WINZERDÖRFER

#01 MALANS

 

Text und Fotos: Joël Gernet

  • In keinem anderen Weinland lassen sich auf so engem Raum so viele eigenständige Winzerdörfer entdecken wie in der Schweiz.
  • Gute Laune und gute Weine im Gepäck: Martin, Heidi und Thomas Donatsch (v.l.) landen nicht mit leeren Händen im Restaurant «Weiss Kreuz».
  • Wo lang geht’s zum Wein? Die Torkel der Malanser Winzer sind dank Wegweisern nicht zu verfehlen. Auch wer sich intuitiv treiben lässt, wird fündig – die Dichte an Produzenten ist...
  • Der Platzbrunnen mit seiner Steinbockskulptur ist einer von diversen historischen Dorfbrunnen. 2011 wurde Malans mit dem Brunnenpreis ausgezeichnet.

Vom Marktplatz zum Weinmekka. Wer im südlichsten Weinbaudorf der Bündner Herrschaft einkehrt, findet alles, was das Geniesserherz begehrt – von der autochthonen Rarität über besten Biowein bis zur Spitzenküche in historischen Gemäuern.

 

Der Steinbock auf dem Dorfbrunnen trägt Weiss. Eingebettet in eine Schneedecke, scheint Malans an diesem Januarmorgen im Winterschlaf zu stecken. Vorbei am Dorfladen geht es die Sterngasse entlang zum Weingut Donatsch. Von hier aus hat Thomas Donatsch seit den 70er Jahren die Weinwelt erobert – erster Bündner Pinot Noir aus der Barrique, gereift in Romanée-Conti-Fässern, die gesetzeswidrige Ansiedlung des Chardonnays, dessen anschliessender Triumphzug... die Geschichten sind so bekannt wie legendär.

Jetzt sitzt Thomas Donatsch vor dem blauen Kachelofen in seiner Winzerstube «Zum Ochsen» und philosophiert mit Sohn Martin über Fluch und Segen als Winzer in Malans, über Weine von Weltformat, deren Auflage so klein ist, dass man Anfragen von Gourmetrestaurants aus aller Welt normalerweise abblitzen lässt. «Mit 35 000 Flaschen pro Jahr hat unser Weingut die perfekte Grösse», findet Martin Donatsch, «ich kenne jeden Rebstock und jeden Kunden. Jede Flasche hatte ich mindestens einmal in der Hand.» Gelegentlich fragt sich der 38-Jährige dennoch, wie es wäre, international bekannter zu sein – wenn er aber sieht, wie Topwinzer auf Grossbetrieben zu Managern mutieren, ist Donatsch mehr als zufrieden. «Wir haben regelmässig Besuch von weltbekannten Winzern, die gerne mit uns tauschen würden.»

Wichtiger als internationale Präsenz und Auszeichnungen ist Martin Donatsch die Konstanz seiner Arbeit. Für eine noch konsequentere Weinqualität würde er sich am liebsten nur noch auf Pinot Noir, Chardonnay und Completer beschränken. Der Weisse aus der autochthonen «Malanserrebe» hat sich neben den Unique-Weinen zu einem Flaggschiff des Hauses gemausert. Nach Jahren in der Versenkung hat Thomas Donatsch Anfang der 90er Jahre mit der Zucht eigener Completer-Selektionen begonnen. Statt einheitlich getrimmte Klone einzukaufen, wird bei Donatsch bis heute das Beste aus den eigenen Reihen vermehrt.

Auf der Sterngasse ist Leben eingekehrt. Schulkinder jagen über die schneebedeckte Strasse, auf der früher Pferdekarren verkehrten, unterwegs auf der bedeutenden Nord-Süd-Transportachse zwischen Deutschland und Italien. Malans, strategisch gut gelegen im Süden der Bündner Herrschaft an der Abzweigung ins Prättigau, hatte einst das Recht auf einen Wochenmarkt – vom Privileg als Handelsplatz zeugen die stolzen Patrizierhäuser rund um den Dorfplatz.

Über diesen schlendern Heidi und Thomas Donatsch mit ihrem Sohn in Richtung Restaurant «Weiss Kreuz», im Gepäck ein Pinot Noir Unique und eine Flasche Completer. Diese macht über Mittag im Lokal die Runde. Von Gastgeberin Iris Petermann bis zu Weinkeller-König Hans Rhyner erhält jeder eine Ration der Rarität, die sich hervorragend als Essensbegleiterin eignet. «Damit kannst du jeden Master of Wine aufs Glatteis führen», sagt Martin Donatsch lächelnd. Er interpretiert die Malanser Urrebe – mit 2,76 Hektar gedeiht hier fast der gesamte Bündner Bestand der Sorte – von ihrer frischen Seite. Mit der Zitrusfrucht und Mineralität eines frischen Chardonnays, kultiviert wie eine Riesling-Beerenauslese. Genügend Fruchtzucker ist essenziell für den Completer mit seiner prägnanten Säure. Diese hat so viel Zug, dass der Wein vor der Abfüllung traditionellerweise jahrelang gelagert wird. Nicht so bei Donatsch, wo bereits der Jahrgang 2014 erhältlich ist.

Ganz anders packt Giani Boner die eigenwillige Sorte an. In seiner Completer-Kellerei neben der Dorfkirche führt er mit einem oxidativ ausgebauten Completer die Familientradition fort. Sein Grossvater hat die Malanserrebe bereits im ehemaligen Klostergewölbe so gekeltert – und die Mönche damals auch. Wie bei Donatsch werden Augenmass und Bauchgefühl höher gewichtet als technischer Schnickschnack. Im Winter lässt Boner den Keller im Gleichschritt mit der Natur abkühlen. Den biologischen Säureabbau vollziehen die Weine erst im Frühling. Der jahrelange oxidative Ausbau in Barriques verleiht dem Completer nussige Noten, wie man sie auch von Sherrys kennt. Boner vergleicht seine Spezialität lieber mit Vin Jaune aus dem französischen Jura.

Geschwefelt wird erst vor der Abfüllung – über ein Jahrzehnt nach der Ernte. Die Weine sind so stabil, dass die Säure als Konservierungsmittel ausreicht. Im vergangenen Jahr hat Boner den 2005er abgefüllt, verkauft wird aktuell der Jahrgang 2003. «Eigentlich ist dieser Wein noch ziemlich jung», findet Boner, dem zurzeit die Exemplare aus den 80er Jahren besonders gefallen. Ihm ist klar, dass nur ein kleiner Teil seiner Kunden die Weine so lange lagert. Ebenso ist sich Boner bewusst, dass sich das Konsumverhalten der Weintrinker verändert. «Doch die Jungen verdienen Geld und sie geben es auch aus», zeigt sich der Winzer zuversichtlich. Bei einer Completer-Produktion von rund 2000 Flaschen pro Jahr wird er kaum Probleme haben, seine Rarität zu verkaufen. Ihn beschäftigen andere Herausforderungen. Etwa die veränderten Reife- und Erntezeitpunkte im Kontext der stetig steigenden Temperaturen und Öchsle-Werte. Ebenso beschäftigen Boner die Bedrohung durch die Kirschessigfliege, die steigenden Boden- und Mietpreise sowie die Überbauung von Rebflächen. Grosses Gesprächsthema im Dorf ist aktuell ein Bauprojekt an der Jeninserstrasse, bei dem 6000 Quadratmeter Reben 60 Wohnungen weichen müssen.

«Gutes Rebland ergibt halt schöne Wohnlagen», stellt Peter Wegelin fest. Auch er beobachtet mit wachem Blick den Wandel des Dorfes, dessen Bevölkerung sich in den letzten Dekaden beinahe verdoppelt hat auf rund 2300 Einwohner. In seinen Augen sollte Malans Sorge tragen zu den Rebflächen im Dorf. Die Parzellen zwischen den historischen Häusern verleihen der Gemeinde Grünfläche und Charme – umgeben von Trockensteinmauern unterstreichen sie auch den gern zitierten Vergleich als «Burgund der Schweiz». Das geflügelte Wort ist hier definitiv mehr als ein gut ausgedachter Marketingslogan. Vor allem natürlich dank der Malanser Topwinzer und ihrer burgundisch-elegant anmutenden Pinots, zu deren Vorreitern Wegelin gehört. Die moderne Kellerei seines Scadenaguts thront über dem Dorf, unterhalb von Schloss Bothmar. In diesem historischen Herrschaftshaus begann 1974 die Familie Wegelin mit der Kelterung eigener Weine. Zuvor bildete Vater Wegelin mit den Malanser Winzern Godi Clavadetscher, Georg Fromm und Jakob Liesch eine legendäre Torkelgemeinschaft.

Es war ein wichtiger Schritt vom Traubenproduzenten zum Selbstkelterer, sinnbildlich für eine ganze Generation von Winzern, die seit den 70er Jahren für den Aufschwung des Malanser Weinbaus sorgen und deren Weg heute von ihren Nachfolgern weiter beschritten wird. Vor zwei Jahren hat Peter Wegelin seinen Weinbaubetrieb auf Bio umgestellt. Neue Herausforderungen, aber auch die Sorge um Natur und Umwelt waren seine Motivation. Draussen auf der Terrasse des Scadenaguts stehen Stahltanks und Barriques. Wie Boner nutzt Wegelin die winterlichen Temperaturen zur nachhaltig-natürlichen Kühlung. Mit der Umstellung auf Bio verspricht er sich kleinere, aromatischere Trauben und qualitativ bessere Weine, die Sortencharakter und Terroirvertieft widerspiegeln. Wegelin ist in bester Gesellschaft – Malans gilt als Vorreiter im biologischen Weinbau. Für ausgezeichneten Biowein stehen heute unter anderem Winzer wie Roman Clavadetscher, Luzi Boner oder Louis Liesch, der «VINUM-Biowinzer des Jahres 2014».

Wenn Wegelin vom Scadenagut nach Hause schlendert, spaziert er am Weingut von Anjan Boner vorbei. Vor dem historischen Haus zeugt lediglich eine liebevoll verzierte Holztafel von den Aktivitäten seines Bewohners. «Wir vereinen hier eines der ältesten Geschlechter und das jüngste Weingut von Malans», erklärt Anjan Boner. Kein Wunder also, dass der Name Boner die Malanser Weinwelt prägt. Im Dorf gibt es mehrere Familien, zwischen denen jedoch keine direkte Verwandtschaft besteht. «Ich bin stolz, in Malans Wein zu machen», sagt Anjan Boner. Seinen ersten Jahrgang hat er 2007 gekeltert. Und sich damit einen Bubentraum erfüllt. Seine Familie bewirtschaftet seit mehreren Generationen zwei Hektar Rebland, die Trauben wurden jeweils verkauft. Als Boner im Teenageralter seinem Grossvater verriet, dass er künftig selber Wein machen will, hatte dieser Bedenken, dass ihm der Enkel die Arbeit im Rebberg streitig macht. Doch schliesslich war er es, der dem Enkel die Unterlagen zur Winzerlehre besorgte. Inzwischen hat Boner zudem eine Önologie-Ausbildung in Österreich absolviert.

Weil er für die Weinhandelsfirma Globalwine tätig ist, pflegen dieEltern die Reben nach seinen Vorgaben. «Eines Tages werde ich mich wohl entscheiden müssen», sagt Boner. Seit 2007 stieg seine Produktion von 1200 auf 6500 Flaschen – auch dank neu gepachteter Lagen. Kein einfaches Unterfangen in Malans, wo Rebland genauso begehrt ist wie Bauland. Zur Kelterung geniesst Boner Gastrecht bei Jürg Hartmann am anderen Ende des Dorfes in Richtung Landquart. Dort, wo mit der Autobahn A13 und der SBB-Bahnlinie die heutige Reise- und Handelsroute entlangführt. Seine Stellung als Marktmacht und Durchgangsort hat Malans zwar eingebüsst – seinen Charme jedoch nicht. Deshalb weicht manch ein Reisender gerne von seiner Route ab, um einen Abstecher in dieses einzigartige Winzerdorf zu machen.

UNSERE WEINTIPPS AUS MALANS

 

Peter Wegelin, Weissburgunder 2014

17.5 Punkte | 2016 bis 2018

Zunächst zurückhaltend im Bouquet trumpft Wegelins Weissburgunder nach dem ersten Schwenker auf mit einem zitrischen Aromenspiel, grünem Apfel und frischem Kernobst – und mit einem Hauch von Feuerstein. Animiert mit feinem Prickeln, frischer Frucht und strammer Säure. Anklänge von Zitronensalz, Limette und Brennnessel. Im Abgang mit herber Frucht und feiner Kräuterwürze.

 

Anjan Boner, Blauburgunder Auslese 2013

17.5 Punkte | 2016 bis 2023

Pinot pur. Gekeltert aus Trauben von 60-jährigen Reben, besticht Boners Blauburgunder mit Aromen von Kirsche, Erdbeere, Waldbeeren und Roter Johannisbeere, dahinter dezente Barriquenoten. Im Gaumen sanft und saftig mit klarer Frucht, die sich vom Auftakt bis zum Abgang durchzieht und sich zunehmend verdichtet. Elegant in Säure und Tannin, beides sehr schön eingebunden, frisches Finish.

 

Completer-Kellerei, Malanser Completer 2003

18.5 Punkte | 2016 bis 2030

Goldgelb im Glas und opulent in der Nase offenbart dieser oxidativ ausgebaute Completer ein wahres Aromenfeuerwerk. Da trifft reifes Kernobst auf Aprikosengelee, dunklen Honig und Crème brulée, dazu getrocknete exotische Früchte, gemahlene Nüsse und eine Prise Zimt; frisch im Gaumen vom sanften Auftakt bis zum rassig-würzigen Finish, jodig-salzige Sherry-Noten sowie eine dezente Restsüsse.

 

Weingut Donatsch, Pinot Noir Unique 2013

19 Punkte | 2016 bis 2030

So klein die Ernte 2013 ausgefallen ist, so konzentriert präsentiert sich dieser Pinot. Für Martin Donatsch einer der besten Weine, die er bis her gekeltert hat – man merkt warum: bereits im jugendlichen Stadium dicht, elegant und mit Aromen von dunklen Waldbeeren, etwas Lakritze und einer frischen Kräuterwürze. Seidene Tannine und eine tolle Säure prophezeien eine wunderbare Entwicklung.

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