Weinbauregionen der Schweiz

Offene Weinkeller: eine (tierische) Erfolgsgeschichte

Text: Eva Zwahlen

  • Hereinspaziert! Neben Weindegustationen gibt es diverse weitere Attraktionen für Gross und Klein

Der 1. Mai: Tag der Arbeit? Nicht doch. Der 1. Mai ist seit mittlerweile fast 20 Jahren der Tag der Offenen Weinkeller in der Deutschschweiz. Eine beeindruckende Erfolgsgeschichte, an der nicht zuletzt zwei vorwitzige Mäuse mitgeschrieben haben.

Angefangen hat alles ganz klein und bescheiden. Inspiriert von ein paar Winzern in Winterthur, die 1999 ihre Weinkeller öffneten, entschloss sich Cécile Schwarzenbach vom traditionsreichen Weinbaubetrieb Reblaube in Meilen, auch am Zürichsee einen Tag der Offenen Weinkeller zu veranstalten. So luden 20 Betriebe am Seeufer am 1. Mai 2001 auf ihre Güter ein, an einem milden, sonnigen Frühlingstag. Cécile Schwarzenbach erinnert sich: «Vermutlich kommt bei dem herrlichen Wetter ja sowieso keine Menschenseele, sagten wir uns, denn wer will schon bei Sonnenschein im kühlen Keller Weine degustieren. Vorsorglich stellten wir den Degustationstisch in den Garten. Zuerst trudelten tröpfchenweise ein paar Besucher ein, bald jedoch herrschte angeregtes Treiben…»

In den kommenden Jahren wurde der Anlass professioneller organisiert, ein Plakat entworfen, ein Medienkonzept erarbeitet, wurden Inserate geschaltet. Und immer mehr Winzer interessierten sich für eine Teilnahme. Schon 2003 machten Weinbauern aus dem ganzen Kanton Zürich mit, 2007 folgten Aargau und Thurgau, 2008 beteiligte sich Schaffhausen, 2009 Basel-Stadt.

Längst ist aus der regionalen Veranstaltung ein Grossanlass des Deutschschweizer Weins geworden, an dem sich Betriebe aus ausnahmslos allen (Deutschschweizer) Kantonen beteiligen. Sogar Weingüter aus Obwalden oder Schwyz machen mit! Auf den Gütern werden neben klassischen Weindegustationen weitere Attraktionen angeboten: kulinarische Köstlichkeiten, musikalische Unterhaltung, Führungen durch Rebberg und Keller, sogar Streichelzoos und Spiele für die Kinder.

Grenzüberschreitungen

Seit 2006 ist Andreas Keller mit seiner Firma Swiss Wine Connection GmbH – heute offiziell als Coveranstalterin des 2008 gegründeten Branchenverbands Deutschschweizer Wein – für die Organisation des Grossanlasses verantwortlich, Cécile Schwarzenbach bleibt zuständig für Sonderaufgaben, «nicht zuletzt für die wichtigen Kontakte zu den Produzenten», wie Andreas Keller erklärt. Was wurde anders unter ihm? «Wir haben vor allem die Werbung professionalisiert, die Art der Kommunikation geändert. Und wir versuchen, die Anliegen aller Winzer unter einen Hut zu bringen – und ihnen klarzumachen, dass ihre Stärke in der Einheit liegt.» Was nicht immer ganz einfach ist, denn nicht allen Zürcher Winzern leuchtete es zu Beginn ein, wieso sie plötzlich Werbung für ihre Konkurrenten aus dem Aargau oder dem Thurgau machen sollten. Region um Region zum Mitmachen zu bewegen, war Knochenarbeit. Und bisweilen sogar politisch heikel, etwa beim Einbezug der Bielersee-Betriebe, direkt auf der Sprachgrenze gelegen, weingeografisch aber (noch) zur Westschweiz gezählt. Schon fast ungehörig schien dem einen oder anderen Winzer, dass 2016 erstmals einige Betriebe aus der Gastregion Bodensee mitmachten. «Das hat uns Kritik eingebracht», räumt Keller ein, «bezeichnenderweise aber nicht von den Anrainern des Bodensees… Dabei ist doch Wein etwas Grenzüberschreitendes, Verbindendes. Ich finde es wichtig, dass die Deutschschweiz als Weinregion deutlich stärker und selbstbewusster auftritt. Qualitativ brauchen wir uns weiss Gott nicht zu verstecken – und wirtschaftlich ist die Deutschschweiz die führende Region des Landes.» Andreas Kellers Vision? «Nun, auch Sprachgrenzen sind ja glücklicherweise nicht aus Beton. Es wäre mein Traum, wenn der 1. Mai zu einem Anlass des ganzen Landes würde, über alle Kantons-, Sprach- und sonstigen Grenzen und Röschtigräben hinweg.» In einer Zeit, da Mauerbau – in Realität und in den Köpfen – Hochkonjunktur feiert, eine gewagte, aber auch sehr optimistisch stimmende Vision!

HundKatzMaus & Co.

«Es waren einmal zwei vorwitzige weisse Mäuse, die hatten sich zum Leidwesen der Winzer in einen Weinkeller in der Deutschschweiz verirrt.» So begann im Jahr 2009 ein bezauberndes Märchen, dessen Ende noch in den Sternen steht. Entsprungen waren die beiden frechen Mäuschen dem Atelier des berühmten Winterthurer Künstlers und Karikaturisten Peter Gut – Leserinnen und Lesern von NZZ und NZZ Folio bestens vertraut. Die Eingebung des Künstlers – Mäuse im Weinkeller – löste bei den Winzern Unverständnis, nein: blankes Entsetzen aus. Mäuse! Im Weinkeller! Undenkbar! «Frauen graut es vor Mäusen», befanden die Frauenkenner und drohten damit, Plakate und Einladungskarten für den Tag der Offenen Weinkeller zu schreddern. Bass erstaunt waren dann die Herren Winzer, als das (weibliche) Publikum sich nicht nur nicht fürchtete vor den harmlosen Mäuslein, sondern im Gegenteil hochentzückt war von den possierlichen Tierchen – und Karten und Plakate zuhauf kaufen wollte.
Mit den Jahren ist der Widerstand der Winzer gegen Peter Guts wachsenden Kellerzoo in sich zusammengefallen, der Hype unter den Kellertierfreunden dagegen hält an. «Es gibt sogar Leute, die sich per Mail besorgt nach dem Schicksal der Kellertiere erkundigen», erzählt Andreas Keller schmunzelnd. Denn längst haben die Mäuschen Gesellschaft bekommen. Zuerst von einer Katze, die sie aus dem Keller verjagen, dann von einem Hund, welcher der Katze Beine machen sollte (sich stattdessen aber in sie verguckte), gefolgt von einem Raben, einem Fuchs und schliesslich einem Dachs. Doch dann – oh Schreck – spazierten diese Kellertiere, von den Mäusen winkend verabschiedet, in den weit aufgesperrten Rachen eines Krokodils…

Fortgeschrieben wird die Geschichte der Kellertiere – wie die der offenen Kellertüren – Jahr für Jahr. Von Peter Gut und, sobald des Künstlers Bild vorliegt, von Andreas Keller, der die Abenteuer der Menagerie weiterspinnt. Wer weiss, vielleicht wird daraus dereinst gar ein Buch?

Mit Spannung warten zahllose Besucher der offenen Weinkeller (ihre Zahl dürfte zwischen 10 000 und 20 000 liegen) auf die Fortsetzung der Geschichte. So viel sei verraten: 2017 stossen gleich zwei neue Tiere zu HundKatzMaus & Co. Zwei, die zuerst ebenfalls Grenzen überwinden müssen, bevor sie sich zu den längst Kult gewordenen Kellertieren gesellen können.

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