Guide Viognier im Fokus: Mehr als ein barocker Festschmaus
Betörend mit viel Sexappeal
Degustation: Sigi Hiss, Miguel Zamorano; Text: Sigi Hiss, Fotos: VINUM
Eine der Protagonisten der französischen Weinregion Rhône schlechthin ist die weisse Sorte Viognier. 1968 standen im Mutterland Frankreich gerade mal noch 14 Hektar. Im Jahr 2015 sind es fast 6500 und weltweit aktuell sogar 12 000 Hektar. Allerdings nimmt der deutschsprachige Raum vergleichsweise wenig bis gar keine Notiz von dieser alles andere als belanglosen Sorte. Im Gegenzug wiederum war es sehr erstaunlich, dass Deutschland und die Schweiz je gleich viel Weine anstellten wie Frankreich. Offensichtlich hat die Sorte bei einigen Weingütern doch so viel Interesse geweckt, dass man sich mehr mit ihr befasst hat. Fährt man kurz vor der Ernte durch die Weinberge, dann glänzen die vollreifen Beeren in einem tiefen Goldton mit der Herbstsonne um die Wette. Und exakt so sind die Weine daraus: füllige Barockengel mit viel Schmelz, Rundungen und einem Füllhorn an floralen wie auch exotischen Aromen. Dieser Üppigkeit steht meist alkoholische Kraft entgegen, aber auch eine eher niedrige Säure. Es handelt sich also um Weissweine, die über einen extravaganten Charakter verfügen. Immer wieder neigt man dazu, eine hohe Restsüsse zu schmecken. Was dann doch meist an der erwähnten Fülle liegt. Tatsächlich liegt zwischen Charakter und Belanglosigkeit aufgrund der angesprochenen Eigenschaften (mächtiger Schmelz und sehr wenig Säure) ein schmaler Grat. Belanglosigkeit zeigte sich in diesem VINUM-Wineguide klar als Minderheit. Und es gibt auch Ausbaustile, die dem Zeitgeist zumindest einen Schritt mehr entgegenkommen; weniger Barock und Power haben. Kommt beim Viognier alles zusammen, dann betört einen Sophia Loren mit ihren vor Sexappeal strotzenden Rundungen.
Resultate, Analysen, Statements
«Der Blick nach Südafrika, nach Argentinien oder ins Vino-Hipsterparadies Washington State lohnt sich.»
Miguel Zamorano VINUM-Redakteur
Mein erster Condrieu war La Doriane 2012 von der Maison E. Guigal. Ich durfte diesen Wein vor einiger Zeit bei einer Verkostung mit Einkäufern geniessen. Diese Dichte, diese Wucht und, ja, diese barocke Opulenz nahm mich sofort ein. Es ist ein Wein, der – mit allem, was er hat – sich auf erfreulich irritierende Weise gegen die Zeit stemmt. Ich gebe unumwunden zu: Als ich erfuhr, dass ich bei einer meiner ersten VINUM-Verkostungen Viognier im Glas haben sollte, freute ich mich wie ein kleines Kind. Jetzt, nach über 50 entkorkten Flaschen, festigt sich der Eindruck, dass die Rhône-Winzer glanzvolle Meister ihres Faches sind – komplexe, florale Eindrücke und Kraft miteinander so zu kombinieren, dass man schlicht nicht in die Knie geht. Die Verkostung hat auch gezeigt, dass nicht alle Winzer, die sich in dieser hohen Kunst ausprobieren, auch halbwegs akzeptable Weine hinbekommen. Der Versuchung, die geballte Frucht durch ein Mehr an Säure und Struktur in Einklang zu bringen, erliegt so mancher eifrige Rhône-Nachahmer leider nicht.
Doch die Winzer anderorts lernen schnell. Da reicht der Blick ins Nachbarland Deutschland. Hier ziehen einige Weinmacher Viognier von Weltformat auf die Flasche. Auch fernab seiner französischen Heimat keltern erfahrene Winzer diesen Weisswein auf hervorragende Weise – in Südafrika etwa, in Argentinien auf andinen Höhen, im Vino-Hipsterparadies Washington State. Oder in Portugal, wo im Alentejo das Haus Julio Bastos den Umgang mit der Sorte meisterlich beherrscht.
Erfreulich auch für Viognier-Fans, die aufs Budget achten: Man kann ihn auch als Best- Buy-Format trinken, wie unsere Verkostung zeigt. Es muss ja nicht immer Condrieu sein.
« Was mir imponiert, ist die stringente Verfolgung des Stils und Charakters der Sorte Viognier.»
Sigi Hiss VINUM-Verkosterteam
Als Weindegustator sind die eigenen Vorlieben beiseitezuschieben, so gut es geht. Was einem persönlich gefällt und was Qualität ist, findet sich nicht immer in ein und derselben Flasche. So geht es mir mit vielen der mächtigen Roten und den korpulenten Weissen der Rhône-Region.
Was mir indes imponiert, ist die stringente Verfolgung des Stils und Charakters der Sorte Viognier. Wenn man so will: das unbedingte Festhalten am Terroir. Dabei werden aktuelle Trends schon auch mal locker ignoriert. Aktuell heisst das ja vor allem, ein Mehr an Frische mittels einer lebendigen Säure und schlanken Frucht. Zugegeben – das ist eher mein persönlicher Geschmack abseits des beruflichen Alltags. Und die Charaktereigenschaften des Viognier sollten ja auch nicht einfach wegvinifiziert werden.
Trotzdem gefallen mir kraftvolle Weine mit ausreichend Balance. Weshalb mich die Weine für diesen Guide doch überrascht haben. Nicht alle, nicht vollends, aber doch mehr als von mir erwartet. Dass bei der niedrigen Säure, dem recht hohen Alkoholgehalt, der konzentrierten und exotisch expressiven Frucht die Balance schwierig zu finden ist, scheint offensichtlich. Ist sie da, so ist es ein kräftiger und den Gaumen füllender Stil. Das alleine wäre etwas wenig, denn da ist noch eine besondere und eigenständige Aromatik.
Kurz, wenn er nicht zu barock ausfällt, gefällt mir Viognier. Auch meine ich, man versucht, die Sorte eine Spur weniger mächtig zu vinifizieren, ohne dabei ihre rebsortentypische Identität abzugeben. Ein Freak und glühender Viognier-Anhänger werde ich sicherlich nicht mehr. Respekt und Achtung vor diesem speziellen Stil habe ich auf jeden Fall.
Die Verkostung
Die Muster wurden alle direkt von Winzern (Deutschland, Österreich und Schweiz) angefordert sowie beim Fachhandel. Sigi Hiss und Miguel Zamorano verkosteten die Weine in der VINUM-Redaktion unter optimalen Bedingungen. Alle Weine wurden blindverkostet, Die Ergebnisse finden Sie auch in unserer Weinsuche. Bitte geben Sie in das Suchfeld Degustation ein: «Guide: Viognier im Fokus».