Reif, saftig, pur!
Vertikale Riesling Clos Sainte-Hune – 1998 bis 1966
Degustation und Text: Thomas Vaterlaus

In der Parzelle Clos Sainte-Hune, die sich auf halber Höhe des Grand Cru Rosacker in Hunawihr im Elsass befindet, herrsche eine ganz besondere Atmosphäre, die das Herz beruhige, sagt die Familie Trimbach, die diesen Clos seit über 200 Jahren bewirtschaftet. Dieses «Besondere» zeigt sich dem Verkoster auch immer wieder auf unnachahmliche Weise im Wein: «vollkommene Balance», «vibrierende Spannkraft» oder «glasklare Mineralität» sind denn auch Eigenschaften, die diesem Elsässer Cru immer wieder von Kritikern aus aller Welt bescheinigt werden. Das älteste, auf dem Gut gefundene Etikett dieses Weines stammt aus dem Jahr 1919. Die Bestände im «Schatzkeller» des Gutes reichen nicht ganz so weit zurück. Vom 1953er ist nur noch eine einzige Flasche vorhanden, erst ab dem Jahrgang 1959 wurden kontinuierlich ein paar wenige Flaschen zurückgelegt, ab dem Jahrgang 1970 ein paar Flaschen mehr. Die Vertikale, welche die Familie Trimbach im November 2024 in ihrem Keller in Ribeauvillé durchführte, reichte bis zum Jahrgang 1966 zurück und war ein überzeugender Beweis für das enorme Reifepotenzial dieses Rieslings. Nicht immer vermögen bei solchen Verkostungen die ältesten Weine am meisten zu überzeugen, beim Clos Sainte- Hune begeisterten die Jahrgänge 1979, 1976, 1971 und 1966 sowohl mit ihrer vielschichtigen Reife als auch mit immer noch enorm viel Saft und Kraft. Die Basis dafür sind 60- bis 80-jährige Rebstöcke, die seit 2008 biologisch bewirtschaftet werden (zertifiziert seit 2023). Der Wein wird, wenn möglich, ohne biologischen Säureabbau in Edelstahltanks und alten Fudern vergoren und auf der Feinhefe ausgebaut. Er wird vergleichsweise früh, nämlich im Frühjahr nach der Ernte, abgefüllt. Nach einigen Jahren Flaschenreife kommt er in den Verkauf. Seine optimale Trinkreife erreicht er allerdings erst nach zehn Jahren. In dieser VINUMVertikale präsentieren wir die zehn ältesten Weine, welche an dieser Probe mit insgesamt 18 Clos Sainte-Hune-Jahrgängen präsentiert worden sind.
trimbach.fr
1992
97 Punkte | 2025 und 2032
Wirkt im Vergleich zu älteren Jahrgängen schon schön ausgereift und offenbart vor allem in der Nase eine fast barock anmutende Aromenfülle mit Karamell und kandierten Früchten, aber auch Noten, die an Salz, Jod und Bouillabaisse erinnern. Im Gaumen dann überraschend straff und geradlinig gebaut, viel Finesse im Abgang.
1990
95 Punkte | 2025 bis 2037
Wirkt deutlich jugendlicher und kerniger als der reifer wirkende 1992er. In der Nase eher zurückhaltend, aber vielversprechend, ein Hauch von Kräutern, aber auch mineralisch-kreidige Noten. Im Gaumen zupackend, mit viel Spannkraft und sehr klar strukturiert. Wirkt in seiner Art sehr trocken und geradlinig.
1989
Vendanges Tardives
97 Punkte | 2025 bis 2045
Ein Jahrgang mit viel Edelfäule, in dem kein trockener Clos Sainte-Hune produziert worden ist. Monumentaler Wein mit 14 Volumenpro-zent Alkohol und 17,5 Gramm Restzucker. Beschwingte Fruchtigkeit mit Orangenblüten und kandierten Früchten, aber auch Noten von Trüffel und Erde. Im Gaumen klar wie Quellwasser, ein Touch von Bergamotte, aber auch Kaffee und Mokka. Wirkt trotz seiner Komplexität unglaublich trinkig.
1983
93 Punkte | 2025 bis 2035
Tanzt mit seiner etwas kargen Art aus der Reihe. Zeigt sich in der Nase verhalten und reif, aber durchaus vielversprechend. Aromen von kandierten Früchten, dazu etwas Tee und auch erdige Noten. Im Gaumen von einer kernigen Struktur und einer angepassten Säure getragen. Edelherb im Abgang.
1979
95 Punkte | 2025 bis 2035
Klares Gelb mit Bernstein-Reflexen. In der Nase herrlich offen und vielschichtig. Aromen von frischem Brot, Crema catalana und ein Hauch von aufgeschlagenem Ei. Mineralische Noten, besonders Fleur de Sel. Erinnert in seiner barocken Art an einen Vendange Tardive. Im Gaumen klar und animierend. Getragen von einer saftigen Säure, langanhaltend, pikante Note im Finish.
1976
97 Punkte | 2025 bis 2030
Der Beweis, dass der Clos Sainte-Hune gerade auch in warmen und trockenen Jahren enorm lagerfähige Weine hervorbringt. Leuchtendes Bernsteingelb. In der Nase zuerst vornehm zurückhaltend, dann Aromen von Bohnerwachs, kandierten Früchten und schwarzem Pfeffer. Eventuell ein Hauch von Botrytis. Im Gaumen dicht gewoben, mit einem herrlich saftigen Schmelz. Toll!
1975
93 Punkte | 2025 bis 2030
In seiner Art eigenständig, kann aber nicht ganz an die reintönige, finessenreiche und betörende Art der Topjahrgänge anschliessen. Aromen von Liebstöckel und Medizinalkräutern, auch ein Anflug von Stroh und Pfeffer. Im Gaumen dann dicht gewoben und kernig, mit saftiger Säure.
1971
96 Punkte | 2025 bis 2030
Noch ein sehr warmes und trockenes Jahr. Kleine Ernte wegen schwieriger Blüte. In der Nase eigenständig, mit Medizinalkräutern und einem Hauch von Bergamotte. Dazu auch Noten von Streichhölzern, Rauch und Feuerstein. Zeigt sich im Gaumen im Auftakt sehr saftig und trinkig, verliert dann im Mittelteil et-was an Präsenz. Im Abgang dann wieder griffig und temperamentvoll.
1967
97 Punkte | 2025 bis 2030
Im Glas tiefes Bernstein mit schon bräunlichen Reflexen. Breit gefächerte und reif wirkende Aromatik mit einem Hauch von Crème brûlée, Biskuit und Cevizli Sucuk (Walnuss in Traubenmelasse). Im Gaumen sehr zugänglich und trinkig, getragen von einer sehr saftigen, cremigen Säure. Wirkt in seiner Art sehr gut ausbalanciert und lebendig, bis ins Finale.
1966
99 Punkte | 2025 bis 2030
Aus einem qualitativ mittleren, vergleichs-weise kühlen Jahr mit einer späten Ernte. Dichter, klarer Bernsteinton. In der Nase zuerst weisser Pfeffer und Minze, dann ein Hauch von Orangenblüten und Bergamotte. Dazu ein Anflug von Umami. Im Gaumen vielschichtig, animierend, mit viel Finesse und einem faszi-nierenden Touch von schwarzen Trüffeln und Erde. Saftiges Finale.