Guide Beaujolais: Eine Renaissance der besten Lagen der Welt
Uff, ah, yes: Eine echte Sensation!
Degustation & Text: Rolf Bichsel, Foto: VINUM
Der obige Auszug erstaunter Stöhnausrufe, die uns bei der Verkostung entschlüpft sind, illustriert besser als tausend Worte: In den einst so arg gebeutelten, verschmähten und verspotteten Crus des Beaujolais geht die Post ab. Fast 15 Jahre ist es her, dass wir uns das letzte Mal mit dieser Weinregion beschäftigten, die nach dem Zweiten Weltkrieg vor allen anderen Erfolge feierte, im Inland wie im Export, ab den 70er Jahren aber ins Hintertreffen geriet. Doch das Warten hat sich gelohnt. Die Indizien, die seit einiger Zeit auf eine klammheimliche, aber echte Wiedergeburt der Region hinwiesen, waren richtig.
Wir sind die Verkostung mit Herzklopfen angegangen – unsere Erwartungen waren hoch. Sie wurden jedoch übertroffen. Dieser Guide gehört zu den interessantesten, spannendsten der letzten Jahre! Das Gros der eingereichten Weine ist nicht nur von verblüffender «technischer» Qualität, sondern auch vielfältig und beeindruckend eigenständig. Ausdrücke wie «kernig, erfrischend, komplex, fruchtig, vollmundig» tauchen in vielen Verkostungsnotizen auf. Fazit: Brouilly, Chenas, Fleurie... das sind Namen, die man sich merken muss. Sie gehören (wieder) zu den besten Lagen der Welt. Nirgendwo sonst findet Gamay so ausgezeichnete Bedingungen vor, und nirgendwo sonst produziert man so umwerfend knackige, saftige, trinkige, echte Terroirweine. Rebensäfte im besten Sinn des Wortes, Kreszenzen, die jung munden und doch reifen können; Weine, die sich alle leisten können, für die sich Kenner und Novizen gleichermassen begeistern werden. Wenn es eine Evolution gibt, die Weinfreunde nicht verpassen sollten, ist es die der Spitzencrus des Beaujolais!
Alte Reben
Die zehn Dorflagen oder Crus des Beaujolais liegen im Norden der Region und schliessen ans Maconnais an. Sie bringen es gemeinsam auf knapp 6000 Hektar Anbaufläche, was etwas mehr als einem Drittel des gesamten Beaujolais (total rund 16000 Hektar) entspricht. Das grösste (und bekannteste) Cru, Brouilly, bringt es auf rund 1200 Hektar; das kleinste, Chenas, auf rund 220. Die höchstgelegene Lage, Chiroubles, reicht bis auf 450 Meter über Meer.
Granit – oder Granit?
Wer sich nicht als Hobbygeologe outen will, wird sich damit zufriedengeben, dass der Gamay in den Dorflagen auf den granitenen Flanken des Beaujolais-Gebirgsmassivs wächst. Die Wirklichkeit ist komplexer. Da ist von grauem oder rosa Granit die Rede, von Gestein vulkanischen Ursprungs, von «blauem» Stein aus Schiefer und Diorit, auch von Sandstein, Mergel, Lehm, Sand oder Kies... Kein Wunder – Vielfalt ist ein Merkmal der Beaujolais-Crus.
Resultate, Analysen, Statements
« Gewiss, die Crus des Beaujolais können reifen. Doch für einmal ist das nicht Pflicht, sondern Kür. »
Rolf Bichsel VINUM-Autor
Meine Begeisterung ist nicht gespielt. 2020 hat für mich mit einer kleinen Sensation begonnen. Natürlich gab es auch in dieser Verkostung ein paar enttäuschende Weine. Wegen technischer Mängel ausgesondert haben wir kaum eine Handvoll. Bei den anderen handelte es sich fast ausschliesslich um Weine mit (klimabedingt) spürbarem Alkohol oder übertriebenem Holzeinsatz. Beides ist verständlich. Wer so lange auf Knien unter dem Joch der Vorurteile durchmusste, will, um auf dem umworbenen Weltmarkt bestehen zu können, seine Muskeln spielen lassen. Sowohl 2017 als auch 2018 waren ferner klimatisch nicht eben durchschnittliche Jahre. Klimaerwärmung findet auch in den Hügeln des Beaujolais statt. Immerhin beweisen einige Winzer, dass 14 Volumenprozent Alkohol selbst im tropischen 2018 keine Fatalität sein muss. Mit Holzausbau ist es ähnlich.
Nein, ich bin nicht gegen den Einsatz in der Barrique, aber resolut für trinkige Weine. Die Pluspunkte eines Beaujolais-Crus sind gerade seine Eigenständigkeit, sein Terroirausdruck, und seine unverfälschte Aromatik von Blumen, Kräutern, Mineralien, Gewürzen, Beeren, die ihn von seinem Nachbarn unterscheiden, neben geschmacklichen Eigenschaften. Ein weiterer die Tatsache, dass auch ein Cru schon jung genossen werden kann. Wir haben deshalb die Angabe der optimalen Trinkreife bewusst früh angesetzt, um dieser Tatsache Rechnung zu tragen, auch wenn die Spitzenweine aus dem Beaujolais problemlos 10, 15 oder sogar 20 Jahre im Keller ruhen können und dabei langsam, aber sicher in die Nähe eines reifen grossen Burgunders rücken. Doch das ist nun wirklich für einmal nicht Pflicht, sondern Kür. Sehr zum Wohl!
Die Verkostung
Rolf Bichsel verkostete die Weine mit dem Dachverband des Beaujolais vor Ort. Insgesamt 50 Betriebe reichten ihre Muster ein. Darunter bekannte Häuser wie Château de Jacques oder Richard Rottiers, aber auch weniger bekannte Erzeuger. Findet man die Weine nicht im Fachhandel, hilft ein Abstecher in die Region: Fast alle Winzer vertreiben ihre Weine direkt ab Hof oder sogar online.