Naturwein
Beige is the new orange
Text: Carsten Henn und Thomas Vaterlaus
Orange ist die reine Lehre, doch viele Winzer nutzen ihre maischevergorenen Weissweine auch in der Cuvée. Oftmals ohne darüber zu reden. Einen Namen gibt es für diese Spielart noch nicht. Wir nennen sie «Beige» – und sie wird in Zukunft nicht mehr wegzudenken sein.
Das Wort «Beige» stammt aus dem Französischen und hat sich im 19. Jahrhundert als Synonym für «naturfarben» eingebürgert. Sucht man Winzer, die «Beige» produzieren, findet man keine – denn wir haben diesen Begriff augenzwinkernd erfunden. Es existierte noch keiner für diese spannende Vermählung konventionell erzeugter Weissweine mit Orange Wine. Es ist ein Trend, der im Stillen verläuft – weswegen selbst einige Weinexperten noch nichts davon gehört haben. Als ich auf Facebook nach österreichischen Winzern fragte, die solche Cuvées herstellen, entspann sich folgender Dialog.
Roger Weiss: Die meisten Winzer justieren über die Dauer des Maischestands mehr oder weniger Oxidation. Ich glaube nicht, dass die Mischung besser wäre als die einzelnen Teile. Dafür sind die Stilistiken zu verschieden.
Johannes Zillinger: @Roger_Weiss Einspruch! Eine Cuvéetierung mit Orange bringt dem klassisch vergorenen Weisswein massiv Struktur.
Roger Weiss: Okay, Johannes Zillinger, für welchen deiner Weine trifft das zu?
Johannes Zillinger: @Roger_Weiss für alle meine Weine... ausser die Numen-Linie. Velue 5 bis 10 Prozent maischevergoren separat in der Amphore (8,50 Euro ab Hof, also ab) und dann rückverschnitten, Reflexion 10 bis 20 Prozent, Revolution White Solera 50 Prozent.
Johannes Zillinger aus Velm-Götzendorf im Weinviertel ist einer der Winzer, die um den Wert von Beige-Weinen wissen. Es ist ein weiteres Werkzeug im Handwerkskasten der Winzer. So wie Barrique-Weine oder spontan vergorene heute sowohl in Reinform existieren als auch zur Cuvéetierung genutzt werden, geschieht es nun auch mit dem Orange Wine.
«Sehr viele junge Leute sind für diese Stile empfänglich, auch die, die sich wenig damit beschäftigt haben.» Kaum ein hipper Sommelier, der heute noch ein Weinmenü ohne Orange Wine zusammenstellt. «In meinem Betrieb verkaufen sich die beiden Naturweinserien immer stärker. Sie machen mir richtig Spass, und für sie bin ich bekannt. Die Nachfrage übersteigt das, was ich habe.» Doch Johannes Zillinger glaubt, dass weder Orange noch Beige jemals auf breiter Front Erfolg haben werden. «Für viele Betriebe ist Maischegärung ein rotes Tuch. Ausserdem ändern sich Trends von heute auf morgen. Betriebe sollten sich auf ihre Stärken konzentrieren. Ich mache zum Beispiel keinen DAC-Wein, da schmeckt einer wie der andere, auch der Preis ist gleich.»
Zillinger ist ein extremer Individualist in Sachen Wein. 2010 startete er mit ersten Versuchen in Sachen Maischegärung, 2012 übernahm er den elterlichen Betrieb und stellte auf Biodynamik um, ausserdem schaffte er sich acht Amphoren aus Georgien an. Sein Vater stellte den Betrieb schon 1984 auf Bio um – als einer der ersten Betriebe der Region.
Riesling als Glaubensfrage
Wer sich mit Orange-Winzern der ersten Generation unterhält, trifft auf Menschen, die Neugierde und Unternehmungsgeist vereinen. Stefan Braunewell aus dem rheinhessischen Essenheim, ist auch so einer. «Aktuell steht der Grauburgunder für uns im Fokus, es ist die Rebsorte, die in die Geschichte unseres Weinguts gehört. Wir haben viele alte Anlagen. Der Grauburgunder eignet sich für Orange, weil er feinen Gerbstoff mitbringt. Wir machen damit einen trinkbaren Orange-Stil.» Sowohl pur als auch in der Cuvée setzt Braunewell Orange ein. Als Pionier hat man bereits Erfahrungen mit anderen Rebsorten gemacht. «Silvaner könnte die Prototyp-Rebsorte für Orange sein. Spannend beim Silvaner ist, dass die Schale so dick ist und man da viel feines Tannin rauslösen kann. Beim Grauburgunder ist die Schale zwar dünner, aber aufgrund der Farbe ist feines Tannin mit sanftem Ausbau lösbar. Riesling ist halt eine Glaubensfrage. Generell passt Orange besser bei Burgundern – wenn man den Silvaner mit dazuzählt.» Stefan Braunewell lacht. Er weiss, dass andere Winzer leidenschaftlich gern für Orange Wine vom Riesling in den Ring steigen. «2010/11 ging dann der Hype los mit Symposium auf der Ankermühle, Social Media, alle lasen in den Blogs, wo das Thema stark promotet wurden. Die Skandinavier hatten das da schon lange im Fokus.» Stefan Braunewell hat nun schon etliche Jahre Erfahrung mit der Cuvéetierung für einen Beige Wine, trotzdem sagt er: «Es ist total verblüffend, wenn wir diese Cuvée machen, schmeckt sie immer anders, als man sie sich vorstellt. Auch beim neuen Teufelspfad haben wir 2,5 Prozent Orange reinverschnitten, ohne gross darüber zu reden. Da hat vorher die Spannung gefehlt bei dem überreifen Jahr. Man hat einen Wein, der sehr ausgereift ist, von Trauben erster Güte, mit 100 Prozent Holz. Sehr kräftig und ausdrucksstark. Dann kommt dieser Gerbstoffanteil vom Orange dazu und erbringt Spannung, Trinkfluss, und der Wein wird schlanker – obwohl die innere Dichte erhöht wird!» Braunewell hat auch die Erfahrung gemacht, dass die Weine langsamer reifen, weil der Gerbstoff dezenter mit reinreift, wie er sagt. Für die Braunewells ist Beige fast schon ein Haus-Stil, in vielen Preisklassen arbeiten sie auf diese Weise. «Generell braucht man beim Gutswein vielleicht fünf Prozent, bis sich etwas bewegt. Bei einem einfachen Wein ist die Cuvée immer schneller gemacht, da bewegt sich das in Drei-Prozent-Schritten. Je hochwertiger die Weine, desto filigraner, desto sensibler reagieren sie. Wenn man da etwas zu viel gibt, schlägt es total durch. Wir machen das mit den Azubis, die denken, wir seien durchgeknallt, wenn wir die Zehner-Pipette rausholen. Aber zwei Prozent sind manchmal zu wenig und 2,8 Prozent viel zu viel.»
Beige Wine wird stärker
Für Stefan Braunewell ist bei all dem Nachdenken immer eines wichtig: die Akzeptanz der Kunden. «Reines Orange ist eine sehr extreme Variante, für die es vor allem in der Gastronomie Liebhaber gibt. Dazu passt das. Vielleicht verschwindet bei uns der Orange sogar in der Versenkung, Aber der Beige Wine wird stärker.» Für die Spitzenbetriebe, da ist sich Stefan Braunewell sicher, wird Beige ein grosses Thema werden. «Wir haben den Klimawandel, steigende pH-Werte, trockenere Sommer – wir brauchen Säure und Struktur. Ausserdem ist Orange die Antwort darauf: Wie bekommt man das Tannin in die Weissweine? Es ist ein Werkzeug, das nicht zu plump ist, mit dem sehr feiner Gerbstoff, der nicht zu hart ist, aus dem Holz kommt, und mit dem man diesen auch in den Wein bekommt.» Doch die handwerkliche Komponente ist wichtig, das Lesegut muss sehr sauber sein. Braunewell gibt zu bedenken, dass es auch heute noch schlechte Barrique-Weine gibt – dabei ist es rund 30 Jahre her, dass man in Deutschland damit ernsthaft begann. Anders ausgedrückt: Wir werden noch viele schlechte Orange und Beige Wines zu trinken bekommen.
Gute Weine dieser Kategorien stammen von Lageder aus Südtirol – wobei diese nicht typisch für den Stil des Hauses sind. Clemens Lageder spielt mit Orange, weil er sich fragt: «Wie können wir in 10, 20 Jahren Pinot Grigio pflanzen und dessen Frische gewährleisten?» Selbst bei ihrem hochwertigsten Grauburgunder be- nutzen sie das neue Werkzeug namens Orange Wine. «Beim Porer Pinot Grigio spielen wir mit verschiedenen Komponenten einer Lage, verschiedenen Lesezeitpunkten und verschiedenen Vinifikationsmöglichkeiten, ob Stahl oder grosses Holzfass. 15 Prozent des Leseguts bleiben nur über Nacht auf den Schalen, Fünf Prozent bleiben acht Monate lang auf den ganzen Trauben. Orange Wine ist wie ein natürliches Gewürz.» Dabei ist Lageders Ansatz nicht der, einen neuen Stil zu kreieren, sondern den Hausstil zu erhalten. Auf diese Weise hilft Beige als neue Weinfarbe.
Tom Litwan räumt auf:
«Ich will mit der Naturwein-Szene nichts zu tun haben!»
Orange Wine wird häufig mit Naturwein gleichgesetzt – nicht der einzige Trugschluss bei diesem komplexen Thema. Der gelernte Maurer Tom Litwan betreibt seit 2006 sein kleines Drei-Hektar-Weingut im Aargau (Ost- schweiz). Der meinungsstarke 39-jährige Quereinsteiger produziert aus Chardonnay und Pinot Noir geradlinig ausdrucks- starke Crus nach burgundischem Vorbild. «Weil ich meine Reben biodynamisch nach Demeter-Vorgabe bewirtschafte, alle Weine mit den natürlichen Rebbergshefen vergäre und vielleicht ein etwas unkonventioneller Charakter bin, rechnen mich viele der Naturwein-Szene zu. Dabei will ich damit absolut nichts zu tun haben. Naturwein gibt es nämlich nicht. Weil die Trauben in Monokultur reifen und weil es nur eine ganz sichere Bestimmung der Traube gibt, nämlich dass sie zu Essig wird. Und Essig ist sehr stabil.» Litwan grenzt sich auch deswegen ab, weil er schlechte Erfahrungen mit Weinen gemacht hat, die unter dieser Fahne segeln. «Ich habe schon Naturweine getrunken, die grandios sind, aber es war im Schnitt eine von zwölf Flaschen, und das bei einem Durchschnittspreis von 30 Euro. Das ist eine sehr schlechte Bilanz, wenn man kein Grossverdiener ist.» Doch die Qualität ist nicht Litwans einziges Problem. «Mich nervt die Arroganz dieser neuen jungen Szene. Es gibt Leute wie Pierre Frick im Elsass, die produzieren seit Jahrzehnten Naturweine ohne Schwefel. Aber sie haben in der Orange-Szene nicht die Bedeutung, die sie haben müssten, vielleicht weil sie das, was einige Naturwinzer jetzt als ihre Erkenntnis verkünden, schon vor 25 Jahren wussten.». Damit nicht genug: Auch die heilige Kuh Schwefel lässt Litwan nicht unangetastet. «Der Schwefel ist meiner Meinung nach das kleinste Problem beim Weingenuss. Ich selber habe keine Probleme damit, Schwefel einzusetzen, natürlich so moderat wie nur möglich. Aber wenn ich nach reichlich Weingenuss am nächsten Morgen mit Kopfweh aufwache, kommt das nicht vom Schwefel, sondern vom Alkohol. Das Giftigste im Wein ist der Alkohol, und ohne diesen kommen auch die Naturweine ja nicht aus, oder?» Auch eine leichte Filtrierung ist für ihn manchmal die bessere Lösung als gar keine Filtrierung – auch wenn Letzteres sich auf dem Etikett gut macht. Doch er findet: Dogmatismus macht keine guten Weine. «Viel interessanter als das Thema Naturwein finde ich das Thema Regionalwein. Ich habe kürzlich bei einem Winzer im Burgund ungeschwefelte Weine getrunken, die er nur für sich und seine Freunde in der Umgebung keltert, das war einfach grandios. So etwas im lokalen Bereich zu machen, halte ich für intelligent – einen Naturwein abzufüllen und diesen dann nach Hongkong zu verschiffen, dagegen eher für dämlich…» Doch obwohl Tom Litwan so klare Überzeugungen hat und zum Beispiel konsequent auf Spontangärung setzt, findet er, dass Dogmatismus keine guten Weine macht.
Johannes Zillinger, Velm-Götzendorf
Minimaler Alkohol – maximale Struktur
Für Johannes Zillinger ist Orange ein emotionales Thema. Das merkt man direkt. «Orange? Bei mir gilt: Erst kosten, dann erst rede ich drüber. Orange ist für alle der letzte Schrei, alles ist sowieso Orange. Ich sage: Es ist mein Stil. Da sind Betriebe ohne Bio oder Biodyn, die probieren das aus. Finde ich ganz schlecht. Leute, die keine Ahnung haben, bringen Mist auf den Markt.»
Für Zillinger sind Orange und Beige vor allem Mittel, um sein stilistisches Ziel zu erreichen. «Möglichst wenig Alkohol, maximal 11,5 Prozent, aber maximale Struktur!» 70 Prozent seiner Weine gehen in den Export, dort ist der niedrige Alkohol zum Teil eines der wichtigsten Verkaufsargumente. «Es gibt alkoholbezogene Importsteuern, deshalb sind sie so gefragt im asiatischen Raum und in Skandinavien.» Doch dieser Marketing-Vorteil ist nur ein Nebeneffekt. Zillinger ist Überzeugungstäter, egal ob bei Maischegärung in Amphoren, seinem Solerasystem oder bei der Kräuterbegrünung im Weingarten.
«Ich arbeite bei allen Weinen spontan und malolaktisch, das schleift, macht sie cremig. Die Säurewerte sind extrem niedrig, beim Veltliner 5,2 bis 5,5. Da hilft die Maischegärung in Sachen Frische.»
Orange ist bei ihm ein Baustein in Sachen authentischen Weins, der trotzdem Balance aufweist. Ein weiterer Baustein ist die lange Zeit auf der Vollhefe. «Beide Naturweinserien werden unfiltriert abgefüllt. Sie liegen bis 17 Monate auf der Vollhefe, die Feinhefe macht den Gerbstoff sehr stark rund, dadurch weniger schmeckbar.» Was Zillinger will, ist Struktur und Frische, was er nicht will, ist Härte. «Deshalb praktiziere ich Orange auch anders, mit Ganzbeerengärung. Ich quetsch die Beeren nicht, denn dann erhalte ich bitteres Tannin aus den Kernen, ich hole mir stattdessen Schalentannin und Schalengerbstoff.»
«Beige» arbeitet er seit fünf Jahren. «Bei meinen beiden klassischen Weinserien darf der Orange-Anteil nicht dominieren, ab 30 Prozent schmeckt man die Maischegärung wirklich. Ich habe Jahre gehabt, wo man die 20 Prozent schon erahnt hat. Generell kann man bei den Aromarebsorten mehr in die Cuvée geben, bei Veltliner muss man dagegen sehr sensibel arbeiten.»
Braunewell, Essenheim (Rheinhessen):
Ein Abend im Medoc
2007, Feierabend auf einem Weingut im Medoc. Der junge Stefan Braunewell aus Rheinhessen absolviert ein Praktikum. Die Franzosen stellen Gläser mit Weisswein auf den Tisch und blicken den Deutschen erwartungsvoll an. «Na, du bist doch der Weissweinspezialist. Sag mal, wie alt der ist?»
Braunewell liegt fast immer 20 Jahre daneben. Es handelte sich um maischevergorene Weisse von der Loire aus den 70er und 80er Jahren. Was er für einen 2002er-Jahrgang hielt, stellte sich als 1981er-Jahrgang heraus.
Stefan Braunewell ist fasziniert, total fasziniert, dass Weissweine so lange halten können. «Ich kannte bis dahin nur Weine aus dem eigenen Keller, die waren nicht so zum Aufheben.»
Von da an trieb ihn die Frage um: Wie kann man deutschen Weisswein hinsichtlich der Entwicklung auf eine andere Stufe stellen? «Mittlerweile weiss ich natürlich, dass Weine auch anders gut reifen können. Aber 2009 habe ich angefangen, die ersten Orange Wines zu machen.» Die Braunewells stehen für einen moderaten Orange-Stil. «Die Maischestandzeit ist zum Teil kürzer als bei anderen Orange Wines, wir versuchen, eine sehr langsame Gärung zu bekommen, und pressen, wenn vier Gramm Zucker noch da sind. Die Weine sollen nicht auffallen, weil sie anders sind, sondern weil sie gut sind. Die Hardliner unter den Orange-Fans sagen, das ist ja ganz normaler Wein.» Die Braunewells wollen Rebsorte und Lagencharakter nicht ganz verwischen. «Da kam die Idee der Kombination. Orange ja, aber vielleicht im Rückverschnitt.»
Nach etlichen Versuchsweinen kommt nun ein neuer Lagenwein auf den Markt, dessen Konzept der Rückverschnitt ist. «Er heisst ‹Am Klopp› und wächst auf harten Kalksteinböden, wo man früher die Steine gekloppt hat. Der Name kann auch daher stammen, dass man früher mit dem Gaul drüberfuhr, und da hat es so gekloppt, weil so viele Steine drin waren. Eine sehr mineralische Lage. Der härtere, kantigere Wein soll auch aus der kantigeren Lage kommen.» Den Teufelspfad sieht Stefan Braunewell dagegen als ihren klassischen Grauburgunder.
Albert Mathier & Söhne AG, Salgesch (Wallis):
Gletscherbeige Top-Crus
Schon 2008 reiste der heute 53-jährige Walliser Winzer Amédée Mathier erstmals nach Georgien und importierte noch im gleichen Jahr acht Amphoren, die er bei seinem Keller in Salgesch eingrub. 2012 erweiterte er diese Anlage, so dass er heute über insgesamt 20 Amphoren mit einem Fassungsvermögen zwischen 600 und 3000 Liter verfügt. Rund fünf Prozent seiner Ernte von insgesamt 30 Hektar Reben werden heute darin als Naturwein vinifiziert, die übrigen 95 Prozent seiner Weine werden klassisch hergestellt. Mit seinen Amphoren-Spezialitäten hatte er von Anfang an die Idee, die Tradition des Oberwalliser Gletscherweins von neuem individuell zu interpretieren. So verwendet er für seinen Amphore Blanc die beiden alteingesessenen Sorten Ermitage (Marsanne) und Rèze, die neun Monate in den Kvevris auf der Maische vergoren und ausgebaut werden. In den fast zehn Jahren, die Mathier nun mit den Kvevris arbeitet, ist er zum Schluss gekommen, dass es einen pragmatischen Ansatz braucht, um Topweine in die Flaschen zu bringen. Obwohl er einen Teil seiner Rebberge kontrolliert biologisch bewirtschaftet, vermarktet er seine Amphoren-Crus als konventionelle Weine, weil er im Herbst jeweils ohne Einschränkungen das beste Traubenmaterial dafür selektionieren will. Zudem entrappt er alle Trauben, bevor sie in die Amphoren kommen, und baut sie darin jeweils sortenrein aus, weil er zum Schluss gekommen ist, dass so finessenreichere Weine entstehen. Auch bezüglich Schwefelung und Filtrierung handelt er pragmatisch: «Wir verfolgen die Weine analytisch. Wenn ein Wein nichts braucht, füllen wir ihn völlig naturbelassen ab. Wenn wir aber zum Schluss kommen, dass eine moderate Schwefelung und Filtration einen positiven Einfluss auf die Qualität und Haltbarkeit haben könnten, dann zögern wir nicht, diese Mittel einzusetzen. Schliesslich sind wir keine Esoteriker und schon gar keine Prediger, sondern einfach nur Winzer, die möglichst gute Weine machen wollen…»
Alois Lageder, Magreid (Südtirol):
Beige steht für Frische
Alois Clemens Lageder schätzt ein offenes Wort: «Wer heutzutage noch von einer einzigen Wahrheit spricht, der hat etwas verpasst.» Das Südtiroler Vorzeigeweingut ist bekannt dafür, nicht in Traditionen zu erstarren. 2003 war man Pionier in Sachen Biodynamie, mit der Weinserie «Kometen» hat man eine Spielwiese im Weingut etabliert, auch mit dem Thema Orange Wine beschäftigt man sich. Doch Lageder, der zur sechsten Generation im Weingut gehört und auch einen Bachelor in Soziologie und Geschichte hat, sieht das Thema historisch. «Seien wir doch mal ehrlich: Vor 30 Jahren war die ganze Maischestandzeit gang und gäbe. Da kam man abends mit dem Ochsen in den Weinberg, um die Trauben der Lese zu holen. Die standen schon einen ganzen Tag dort. So viel zur Maischestandzeit!»
Mit Orange Wine beschäftigte Lageder sich nicht, um mit seinem neuen Team im Weingut Duftmarken zu hinterlassen. Es ging vor allem um eines: Frische. «Wir müssen uns als Winzer Gedanken machen, denn faktisch ändert sich die Natur. Stichwort Klimawandel und Wärmeveränderung. In den letzten zehn Jahren war das vor allem in den tieferen Lagen und bei Rebsorten wie Pinot Grigio und Chardonnay ein Thema. Kurz vor der Lese ist das Problem der Verlust an Säure. Sie sinkt dann radikaler als noch vor zehn Jahren. Wir mussten uns überlegen, wie wir es schaffen, die Wahrnehmung von Frische und Säure zu erhöhen. Wir könnten natürlich mit den Weinbergen auch in höhere Lagen hinaufgehen, aber wenn wir das tun, bringen wir auch die Monokultur hoch. Da muss man Vorsicht walten lassen. Eine andere Möglichkeit wäre, mit anderen Rebsorten zu spielen. Viognier, Roussanne oder griechische Sorten zu pflanzen, die das wärmere Klima gewohnt sind.» Doch es ist die dritte Möglichkeit, für die Lageder sich entschieden hat: Mit den Vinifikationsmethoden zu spielen. «Dabei spielt Orange eine essenzielle Rolle. Durch die Phenolik aus den Schalen erhöht sich die Wahrnehmung der Säure und die Lebendigkeit. So können wir den Stil gewährleisten, das ist der Grund des Rückverschnitts.»