Portalegre
Die Frische des Südens
Text: André Dominé
Der Alentejo erlebte mit dem Beitritt Portugals zur EU einen einmaligen Aufschwung. Weingüter schossen wie Pilze aus dem Boden. Neu angelegte Rebflächen liefern seither fruchtige, samtige, teils hochklassige, teils austauschbare Weine. Nur in seinem nordöstlichen Zipfel haben sich alte Weingärten erhalten und schenken einzigartige Weine.
Unglaublich, dieser alte Weingarten! Da wächst jeder Rebstock, wie er will, und keiner ähnelt dem anderen. Die einen noch sehr rüstig, die anderen bereits arg fragil. Und einige hat es bereits dahingerafft. Hier scheint jeder Stock seinen Flecken selbst im bröseligen Granit gewählt zu haben. «Die sind 90 Jahre alt», sagt Winemaker Rui Reguinga, «nur portugiesische Sorten. Bical, der eigentlich aus dem Norden kommt, Malvasia, Arinto, Fernão Pires, Roupeiro, Bual, Moscatel und andere weisse. Bei den roten sind es Aragonês, Trincadeira, Alicante Bouschet, Grand Noir und weitere autochthone Sorten.» Rui zieht sein Smartphone aus der Jeans: «680 Meter über dem Meer», freut er sich. Der Blick reicht weit an diesem kristallklaren Morgen. Schier endlos erstreckt sich dort unten der Alentejo. Dünn besiedelt, enorme Korkeichenwälder, ausgedehnte Olivenhaine, riesige Getreidefelder und jetzt dürre Weideflächen. Hin und wieder Wein. Früh werden dort unten die Trauben eingebracht, denn im Sommer herrschen 40 Grad Celsius und mehr. Nicht aber auf den Höhen der Serra de São Mamede, der mit 1025 Metern höchsten Erhebung südlich des Tejo.
Bei Marvão, mitten im Nationalpark der Serra, herrscht Schiefer vor. Esskastanienbäume scheinen ihn zu mögen, denn sie bevölkern die Talsohle. Nur noch wenige alte Weingärten gibt es hier. Den auf 774 Metern höchstgelegenen und mit 100 Jahren ältesten erwarb Rui 2004 und kreierte die Weinreihe Terrenus. «Die Nächte hier sind immer sehr kalt. Da reifen die Trauben spät. Das langsame Reifen ist sehr wichtig für die Aromen, insbesondere bei den Weissen.» Dabei begeisterten ihn zunächst die roten Trauben mehr. Anfangs überliess er die weissen seinem Arbeiter, bis er vor vier Jahren daraus seinen ersten Einzellagenwein Vinha da Serra vergor. Eine Sensation.
Schon 1991 kam Rui Reguinga nach Portalegre. Damals hatte er gerade für João Portugal Ramos’ Firma Consulvinus als beratender Winemaker zu arbeiten begonnen. Er überwachte die Produktion in der lokalen Genossenschaft und auf dem angesehenen Weingut Tapada do Chaves. Nach einem Jahrzehnt mit Ramos machte er sich 2000 als Berater selbstständig. Eine Tätigkeit, die noch immer den grössten Teil seiner Zeit verschlingt. Ein für die Region wichtiges Ereignis wurde Ruis Partnerschaft mit dem englischen Weinautor Richard Mayson, der 2005 die Quinta do Centro auf einem Ausläufer der Serra in 600 Meter Höhe erwarb. Gemeinsam gründeten sie Sonho Lusitano Vinhos und errichteten eine ausgefeilte Kellerei. Von den 12,5 Hektar Reben erzeugen sie die Reihe Pedra Basta (Stein genug) mit einem Weissen und drei Roten, die klar die Frische und Finesse des Terroirs zum Ausdruck bringen. Im Topwein Pedra e Alma kommen viel Komplexität und raffinierte Struktur hinzu.
Alte Reben in der Höhe
Aber Ruis Passion gehört den alten Reben in Höhenlagen. «Weil wir so ganz andere Weine erzeugen, kaufen jetzt viele Leute von anderswo hier Trauben für ihre Winerys. Ich würde es gern sehen, dass diese Trauben in der Region bleiben und als DOC Portalegre erscheinen.» Dahin scheint es noch ein weiter Weg. Einen Verbündeten hat Rui in João Afonso gefunden. Der frühere Tänzer im berühmten, längst eingestellten Ballett Gulbenkian und bekannte Weinautor erwarb 2009 das kleine Gut Cabeças do Reguengo in der Serra de São Mamede. Wir treten aus dem grossen Gästehaus hinaus (siehe Reisetipps). João führt uns in seinen Weinberg. Ich staune. Ein Garten mit knorrigen, einzeln stehenden, uralten Weinstöcken diverser einheimischer Sorten, mit Kirsch- und Olivenbäumen, Esskastanien und Korkeichen. Zauberhaft! «Dies ist ein Familienprojekt», betont João. «Unser Ziel: das Erbe wiederherzustellen. Wir wollen neue Rebstöcke pflanzen, aber genau wie die alten, das genetische Erbe unserer alten Weingärten aufpfropfen. Ich liebe Vielfalt! Hier, das ist eine Gesellschaft, der moderne Weinberg dort drüben ein Diktator.» João erzeugt nur wenig Wein, aber biodynamisch. Sein weisser Equinócio zeigt sich würzig, komplex, spannend, der rote Solstício dicht, mineralisch, ungemein anregend.
An der Strasse nach Crato erstreckt sich das Gut Tapada do Chaves, auf dem seit gut einem Jahrhundert Wein gemacht wird. Eine Ausnahme im Alentejo. Heute zeichnet Marta Lourenço für die Weine verantwortlich und für die beachtliche Sektproduktion ihres Schwiegervaters, Besitzer von Murganheira. «Der älteste Weinberg für den roten Vinhas Velhas ist 115 Jahre alt», sagt die energiegeladene junge Önologin. «Von dem mache ich nur fünf Fässer, denn an den Rebstöcken sind meist nur ein oder zwei Trauben. Aber ihr Geschmack ist hinreissend.» Der rote Reserva 2010 aus den alten Reben, Martas Erstling, besticht mit Samtigkeit, raffinierten Tanninen und beachtlicher Frische – der Stempel von Portalegre.
Darüber am Hang steht das schöne Gutshaus von Monte da Penha. Francisco Finos Mutter gehörte Tapada do Chaves. Er selbst – damals noch Besitzer einer britischen Textilfirma – erwarb Hänge auf 450 bis 550 Meter Höhe neben Portalegre, pflanzte dort 1987 rund zwölf Hektar portugiesische Sorten an und lieferte die Trauben ans Nachbargut. Doch als seine Mutter dieses verkaufte, entschloss er sich 1999, seine eigenen Weine zu machen, und setzte weitere elf Hektar Reben, darunter auch Aragonês oder Tempranillo. Während er diesen Rebberg mit Touriga Nacional, Trincadeira und Alicante Bouschet für den Montefino nutzt, dominiert im Monte da Penha Reserva Trincadeira. Die Spezialität von Francisco Fino und Tochter Rita sind gereifte Weine. Denn ihre Rotweine besitzen Frische und ausgezeichnete Tannine, die sie vorzüglich altern lassen. So bieten sie noch etwas 2005er an, vor allem 2007er und 2010er. «Alle unsere Weine halten sich über lange Zeit», kommentiert Rita stolz.
Mora ist ein Städtchen, knapp 100 Kilometer südwestlich von Portalegre. Hier hat Susana Esteban eine alte Kellerei übernommen, das Zuhause ihrer eigenen Weine. Die Önologin aus Rías Baixas arbeitete zunächst im Douro-Tal, bevor es sie 2007 in den Alentejo zog. «Ich bin beratende Winemakerin, aber nur im Norden des Alentejo», erzählt die Spanierin. Daneben hielt sie Ausschau nach geeigneten Weingärten für ein eigenes Projekt. Nach zwei Jahren Suche stiess sie auf alte Parzellen in den Bergen bei Portalegre. «Diese Weinberge liegen auf 700 Meter Höhe. Sie sind also ziemlich kühl. Das andere wichtige Ding: Es sind alte Weingärten.» Procura – Ausschau halten – nannte Susana ihren ersten Weisswein, Aventura den zweiten. Beide basieren auf gemischtem Satz von alten Reben im Weinberg. Bei ihren zwei Roten schlug sie einen anderen Weg ein. Dort assembliert sie alte Trauben aus Portalegre mit anderen Sorten aus tieferen Lagen. «Das Wichtigste für mich in einem Wein sind die Ausgewogenheit und die Frische», bekennt sie.
Zu Susanas Kunden gehört Monte da Raposinha nahe dem Staudamm von Montargil. Mit Weinanbau begann die Familie Ataíde 2007. Inzwischen sind daraus 15 Hektar geworden. Vorwiegend portugiesische Sorten, ergänzt durch Syrah, der im Alentejo prächtig gedeiht. «Wir haben hier nicht zu heisse Sommer mit oft kühlen Nächten, und das ist sehr wichtig für die Trauben und unsere Weine», hebt Sohn João Nuno Ataíde hervor. «Es gab das Problem in der Region, dass sich alle Weine ähnelten. Von Anfang an haben wir versucht, anders zu sein, beginnend mit der Eleganz der Weine, der Frische, mit nicht so viel Eichenholz.» Selbst der enorm konzentrierte Topwein Furtiva Lagrima aus Alicante Bouschet bewahrt eine gewisse Schwerelosigkeit.
Auf dem weiten Landgut der Familie Carvalho Rovisco Garcia bei Adeia Velha begann man 2001, Reben zu pflanzen. Heute sind es 28 Hektar in präzisem Anbau mit Tröpfchenbewässerung. Damit gelingen auf der Herdade do Monte Novo ausgewogene Rotweine mit klarer Frucht und feinen Tanninen, bei denen Alicante Bouschet, Aragonês und Syrah den Ton angeben. Nur beim seidigen Weissen mit Rundheit und feiner Frische blieb man bei Arinto und Antão Vaz.
Einen Gegenpol zu Portalegre zeigt die von zwei Flussbetten durchschnittene Herdade do Mouchão bei Casa Branca. «Wir sind wahrscheinlich die älteste Winery im Alentejo», bemerkt Iain Reynolds Richardson. «Die Weinberge wurden im 19. Jahrhundert gepflanzt, die Winery wurde 1901 gebaut. Am besten sind wir für unseren Alicante Bouschet bekannt. Er wurde um 1890 von John Reynolds hierhergebracht.» Die in Südfrankreich als Massenträger geschmähte, fast ausgerottete Färbersorte hat im Alentejo ihre wahre Heimat gefunden. Auf dem nach der Nelkenrevolution enteigneten und in der Folge verwahrlosten Landgut wurde sie 1988 rekultiviert. Auf einem ganz besonderen, raren Terroir: einem roten mediterranen, äusserst fruchtbaren Schwemmboden. Darauf scheint die Sorte eine natürliche Ausgewogenheit zu finden. Zum Glück war die historische Kellerei erhalten geblieben. Darin wird die Maische des Mouchão mit den Rappen wie eh und je in Marmor-Lagares getreten, dann bis zu drei Jahre im 5000-Liter-Tonel ausgebaut und noch zwei Jahre auf der Flasche verfeinert. In grossen Jahrgängen werden Tonel 3 und 4 gesondert gefüllt. Trotz all ihrer Wucht überraschen die Weine mit Frische und Eleganz. Der rote Faden im Distrikt Portalegre.
Charme und Genuss im Alto Alentejo
Essen
Restaurante Tombalobos
Nur ein Stück den Hang hinunter von Cabeças do Reguengo isst man hervorragende traditionelle Küche mit individuellem Touch bei José Júlio Vintém.
Bairro da Pedra Basta Lote 16 R/C
P-7300-126 Portalegre
Tel. +351 245 90 61 11
tombalobos.pt
Restaurante Afonso
Im Zentrum von Mora ist Afonso für seine ausgezeichnete Landesküche mit zahlreichen lokalen Spezialitäten berühmt. Gute Weinkarte.
Rua de Pavia 1
P-7490-207 Mora
Tel. +351 266 40 31 66
res.afonso@iol.pt
Restaurante São Rosas
Direkt zu Füssen der Burg bietet das reizvolle Restaurant eine verfeinerte lokale Küche. Köchin Margarida Cabaço ist zugleich Winzerin von Monte dos Cabeças und liebt gereifte Weine wie ihren charaktervollen Reserva 2008. Önologin ist Susana Esteban.
Largo Dom Dinis 11
P-7100-509 Estremoz
Tel. +351 268 33 33 45
www.thefork.pt/restaurante/estremoz
Übernachten
Cabeças do Reguengo 09
Keine schönere Unterkunft bei Portalegre als beim liebenswürdigen João Afonso
auf dem Biogut in geschmackvollen Zimmern und Studios in traumhafter Hanglage.
Estrada dos Moleiros 15
P-7300-405 Reguengo
Tel. +351 964 35 60 90
cabecasdoreguengo.com
Torre de Palma Wine Hotel 10
Auf halber Strecke von Portalegre nach Estremoz hat Paulo Barradas Rebelo 2014 einen Gutshof aus dem Jahre 1338 in ein Designhotel mit allem erdenklichen Luxus verwandelt. Ausserdem erzeugt er eigene Weine unter Leitung des Starönologen Luis Duarte.
P-7450-250 Monforte
Tel. +351 245 03 88 90
www.torredepalma.com
Hotel Solar dos Lilases
In Mora, einem winzigen Städtchen, hat das vom Eigentümer geführte Hotel viel von dem Charme und der Dekoration von 1900 bewahrt, als es erbaut wurde.
Rua de Santo António 8
P-7490-236 Mora
Tel. +351 266 40 33 15
www.hotelsolardoslilases.pt
Pousada Castelo da Rainha Santa Isabel
In Estremoz kann man königlich in der früheren Burg der Königin Santa Isabel residieren, mit ihren riesigen Sälen und endlosen Gängen voll alter Gemälde und antiker Möbel.
Largo de Dom Dinis 1
P-7100-509 Estremoz
Tel. +351 268 33 20 75
www.pousadas.pt