Geschichtenerzähler Syrah
Guide Nördliche Rhône: Eine Sorte im fliessenden Wandel
Degustation: Birte Jantzen, Thomas Vaterlaus; Text: Birte Jantzen, Fotos: VINUM
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Dank Gen-Analysen weiss man heute, dass Syrah vor mehreren hundert Jahren irgendwo im nördlichen Rhône-Tal geboren wurde. Das Kind von Dureza (rot) und Mondeuse Blanche (weiss) – erstere aus der Ardèche und letztere aus Savoyen – entstand spontan, als eine natürliche Kreuzung im Weinberg. Die Eltern standen wohl dicht beieinander gepflanzt und bestäubten sich – dank Wind oder Bienen – während der Blüte gegenseitig.
Sind Dureza und Mondeuse Blanche heute so gut wie ausgestorben – vielleicht auch, weil keine von beiden Rebsorten durch besondere Qualitäten glänzte –, erlangte Syrah im 20. Jahrhundert Kultstatus und wird mittlerweile in 31 Ländern angebaut. Wie alle alten Rebsorten aus der Zeit vor der industriellen Revolution erfreut sich Syrah einer grossen Anzahl von regionalen Eigennamen, wie zum Beispiel dem anschaulichen Hermitage, dem verwirrenden Marsanne Noire oder dem schon fast aristokratisch anhauchenden Neiretta del Cuneese-Fassanese. Und auch in Sachen Ursprung wurden vor der Errungenschaft der Gen-Analyse viele Geschichten gesponnen. Da waren die Römer, die angeblich die Rebsorte aus dem sizilianischen Syracuse, Geburtsort von Archimedes, mitgebracht hätten. Oder die Phokäer, von denen man sich erzählt, dass sie sie aus der legendären persischen Stadt Shiraz, Heimat des berühmten Poeten Hafez, mitgeführt hätten. Auch die kleine griechische Insel Syra wurde immer wieder als Geburtsort gehandelt, selbst wenn es dort nie Weinbau gab. So steht die Rebsorte nicht nur für legendäre Weine, sondern spiegelt in gewisser Weise auch die alte Tradition des Geschichtenerzählens wider. Eines ist sicher: Mit Syrah wird es nie langweilig.
Resultate, Analysen, Statements
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Man könnte sagen, dass die Rhone sinnbildlich für Syrah steht. Sie entspringt in den Alpen des Schweizer Kantons Wallis und schlängelt sich über 807 Kilometer durch Gebirge und Flussebenen bis hin zum französischen Mündungsdelta am Mittelmeer. An den Hängen ihres Ufers schufen besondere geologische und klimatische Verhältnisse eine Art Garten Eden für Syrah. Vor allem die Granit- und Schieferböden, durchlässig und karg, kombiniert mit sonnigen Tagen und kühlen Nächten, zähmen ihren Wuchs und fördern auf natürliche Weise ein ausgewogenes Reifen der Trauben. Im südlichen Rhône-Tal mit seinen reicheren Böden und dem wärmeren Klima spielt die Rebsorte meist nur eine untergeordnete Rolle. Dafür stehen die terrassierten, per Hand bearbeiteten Steillagen des nördlichen Rhône-Tals, insbesondere in Hermitage, für legendäre Rotweine.
« Entlang der Rhone zeigt sich nicht nur die stilistische Breite der Sorte, sondern auch das Potenzial des Wallis.»
Birte Jantzen VINUM-Autorin
Syrah wird hier zum Grossteil als Pfahlrebe gezogen, die die zarten Triebe gegen Wind schützt und eine perfekte Belüftung der Traubenzone ermöglicht. Die produzierten Weine sind dunkelfarbig, pfeffrig, strukturiert und selbstbewusst und entwickeln mit der Zeit Veilchennoten und eine Eleganz, die an den Urgrossvater der Syrah erinnert: Pinot Noir. Allerdings ist der Klimawandel gerade dabei, eine neue, bisher unterschätzte Region entlang der Rhone in den Fokus zu rücken: das Wallis, wo kühle Nächte eine Extraportion Frische und Eleganz in die Weine zaubern. Der Weinbau wird hier, genau wie im nördlichen Rhône-Tal, in terrassierten Steillagen betrieben, auf meist kleinen Parzellen. Hier steht die grösste Anbaufläche von Syrah in der Schweiz: 176 Hektar. Die Anzahl der Produzenten ist übersichtlich, die Qualität der Weine ist aber ausserordentlich vielversprechend.
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«Weniger Fett und Würze, mehr Pfeffer und Lebendigkeit: Zwischen Cornas und Salgesch wird es frisch!»
Thomas Vaterlaus Chefredakteur VINUM Schweiz
Es ist ein Phänomen, das sich bei vielen Verkostungen von Weinen aus den unterschiedlichsten Regionen Europas zeigt. Trotz der permanent zitierten Klimaerwärmung muten die Weine frischer und kerniger an, als wir sie von früheren Degustationen in Erinnerung haben. So ging es mir auch bei dieser Verkostung von Syrah-Gewächsen von der nördlichen Rhône, sprich von den Anbaugebieten nahe Valence bis nordwärts ins Wallis im schweizerischen Teil der Rhone. Ein kurzer Blick in mein Archiv zeigt, dass ich bei einer thematisch ganz ähnlichen Verkostung vor 15 Jahren bei etlichen Weinen eine australisch anmutende Fruchtfülle und orientalische Gewürznoten wahrgenommen hatte, davon war bei dieser Auswahl mit Jahrgängen zwischen 2023 und 2019 kaum mehr was zu spüren. Und trotzdem zeigten die Weine einen faszinierenden Facettenreichtum, von dunkelbeerig-feinwürzig bis zu lebendig-pfeffrig. Ja, nicht wenige Weine zeigten sich «funky» im besten Sinne des Wortes. Biologischer oder biodynamischer Anbau sowie ein früherer Erntezeitpunkt tragen dazu bei. Das gute Abschneiden der zumeist temperamentvollen Walliser Crus zeigt: Sie sind heute voll angekommen in der Weinkulturlandschaft Rhône. Das war lange nicht selbstverständlich. Noch vor 20 Jahren hielten es nicht wenige Kritiker für etwas anmassend, als die Walliser ihre Zugehörigkeit zu diesem grossen Weinfluss, der durch Kultgewächse wie jene aus Hermitage definiert wird, über die Staatsgrenze hinweg proklamierten. Trotz des qualitativ generell erfreulichen Fazits zeigte die Verkostung auch, dass die Sorte nur dann Brillantes in die Flasche bringt, wenn alle Faktoren perfekt zusammenspielen. Halbherzigkeit dagegen führt direkt zur Banalität.
Die Top 10 der verkosteten Weine
Rang | Beschreibung | |
---|---|---|
1 | 97/ 100 Punkte | Wallis, Westschweiz, Schweiz Benoît Dorsaz |
2 | 96/ 100 Punkte | Côtes du Rhône Nord (septentrional), Côtes du Rhône, Frankreich Domaine Melody |
3 | 96/ 100 Punkte | Côtes du Rhône Nord (septentrional), Côtes du Rhône, Frankreich Cave de Saint Désirat |
4 | 95/ 100 Punkte | Côtes du Rhône Nord (septentrional), Côtes du Rhône, Frankreich Domaine du Chêne |
5 | 95/ 100 Punkte | Côtes du Rhône Nord (septentrional), Côtes du Rhône, Frankreich Maison Chapoutier |
6 | 95/ 100 Punkte | Côtes du Rhône Nord (septentrional), Côtes du Rhône, Frankreich Maison Delas Frères |
7 | 95/ 100 Punkte | Côtes du Rhône Nord (septentrional), Côtes du Rhône, Frankreich Domaine des Remizières |
8 | 94/ 100 Punkte | Genf, Westschweiz, Schweiz Domaine Les Hutins |
9 | 94/ 100 Punkte | Côtes du Rhône Nord (septentrional), Côtes du Rhône, Frankreich Domaine Delhome |
10 | 94/ 100 Punkte | Côtes du Rhône Nord (septentrional), Côtes du Rhône, Frankreich Domaine Jean Esprit |
Die Verkostung
Birte Jantzen und Thomas Vaterlaus verkosteten die Weine gemeinsam in Zürich, im Dezember 2024. Die Flaschen wurden direkt bei den Produzenten angefordert und bei der Verkostung verdeckt ausgeschenkt und bewertet..