Winzerlegende: Christian Zündel, Tessin, Schweiz

Der grosse Zweifler

Text: Benjamin Herzog, Fotos: Jörg Wilczek

  • Christian Zündel
    Christian Zündel begann 1981 mit Weinbau und kelterte 1986 seinen ersten Wein.
  • Christian Zündel
    Mit viel Hingabe und mit Hilfe biodynamischer Methoden kümmert er sich um seine Reben, im Keller dagegen ist Minimalismus angesagt.
  • Christian Zündel
    Gut vier Hektar Reben stehen heute in seinem Besitz – bepflanzt mit Merlot und Chardonnay.
  • Christian Zündel
    «Das Zweifeln ist Teil meiner Methode. Ohne Zweifel keine Reflexion, ohne Reflexion keine Hypothese, ohne Hypothese keine Zukunft.»

Christian Zündel gehört zu den Pionieren des «Merlot del Ticino», über die Jahre entwickelte er sein eigenes Ideal des perfekten Tessiner Weins. Ob er diesen je keltern wird, bezweifelt er, seinen Fans aber hat er längst bewiesen, dass er zu den grossen Weinmachern südlich der Alpen gehört.

 

Christian Zündel hat sein Mobiltelefon eigentlich nie dabei, er hat keinen gestylten Verkostungsraum, und sein Weingut ist auch nicht gross angeschrieben. Der Name steht auf einem Schild bei der Klingel, verkostet wird in Küche oder Wohnzimmer, und wer Christian Zündel erreichen will, schreibt ihm am besten eine E-Mail. «Ich mag Dinge, die Bestand haben», sagt er und demonstriert den Klang seiner Hi-Fi- Anlage im Wohnzimmer. Eine speziell für diesen Raum optimierte und hergestellte Anlage und eigentlich der einzige technische Luxus, den man im Haus Zündel findet den Keller inbegriffen.

Seit Ende der 70er Jahre leben Christian Zündel und seine Frau Anne de Haas im Dörfchen Beride im südlichsten Zipfel des Tessins. Sie bewohnen ein grosses, mediterran anmutendes Haus, durch dessen wilden Garten es direkt in den Keller geht. Seit 1995 keltert Christian Zündel hier seine Weine. Es war auch in dieser Zeit, als er seine Vorstellung vom «idealen Merlot del Ticino» zu entwickeln begann von einem grossen Rotwein, der seine südalpine Herkunft voll zum Ausdruck bringt.

Christian Zündel ist studierter Naturwissenschaftler mit Ausrichtung Bodenkunde, und als solcher hinterfragt er seine Umwelt und sich selber ständig. 1986 kelterte er seinen ersten Merlot im Tessin. «Ich war naiv und hatte eigentlich keine Ahnung.» Wie viele Kollegen damals träumte auch er vom «Vino importante», so bezeichnen die Italiener einen beeindruckenden, monumentalen Wein, der auch bei Weinwettbewerben gute Chancen hat. Die Tessiner Winzer schafften sich entsprechende Gerätschaften an und setzten diese fortan auch ein, Zündel allerdings nur für wenige Jahre: «Monumente sind zum Anbeten da, nicht zum trinken», sagt er heute. Als er Mitte der 90er Jahre sein Schaffen reflektierte, merkte er bereits, dass ihm seine «naiven Weine» aus den allerersten Jahrgängen besser schmeckten als die technischeren, fetteren Weine der neuen Zeit. Die Veränderung zur naturnahen, klassischen Produktion war besiegelt.

Bio als logische Konsequenz

1999 hat Christian Zündel letztmals den im Tessin weit verbreiteten Vakuumverdampfer eingesetzt, seit 2003 produziert er biologisch. Seine Betoneier benutzt er höchstens noch als Behältnis vor der Füllung, weil es darin ausgebauten Gewächsen an Lebendigkeit fehlte und vom Herausschneiden von Trauben am Stock hält er schon lange nichts mehr, denn dieses Massregeln verwirre die Reben nur, viel besser sei es, sie über Jahre hinweg mittels Rebschnitt so zu lenken, dass sie einem geben, was man von ihnen erwartet.

Christian Zündel ist ein grundehrlicher Mensch, manchmal kommt er einem vor wie ein verrückter Professor, wenn er seine Lesebrille, die er um den Hals trägt, immer wieder auf- und absetzen muss. Er steht in seiner bekanntesten  Lage Orizzonte und erzählt von den kalten Luftströmen, die sich auf der einen Seite dieses Hügels allabendlich ins Tal ergiessen: «Auf dieser Seite müsste eigentlich Weisswein stehen», sagt er ohne Umschweife. Christian Zündel ist ein Zweifler, wirklich zufrieden mit seinen Produkten und seiner Arbeitsweise kann ein Typ wie er nie sein. «Das Zweifeln ist Teil meiner Methode», sagt er. «Ohne Zweifel keine Reflexion, ohne Reflexion keine Hypothese, ohne Hypothese keine Zukunft.»

Gerade zu der Tessiner Haussorte dem Merlot hat sich Zündels Verhältnis in den letzten Jahren stark gewandelt. Nach dem «Vinoimportante», dem Concourswein, strebt er schon lange nicht mehr. Ihn interessiert die Unverfälschtheit, die Subtilität und Bekömmlichkeit eines Weines. «Ich strebe nach der Versöhnung der hier hereingewanderten Sorte Merlot mit ihrer neuen Heimat.» Als Ansporn dienen ihm dabei nicht etwa Merlots aus aller Welt, sondern andere, «noblere» Varietäten, wie sie Zündel selber bezeichnet und damit etwa Nebbiolo oder Pinot Noir meint.

Doch mit diesen Varietäten kann Zündel im regnerischen Tresa-Tal nicht arbeiten. «Ich mag diese Sorten zu gerne, um daraus einen schlechten Wein zu machen», sagt er schmunzelnd. Und so hat er sich in den letzten Jahren immer mehr der weissen Burgundersorte Chardonnay zugewendet – mit mehr als überzeugenden Resultaten.

So wenig wie möglich, so viel wie nötig

Auf die Idee, im Tessin Chardonnay anzupflanzen, kam Christian Zündel beim Genuss eines Burgunders der legendären Domaine Coche-Dury. «Ich hatte damals von Chardonnay keine Ahnung, aber dieser weisse Burgunder war umwerfend», sagt er – ein für seine weitere Entwicklung entscheidender Moment. Fortan beschäftigte er sich intensiv damit. «Der Chardonnay hat mich mit seiner widersprüchlichen Art, sich zu entwickeln, auf das Feld gewiesen, das ich nun beackere.»

Christian Zündel macht bei der Weinbereitung so wenig wie möglich und so viel wie nötig als Vorbild dienen ihm etwa grosse Burgunderwinzer. Für einen ungeduldigen Menschen, wie er es ist, gar nicht so einfach. Doch auch seine Merlot-Weine profitieren heute von den Erfahrungen, die er bei der Chardonnay-Bereitung gemacht hat. Die schonende, einfache Vinifikation mit natürlichen Hefen und der zurückhaltende, lange Ausbau erinnern tatsächlich an eine abgewandelte Form der «Weisswein-Élevage».

Wie ein Schwarz-Weiss-Bild

Christian Zündels Frau Anne de Haas kann die Ungeduld ihres Mannes nachvollziehen: «Wir sind uns sehr ähnlich», sagt die Textildesignerin, die ihr Atelier gleich hinter dem Keller ihres Mannes hat. Diese Ähnlichkeit sei auch der Grund, warum die beiden nicht zusammenarbeiten. Anne de Haas kann mit Reben aber auch nicht viel anfangen, ihr Arbeitsmaterial sind die Textilien, zurzeit ist es das Filzen, das es ihr angetan hat. In aufwändigen Verfahren und mit viel handwerklichem Geschick kreiert sie Kleidungsstücke, die an Kunstwerke grenzen und genau wie die Weine ihres Mannes monetär schwer zu kalkulieren sind.

«Das Zweifeln ist Teil meiner Methode. Ohne Zweifel keine Reflexion, ohne Reflexion keine Hypothese, ohne Hypothese keine Zukunft.»

Reich wird man weder als selbstständige Textildesignerin noch als Spitzenwinzer mit vier Hektar. Trotzdem ist Christian Zündel heute so etwas wie ein Vorbild für viele Weinmacher in der Schweiz und darüber hinaus geworden. Christian Zündel war lange Jahre im Vorstand der Tessiner Selbstkelterer aktiv. «Wir Älteren haben irgendwann gemerkt,dass es Zeit wurde, den Jungen Platz zu machen», sagt er. Im Tessin sei es völlig normal, dass man so handle, und auch, dass man andere Ansichten respektiere. Anderswo wäre es für Zündel wohl nicht so einfach gewesen, sein Weinideal zu entwickeln. «Leute mit eigenen Ideen gibt es hier schliesslich viele», sagt er.

Christian Zündel mag seine Heimat, das Sottoceneri – das Südtessin, die Gastfreundschaft der Menschen, die seit jeher in einer Durchgangsregion leben. Er holt aus seiner grossen Büchersammlung im Wohnzimmer den Bildband «Tessin. Aus meinem Leica-Skizzenbuch» von Rudolf Pestalozzi hervor. Zu sehen gibt es darin Schwarz-Weiss-Fotos, besonders gut gefällt ihm eine Aufnahme des Sottoceneri. «Die Sanftheit dieser Landschaft ist unglaublich gut getroffen», meint ChristianZündel. «Die Aufnahmen zeigen das Tessin, wie ich es in der Erinnerung trage. Natürlich ist es heute nicht mehr unbedingt so. Vielleicht leider.»

Die Bilder von Pestalozzi, mit einer kleinen Leica geschossen, sind also durchaus zu vergleichen mit dem, was Christian Zündel mit seinen Weinen transportieren will. Seine aktuellen Jahrgänge im Keller bezeichnet er noch immer als «Fingerübungen». Zündels Skizzenbuch wächst seit 33 Jahren und ist schon heute voll mit Höhepunkten.

Christian Zündel - Chardonnay del Ticino

Die Tessiner Haussorte Merlot hat Christian Zündel berühmt gemacht, jedoch zweifelt er heute daran, ob diese das Südtessiner Terroir optimal transportieren kann. Deshalb setzt er vermehrt auch auf den Chardonnay – mitmehr als überzeugenden Resultaten.

Weine des Winzers

 

1 Merlot Villa 2011

15.5 Punkte | 2014 bis 2017

Elegantes, zurückhaltendes Bouquet mit Amarenakirsche und Röstaromen. Mit Luft auch Schokolade, Brombeere und Pfeffer. Vielschichtig. Am Gaumen eher schlank, mit spürbarem Tannin und mittellangem, kirschigem Abgang.

 

2 Merlot Sass 2011

17 Punkte | 2014 bis 2018

Appetitliche Aromatik mit Kirsche, dunklen Waldbeeren, Rauch, Mandeln und Kräutern. Am Gaumen druck- und kraftvoll, aber auch geschmeidig. Von einem eleganten, reifen Tannin getragen. Endet lang auf Sauerkirschen.

 

3 Merlot Terraferma 2011

16.5 Punkte | 2014 bis 2020

Etwas wilde, aber vielversprechende Aromatik mit Rindfleisch, Malz, frischer Kirsche, Waldbeeren und Efeu. Auch rauchig. Am Gaumen buttrig mit Kirschen- und Kokosaromen, wirkt rund und geschliffen. Frisch und elegant. Endet lang auf Beerenaromen und Lorbeer.

 

4 Merlot Orizzonte 2011

17.5 Punkte | 2014 bis 2024

Offene und präsent-fruchtige Nase mit Kirsche, Lorbeer und Zimt. Dazu auch Schokolade und edles Holz (Limousin). Allgemein rein und edel. Am Gaumen von Beginn an präsent mit absolut harmonischem Gaumenlauf. Mittlere Breite mit Kirscharomen im langen Finale, das in einer angenehmen Salzigkeit endet. Bekömmlich mit reif wirkendem Tannin. Gross.

 

5 Chardonnay Velabona 2011

16.5 Punkte | 2015 bis 2025

Braucht Luft. In der Nase getrocknete Ananas, Stroh sowie würzige Vanille und Birnenaromen. Mit Belüftung zusehends floral-buttrig. Am Gaumen zwar säuregeprägt und präzise, aber dennoch mundfüllend. Von einem angenehmen Schmelz geprägt, im Finale aber säurebetont. Mineralischer, langer Abgang mit einem ätherischen, minzeartigen Eindruck. Sollte unbedingt noch reifen.

 

6 Chardonnay Dosso 2011

18.5 Punkte | 2015 bis 2030

In der Nase Nougat- und Orangenaromen, dazu dezent Flieder und auch Stroh. Am Gaumen druckvoll, mundfüllend und von einer harmonischen Balance zwischen Schmelz und Säure getragen. Extrem lang und dank der tragenden Säure schon jetzt trinkanimierend. Retronasal Quittenkompott. Französisch eleganter und extrem harmonischer Chardonnay. Ein Langstreckenläufer.

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