GRIECHENLAND
Sirtaki im Glas
Text: Thomas Vaterlaus
Auch in der aktuellen Wirtschaftskrise ist der griechische Weinbau ein Garant für positive Meldungen. Die Spitzenwinzer verstehen es immer besser, aus der riesigen Schatztruhe der autochthonen Rebsorten die bestmöglichen Gewächse für ihr Terroir zu selektionieren. Hier zwölf Sorten, Plätze, Winzer oder Weine, die jeder Weinliebhaber kennen sollte.
Mit dem «Oinochoos», der an antiken Festgelagenden Wein ausschenkte, kannten die Griechen die Funktion des Sommeliers schon vor 2500 Jahren, zu einer Zeit also, in der Mitteleuropäer noch nicht mal wussten, was Wein überhaupt ist. Aber die jungen Exponenten der griechischen Weinszene können diese alten Geschichten nicht mehr hören. Wer immer nur von der Antike rede, impliziere gleichzeitig, dass die zeitgenössische griechische Weinszene nichts Erwähnenswertes zustande bringe. Natürlich sind heute französische Sorten und Weinbaupraktiken das Mass aller Dinge. Doch es gibt Anzeichen, dass der griechische Weinbau vor einer neuen Blütezeit steht, deren Schwung durch die Wirtschaftskrise zwar gebremst, aber nicht abgeklemmt worden ist. Das Interesse an den neuen griechischen Weinen ist eng mit den neuen Trends in der Küche verbunden. Die neue griechische Küche steht wie kaum eine andere für mediterrane Leichtigkeit, die auf Olivenöl, voll ausgereiftem Gemüse und Fisch basiert, vor allem aber ist sie das Bindeglied zwischen der südeuropäischen und der orientalischen Küche.
Potenzial für mehr Topweine
Auch die neuen griechischen Weine aus alteingesessenen Sorten entsprechen dem Trend zur Leichtigkeit. Tatsächlich gibt es in Griechenland kaum Weine aus autochthonen Gewächsen, die übermässig alkoholreich oder mastig wirken. Es ist wahr, dass viele der neuen Topbetriebe wie Alpha Estate, Ktima Pavlidis oder Nico Lazaridi zuerst mit Spitzengewächsen aus internationalen Sorten wie Chardonnay, Sauvignon Blanc, Cabernet Sauvignon oder Syrah für Furore sorgten. Heute wenden sich auch diese Betriebe vermehrt den heimischen Sorten zu und gehen somit den Weg, den Betriebe wie Gaia Wines schon früher eingeschlagen haben. Fachleute vermuten, dass es in Griechenland mehr als 300 Sorten mit Qualitätspotenzial gibt. Die Sorte Assyrtiko, die vor allem auf den Vulkanböden von Santorini eine Reihe von Weltklasse-Gewächsen ergibt, ist in ganz Griechenland, ja sogar in Italien, Australien oder Kalifornien angebaut worden. Auch die roten Gewächse Xinomavro und Agiorgitiko sowie die weisse Malagousia oder Moschofilero sind etabliert.
Jetzt ziehen zunehmend weitere Sorten das Interesse der Winzer auf sich. Etwa Mavro Kalavritino (rot), Sideritis und Lagorthi (beide weiss), die alle in der Region Achaia auf dem Peloponnes heimisch sind. Kreta könnte neben der weissen Sorte Vilana künftig auch mit alteingesessenen roten Sorten, beispielsweise Liatiko, vermehrt auf sich aufmerksam machen. Und in der sagenumwobenen Festungsstadt Monemvasia deutet die weisse Sorte Kydonitsa ihr Potenzial an. Es braucht Zeit, um das Qualitätspotenzial der vielen Sorten umfassend auszuloten. Doch kein anderes Land verfügt über so viel Potenzial bezüglich Sorten, Lagen und historisch gewachsener Wein-Ökosysteme.
1 Naoussa Bergweine mit Biss
Im Winter feiern abends Snowboarder in der Gossip-Bar. Ja, in Naoussa treffen Wintersportler auf Weinfreaks. Alpin kühl wirken auch die Xinomavro-Crus, die zu Recht mit dem Nebbiolo verglichen werden. Die Sorte ist schwierig, mehr Konzentration führt oft zu hohem Tannin und strammer Säure. Ein herrlich subtiler Cru ist der 2010er Kali Riza von Kir Yianni. Der Mann der Stunde ist der junge Apostoles Thymiopoulos. Sein Terre et Ciel ist der Prototyp eines subtil strukturierten, komplexen Weins. Naoussa-Terroir pur verspricht sein Xinomavro Nature. Säure und Gerbstoff konservieren diesen Wein natürlich.
Tipp: Wer Naoussa erkunden will, wählt am besten das Boutique-Hotel «Palea Poli» als Basis. Im Herrenhaus im Zentrum des Städtchens wird man bestens umsorgt, auch weinmässig! www.paleapoli.gr
2 Thessaloniki Weisse Verführer
Wer am Kai flaniert, weiss, warum Thessaloniki oft mit Nizza verglichen wird. Ein Glas Malagousia ist der perfekte Wein für diese Szenerie. Die Sorte war fast ausgestorben, als sie in den 70er Jahren zufällig wiederentdeckt worden ist. Vangelis Gerovassiliou hat ihr Qualitätspotenzial wie kein anderer ausgelotet. Sein Malagousia, den er wenige Kilometer vom Stadtzentrum entfernt keltert, gehört zu den besten in Griechenland. Der Weisswein-Pionier ist auch am Vorzeigegut Biblia Chora beteiligt, wo mit dem weissen Olivios, einer Assemblage aus Semillon und Assyrtiko, ein weiterer, innovativer Top-Cru gekeltert wird.
Tipp: Wer in Thessaloniki weilt, sollte das Weingut Gerovassiliou besuchen. Auch wegen der Korkenziehersammlung und einer Videoinstallation mit Weinszenen aus der Filmwelt. www.gerovassiliou.gr
3 Mount Athos In Gottes Namen
Es ist der einzige «Wein-Gottesstaat» in Europa. Die 43 Kilometer lange und acht Kilometer breite Halbinsel Mount Athos ist eine autonome Mönchsrepublik, zu der männliche Besucher nur mit Visum, Frauen dagegen gar keinen Zutritt haben. 1971 pilgerte der Weinunternehmer Evangelos Tsantali durch die wilde Insel, wo es weder Strassen noch Stromnetz gibt, und fand während eines Sturmes Unterschlupf im russisch-orthodoxen Kloster Metochi Chromitsa. Seither produziert Tsantali mit dem Kloster zusammen hochkarätige Rotweine, unter anderem auch den offiziellen Wein des Kremls, den Kormilitsa Gold.
Tipp: Tsantali produziert nicht nur bemerkenswerte Mount-Athos-Crus, sondern verfügt im Kloster auch über einen Gästetrakt mit Betten. Besuche sind nur auf Einladung möglich. www.tsantali.com
4 Kefalonia 007 trinkt Robola
Die grosse Stunde der Weininsel Kefalonia schlug 1981, als Roger Moore alias James Bond im Film «For Your Eyes Only» mit einem Bösewicht namens Kristatos darüber stritt, ob zum frischen Fisch ein Robola aus Kefalonia oder ein Theotaki Aspro die bessere Wahl sei. Die weisse Sorte Robola ergibt auf der Insel Kefalonia herrlich frische, von Agrumen und mineralischen Noten geprägte Weine, die an Riesling erinnern, allerdings im Unterschied zu diesem jung getrunken werden sollten. Es gibt die Theorie, dass Robola keine Sorte sei, sondern eine Bezeichnung für einen Wein aus einem inseltypischen, gemischten Satz.
Tipp: Als bester Robola-Produzent gilt das Familienweingut Gentilini. Neben dem im Stahltank vinifizierten Basiswein gibt es auch eine partiell im Holz gereifte Cellar Selection. www.gentilini.gr
5 Achaia Göttertrank
Nachdem Otto Friedrich Ludwig von Wittelsbach aus Bayern im Jahr 1832 erster König von Griechenland wurde, kam sein Landsmann Gustav Clauss nach Patras und gründete das Weingut Achaia Clauss. Das prunkvolle Anwesen war in den 70er Jahren ein Treffpunkt für Hochadel und Jetset. Die grosse Spezialität der Kellerei ist die Sorte Mavrodaphne, aus der ein komplexer, nur leicht alkoholverstärkter Süsswein gekeltert wird. Typisch ist sein edler, bittersüsser Touch im Abgang. Mit über 200000 Besuchern pro Jahr ist das Gut kein intimer Ort, doch die jahrzehntelang gereiften Topweine sind eine Klasse für sich.
Tipp: Der Mavrodaphne of Patras Grand Reserve von Achaia Clauss gehört zu den besten Süssweinen Griechenlands. Wer eine Flasche des 1979ers ergattern kann, sollte nicht zögern. www.clauss.gr
6 Nemea Rote Frucht gefällig?
In dem beschaulichen Tal rund 30 Kilometer südwestlich von Korinth soll Herakles einst mit blossen Händen den nemeischen Löwen erwürgt haben. Heute reifen hier die mithin besten Rotweine im südlichen Griechenland. Lange Zeit galt die heimische Sorte Agiorgitiko als Lieferant von zwar beerenfruchtigen, aber eindimensionalen Rotweinen, die darum gerne mit Cabernet Sauvignon oder Merlot verschnitten wurden. Heute beweisen Topbetriebe wie die Familie Parparoussis und Gaia Wines, dass reinsortige Agiorgitiko-Crus heute nicht nur über verführerische Frucht, sondern auch über Komplexität und Tiefe verfügen können.
Tipp: Der Gaia Estate (www.gaia-wines.gr) sowie der Epilegmenos Oinos von der Familie Parparoussis (www.parparoussis.com) sind Paradebeispiele von trinkigen und doch komplexen Agiorgitiko-Crus.
7 Athen Wein-City-Blues
Während Top-Crus quer durchs Land, von Kefalonia im Westen bis Samos im Osten und von Naoussa im Norden bis Kreta im Süden reifen, schlägt der Puls der neuen griechischen Weinszene nirgends so heftig wie im Athener Zentrum, in den Quartieren Kolonaki und Plaka. Weinbars wie Scala Vinoteca, Heteroclito, Kiki de Greece oder Oinoscent servieren Top-Crus mit verblüffenden Meze-Kreationen. Wer neue griechische Mariagen auf Topniveau sucht, findet diese in den Sterne-Lokalen «Spondi» und «Funky Gourmet». Und natürlich im «Varoulko Seaside» in Piräus. Die Kombinationen aus Fisch, Meeresfrüchten und Wein sind Weltklasse.
Tipp: Kein anderer griechischer Koch agiert schon so lange auf Sterne-Niveau wie der 65-Jährige Lefteris Lazarou. Griechische Top-Crus sind perfekte Begleiter für seine Kreationen. www.varoulko.gr
8 Samos Süsse sterben nie
Auf der Insel Samos wurde 341 vor Christus ein Philosoph geboren, den jeder Weinliebhaber kennen müsste. Epikur erklärte sinnlichen Genuss zum hauptsächlichen Sinn des menschlichen Lebens. Bestimmt hätte er Freude daran, wie die Insel-Winzer heute seine Philosophie in flüssiger Form umsetzen. Etwa mit dem Grand Cru Vin Doux Naturels Muskat, der nur aus sonnengetrockneten Trauben stammt, die zwischen 400 und 900 Meter über Meer gewachsen sind. Es gibt zwei Typen von Samos-Weinen. Die jugendlich fruchtbetonten Muskats mögen charmant sein, die komplexen Spitzenweine reifen jedoch jahrelang im Eichenfass.
Tipp: Der Anthemis ist das Topprodukt der Kooperative von Samos, die immer noch die zentrale Rolle auf der Insel spielt. Der Muskat reifte fünf Jahre in Eichenholzfässern. www.samoswine.gr
9 Mantinia Kompromisslos frisch
Auf der Hochebene Mantinia im Zentrum des Peloponnes wanderten die Einwohner noch vor 50 Jahren ins Ausland aus, um überleben zu können. Yiannis Tselepos ging den umgekehrten Weg. In Zypern aufgewachsen, studierte und arbeitete er im Burgund. 1989 gründete er in den Ausläufern des Parmon-Gebirges, 750 Meter über Meer, seine Domäne. Aus der weissen Sorte Moschofilero, die hier duftige, aber oft auch grünlich-herbe Weine ergibt, keltert er herrlich frische Gewächse mit einer saftigen, cremigen Säure. Auch mit Gottes Unterstützung, denn auf der Kuppe seiner besten Parzelle hat er 1996 eine Kapelle bauen lassen.
Tipp: Der Mantinia Tselepos Classic und der Schaumwein Amalia, beide zu hundert Prozent aus der Sorte Moschofilero gekeltert, sind Prototypen von gelungenen Leichtweinen. www.tselepos.gr
10 Monemvasia Idylle am Rand
Sechs Stunden dauert die Busfahrt von Athen nach Monemvasia. Das Martyrium lohnt sich. Monemvasia ist ein spektakulärer Felsen, der vor dem südöstlichsten Zipfel des Peloponnes im Wasser thront und einst als uneinnehmbare Festungsstadt galt. Während die byzantinische Zitadelle auf dem Felsen nur mehr aus Ruinen besteht, ist in der mittelalterlichen Unterstadt wieder Leben eingezogen. Monemvasia gilt als Ursprung der Sorte Malvasia, die von hieraus die Welt erobert haben soll. Heute keltert hier die TsimpidisWinery einen eigenständig kräuterfrischen Weisswein aus der aufstrebenden Sorte Kidonitsa.
Tipp: Ein Besuch im «Likinia»-Boutique-Hotel in der fast bizarr verwinkelten Altstadt von Monemvasia versetzt den Besucher zurück ins Mittelalter, Kaminfeuer und Meersicht inbegriffen. www.likinia.gr
11 Santorini Windiges Paradies
Weisse Häuser, blaues Meer und schwarze Vulkanerde, auf der die ungepfropften Assyrtiko-Stöckeso kreisförmig zu einem «Vogelnest» erzogen werden, dass die im Innern wachsenden Trauben vor Windböen geschützt sind. Nirgendwo sonst verschmilzt griechisches Savoir-vivre und neues Bewusstsein in Bezug auf den Anbau von Spitzenweinen auf so faszinierende Weise wie auf der Kykladeninsel Santorini. Die Leitsorte Assyrtiko wird heute in ganz Griechenland, ja auch in Kalifornien und Australien angebaut, doch so mineralische Crus und so komplexe Dessertweine (Vinsanto) wie in ihrer Heimat ergibt sie nirgends sonst.
Tipp: Die Familie Argyros sind Insel-Weinbauern in vierter Generation. Ihr trockener Assyrtiko von bis zu 60-jährigen Reben und ihr edelsüsser Vinsanto sind eine Klasse für sich. www.estate-argyros.com
12 Chania Südliche Finesse
Gäbe es einen Wettbewerb um die schönsten Hafenstädte der Welt, würde Chania, im Westen von Kreta gelegen, einen Spitzenplatz belegen. Kein Wunder wird sie in der von Homer überlieferten Odyssee gleich zweimal erwähnt. Ein paar Schritte vom Touristenauflauf im venezianischen Hafen entfernt, im ehemaligen Gerberviertel, wird in der Taverne «Thalasino», direkt am Meer gelegen, eine schnörkellos frische Fischküche zelebriert. Wenn dann zum gebackenen Aal, der hier «Cheli» oder «Smerna» genannt wird, ein weisser Cru aus der alteingesessenen Rebsorte Vidiano von der Nostos Winery im Glas funkelt, ist das Glück perfekt!
Tipp: Weissweine aus autochthonen Sorten harmonieren in Kreta bestens mit traditionellen Fischgerichten, wie sie unter anderem in der Taverne Thalasino in Chania zubereitet werden. www.thalasino-ageri.gr