Die weltweit charaktervollsten Weissweine

Guide: Vouvray & Montlouis

Degustation und Text: Rolf Bichsel

Vouvray? Montlouis? Zwei grosse Unbekannte. Das ist nicht nur ungerecht, sondern eine Unterlassungssünde. Denn aus Vouvray und Montlouis stammen mit die grössten und charaktervollsten Weissweine der Welt. Indes: Wenn die sonnigste Loire-Ecke ein Schattendasein führt, hat das seine Gründe. Vouvray mag im 19. Jahrhundert international Erfolge gefeiert haben, doch das Gros der Produktion schaffte es gerade mal bis Paris und wurde schamlos dort getrunken.

Eine unbequeme Sorte als Basis

Basis für Vouvray und Montlouis bildet die Sorte Chenin (auch wenn in Vouvray bis zu fünf Prozent Orbois/Arbois zugelassen sind). Im Gegensatz zum Chardonnay ist Chenin eine unbequeme Sorte. Ganz jung mögen die Weine fruchtig schmecken, doch zwischen zwei bis sechs, acht, zehn Jahren besitzen sie kaum Aromen oder im «besten» Fall solche von überreifem Obst, Heu und feuchtem Stroh. Zusammen mit Fülle, Breite und robuster Säure ergibt das in dieser Phase nun wirklich nicht Tröpfchen, die mit offiziellen Weissweinkriterien (jung und fruchtig, exotische Eichen- und Fermentationsaromen) mithalten können.

Weine, die viel Zeit zum Reifen brauchen

Die Barrique, die auch hier wieder in Mode gekommen ist, erträgt sie so gut, dass sie kaum spürbar wird. Doch nach 10, 20, 30 Jahren der Reife entwickeln Vouvray und Montlouis unnachahmliche Noten von Steinpilz, Trüffel, weisser Schokolade, Nüssen, kandierten Früchten, Nougat mit einem Hauch Menthol oder Eukalyptus. Erste und einzige Regel dieser (unanständig preiswert gebliebenen Weine) heisst daher: lange reifen lassen. Nur die wie Champagner hergestellten Schaumweine schmecken bereits im Alter von zwei bis vier Jahren. Damit sind wir beim letzten Punkt angelangt: Die beiden Appellationen produzieren jeden möglichen Weissweintyp, von schäumend über halbtrocken bis trocken (demi-sec), süss (moelleux) und edelsüss (liquoreux). Das erschwert die Kommunikation. 

Resultate, Analysen und Statements

«Ganz ohne Wimpernzucken: Ich ziehe jeden gereiften Vouvray einem grossen weissen Burgunder vor.»

Rolf Bichsel, VINUM Autor

Was habe ich mit Balzac und Friedrich Glausers Wachtmeister Studer gemein? Nicht nur hauste ich zu Studentenzeiten in Bern im letzten Haus der Thunstrasse und Studer im (fiktiven) nächsten, das verbindet. Von Studer habe ich auch gelernt, das man beim allmorgendlichen Anbrennen des Heizofens Geduld haben muss, weil der «Chätzer» nicht immer ziehen will. Und dass Vouvray ein tückischer Weisser ist, der bestens zu Austern mundet (weil reifer Vouvray zu allem schmeckt). «Man begann mit Austern, und Kommissär Madelin ergab sich seiner Lieblingsbeschäftigung. Er hatte, ohne Studer zu fragen, einen 26er Vouvray bestellt, drei Flaschen auf einmal», steht im 1937 aufgelegten Roman «Die Fieberkurve» zu lesen. Und Honoré de Balzac schrieb im Pamphlet «Der berühmte Gaudissart», das in Vouvray über die Bühne geht: «Trinken sie ein Glas Wein. (...) Wenn sie ihren Magen gebührend unterhalten wollen, braucht er Samt. Gut gelagert ist Vouvray, mein Herr, echter Samt.» Oder: «Das Problem mit dem Vouvray, man kann ihn weder als gewöhnlichen Wein noch als Wein zu leichten Speisen auftischen. Er ist zu grosszügig, zu stark. Darum versetzt man ihn in Paris mit Branntwein und verkauft ihn als Madeira. (...) Ist er nicht gut genug für Holland oder Belgien, kaufen ihn Pariser Händler, verschneiden ihn mit Weinen der Pariser Umgebung und machen daraus Bordeaux.» So vergnüglich liest sich Balzac nur selten! Ich kann Weinfreunden, die auch vor guter Literatur nicht zurückschrecken, nur dazu raten, ein, zwei stille Winterabende mit diesen beiden wenig bekannten Werken zu verbringen, natürlich begleitet von einem Glas alten Vouvray oder Montlouis. Damit ist eigentlich alles gesagt.

Die Verkostung

Die Verkostung aller produzierten Weintypen der beiden Anbaugebiete wurde über deren Dachorganisationen ausgeschrieben. Geladen waren alle Produzenten mit Interesse an den deutschsprachigen Märkten. Geprüft wurden die Weine in den Räumlichkeiten von Rolf Bichsel bei Bordeaux. Alle Weine sind in der VINUM Weinsuche auffindbar, Stichwort «Vouvray und Montlouis».

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