Schlossherr, Jäger, Spitzenwinzer • Unique Wineries of the World – Schweiz
Von Tscharner Schloss Reichenau, Reichenau-Tamins
Fotos: z.V.g., FABO Communication AG, atelier26
Die Spuren der Familie von Tscharner im weitläufigen Schloss Reichenau reichen zwar bis ins 18. Jahrhundert zurück, doch Wein wird im kühlen Schlosskeller erst seit 1976 gekeltert. «Zum Fleisch aus eigener Jagd braucht es nun halt einfach eine gute Flasche Wein», beantwortete der heute 74-jährige Gian-Battista von Tscharner mal die Frage danach, warum er Winzer wurde. Seit 2012 ist mit seinem Sohn Johann-Baptista nun die zweite Generation am Werk, vor einigen Monaten hat er den Betrieb auch formell übernommen. Er hat von seinem Vater ein komplexes Gebilde bekommen, wäre er Uhrmacher, würde man von einer Grande Complication sprechen. Denn die sechs Hektar Reben, die der 36-Jährige bewirtschaftet, verteilen sich auf fünf Weinbaudörfer und 13 Parzellen. Darauf wachsen zwölf Rebsorten, die 20 verschiedene Weine ergeben. Warum es sich einfach machen, wenn es kompliziert auch geht? Nun: Johann-Baptista liebt einfach die vielfältigen Facetten seines Metiers.
Die von Tscharners sind nie irgendwelchen Trends hinterhergelaufen. Sie setzen lieber eigene, oft antizyklische Akzente. Das zeigt sich exemplarisch beim Pinot Noir Mariafeld, benannt nach dem gleichnamigen Schweizer Klon. Ein echter Charakterwein mit Ecken und Kanten und einer bewundernswerten Frische. Der Mariafeld war bei den Deutschschweizer Winzern zuerst heiss begehrt, wurde dann aber ab den 90er Jahren als zwar pflegeleicht und ertragsreich, aber qualitativ zweitklassig gebrandmarkt. Begehrt waren nun die kleinbeerigen Burgunderklone… Die von Tscharners machten das Theater nicht mit und hielten dem Mariafeld die Treue. Und lagen damit goldrichtig. Denn der Mariafeld-Klon ist spätreifend, ideal in Zeiten der Klimaerwärmung. Und die Beeren haben eine dicke Haut, was sie gegen Insekten wie die Kirschessigfliege, aber auch gegen Mehltau und Fäulnis schützt. «Ja, der gebrandmarkte Mariafeld-Klon macht uns heute viel Freude», sagt Johann-Baptista.
«Der lange verfemte Mariafeld-Klon macht heute wieder Freude.»
Johann-Baptista von Tscharner
Lange Zeit waren die von-Tscharner-Weine auf fast barocke Weise reichhaltig. Zudem brauchten die Weine einige Jahre, bis sie ihre optimale Trinkreife erreichten. Dafür hielten sie lange, manchmal fast ewig. Als 2021 auf Schloss Reichenau eine grosse Gala für den Completer gefeiert wurde, weil er exakt 700 Jahre früher erstmals in einem Dokument des Domkapitels Chur erwähnt worden war, wurden ein 1990er und ein 1992er Completer aus dem Hause von Tscharner entkorkt. Ein einmaliges Erlebnis. Grandiose Rancio- und Tertiäraromen sowie eine bewundernswert saftig-frische Präsenz im Gaumen zeichneten die Raritäten aus.
Johann-Baptista pflegt inzwischen einen etwas frischeren Stil, auch bereiten die Weine schon früher Trinkvergnügen. Der eigenständige Charakter und das Reifepotenzial sind zum Glück geblieben. Genauso wie der behutsame Ausbau. So liegt der Blauburgunder Mariafeld vier Jahre im Keller, bevor er in den Verkauf kommt. Und dem Completer geben sie, falls nötig, noch mehr Zeit. Wer das von tscharnerische Universum verstehen will, muss nach Reichenau fahren. Man kann hier übrigens auch verschiedene Räumlichkeiten im Schloss mieten, für Geburtstage, Hochzeiten und andere Feste – Episoden aus der langen Geschichte gibt es bei solchen Anlässen gratis, die von-Tscharner-Weine aber natürlich nicht…
Unsere Selektion
Mariage Pinot Blanc / Chardonnay 2022 Maienfeld, AOC Graubünden
Assemblage aus Pinot Blanc (70%) und Chardonnay (30%), ohne Säureabbau im Stahltank vinifiziert. In der Nase reintönig und klar, mit Aromen von Pfirsich, Agrumen, auch kräuterwürzige Noten. Im Gaumen sehr ausgewogen, mit Grip und einer saftig-beschwingten Säure. Animierend.
Hoharai Blauburgunder 2020 Felsberg, AOC Graubünden
Entrappt und nach Kaltstandzeit mit Wildhefen vergoren, danach 25 Monate in Barriques (25% neu) gereift. Aromen von Waldbeeren, Johannisbeeren, Lakritze, dazu ein Anflug von Kräutern, Rauch und Zedernholz. Im Gaumen kraftvoll, mit guter, warm anmutender Fülle. Saftige Säure. Langanhaltend. Braucht noch Zeit.
Mariafeld Blauburgunder 2018 Jenins, AOC Graubünden
Entrappt und nach Kaltstandzeit mit Wildhefen vergoren, 36 Monate in gebrauchten Barriques gereift. Aromen von dunklen Kirschen, dazu ein Anflug von Liebstöckel, Weihrauch, Unterholz und Erde. Im Gaumen überaus klar strukturiert und temperamentvoll. Erfrischend pfeffrig im Abgang.