlichen Höhle lagern. Álvaro mag keine halben Sachen. Mit dem Tod seines Vaters José im Jahre 2000 holte ihn die Rioja wiederein. Nun musste er sich um die Bodegas Palacios Remondo in Alfaro in der Rioja Baja kümmern. Álvaro verordnete ihnen eine Radikalkur. Er kündigte 28 von 30 Traubenlieferanten, stellte die eigenen Rebflächen auf schonenden Bioanbau um und Garnacha in den Vordergrund. Sein Hauptwein dort heisst La Montesa.
Jedes Jahr werden mehr als 600 000 Flaschen produziert. «Dieser Wein wird von Menschen getrunken, die niemals meine Spitzenweine probieren. Doch einige Leute rufen mich mitten in der Nacht an, so begeistert sind sie.» Das hindert ihn nicht daran, auch den Riojanern den Weg zu weisen. In diesen Monaten wird Valmira erscheinen, ein Garnacha aus einem einzigen, auf 620 Metern Höhe gelegenen Weinberg. Ein Wein mit Ursprung und Zukunft. Und einer neuen Dimension für Spaniens erfolgreichste Markenwein-Region. Nichts kann Álvaro Palacios auf der Suche nach dem Gral der Grands Crus aufhalten.
Vielfaches Genie
Obwohl jede Region ihre eigene Prägung, jedes Terroir seine Persönlichkeit hat, braucht es doch immer einen Spitzenwinzer, um dem Wein wirklich tiefgründigenAusdruck zu verleihen. Dass Álvaro Palacios in drei völlig verschiedenen Gebieten herausragende Weine erzeugt, beweist, welche Meisterschaft er erreicht hat.
Álvaro Palacios
Les Terrasses DOCa
Priorat 2013
17.5 Punkte | 2016 bis 2028
Dieser Wein hat viele Weinliebhaber weltweit auf den Priorat-Geschmack gebracht. Garnacha- und Cariñena-Trauben von 60 bis 90 Jahre alten Reben stammen aus neun Gemeinden. Die Trauben reifen in 30-tägiger Maischegärung und elf Monate in französischen Barriques. Der Jahrgang 2013 ist ungemein konzentriert und hat enorme Frucht und Länge.
Álvaro Palacios
L’Ermita DOCa
Priorat 2012
20 Punkte | 2017 bis 2037
Aus dem legendären, 1910 und 1939 gepflanzten Weinberg. Der Wein besteht aus Garnacha mit 7% Cariñena. Er wurde 45 Tage in Holzbottichen vinifiziert und reifte danach 16 Monate in grossen neuen Fässern. In der Nase äusserst vielschichtig mit Noten von Wildkräutern, Erdbeeren und Grapefruit, am Gaumen unglaublich dicht und saftig, mineralisch, ja sogar vibrierend. Im Abgang hat er eine sensationelle Länge.
Descendientes de J. Palacios
Las Lamas DO
Bierzo 2012
19 Punkte | 2017 bis 2032
Die Trauben stammen von den sieben Parzellen des steilen Weinhangs in Corullón. 98% Mencia, 2% Alicante Bouschet. Spontangärung in offenen Eichenbottichen mit Pigeage, 39 Tage auf der Maische, 20 Monate Ausbau.In der Nase weisse Blüten, Heidel- und Maulbeeren, Graphit. Am Gaumen intensiv, eigen, wild, seidige Textur.Sehr raffiniert.
Descendientes de J. Palacios
La Faraona DO
Bierzo 2011
19Punkte | 2016 bis 2036
Eine Rarität aus dem höchsten Weinberg von Corullón. 68 Jahre alte Mencia-Stöcke bilden die Grundlage. Vinifikation wie bei Las Lamas, Ausbau zwölf Monate. Markanter Geruch von feuchtem Schiefer, dann Hagebutten,Heidelbeeren und Rauch. Eine Textur fast wie bei Schokolade, vollmundig, erdig-mineralisch, enorme Spannung und Charakter.
Bodegas Palacios Remondo
Plácet Valtomelloso DOCa
Rioja 2012
17 Punkte | 2015 bis 2020
Der Plácet Valtomelloso ist Álvaro Palacios’ einziger Weisswein aus biologisch kultivierter Viura von einerHöhenlage bei Alfaro. In ovalen Fudern wurde er zum Teil auf den Schalen vergoren und ausgebaut. Er gefällt durch eine komplexe Nase mit Ginsterblüten, Pfirsich und Bienenwachs. Am Gaumen wirkt er intensiv und cremig,wahrnehmbar ist eine Note von Fenchel. Sehr ausgewogen im Abgang.Ein grosser Wurf!
Bodegas Palacios Remondo
Propiedad DOCa
Rioja 2011
17.5 Punkte | 2017 bis 2026
Eine Vorstufe zur Einzellage Valmira aus den fünf traditionellen Garnacha-Weingärten zu Füssen der Sierra de Yerga. Reizvolle Nase mit klaren Noten von Erdbeeren, Kirschen, Grapefruit, Rosmarin und Eichenwürze. Obwohl am Gaumen spürbar sanft und voll, endet der Propiedad Rioja 2011 trotzdem betont mineralisch und ausgeprägt würzig.