Gutiérrez Colosia, Spanien
Meer im Glas
Text: Thomas Vaterlaus
Schon der Dramatiker und Lyriker William Shakespeare trank Sherry, allerdings nicht von Gutiérrez Colosia, denn dieses Haus brachte erst im Jahr 1998 die ersten Sherrys auf den Markt. Seither hat sich die kleine und feine Bodega als Garant für hochstehende eigenständige Gewächse etabliert.
Nicht selten wird Ausserordentliches aus der Not geboren. Wahrscheinlich würden die meisten Weinfreaks den Namen Gutiérrez Colosia heute kaum kennen, wenn die Sherry-Szene nicht regelmässig krisengeschüttelte Zeiten erlebt hätte. Die Familie führte nämlich über Jahrzehnte einen sogenannten Almacenista-Betrieb, also eine Kellerei, die ihre Sherrys nicht selbst vermarktete, sondern sie offen an grössere Bodegas weiterverkaufte.
Vor rund 20 Jahren aber brach diese «Zulieferer-Kultur» allmählich zusammen, weil die grossen Häuser wegen des schrumpfenden Absatzes keine Weine mehr zukauften. Die Familie Gutiérrez Colosia stand vor der Wahl, mit der Sherry-Produktion aufzuhören und ihr ausgedehntes Kellereiareal in der Innenstadt von El Puerto de Santa Maria zu verkaufen, was ihnen in Anbetracht des damals herrschenden Immobilien-Booms viel Geld eingebracht hätte, oder aber ihre Weine künftig selbst zu vermarkten, angesichts des rückläufigen Absatzes ein höchst risikoreiches Unterfangen.
Es ist Juan Carlos Gutiérrez Colosia und seiner Familie hoch anzurechnen, dass sie sich für diesen antizyklischen und beschwerlichen Weg entschieden haben. 1997 wurden die ersten Weine mit dem Etikett Gutiérrez Colosia abgefüllt. Das sind genau die Impulse, die die Sherry-Szene braucht. Denn im Gegensatz zu den grossen Sherry-Häusern mit ihren schwer durchschaubaren Besitz-und Organisationsstrukturen haben wir hier den direktesten Kontext, den es im Weinbau gibt: einen Mann und seine Weine! Oder besser gesagt eine Familie und ihre Weine. Denn neben Juan Carlos sind auch seine Frau Carmen und die beiden Töchter Carmen und Carlotta aktiv.
Am Wasser gebaut
Und die Weine von Gutiérrez Colosia haben es in sich. Sie verkörpern die zwei zentralen Eigenschaften des Sherry-Terroirs in fast vollendeter Weise. Die selektionierten Palomino-Trauben reifen auf den extrem kalkhaltigen und darum weiss schimmernden Albariza-Böden in den Zonen Balbaína Alta und Balbaína Baja des Jerez Superior. Die Böden speichern nicht nur das rare Regenwasser optimal und geben es kontinuierlich an die Pflanzen ab, sondern sie verleihen den Grundweinen auch die unnachahmliche mineralisch geprägte Frische.
Der zweite, ebenso entscheidende Qualitätsfaktor ist die einmalige Lage der Kellerei in El Puerto de Santa Maria. Sie thront nämlich am Ufer des Río Guadalete, rund einen Kilometer bevor er in den atlantischen Ozean, genauer gesagt in die Bucht von Cádiz mündet. Durch die direkte Lage am Wasser sind die Keller verstärkt den wechselnden Seebrisen ausgesetzt, vor allem dem «Poniente», einem feuchten, vom Atlantik kommenden Westwind. Dieser sorgt für eine höhere Luftfeuchtigkeit als in anderen Kellereien. Die Luftfeuchtigkeit wiederum hat Auswirkungen auf den schaumartigen Florhefedeckel, der sich in den nicht vollen Fässern auf der Oberfläche des Weines bildet und den speziellen Charakter der Sherry-Weine im Spannungsfeld zwischen Reduktion und Oxidation prägt. In den meisten Kellereien nimmt die Florschicht zwischen Winter und Frühsommer zu und bildet sich dann bis Ende des Jahres wieder zurück. In den Kellern von Gutiérrez Colosia hingegen ist die Florschicht das ganze Jahr über ähnlich stark. So reifen hier ein besonders geradliniger, kernig-frischer Fino und ein schlicht grossartiger Amontillado.
Der jetzige Patron, Juan Carlos Gutiérrez Colosia, übernahm den Betrieb im Jahr 1966 nach dem plötzlichen Tod seines Vaters. Er war damals gerade knapp 20 Jahre alt. Trotz seiner Jugendlichkeit gelang es ihm, den Betrieb qualitativ weiterzuentwickeln und den Sherrys bald ein eigenes Profil zu geben. So kaufte er aus Beständen von sich auflösenden Sherry-Kellereien wertvolle Soleras, bestehend aus jeweils mehreren hundert Fässern. Nach all dieser Aufbauarbeit über Jahrzehnte hinweg war der Schritt vom namenlosen Wein-Zulieferer zum selbstständigen, selbst abfüllenden Sherry-Haus nur ein letzter logischer Schritt zu unserem Wohl. Denn seit bald 20 Jahren bereichert Gutiérrez Colosia die Sherry-Welt mit vorzüglichen und schmackhaften Elixieren, die mit ihrer salzigen Komplexität klar erkennen lassen, dass sie vom Meer mit erzogen worden sind.
Hochgenuss in vier Farbklängen
Sherry Fino
Ausdrucksstarke Aromatik mit floralen Noten, dazu Jod, Salz, grüne Nüsse und mineralischen Komponenten. Im Gaumen sehr klar strukturiert. Ein Sherry Fino mit viel Finesse, erfrischend aber doch komplex. Vorzugsweise kalt trinken!
Sherry Amontillado
Ein absoluter Spitzen-Amontillado. Aromen von Tee, Gebäck, Bohnerwachs, Kaffee und Karamel. Im Auftakt süssliches Extrakt, dann aber trocken. Dicht gewoben, konzentriert, mit viel opulentem Charme. Ein exzellenter Meditationswein!
Sherry Oloroso
Noch verschlossen in der Nase. Nach dem Belüften edle Aromen von kandierten Früchten, Walnuss und etwas Kaffee. Zeigt im Gaumen trotz seiner Reife eine kernige Struktur. Wirkt kompakt, mit viel Zug. Langanhaltender Abgang.
Sherry Pedro Ximénez
Bernsteinfarbenes, aber nicht schwarzes Elixier mit Noten von Rosinen und getrockneten Feigen,und Chili sowie weissem Pfeffer. Im Gaumen sehr mächtig, opulent und auch angenehm süss, wobei der Gerbstoff für die nötige Frische sorgt.