Weingut Ratzenberger, Mittelrhein

Der Kontaktmann

Text und Fotos: Alice Gundlach

Zeit lassen und Zeit nehmen: Das ist das Erfolgsrezept von Jochen Ratzenberger. Seine Weine reifen überdurchschnittlich lange, bevor sie in den Verkauf kommen. Edelsüsse und Grosse Gewächse von Steillagen sind in Toplokalen weltweit vertreten. Seine Schaumweine zählen zu den besten Deutschlands.

Jochen Ratzenberger spricht schnell am Telefon. Es wirkt, als ob er beim Aussprechen in Gedanken schondrei Ecken weiter ist. Es ist Anfang Oktober, der Mittelrhein steht kurz vor dem Lesebeginn, und auch er hat alle Händevoll zu tun. Aber Zeit für einen Gast, die nimmt er sich trotzdem. Tags darauf beim Besuch im Weingut in Bacharach-Steeg wirkt er dann sehr entspannt – und lädt direkt zur Fahrt in die Steilhänge ein. Und es sind wirklich verdammt steile Hänge hier am Mittelrhein. Bis zu 70 Prozent Steigung haben die Weinberge, dies ich zum Rhein hinunter erstrecken. Klar, dass hier nur Handlese möglich ist. Monoracks– Einschienenbahnen, mit denen man Arbeitsmaterial und Mitarbeiter auf die höchsten Hänge und Kisten mit Traubenherunterschaffen könnte – fahren hier keine. Seine Frau Judith und seine Töchter Anna (17) und Paula (13) sind schon mit seinen Mitarbeitern und einigen Helfern im Weinberg. Sein Bruder André ist mit seinen Kindern Johanna (17) und den Zwillingen Clemens und Luise (13) auch mit dabei. Heute ist der erste Tag der Lese, und deshalb gibt es besondere Erntehelfer: Im Weinberg stehen die Mitglieder des Damscheider Weinkonvents und lesen Müller Thurgau. Dieser Verein von weinbegeisterten Einwohnern eines Nachbarortes wurde gegründet, nachdem dort die Genossenschaftskellerei aufgegeben hatte. Seitdem bauen die Hobbywinzer dort selbst Wein an und lassen ihn teilweise von Jochen Ratzenberger ausbauen. Als Gegenleistung helfen sie ihm einen Tag lang bei der Lese.

Wie bei den meisten Betrieben am Mittelrhein spielen auch bei Jochen Ratzenberger die edel süssen Weine eine wichtige Rolle. Ausgebaut und verkauft werden aber überwiegend trockene Weine. Der Grossteil davon stammt aus Riesling, denn keine andere Traube gedeiht so gut in dem eher kühlen Klima. Von den Lagen Bacharacher Wolfshöhle und Steeger St. Jost stammen die Grossen Gewächse. «Der Riesling hier präsentiert sich so, wie das Anbaugebiet geografisch liegt – zwischen dem Schmelz des Rheingau und der Aromatik der Saar», findet Ratzenberger.

Handgerüttelter Sekt

Doch das Weingut hat sich vor allem mit einer Sparte einen Namen gemacht, die man in der Region heute selten findet: Sekt. Um 1900 wurden am Mittelrhein noch grössere Mengen Schaumwein hergestellt. Der bedeutendste Hersteller war Georg Geiling, der die Flaschengärung aus der Champagne ins Mittelrheintal brachte. Heute gibt es den Betrieb nicht mehr, und in der ehemaligen Sektkellerei in Bacharach stellt eine Edelmanufaktur schicke Fliesen her. 1987 begann Vater Hans-Jochen Ratzenberger mit der Sektherstellung– «ab dann war es in Deutschland möglich, Sekt im weingutseigenen Keller zu lagern, ohne dass dann schon die Sektsteuer fällig wurde», erklärt Jochen Ratzenberger. Insgesamt vier Jahre lagern die Sekte auf der Feinhefe. Eine sauerstoffarme Gärung führt dazu, dass der Sekt eine cremige Textur und gleichzeitige in harmonisches Süsse-Säure-Spiel erhält. Nach der traditionellen Methode werden die Flaschen auch mit der Hand gerüttelt. Der überwiegende Teil des Sektes wird aus Riesling hergestellt. Ausserdem produziert das Weingut eine kleine Charge Blanc-de-Noirs-Sekt aus Spätburgunder. Die Trauben für den Rieslingsekt kommen ausschliesslich aus der Lage Kloster Fürstental, das steht aber seit dem Jahrgang 2011 nicht mehr auf dem Etikett. Der Grund: Da Ratzenberger ein VDP Winzerist, müsste er ihn als Erste Lageklassifizieren und damit in einer höheren Preisklasse anbieten – was er nicht will.

Qualitätstourismus statt Kegelclubs

Das Weingut ist über längere Zeit gewachsen und hat heute eine relativ hohe Exportquote von rund 60 Prozent. «Alle unsere Importkontakte in anderen Ländern sind durch freundschaftliche Beziehungen entstanden», betont Jochen Ratzenberger. Vor allem die USA und Japan sind starke Abnehmer, aber in letzter Zeit wächst auch das Geschäft in Norwegen. «Vor 30 Jahren haben wir in unserer eigenen Region kaum etwas verkauft», erinnert sich Vater Hans-Jochen Ratzenberger. Das habe an der damaligen Qualität des Tourismus gelegen. «Da kamen Kegelclubs, und denen waren 10 Pfennig für ein Glas Wein noch fast zu teuer.»

Das ist heute anders. Noch immer ist das Mittelrheintal ein beliebtes Ferienziel– das Stadtbild von Bacharach etwa ist neben der mittelalterlichen Stadtmauer und der Burg Stahleck auch von Hotelsund Ferienwohnungen geprägt. Doch es sind überwiegend Individualtouristen, die auch des Weines wegen kommen, «kein Massentourismus oder Busreisen», betont Jochen Ratzenberger.

«Der Riesling am Mittelrhein präsentiert sich zwischen dem Schmelz des Rheingau und der Aromatik der Saar.»

Jochen Ratzenberger Weingutsleiter

Doch um qualitätsorientierte Gäste anzulocken, dafür muss man etwas tun. Deshalb arbeiten Winzer und Gastronomen in der Region Hand in Hand –auch über das Tagesgeschäft hinaus. Vor mehr als 20 Jahren haben sich mehrere von ihnen zusammengetan für die Veranstaltungsreihe Mittelrhein-Momente. Bei den Events stehen Wein und gutes Essen im Mittelpunkt, oft begleitet von Konzerten, Kabarett oder einer Fahrt mit dem Oldtimerbus durch das UNESCO Welterbe Oberes Mittelrheintal. Jochen Ratzenberger war einer der Mitbegründer der Mittelrhein-Momente.

Die Besucher kommen nicht nur aus Deutschland, sondern etwa auch aus dem nahen, genussorientierten Belgien. Von dieser neuen Art Touristen profitiert die Region.

Und wie gerufen kommt Jochen Ratzenbergers Mutter Carmen in den Verkostungsraum, im Schlepptau hat sie zwei Belgier, die eine Riesling-Spätlese kaufen wollen, die sie kurz zuvor in einem Restaurant getrunken hatten. «Welches Restaurant war es?», fragt Jochen Ratzenberger. «Der ‹Posthof›», antwortet einer der Belgier. «Weisst du denn Bescheid, welcher Wein es ist?», fragt Ratzenberger seine Mutter, die eifrig nickend in Richtung Keller entschwindet. So geht das Konzept der Winzer und Gastronomen vom Mittelrhein auf: dass guter Wein und gutes Essen zusammengehören.

Die Weine im Clubpaket

Bacharacher Wolfshöhle Riesling GG 2011

Ein schmelziger Wein mit schöner Aprikosenfrucht und dezenter Mineralik. Er kommt erst in den Verkauf, wenn er sein volles Potenzial erreicht hat. Seine erkennbare Reife steht ihm ausgesprochen gut.

Rebsorte
100% Riesling

Trinkreife
2016 bis 2021

Mariage
Elegante Wildgerichte wie Hirschbraten, aber auch kräftiges Geflügel wie Gänsebraten

 

Bacharacher Wolfshöhle Riesling Auslese 2011

Für solche edlen, fruchtsüssen Auslesen ist der Mittelrhein berühmt. Charmante Frucht, aber abgerundet von einer guten Säure. Ein Tiefstapler deshalb, weil es bei ihm durchaus auch zur Beerenauslese gereicht hätte. Gewaltiges Reifepotenzial.

Rebsorte
100% Riesling

Trinkreife
2016 bis 2046

Mariage
Reifer Weich- und Blauschimmelkäse, zum Beispiel Roquefort, Brie, Roche Baron, Saint-Agur, serviert mit Walnüssen

 

Riesling Sekt Brut 2011

Ein echter Balanceakt auf der Zunge: Cremigkeit und frische Säure finden in diesem Sekt zu perfekter Harmonie. Hefige Noten werden unterstützt von kräuterwürzigen Anklängen und Schiefermineralik. Zu Recht oft mit Champagner verglichen.

Rebsorte
100% Riesling

Trinkreife
2016 bis 2021

Mariage
Zum Aperitif, aber auch zu Vorspeisen wie Fischpastete, Wachteleiern, Jakobsmuscheln, generell zu leichten Fisch- und Meeresfrüchte-Gerichten, Sushi