Viña De Martino, Isla de Maipo, Chile

Back to the Roots

Text: Ursula Geiger, Fotos: z.V.g.

De Martino gehört zu den etablierten Betrieben nahe der chilenischen Hauptstadt. Seit einigen Jahren geben Sebastián und Marco Antonio mächtig Gas, krempeln die Ärmel hoch, trennen sich von alten Zöpfen und keltern Weine, die für Chile wegweisend sein könnten.

Sebastián De Martino erinnert sich an den denkwürdigen Lunch. 2007 oder 2008 sei es gewesen. Er und sein Bruder waren nach ihren Studien gerade in den Betrieb eingestiegen. Die ganze Familie sass damals um den grossen Tisch, als der Grossvater eine Flasche 2005er Rotwein öffnete, allen einschenkte, selbst kostete – und danach ein Donnerwetter vom Stapel liess: Dieser plumpe, überkonzentrierte Wein mache ihm keine Freude. Er passe nicht zum Essen, nicht zur Pasta mit der frischen Sugo, nicht zum Gemüse, nicht zum Fleisch. Zudem habe er nach dem ersten Glas schon genug. «Danach herrschte ungemütliches Schweigen», erzählt Sebastián. «Doch damals war diese Stilistik besonders in den Exportmärkten gefragt. Von Weinen aus Chile erwartete man Kraft, Fruchtdichte und den Einfluss neuer Barriques. Das Terroir hatte zu der Zeit in Chile noch nicht so einen grossen Stellenwert. Das Gros der Flächen ist mit den klassischen Bordeaux-Sorten bestockt und darum ist es der Blend, der den Wein prägt.»

Doch die Botschaft des Grossvaters wurde gehört. Und die De Martinos verstanden es, die Vielfalt der Weinregionen in diesem langgestreckten Land – immerhin 4300 Kilometer von Nord nach Süd – zu nutzen. Bis heute haben sie 347 Rebparzellen in ganz Chile erkundet und bewertet. Bei einem Besuch im Jahr 2011 hatte sich schon enorm viel geändert. Gemeinsam mit dem genialen Weinmacher Marcelo Retamal verkostete ich Weine, die elegant, ja fast subtil waren. Die Trauben stammten von Rebflächen aus der Region Limari im Norden, von kleinen Parzellen in den Hügeln am Rande der Atacama-Wüste. Grüne Farbtupfer in einem Meer aus weissem Stein. Oder aus Lagen in der Nähe des Pazifiks, wo der kalte Humboldtstrom für ein ausgeglichenes Klima sorgt. Trauben von uralten Rebstöcken im Maipo Valley wurden separat vinifiziert und nicht in Barriques ausgebaut, sondern in Fuderfässern, in Beton und Edelstahl.

Neues Terroir im Süden

Die Auswirkungen vom schweren Erdbeben 2010 mit einer Stärke von 8,8 auf der Richterskala und dem Epizentrum in Concépcion, rund 500 Kilometer südlich von Chile, waren 2011 noch allgegenwärtig. Im Maule-Tal standen kaputte 10 000-Liter-Edelstahltanks in den Höfen der Kellereien, die aussahen, als hätte ein Riese mit der Faust darauf gehauen. Im Maipo-Tal hielten sich die Schäden in Grenzen. Selbst die Amphoren, die etwas abseits festgezurrt in Holzrahmen im Keltergebäude standen, blieben unversehrt. Die kämen aus dem Süden und seien für ein neues Projekt bestimmt, erzählte Marco Antonio damals. Heute kann man das Resultat des «neuen Projekts» im Süden trinken und es hat auch einen Namen, oder besser gesagt zwei: «Itata» und «Viejas Tinajas». Eine verrückte Geschichte, die nur Passionierte zustande bringen, die in der vierten Generation mit dem Weinmachen und der Geschichte der «Neuen Heimat» verwurzelt sind.

«Vielen ist nicht bewusst, dass die ersten Reben in Lateinamerika im Süden Chiles gepflanzt wurden», erzählt Sebastián De Martino und gibt gleich eine Geschichtslektion: Die Spanier besiedelten den Kontinet von Kap Horn her kommend und gingen im heutigen Concepción, rund 450 Kilometer südlich von Santiago, an Land, wo der Fluss Bío Bío in den Pazifik mündet. Flussaufwärts fanden die Conquistadores sehr gute Voraussetzungen für die Landwirtschaft: fruchtbare Böden, mediterranes Klima und genügend Regen. Wein war im 16. Jahrhundert eines der Hauptnahrungsmittel für Soldaten und unverzichtbar für die Priester, die mit ihrer Missionsarbeit begannen. Die ersten Reben wurden 1551 gepflanzt. Die Schösslinge der Sorten Listan Prieto und Muscat d’Alexandrie stammten von den Kanaren. Der Weinbau florierte, die Weine waren renommiert und wurden über den Bío Bío via Concepción nach Valparaiso verschifft. Erst im 19. Jahrhundert, als die adligen Familien nach Frankreich reisten und von dort Schnittholz der Sorten Cabernet Sauvignon und Merlot nach Chile brachten, verlor die Region an Bedeutung. Wegen der Reblauskrise in Europa kamen auch viele Weinmacher aus Frankreich ins Land. Der chilenische Weinbau wanderte vom Süden in den Norden. Cabernet Sauvignon und Merlot wurden die wichtigsten Rebsorten und die Weinregion rund um den Bío Bío und seinen Zuflüssen geriet ein wenig in Vergessenheit. «Der grosse Vorteil in Itata ist die Verfügbarkeit von Wasser und das kühlere Klima. Während der Reife streicht hier immer ein Wind durch die Reben, trocknet die Trauben und verhindert den Befall mit Pilzkrankheiten», beschreibt Sebastián das Terroir. Das ermögliche eine biologische Bewirtschaftung. Gemeinsam mit Bruder Marco Antonio investierte er in die Region, erwarb Rebland mit uralten Stöcken und den dazugehörigen Hof. Und die Amphoren? «Die sind das Erbe der Mapuche, der Ureinwohner der Region. Die Mapuche lagerten in den Amphoren ihre Nahrungsmittel, später auch Wein. Oft finden sich in den irdenen Gefässen noch Überreste von Honig und Bienenwachs.»

«Wir keltern Weine, die ihre Herkunft widerspiegeln, die pur, elegant und eigenständig sind.»

Den Weinen aus Itata ist das kühlere Klima anzumerken. Sie haben eine straffe Säure und einen Alkoholgehalt von rund 12,5 Volumenprozent. Aus Respekt vor der Natur, dem Boden und dem historischen Erbe werden die Reben biologisch bewirtschaftet. Maschinen, die den Boden verdichten, kommen hier nicht zum Einsatz. Stattdessen wird Pferd Gina vor den Pflug gespannt. Die Trauben werden in Lagares aus Beton eingemaischt, der Wein in den klassischen Amphoren der Mapuches ausgebaut. Neben dem roten Cinsault aus der Amphore wird auch ein Orange Wine aus Muscat d’Alexandrie vinifziert, der für Winemaker Marcelo Retanal der ideale Durstlöscher während der Vorbereitungen für ein Asado, das traditionelle chilenische Barbecue, ist. Itata mausert sich zu einer der spannendsten Weinregionen in Lateinamerika. Einst renommiert, dann vergessen und während der Pinochet-Ära zu einem riesigen Forstgebiet mit schnell wachsenden Kiefern umgemodelt. «Nadelbäume und Rebstöcke bestimmen die Landschaft in Itata. Wir hoffen, dass es bald mehr Rebstöcke als Kiefern sind und Itata wieder als Region für die Produktion von Spitzenweinen wahrgenommen wird!»

Weine im Clubpaket

DO Valle de Maule Vigno Carignan
La Aguada Vineyard 2016

2020 bis 2030

Leichte Rauchnoten in der Nase, dann dunkle, herbe Frucht. Geradlinig am Gaumen, straffe, lebendige Säure in Kombination mit feinkörnigem Tan-nin. Endet auf Röstnoten und dunkle Schokolade.

Mariage: passt zu saftigen Steaks und zu kräftigen Eintopfgerichten wie Chili con Carne.

 

DO Itata Cinsault Viejas Tinajas 2018

2020 bis 2028

Das neue Projekt der De-Martino- Brüder im Süden Chiles, ausgebaut in Amphoren. Fast blumiges Bouquet (Pfingstrose), sanfte, beerige Frucht.Extrem lang am Gaumen mit sanften Tanninen und feinwürziger Aromatik.

Mariage: zu Pastagerichten mit milder Sauce, zu Gemüseauflauf oder zu einem sämigen Risotto Milanese.

 

DO Valle de Maipo Carmenère Single Vineyard Alto de Piedras 2017

2020 bis 2032

Präzise Brombeerfrucht im Bouquet und feiner, süsser Würze prägen den chilenischen Ur-Carmenère, der dicht am Gaumen ist, mit rundem, feinem Tannin, und seine kernige, straffe Art im Finale zeigt, dazu Noten von dunkler Schokolade und nassen Kieselsteinen.

Mariage: zu Wildbret, auch zu Wildgeflügel wie Rebhuhn. Spannend zu Bœuf Bourguignon.