«Rhône-Rangers» in Australien
Jenseits von Shiraz
Text: Thomas Vaterlaus
Mit Shiraz-Power haben die Aussie-Topwinzer die Welt erobert. Doch längst ist klar, dass der Shiraz nicht die einzige Rhône-Sorte ist, die «down under» grossartig gelingt: Auch Marsanne, Grenache und Mourvèdre zeigen zunehmend eigenständige Klasse, vor allem, wenn sie von Vieilles Vignes stammen.
Es wäre die perfekte «100 000-Euro-Frage» für jedes Wein-Quiz: In welcher Region lebt die Winzerfamilie, welche die grösste Marsanne-Rebfläche weltweit bewirtschaftet? Die meisten würden wohl auf das nördliche Rhône-Tal tippen. Und ungläubig den Kopf schütteln, wenn sie erfahren, dass es die Familie Purbrick ist, die im australischen Nagambie Lake, rund 130 Kilometer nördlich von Melbourne gelegen, rund 40 Hektar mit der weissen Rhône-Sorte bestockt hat.
Die Purbricks führen mit Château Tahbilk eines der traditionsreichsten Weingüter Australiens. Schon kurz nach der Gründung im Jahr 1860 wurden hier erste Marsanne-Stöcke gepflanzt, die aber nur kurze Zeit später der Reblaus zum Opfer fielen. Als die Familie Purbrick dann 1925 das Gut übernahm, pflanzte sie die weisse Rhône-Sorte erneut an. Diese heute 90-jährigen Stöcke gelten als die älteste Marsanne-Anpflanzung weltweit.
Alister Purbrick, der heute das Gut leitet, produziert drei verschiedene Marsanne-Selektionen. Alle drei werden im Stahltank praktisch ohne Hautkontakt ausgebaut und zeigen sich mit 12,5 Volumenprozent Alkohol und Säurewerten von 6,5 Gramm pro Liter unglaublich geradlinig und frisch. Während die Standardabfüllung frische Aromen von Zitrusfrüchten und Blüten zeigt, überrascht der «Museum Release», der erst nach fünfjähriger Flaschenreife in den Verkauf kommt, mit edlen Kräuter-, Honig-und Wachsnoten. Die Topselektion von den ältesten Reben, folgerichtig «1927 Vines» genannt, ist ein hochkomplexer, reifer und doch extrem frischer Wein mit grossem Alterungspotenzial. Zeigen sich reinsortige Marsanne-Weine von der Rhône doch oft etwas mollig und breit, so verblüffen die Tahbilk-Marsannes allesamt mit einer säurebetonten Filigranität und Finesse, die man so nirgendwo sonst auf der Welt findet. Wer also immer noch glaubt, dass die Australier nur alkohollastige Bodybuilder-Weine keltern, kann sich dieses längst überholte Vorurteil mit einem Tahbilk-Marsanne ein für alle Mal aus dem Kopf spülen.
150-jährige Grandfathers
Wenn die Winzer in Südaustralien, etwa im Barossa Valley oder im McLaren Vale, manchmal mit einem Augenzwinkern sagen, dass sie mehr Rhône-Originalität in die Flaschen bringen als die Rhône-Winzer selber, haben sie nicht ganz unrecht. Zum einen ist die Reblaus glücklicherweise nie bis nach Südaustralien vorgedrungen – wohl aber ins Rhône-Tal. Und zum anderen sind die klimatischen Bedingungen für den Weinbau hier so gut, dass viele Rebstöcke weit über 150 Jahre alt werden. Kein Wunder, dass diese ungepfropften, mit ihren Originalwurzeln wachsenden Methusalems ehrfürchtig Grandfathers genannt werden. Dabei wären sie, an der Lebenserwartung von uns Menschen gemessen, längst schon Ururgrossväter.
Nur ist angesichts der Shiraz-Euphorie lange Zeit in Vergessenheit geraten, dass es hier auch beträchtliche Bestände von ebenso alten, ungepfropften Grenache und Mourvèdre-Stöcken gibt. Erst durch den weltweiten Erfolg der GSM-Weine (das Kürzel GSM steht für Cuvées aus den Sorten Grenache, Shiraz und Mourvèdre) ist den Weinliebhabern klar geworden, dass die Rhône-Weinkultur in Australien weitaus vielfältiger ist als lange Zeit angenommen. Immer mehr Winzer nutzen nun die Gunst der Stunde und beweisen mit sortenrein gekelterten Old-Vine-Crus aus Grenache und Mourvèdre, dass diese beiden Sorten qualitativ nicht hinter dem Shiraz zurückstehen.
«Angesichts der Vielfalt der Crus aus Marsanne, Grenache, Mourvèdre könnte man glauben, die Rhône fliesse bei Adelaide ins Meer.»
Zu den Protagonisten der immer stärker werdenden Grenache-Fraktion gehört etwa die Familie Schild. Ben Schild zog 1952 an die Steingarten Road bei Rowland Flat im Barossa Valley, gründete eine Farm und kaufte erste Rebparzellen. Nach seinem überraschenden Tod im Jahr 1956 übernahm der damals erst 16-jährige Ed Schild die Verantwortung für den damaligen Mischbetrieb und vergrösserte den Rebbesitz kontinuierlich auf über 200 Hektar. 1998, also mehr als 40 Jahre nach ihrer Ankunft, brachten die Schilds die ersten Barossa-Weine unter ihrem Familien-Label auf den Markt. Längst sind es die Kinder von Ed, die das Schild-Projekt weiter vorantreiben. Zu ihren Flaggschiffweinen gehört der Edgar Schild Reserve Grenache von 90- bis 100-jährigen unbewässerten Buschreben. Das Besondere an diesem Wein ist, dass er nicht nur mit Frucht und Wucht beeindrucken will. So finden wir in der Aromatik auch frische rotbeerige Komponenten, Pfeffer, Teer und einen Anflug von Unterholz und Erde. Im Gaumen zeigt er sich ebenso vielschichtig wie konzentriert. Er erinnert an manche Klassiker aus Châteauneuf-du-Pape. Und hat damit schon vielen Weinliebhabern ein bleibendes Aha-Erlebnis beschert. Blindverkostet wird dieser Ur-Australier nämlich regelmässig für einen Franzosen gehalten. Ja, die heutigen australischen Top-Crus aus Rhône-Sorten sprengen das Schablonendenken zwischen Alter und Neuer Welt. Zum Glück!
Dass die Kombination von sehr alten Reben und alteingesessenen Winzerfamilien in Südaustralien fast zwangsläufig zu ausserordentlichen Weinen führt, beweist auch das Weingut d’Arenberg im McLaren Vale. Der Abstinenzler Joseph Osborn gründete die Farm im Jahr 1912. Doch erst sein Enkel Francis Osborn, Zeit seines Lebens d’Arry genannt, begründete den ausgezeichneten Ruf dieses Gutes. 1943 half er als 16-Jähriger erstmals bei der Ernte mit, 69 weitere Ernten sollten folgen. Doch auch diesem Urgestein von einem Aussie-Winzer gelang es nicht, die Regel zu brechen, wonach hier die besten Weine immer von Stöcken stammen, die viel älter sind als der Winzer selber. So stammt «The Twenty Eight Road» Mourvèdre von Stöcken, die bereits 1918 von d’Arrys Grossvater gepflanzt worden sind. Mit seiner höchst eigenständigen Aromatik von Graphit, Jod, Gariguekräutern sowie balsamischen und würzigen Noten, aber auch seiner präsenten Säure und dem kernigen Tannin lässt dieser Cru klar seine Verwandtschaft mit den Weinen aus dem französischen Bandol erkennen. Wer diesen Wein im Glas hat, könnte tatsächlich glauben, die Rhône fliesse zwischen Adelaide und Sydney ins Meer.
Top-Weine
Tahbilk 2010 «Museum Release» Marsanne
100% Marsanne | 2016 bis 2023
Im eher kühlen Jahr 2010 entstand ein überaus geradliniger Wein, der heute, nach fünfjähriger Lagerung im Weingut, am Anfang seiner idealen Trinkreife steht. Um die Typizität der Sorte in die Flasche zu bringen, wird der Wein ausschliesslich im Stahltank vinifiziert.
Mariage: Meeresfrüchte, besonders Austern, leichte Fischgerichte, Tapas und Mezze
Schild Estate 2014 Edgar Schild Reserve Grenache
100% Grenache | 2016 bis 2022
Die fast 100-jährigen Grenache-Stöcke wachsen unbewässert in Rowland Flat (Barossa Valley) in einem Boden aus braunem und rötlichem Lehm auf einem Kalksockel. Der Wein reift in grossen Eichenfässern und zeigt sich trotz 15 Volumenprozent Alkohol überaus ausgewogen.
Mariage: Wildgerichte, auch Ente, Chili con Carne und andere Eintopfgerichte, Pasta mit Pilzragout
D’Arenberg 2011 «The Twenty Eight Road» Mourvèdre
100% Mourvèdre | 2016 bis 2026
Mit 14 Volumenprozent und 6,3 Gramm Säure ein überaus ausgewogener Wein. Dank dem nur zehnmonatigen Ausbau in französischen Eichenfässern sind die Würznoten zurückhaltend und gut eingebunden. Der vielschichtige Wein lag bis zur Abfüllung ohne Umziehen auf seiner Feinhefe.
Mariage: Klassische Fleischgerichte, besonders Lamm und Rind, Risotto mit Trüffeln, gereifte Hartkäse