Edelfauler Chenin von der Loire

Gerade mal 150 Kilometer von der Atlantikküste entfernt, mitten im Herzen der Weinregion Anjou, schlängelt sich das Flüsschen Layon durch sanfte Hügel in Richtung Loire. Hier entstehen wundervolle Süssweine, denn: Das ansonsten ozeanische Klima zeigt in dieser Loire-Subregion eine Besonderheit. Gewisse windgeschützte Hanglagen entlang des Flusses bescheren der Rebsorte Chenin Blanc im Frühherbst einen Mitbewohner: den erstaunlichen Schimmelpilz Botrytis cinerea. Je nach klimatischen Bedingungen zeigt der Botrytis cinerea zwei völlig unterschiedliche Gesichter: Entweder entwickelt er sich als grandiose Edelfäule oder als im Weinberg gefürchteter Grauschimmel. Edelfäule bildet sich unter einer spezifischen Bedingung, die nur in wenigen Weinbaugegenden zu finden ist: der Kombination aus vollreifen Trauben, warmem Herbstwetter mit Frühnebel und Sonnenschein ab dem späten Morgen. Sie entwickelt sich stets über mehrere Wochen hinweg, befällt die Trauben mehr oder minder und erfordert eine zeitaufwendige Handernte in mehreren Durchgängen. Die Beeren verlieren an Wasser, konzentrieren Säure und Zucker und bekommen die typischen Aromen von Honig, Quitte und Trockenfrüchten. Der Zuckergehalt ist so hoch, dass keine Hefe es schafft, den Most komplett trocken zu gären. So entsteht auf natürliche Weise ein kostbarer Süsswein mit zum Teil ausserordentlichem Lagerpotenzial.

Nicht jeder Jahrgang eignet sich dafür, auch nicht jede weisse Rebsorte, denn die Symbiose zwischen Edelfäule und Traube ist sehr fragil und kann jederzeit Richtung Grauschimmel kippen. Mit anderen Worten: Weine aus überreifen und zum Teil edelfaulen Trauben sind Raritäten und erfordern viel Zeit und handwerkliches Geschick.

Süssweine aus überreifen und edelfaulen Trauben. Es hört sich schon ein bisschen verrückt an, und ist es auch. Sie gehen einher mit einer hohen Risikobereitschaft im Weinberg, denn: entweder man erntet oder man verliert diesen Teil der Trauben komplett an den Grauschimmel. Es sind also Terroir-Weine die Beobachtungsgabe, Geduld und Fingerspitzengefühl benötigen, und Glück mit dem Wetter. Zudem sind die Erträge sehr gering, der aus den verschrumpelten Beeren gewonnene Saft noch viel geringer. Und nicht zuletzt ist da der Fakt, dass seit gut zwanzig Jahren Süssweine nur noch schwierig Absatz finden und die Produktion dramatisch eingebrochen ist. Bis Anfang des 20. Jahrhunderts waren die Besten ihrer Art Gold wert. Sie wurden geschätzt für ihre Rarität, ihre aromatische Komplexität, ihre delikate Balance aus Frische und Süsse, ihre ausserordentlich Lagerfähigkeit, die mehrere Jahrzehnte reichen kann.

«Die Süssweine des Anjou sind eine Liebeserklärung an unsere Sinne, entstanden durch akribische Handarbeit! »

Birte Jantzen VINUM-Autorin

Jedoch gab es in den 1970er und 1980er Jahren einen Boom für günstigen und pappigen Süsswein und leider denken viele, dass er - egal welcher Art - heute noch immer so ist. Ein bedauerlicher Irrtum. Zumal, aufgrund des schwierigen Marktes, viele dieser Art von Süssweinen vergleichsweise günstig angeboten werden. 50 Euro für eine solche Flasche mag teuer erscheinen, nicht aber wenn man sich den für die Herstellung notwendigen Arbeitsaufwand anschaut. Manch einer wird fragen: Warum sich die Mühe machen? Die Antwort ist: aus Liebe zum Wein. Ist Bonnezeaux eher würzig im Stil, überzeugt Coteaux du Layon 1er Cru Chaume mit seiner Leichtigkeit und Quarts de Chaume mit seiner tiefgründigen, graziösen Finesse. Es sind unnachahmliche Geschichtenerzähler der aromatischen Art. Mehr Genuss geht nicht.