Guide: Weissweine von der Loire
Fantastische Weisse vom mächtigen Strom
Verkostung und Text: Rolf Bichsel, Fotos: Rolf Bichsel
Der längste französische Fluss ist Wiege von trockenen und edelsüssen Weissweinen, die der Schreiber ganz einfach zu den besten der Welt zählt. Leider (vielleicht, weil sie fälschlicherweise als Konkurrenz für einheimische Gewächse gelten, mit denen sie kaum mehr gemein haben als die Farbe) kommen sie nur tröpfchenweise auf den deutschsprachigen Markt. Wir können nur hoffen und beten, dass sich dies rasch ändert.
Die Loire ist nicht nur «un long fleuve tranquille» (ein langer, ruhiger Fluss, Titel eines Kultfilms von Etienne Chatiliez). An der Loire ist auch ganz schön viel los. Da gibt es nicht nur 1000 Schlösser, da wachsen nicht nur Artischocke, Rose und Raps, da gibt es auch hervorragende Weine. Aus unerfindlichen Gründen beginnt jedoch selbst für viele erfahrene Weinliebhaber die Loire weinmässig in Pouilly (Fumé) und hört in Sancerre bereits wieder auf. Allenfalls lassen sie gerade noch Chinon gelten, weniger, weil sie wissen, dass aus dieser Gemeinde grosse Rot- und auch Weissweine stammen, sondern weil in Chinon doch der ominöse Dichter Rabelais zu Hause war, dessen Name sich in gargantuaisch und pantagruelisch auf Saus und Braus zu reimen scheint. Doch die Loire ist in Tat und Wahrheit so unendlich viel mehr wert, als dies ein paar ausgebrannte Klischees wahrhaben wollen. Sie ist ganz einfach einer der bemerkenswertesten und vielseitigsten Weingrossräume der Welt.
«Klimaunfälle liessen diesen Guide mit bemerkenswerten Weissen beinahe scheitern.»
Rolf Bichsel VINUM-Autor
Nicht, weil es da besonders viele Traubensorten gäbe, eher im Gegenteil. Von ein paar lustigen Ausnahmen abgesehen (Gamay, Pinots, Chardonnay, Côt) beschränken die sich auf Cabernet Franc, Chenin und Sauvignon Blanc. Nein, weil hier Terroir und Klima (das auch mal gehörig launisch ausfällt, besonders in den letzten Jahren, davon gleich mehr) alte und neue Traditionen und Winzer, die mit alle dem gebührend umzugehen wissen, für unendliche Variationen sorgen. Weil es hier echte Crus gibt, Weine mit ausgeprägtem Ortscharakter. Und weil Loire-Winzer nicht verlernt haben, wozu Rebensaft bestimmt ist: zum Geniessen, Trinken, Schlemmen, ob als Begleiter eines Stücks sämigen Ziegenkäses oder zu einem ganzen Festtagsmahl mit mehreren Gängen.
Zahlen und Fakten
Mit einer Länge von 1004 Kilometern ist die Loire der längste Fluss Frankreichs.An seinen Ufern liegen 43 000 Hektar Rebberge, die in 50 kontrollierte Herkunftsbezeichnungen sowie in die alles umfassende IGP Val de Loire gegliedert sind. Aus 24 Rebsorten werden 41 Prozent Weisswein, 27 Prozent Rosé, 19 Prozent Rotwein und 13 Prozent Schaumwein gekeltert. Im Schnitt produzieren die Winzer an der Loire 270 Millionen Flaschen.
Gourmand und Gourmet
François Rabelais, geboren 1494 bei Chinon, war Ordensbruder, Arzt, Humanist und ein bedeutender Schriftsteller der Renaissance, der in seinem fünf Bände umfassenden Romanzyklus über die beiden (verfressenen) Riesen Gargantua und Pantagruel herrlich burleske Episoden schrieb. Die Zitate: «Der Hunger kommt beim Essen; aber der Durst vergeht beim Trinken» oder «Wenn ich trinke, denke ich, und wenn ich denke, trinke ich», stammen aus Rabelais’ Feder.
Resultate, Analysen, Statements
Meine Leidenschaft für die Loire scheint vom Pech verfolgt. Eigentlich wollte ich ja gleich ein Jahr lang in jeder Ausgabe ein paar Seiten über die, aus und von der Ecke plaudern und ganz besonders die Weissen näher ins Auge fassen. Dass dieses zugegebenermassen ziemlich ungehörige Unterfangen bei der Redaktionskonferenz abblitzte, nicht nur, weil es genügend andere brennende Themen gibt, sondern auch angesichts der mangelnden (oder inexistenten) Marktpräsenz dieser Weine auf dem deutschsprachigen Markt, ist verständlich. Zum Trost – wer am meisten liebt, ist der Unterlegene und muss leiden, weiss Thomas Manns Tonio Kröger – gab es diesen Beitrag. Es sollte dabei weniger Vollständigkeit angestrebt werden als vielmehr, aus möglichst vielen Ecken der mittleren Loire ein paar Muster vorzustellen, darunter möglichst viele Gewächse bekannter Winzer. Leider hat uns das Klima einen Strich durch die Rechnung gemacht. Ein paar Tage, nachdem unsere Einladung zur Mustereinsendung verschickt war, wurden viele Gebiete vom Frost getroffen. Andere litten unter Hagel. Angesichts der knappen Mengen, erhielten wir erst einmal ein paar Dutzend Absagen. Nur meinem Dickkopf und dem Charme und der Effizienz meiner Mitarbeiterinnen in zahllosen Telefonaten ist es zu verdanken, dass wir Ihnen hier dennoch eine hübsche Auswahl absolut bemerkenswerter (und selbst im oberen Segment meist geradezu lächerlich preiswerter) Weisser präsentieren können, darunter auch solche der «neueren» AOC-Zonen wie Touraine-Chenonceaux, Touraine-Azay-le-Rideau oder Orléans, auch wenn einige Appellationen wie Vouvray oder Montlouis und die süssen aus dem Anjou (Layon, Bonnezeaux) ganz fehlen. Im Namen der Winzer bitten wir hierfür um Vergebung.
Die Verkostung
Rolf Bichsel verkostete alle Weine in unserem Stützpunkt in Bordeaux. Die Einladung ging an über 150 Qualitätswinzer der zentralen Loire-Regionen von Orléans bis Anjou. Weil es vielen Domänen nach mehreren Klimaunfällen an Wein mangelt, ist die Anzahl der eingesendeten Muster leider beschränkt. Wir danken allen Winzern, die für unsere Leser dennoch ein paar Flaschen geopfert haben.
Ratings & Notizen aller Weine