Guide Roussillon: Für Freunde filigraner Rotweine

Die Rebsorten des französischen Südens – Grenache, Mourvèdre, Syrah, Carignan – spielen auch im Roussillon eine Rolle. Vor allem die Syrah erbringt im tiefsten Süden der Grande Nation Weine, die es dank ihrer kühlen, eleganten Präzision, mit den besten Gewächsen der nördlichen Rhône aufnehmen können. Dabei war es in der Vergangenheit so, dass bei Roussillon zuerst die Begriffe Banyuls und Vin Doux Naturel fielen – lange die angesehensten Süssweine Frankreichs. Dass es in den vergangenen Jahren immer mehr Winzern gelungen ist, auch trockene Weine in weiss und rot von ausserordentlicher Qualität zu keltern, scheint auf den ersten Blick wie ein kleines Wunder zu sein. Denn der Klimawandel macht auch hier nicht halt, vor allem der ausbleibende Niederschlag macht den Winzern schwer zu schaffen. Seit Oktober 2022 habe es nicht mehr geregnet, sagten sie uns anlässlich unserer Verkostungsreise im April 2023. Dennoch sorgen die Syrah und die Terroirs, auf denen sie steht, für hervorragende Ergebnisse. Am Fuss der Pyrenäen sind ungewöhnliche und unterschiedlichste Gesteinsformationen anzutreffen: Die Alluvialböden in einigen Tälern, Schieferformationen und viel Kalksteinfels bilden die Grundlage, viele Höhenzüge bilden schützende Amphitheater um die Rebflächen. Ebenso sorgsam scheinen die besten Winzerinnen und Winzer zu arbeiten, die stärker auf biologischen oder biodynamischen Weinbau setzen. Da die heissen Sommer im Roussillon schon immer sehr trocken waren, müssen sich die knorrigen, einzeln stehenden Rebstöcke tief in die steinige Erde vorarbeiten, um an die wenigen Wasserreserven aus den – zumindest früher – schneereichen Wintern zu gelangen. Diese unwirtlichen Bedingungen haben die Reben schon immer wenig ertragreich gemacht, aber auch zu hoher Qualität geführt. Extraktreich, mineralisch würzig und bei den Besten eben auch mit einer erstaunlich feinen, kühlen Ader. Der eingehende Blick auf die Region lohnt sich also auch für die Freunde der filigranen Rotweine.

« Für Weinfreunde mit Lust an Entdeckungen dürfte es wenige andere Regionen geben, die soviel bieten können. »

Harald Scholl VINUM Chefredakteur Deutschland

Auch auf die Gefahr hin als ignorant zu gelten – die Verkostung der Rotweine aus dem Roussillon hat mir einmal mehr gezeigt, wie viel vinologisches Neuland auch in Europa immer noch existiert. Gerade die Grenzregionen zwischen den Nachbarn bergen noch viele Entdeckungen. Das «Pays Catalan» ist ein gutes Beispiel dafür. Dieses französisch-spanische Gebiet war über viele Jahrzehnte rebellisch und unruhig wie am anderen Ende der Pyrenäen das Baskenland. Aber an der Côte Vermeille ist, auch dank Europa, Ruhe eingekehrt, die malerischen Küstenorte wie Collioure erfreuen sich bei Franzosen und Spaniern grosser Beliebtheit. Das liegt auch an den hinreissenden Weinen, die dort gekeltert werden, die wild anmutenden Hochlagen am Fusse der Berge sind eine ganz eigene Welt. Die Ähnlichkeiten der dortigen Böden mit den ebenfalls kühlen Terroirs der nördlichen Rhône könnten ein Grund dafür sein, dass Michel Chapoutier, der wahrscheinlich prägendste Weinmacher der Rhône, sich mit Bila-Haut eine Dependance im Roussillon aufgebaut hat. Vom malerischen Küstenort Collioure bis hin zum windumtosten Dorf Calce ist das gesamte Roussillon landschaftlich vielfältig und touristisch einladend. Dass es trotz jahrhundertealter Weinbautradition und enger Verwandtschaft mit dem weinbaulich aufstrebenden Katalonien immer noch unterschätzt wird, ist nicht nachvollziehbar. Hat aber einen Vorteil. Für Weinfreunde mit der Lust an Entdeckungen dürfte es wenige andere Anbaugebiete geben, die soviel bieten können. Und dabei sprechen wir hier die ganze Zeit «nur» über trockenen Rotweine. Die Weissweine und vor allem die Vins doux naturels sind mindestens ebenso spannend. Also auf ins Roussillon!

Die Verkostung

Harald Scholl verkostete alle Weine in Narbonne, während der Pressereise Terroirs & Millésimes Ende April und Anfang Mai 2023. Die Weine wurden blind ausgeschenkt.