Bordeaux en Primeur

Bordeaux 2024 – Ein Jahrgang der Extreme, der Selektion und der grossen Terroirs

Bordeaux 2024 – Ein Jahrgang der Extreme, der Selektion und der grossen Terroirs

Wenig Licht, viel Regen im Frühling und im Herbst, ein trockener, heisser Sommer – das ist die Wetterbilanz für Bordeaux 2024. Doch aus einem vegetativ schwierigen Jahr ist ein ebenso herausfordernder wie faszinierender Jahrgang hervorgegangen. Früh zeichnete sich ab: Wer 2024 erfolgreich Wein machen wollte, musste präsent, flexibel und kompromisslos sein. Das viele Wasser im Frühling lies die Reben ihre Kraft in Holz und Blätter stecken und der Mangel an Licht senkte die Photosyntheseleistung, was zu weniger Zucker, niedrigeren Alkoholwerten sowie deutlich spürbarer Säure führte. Gleichzeitig brachte eine lange, ungleichmässige Blüte heterogene Trauben mit sich. Der heisse und trockene Sommer mit dem lang ersehnten Trockenstress liess die Trauben dann zwar reifen, doch die Reifegrade innerhalb eines Trauben-Clusters schwankten teils zwischen 9 und 14 Grad Alkohol. Wer mit der Ernte zu lange wartete, kämpfte mit Botrytis, wer zu früh erntete, mit unreifen Gerbstoffen.

Harte Arbeit im Weinberg – rigorose Selektion

Im Weinberg herrschte Hochbetrieb. Die anhaltend feuchte Witterung bedeutete konstant hohen Mehltaudruck – mit enormem Aufwand im Pflanzenschutz: rund 20 Spritzdurchgänge waren bei konventionell arbeitenden Betrieben nötig, bis zu 35 waren es bei den Bio-Betrieben. Wo man diesen Aufwand nicht leisten konnte, wurde die Erntemenge aufgrund des Mehltaus drastisch dezimiert. Das Abwägen von Mengeneinbussen versus Qualität stellte die Betriebe vor harte Entscheidungen; wer gute Qualität wollte, kam um rigorose Selektion nicht herum, was die Erträge bei vielen Gütern gegenüber einem «normalen» Jahrgang um 20% bis 50% sinken liess. Zugleich fielen regionale Unterschiede stärker ins Gewicht als sonst: Einige Lagen blieben vom Schlimmsten verschont, andere kämpften neben den generellen Herausforderungen Verrieselung und Mehltau zudem mit Hagel, was die Erträge weiter dezimierte.

Ein Jahrgang der grossen Terrois und talentierten Kellermeister

2024 ist – sowohl links- als auch rechtsufrig – ein millésime de terroir et maître de chais. Die besten Weine stammen ohne Zweifel von den grossen Terroirs in den Gemeinde-Appellationen des Médoc sowie vom Kalk- respektive Lehmplateau um Saint-Emilion und Pomerol. Wer gesunde Trauben ernten respektive selektieren konnte, war zudem im Keller gefordert. Fingerspitzengefühl bei der Extraktion sowie dem Holzmanagement waren gefragt. Längere Mazeration bei tendenziell etwas kühleren Temperaturen unterstützten das Herausarbeiten der Frucht und Gerbstoffe, was für die Struktur und Balance der Weine essenziell war. Vielerorts wurden einzelne Lots chaptalisiert, um einen vernünftigen Alkoholgrad von rund 13% zu erreichen.

Heterogene Rotweine – wunderbare Weiss- und Süssweine

Die Rotweine des Jahrgangs zeigen sich entsprechend vielfältig: Mal tiefgründig und präzise, mal schlank und fruchtbetont, mal unharmonisch und überextrahiert. Die Cabernet-dominierten Gebiete auf der linken Uferseite profitierten leicht vom Jahrgangsverlauf, doch auch auf der rechten Seite überzeugten die Crus von den grossen Terroirs – so etwa Château Beauséjour Bécot, wo der Merlot so spät wie seit 25 Jahren nicht mehr gelesen wurde oder Château Larcis-Ducasse und La Gaffelière, deren Teams hervorragende Weine gelungen sind.

Die Weissweine aus dem Jahr 2024 gehören klar zu den Gewinnern. Ihre Frische, Klarheit und aromatische Präzision sind das Resultat der moderaten Temperaturen und der lebhaften Säuren – sie zeigen sich animierend, strukturiert und oft erfreulich komplex. Auch die Süssweine aus Sauternes und Barsac liefern Grund zur Freude, denn die besten Weine des Jahrgangs vereinen Frische, Eleganz und Tiefe – mit weniger Opulenz als in anderen Jahren, dafür mit mehr Finesse und bemerkenswerter Harmonie.

Fazit: Die Wahrheit liegt im Glas, Selektion ist Matchentscheidend

Bordeaux 2024 ist ein Jahrgang der Gegensätze, aber auch der Chancen. Die Herausforderungen im Weinberg waren enorm, die klimatischen Bedingungen komplex. Wer den Reifeverlauf richtig einschätzte, kompromisslos selektierte und im Keller die nötige Sorgfalt walten liess, wurde mit Rotweinen belohnt, die Charakter, Frische und Tiefe vereinen. Die Weissweine überzeugen fast durchweg, die Süssweine überraschen mit Spannung und Eleganz. Gleichzeitig deutet sich an, dass die Preise um weitere 15 bis 30 Prozent sinken werden, was im Kontext eines aktuell sehr starken Schweizer Frankens vor allem die «grossen Bordeaux» preislich endlich wieder attraktiv erscheinen lässt. Ganz sicher ist 2024 ein Jahrgang, der keine Generalisierung zulässt und genau deshalb umso spannender ist. Denn wie so oft in Bordeaux gilt auch dieses Mal: Es gibt keine guten und schwächeren Jahrgänge, nur gute und schwächere Weine; die Wahrheit liegt einzig im Glas.


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