WEINSZENE WIEN
SCHÖNER SAUFEN #05
Text: Manfred Klimek, Fotos: Monika Saulich
«Das muss ein Stück vom Himmel sein, Wien und der Wein, Wien und der Wein» – in Wien wurde die Feingastronomie erfunden und vom Proletariat kultiviert. Doch aus der Hauptstadt der Heurigen ist längst eine der bedeutendsten Weinstädte Europas geworden.
«Wien und der Wein», das ist auch die Geschichte einer proletarischen Weinkultur, einer Liebe zu frischen und säuerlichen Weinen, die sich sogar im Bürgertum festmachte. Dort muss der Veltliner halt aus der Wachau kommen, was ihn als besseren Veltliner festmacht als jenen aus dem Weinviertel.
«Wien und der Wein», das ist die Geschichte einer Institution namens «Heuriger», der ersten Weinbar der Welt sozusagen, mit begrenzten Öffnungszeiten, die noch bis in die 70er Jahre dazu da war, dass die Leute ihr eigenes Essen mitbrachten (Schweineschnitzel mit Erdapfelsalat) und dazu aus Humpengläsern Veltliner, Neuburger, Welschriesling, Riesling oder Zweigelt soffen. Nicht tranken, sondern soffen. «Sauf dein Wei aus, bevurst gehst», rief einem der Wirt nach, wenn man den Liter, der kein Geld kostete, nicht ausgetrunken hatte.
Solche Art Heurige sind selten geworden, die meisten dieser Lokale mutierten zu sogenannten Nobelheurigen mit gutem bis sogar exzellentem Essen. Die vollsten sind jene mit der besten Aussicht. In den 90er Jahren kam die Institution in die Krise, denn nach dem verheerenden Weinskandal von 1985 erfand sich der österreichische Weinbau komplett neu. Und in dieser neuen, von Qualität beherrschten Welt hatte der einfache, «resche» Heurigenwein keinen Platz mehr, nicht mal als durstlöschende Schorle. Die Touristen haben ihn überleben lassen. Dort, wo man sie hinkarrt, nach Grinzing, Sievering, selten Stammersdorf. Als Symbol einer zur Idiotie verkommenen Gemütlichkeit.
Keine Floskel!
Doch gibt es Perlen. Echte Perlen. Und die haben mit dem neuen Wiener Weinbau zu tun, der sich von allen anderen städtischen Weinbaugebieten Europas dramatisch unterscheidet, denn in Wien dringen die grossen Lagen des Nussbergs tief in die Wohngebiete der Stadt ein. Und teilweise, wie im 17. Bezirk, sogar in den Sozialwohnbau. «Wien und der Wein» ist also keine Floskel, die Verbundenheit des Wieners zum Wein ist gelebte Genusskultur. Wien hat superbe Cocktailbars (etwa die altehrwürdige «Loos-Bar»), Wien hat schattenspendende Biergärten (etwa das «Schweizerhaus»), doch kein anderes Getränk ist so zahlreich Mittelpunkt einer ausgerichteten Gastronomie wie der Wein. Er ist der König der Getränke in Wien. Das macht die alte Donaumetropole schon zwingend zum Reiseziel jedes enthusiastischen Weintrinkers. Und wenn er für jede Erscheinungsform der Weinkultur aufgeschlossen ist, dann wird er in Wien das Paradies auf Erden finden. Und nein: Auch das ist keine Floskel!
Und weil der Heurige die erste Weinbar der Welt war, beginnen und beenden wir unsere Reise nach Wien mit zwei Heurigen, die ähnlich sind, doch unterschiedlicher nicht sein könnten. Keiner der beiden ist der naheliegende Tipp: der Heurige des Wiener Prestigewinzers Fritz Wieninger. Dieses wunderbare Lokal bleibt hier nur am Rande erwähnt mit der Empfehlung, hier, am Fusse des Bisambergs, auch ein paar ältere Jahrgänge Wieningers zu entkorken. Vor allem die Pinot Noir und die rote Cuvée Wiener Trilogie (Zweigelt, Merlot und Cabernet Sauvignon), die einen stets aufs Neue erstaunen lassen, welche Rotweinqualität in Wien möglich ist. Fritz Wieninger kommt aus jener Generation österreichischer Winzer, die zuerst mal mit internationalen Sorten Erfolg haben wollte. Das war vor der autochthonen Welle. Und man muss heute dankbar sein, dass es diese Weine gibt, die nun für jene Vielfalt sorgen, die andere Winzer nicht mehr liefern können.
Heuriger Hengl-Haselbrunner
Doch wir werfen einen Blick in einen der beiden grossen traditionellen Heurigenbezirke Wiens, den «Neunzehnten Hieb», auch Sievering genannt. Am unteren Ende des Grätzls (eine Ansammlung von Strassen mit ähnlicher Kultur) firmiert der Heurige «Hengl-Haselbrunner», ein Traditionsbetrieb, der vom Sohn des Hauses vor etwa 20 Jahren sehr sanft in die Moderne geworfen wurde. Die alten Gäste blieben, die jungen kamen hinzu, schon alleine, weil der Juniorchef dem Wein auch ein Kulturprogramm hinzusteuerte, nämlich Heurigenlieder, wie sie der Wiener gerne mag, jedoch mit einem etwas sarkastischen Einschlag und nicht von Gesellschaftskritik befreit.
So war es früher schon: Der Heurige war auch immer ein Labsal des Volkes. Und hier sprach und spricht das Volk. Nicht immer, was Politiker gerne hören. Der «Hengl-Haselbrunner» ist streng genommen kein Heuriger, sondern eine Buschenschank, die eigentlich nur eingeschränkt öffnen dürfte. Doch da gibt es irgendwo eine Ausnahme, und so kann man die Weine des 13 Hektar grossen Guts uneingeschränkt geniessen. Nicht weit entfernt fährt die Strassenbahn runter in die Stadt, und man kann sich bedenkenlos Grünen Veltliner (die österreichische Nationaltraube) hinter die Binde kippen. Bei «Hengl-Haselbrunner» weiss man zudem vom Wert der Lagen und baut die Weine meist standortgetreu aus. Antrinktipp: Riesling Nussberg (wenn möglich 2013 trinken), ein grosser, jetzt schon faszinierend präsenter Wein, der so gar nichts mit deutschen Rieslingen gemein hat, und der Pinot Blanc vom Hungerberg (die Lage beginnt gleich hinterm Haus), der so stark nach exotischen Früchten schmeckt, dass man glaubt, ein Mango-Bananen-Ananas-Korb wäre in den Tank gefallen. Beide Weine – auch das ist wienweintypisch– gelangen nur zur mittleren Länge. Freilich gibt es Ausnahmen, die aber eher selten.
Bruch mit der Tradition: O Boufés
Nach dieser traditionellen Einleitung und einem Traditionsbetrieb wird es gleich Zeit für den grossen Bruch. Auch Wien hat eine neue Weinbar, eine Weinbar, die auf Traditionen pfeift und vor allem Orange oder Naturwein auf die Theke stellt. Das Lokal heisst «O Boufés» und gehört Konstantin Filippou, der nach Hellas klingt, aber aus Graz kommt. Freilich waren seine Eltern Griechen, doch das tut nichts zur Sache, weil Filippou auch auf Herkunft pfeift und sein grandioses Restaurant, das selbstredend selbstbewusst unter seinem Namen firmiert, mit der derzeit wohl kreativsten Küche der Stadt bespielt.
Das «O Boufés» ist eine Aussenstelle des Restaurants. Mit den in Deutschland sehr beliebten «Aufschnittplatten» reisst man in Wien, wie es hier so schön heisst, «kein Leiberl». Deswegen muss fast überall, wo Wein fliesst, etwas Anständiges zum Essen mit auf den Tisch gebracht werden. Das «O Boufés» sieht so aus, als hätte man das «Dottir» (ein derzeit ungemein hippes skandinavisches Lokal in Berlin) einfach eingepackt, runtergeflogen und wieder ausgepackt. Das gefällt nicht jedem und soll es auch nicht, denn hier gilt Signal banal: Wohnlandschaftsspiesser, bitte draussen bleiben!
Konstantin Filippou serviert Schweinebauch, Oktopus, Goldbrasse und Vegetarisches von der Erbse; er kann es sich erlauben, sich selber Konkurrenz zu machen, denn er ist in seinem ersten Restaurant stets ausreserviert. Natürlich darf man im «O Boufés» auch an der Bar herumlungern und sich einen etwas stinkenden Wein nach dem anderen einschenken lassen, bis man bei den ganz stinkenden angelangt ist – solche Weine wird man bei etwa 170 Positionen auch finden. Es wäre aber nicht Österreich und Wien, wenn man der Thematik nicht etwas von der Ideologie, der Schärfe und dem Unbedingten abräumen würde. So hat hier auch grandioser deutscher Wein Einzug gehalten, der Weissburgunder von Sven Leiner aus der Pfalz. Sommelier ist Stephan Martin, der bedingungslos mit dem Ehepaar Filippou paktiert, denn dieses trinkt gar nichts anderes mehr als naturbelassene Hipsterweine. Sehr erfreulich ist die Flaschenkalkulation, solche Gastronomen sollte es öfter geben.
Rares bei Unger & Klein
Damit ist alles Neue in Sachen Wiener Weinbars auch schon verlautbart. Bleibt das Alte, das gar nicht so alt ist, denn die neue Wiener Weinkultur ist gerade mal 30 Jahre alt, und sie begann in zwei Lokalen: der Weinbar «Vis-a-Vis» in einem Häuserdurchgang in der Inneren Stadt (mit Platz für vier Personen, die anderen 30 verteilen sich auf dem Asphalt vor dem Lokal) und dem Weinlokal «Unger & Klein», das Michaela Klein und Helmuth Unger seit Anfang 1992 führen. Das Lokal ist eigentlich eine Vinothek, die von Beginn an auch immer aussergewöhnliche und rare Weine im Sortiment hatte. Das Betreiberpaar wirft auch gerne mal einen Blick darauf, was italienische und französische Winzer Grosses und doch Preiswertes leisten. Zwar ist die «Unger & Klein»-Klientel gemeinsam mit ihren Nahversorgern älter geworden, das Jugendliche lässt man sich aber nicht stehlen, es ist ja schon in der einzigartig schönen Architektur von Eichinger oder Knechtl manifestiert.
Bei«Unger & Klein» sitzt man nach Büroschluss gerne bei einer Flasche zusammen, allzu spät wird es hier aber nie, auch wenn der offizielleLadenschluss 24 Uhr ist. Seit kurzer Zeit gibt es auch eine Miniaturdependance im Herrengassen-Hochhaus, ein Architekturjuwel der Zwischenkriegszeit.
Systemgastronomie Wein & Co.
Einen Weinladen mit angeschlossener Bar gibt es oft in Wien. Diese Art Systemgastronomie hat Heinz Kammerer perfektioniert, der über Österreichs Grenzen hinaus bekannte Gründer und Eigentümer der Handelskette «Wein & Co.». Kammerer hat sich nahezu 50 Prozent aller interessierten Weinkonsumenten gekrallt und versorgt sie mit den besten Flaschen aus Österreich und einem teilweise genialen ausländischen Sortiment. Man kann die Flasche vom Laden ins Lokal mitnehmen und für einen kleinen Aufpreis trinken. So bleibt auch ein grosser Riesling leistbar, und ein mittlerer Bordeaux zwingt einen nicht, einen Kredit aufzunehmen.
In Kammerers Bars bekommt man ordentliche Speisen hingestellt, allzu viel darf man aber nicht erwarten. Denn in erster Linie geht es dem streitbaren Patron (er legt sich gerne mit der Wiener Verwaltung an) um Wein. Seitdem er den Betrieb vor wenigen Monaten wieder zum Familienbetrieb gemacht hat, ist er öfter mit Ehefrau Anna und Tochter in den beiden Hauptläden am Naschmarkt und in der Jasomirgottstrasse (beim Stephansdom) zu sehen. Man darf ihn ansprechen, er weiss viel zu erzählen und erzählt auch gerne. Man sollte ihn nur nicht unterbrechen.
Stimmung statt Schickeria: Pub Klemo
Ein relativ neues Wiener Weinlokal ist das Pub «Klemo» von Tracey und Robert Brandhofer. Das Paar hat seine Weinverrücktheit 2006 in einem kleinen Lokal im fünften Bezirk geerdet und dem Lokal später auch noch einen (viel grösseren) Shop hinzugefügt. Die Einrichtung im «Klemo» ist eher grenzwertig, man kann sie auch «schiach» nennen (das Wiener Wort für hässlich), doch das ist völlig egal, denn die Stimmung schlägt sofort über. Und die Stimmung transportiert nur eine Botschaft: «Welche ist die nächste Flasche, die aufgemacht wird?» Da kann dann auch mal was Grosses mit dabei sein. Und etwas Ausgefallenes, auch Teures. Das macht dann die Runde, und irgendwann ist man selber mit einer Flasche dran. Wer jetzt kneift, braucht gar nicht wiederkommen. Weil es im Sommer zu heiss ist, haben die Brandhofers auch eine Filiale am fernen Donaukanal aufgemacht. Da ist es zwar weniger stickig, aber das Aufgeregte fehlt dann doch.
Buschenschank in Residence
Zum Schluss der zweite Heurige, der gar keiner ist. Er nennt sich «Buschenschank in Residence» und mietet sich bei alten, schön gelegenen und oft vergessenen Betrieben ein. Das originelle Konzept ist extrem erfolgreich. Das liegt alleine an den Machern, der Grafikerin und Wiener Winzerin Jutta Kalchbrenner-Ambrositsch und ihrem Mann Marco – ein wie seine Frau ebenfalls mit Preisen überhäufter Werber. Sie haben dem leichtlebigen Freiberuflerdasein den Rücken gekehrt und sich komplett dem Wein verschrieben, vor allem Juttas eigenen Kreationen, die inzwischen auch in der skandinavischen Indie-Szene bekannt sind. Etwa der Gemischte Satz Sieveringer Ringelspiel oder der Riesling Rosengartl. Das freie Buschenschank-Konzept der Kalchbrenners verkörpert auch das Sichere der Wiener Weinszene, die das Unsichere, das Provisorium, schnell zu etwas Traditionellem macht. So sagt man nicht mehr, man geht zum «Buschenschank in Residence», sondern zur Ambrositsch. Oder schlicht zu Jutta. Und wehe, es gibt sie nicht noch 30 Jahre, die Jutta. Denn wenn «sich einer schleicht», dann wird der Wiener böse.
Die besten Weinlokale in Wien
Hengl-Haselbrunner
Iglaseegasse 10 | A-1190 Wien
Ein unscheinbares Gebäude mit ländlichem Ambiente. Drinnen: Heuriger-Kultur, lebendig, mit Schmäh, will heissen nicht nostalgisch und weinerlich. Jagdtrophäen an den Wänden.Verspricht totales Wien-Feeling mit Gemischtem Satz im Glas und Grammelknöderln auf dem Teller, dazu singen die Mondscheinbrüder.
Wein & Co. Kammerer
Jasomirgottstrasse 3–5 | A-1010 Wien
Vor 20 Jahren war der Laden eine Sensation, wo man vom Durstlöscher-Veltliner bis zu Sine Qua Non fast alles fand. Die Gäste nahmen die Buddeln gleich mit an die Bar. Auch die Typologisierung der Weine in Verbindung mit den Speiseempfehlungen war revolutionär. Das Konzept wurde oft kopiert. Das Original bleibt.
O Boufés
Dominikanerbastei 17 | A-1010 Wien
So sieht sie aus, die Weinbar von heute: urban, aber nicht hochglanzpoliert. Konstantin Filippou weiss halt, wie’s geht. Auch dass ausschliesslich «Natural Wines» ausgeschenkt werden, ist daher sinnvoll. Für den kleinen Hunger gibt es Keftedes oder Oktopus mit Kichererbsen und Koriander.
Klemo
Wehrgasse 1 | A-1050 Wien
Der Name dieses Wein-Pubs hat den Charme eines Ersatzteillagers für Badezimmer. Dabei steht «Klemo» nicht für «Kleptomane», sondern für Pape-Clement, das älteste Bordeaux-Weingut. Unter den 3000 Weinen finden sich Trouvaillen, für die man gerne mehr ausgibt, als man sich vorgenommen hat.
Unger & Klein
Gölsdorfgasse 2 | A-1010 Wien
Dass der Wein hier die Hauptrolle spielt, sieht man schnell: Die Flaschen thronen in einer monumental anmutenden Raumskulptur. Wer zu viel Spitzenwein – nicht nur aus Österreich – verkostet hat, kann das Designteil schonmal für eine Schlange halten. Verschiedene Antipasti-Spezialitäten sorgen für Boden.
Buschenschank in Residence
Himmelstrasse 7 | A-1190 Wien
Verwunschene Plätze wiederentdecken und mit Leben erfüllen, das ist das Heuriger-Konzept von Jutta Kalchbrenner-Ambrositsch. Da finden sich Überbleibsel des alten Wiens, etwa eine Preistafel, auf der «Spritzer», «Liter-Wein» oder «Rosé Rosa» angeboten werden. Brockenhaus-Charme mit Genusskultur.