Die Neugeburt der Rueda

Guide: Gran Vino de Rueda – die ersten Jahrgänge

Degustation: Thomas Vaterlaus, Miguel Zamorano, Text: Miguel Zamorano

Zu den Eigenschaften eines jeden grösseren Weinbaugebiets gehört oft der Wunsch, einen grossen Wein auf den Markt bringen zu wollen. Einen Wein, der sich komplexer zeigt als die bereits bekannten Cuvées, dank längerer Reifezeit auf der Hefe, am besten noch ausgebaut in Zement und Holzfass oder Edelstahltank und Barrique. Und der zu einem ungleich höheren Preis verkauft wird. Dem spanischen Anbaugebiet Rueda ist ein solcher Wurf jüngst auf der Iberischen Halbinsel gelungen: den Gran Vino de Rueda (GVR). Er soll sich in seiner Machart von den kleineren Verdejos abheben, die oft für einfachen und unkomplizierten Genuss stehen, im Hier und Jetzt. Viele dieser Weine gelangen bereits nach kurzer Zeit nach der Lese auf den Markt, nicht wenige schon zum Weihnachtsfest. Der GVR kommt hingegen erst ein Jahr nach der Lese in die Läden. Es ist nicht so, dass die Produzenten der Gemeinden La Seca, Aldeanueva del Codonal oder Matapozuelos bisher in diese Richtung keine Ambitionen gezeigt hätten. Die Böden bringen für gehaltvolle und komplexe Weine gute Voraussetzungen mit, die Betriebe arbeiten hier mit teilweise sehr alten Rebstöcken, die dank der sandigen Böden aus der Zeit vor der Phylloxera-Plage datieren. Und viele Häuser hatten auch vor Einführung des GVR einen Verdejo im Sortiment, der länger auf der Hefe liegen durfte. Mit dem GVR wird nun das alles vereint, wohl auch mit dem Ziel, die Marke Rueda ganz bewusst um einen hochpreisigen Wein zu ergänzen und somit den weltweiten Trend in diesem Segment nicht zu verpassen. In Rueda tummelt sich eine gesunde Mischung aus Grossbetrieben und kleinen Erzeugern, die in gegenseitiger Konkurrenz sehr spannende Weine produzieren. Das ist ein Ergebnis dieser Verkostung, in der wir die ersten drei Jahrgänge GVR degustiert haben.


Resultate, Analysen, Statements

Mit der neuen Kategorie Gran Vino de Rueda ist der Region möglicherweise das gelungen, was einige Enthusiasten spanischer Weissweine bisher vermisst hatten: einen Verdejo zu keltern, der das Potenzial hat, in der ersten Reihe iberischer Blancos zu stehen. Sicher, einige Winzer in der Region hatten Weine dieses Formats schon vorher im Sortiment. Doch dass die Produzenten nun eine eigenständige Kategorie dafür auf den Markt bringen, zeugt von Weitsicht. Die Etablierung neuer Kategorien und das Abstimmen auf einheitliche und gleichzeitig hohe Qualitätsstandards sind in Spanien zuletzt nicht immer schmerzlos über die Bühne gegangen. In Katalonien sind etwa viele Schaumweinerzeuger aus der DO Cava ausgetreten, weil sie die Regeln der DO mit ihrem eigenen Qualitätsbestreben nicht mehr in Einklang sahen.

«Rueda hat mit dem Gran Vino de Rueda das Weissweinland Spanien um ein Kapitel reicher gemacht.»

Miguel Zamorano VINUM-Redakteur

In der vorliegenden Verkostung wollten wir herausfinden, ob das neue Rueda-Versprechen eingehalten wurde. Viele Weingüter haben ordentliche Gran Vinos geliefert. Wobei der Jahrgang 2020 hervorsticht – vier der sechs besten Weine sind aus diesem Jahrgang, der den Jungfernjahrgang für die neue Kategorie bildet. Die Zeit hat diesen Weinen gutgetan. Bodega Herrero und de Alberto sind da zu nennen, aber auch mit Shaya hat ein Klassiker aus der Provinz Segovia einen vorzüglichen Gran Vino vorgelegt. Was auch auffällt: Der Jahrgang 2022 war gemäss der hier verkosteten Vertreter der schwächste. Bei nur knapp fünf degustierten Weinen ist die Aussagekraft begrenzt. Trotzdem darf man annehmen, dass nicht jeder Jahrgang das Potenzial hat, einen Gran Vino de Rueda hervorzubringen. So oder so, diese Neugeburt ist spannend. Das Weissweinland Spanien ist um ein Kapitel reicher.

«Rueda gilt als Synonym für frische Sommerweine. Doch die Region kann mehr, wie die Gran Vinos beweisen.»

Thomas Vaterlaus Chefredakteur VINUM

Das Phänomen ist überall zu beobachten, von Hamburg bis Zürich. In den Terrassenrestaurants bestellen die Leute einfach Rueda, ohne nach Produzent oder Jahrgang zu fragen, denn sie wissen schon, was sie bekommen, einen kräuterwürzigen, zitrusfrischen Weissen aus Spanien. Der Marken-Charakter dieses Weintyps hat sich in den letzten Jahren als gut geölte Geldmaschine erwiesen, aber es ist längerfristig immer auch gefährlich, wenn eine Region auf einen einzigen Weintyp reduziert wird. Die Winzer in Rueda wissen das und zeigen, dass sie mehr als nur einen Wein im Keller liegen haben. Aufgespritete Weine, oxidativ oder unter Hefeflor gereift, die sogenannten «Dorados» oder «Pálidos», haben eine lange Tradition und können hervorragend ausfallen. Die immer noch reichlich vorhandenen Parzellen mit teilweise bis zu hundertjährigen «Viñas Viejas» werden auch weiterhin von Hand gelesen und nicht primärfruchtig kalt vergoren, sondern zu echten Crus mit beträchtlichem Entwicklungspotenzial ausgebaut. Mit der Bezeichnung «Gran Vino» hat dieser anspruchsvolle und auch lagerfähige Weintyp nun eine eigene Herkunftsbezeichnung bekommen. Mit den überzeugendsten Vertretern des Gran Vinos, das beweist die Verkostung für diesen Guide, zeigt Rueda tatsächlich – schon in der Nase  – neue, vielversprechende Facetten. Anstelle zitruskräuterwürziger Primärfrucht finden wir salzige Mineralität, edles Kernobst und vieles mehr. Allerdings ist nicht allen Weinen dieser Sprung zu mehr Ausdruck und Gehalt gelungen, trotz des «Gran Vino» auf dem Etikett. Und in jenen zum Glück wenigen Fällen, wo die Balance nicht ganz stimmt, ist man mit dem unkomplizierten Klassiker dann doch besser bedient.

Die Top 10 der verkosteten Weine

RangBeschreibung
1
18,0/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Bodegas Shaya
2
18,0/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Herrero Bodega
3
17,5/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Bodegas Garciarévalo
4
17,5/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Bodega La Soterraña
5
17,5/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Bodegas De Alberto
6
17,5/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Bodegas De Alberto
7
17,0/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Cuatro Rayas
8
17,0/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Bodega Martínsancho
9
17,0/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Bodegas Shaya
10
17,0/ 20
Punkte
Kastilien-Leon, Spanien
Bodega La Soterraña

Die Verkostung

Die Weine wurden alle über das Konsortium der DO Rueda angefordert. Die Bodegas sollten möglichst drei Jahrgänge der Gran Vino de Rueda anstellen. Thomas Vaterlaus und Miguel Zamorano verkosteten die Weine am 17. Mai 2024 in den Zürcher Räumlichkeiten von VINUM. Die Flaschen wurden allesamt verdeckt ausgeschenkt.