Mount Athos
Wein-Gottes-Staat
Text: Thomas Vaterlaus
Frauen sind hier seit 1000 Jahren unerwünscht, männliche Besucher haben nur mit Visa Zutritt. Dafür wird im orthodoxen Mönchsstaat Mount Athos auf der nordgriechischen Halbinsel Chalkidiki der offizielle Wein des Kreml gekeltert. VINUM besuchte die Winzer von Wladimir Putin.
Zwei Stunden östlich von Thessaloniki werden die Strassen immer kurviger und schmaler, und das GPS funktioniert nur noch mit Zusatzkarten. Nach der kleinen Hafenstadt Ouranoupoli (deutsch: die Himmelsstadt) geht’s auf einer geheimen Sandpiste weiter, die durch eine immer dichtere und wildere mediterrane Buschlandschaft führt. Es ist eine ganz und gar ungewöhnliche Anreise zum autonomen Gottes-staat Mount Athos. Denn die maximal 120 Personen (davon höchstens zehn Ausländer), denen pro Tag der Zutritt gewährt wird, nehmen in Ouranoupoli normalerweise das Schiff zum Hafen von Daphni, dem offiziellen Eingangstor zur verbotenen Insel. Wir aber sind mit Georgios Tsantali vom gleichnamigen griechischen Weinhaus unterwegs. Und weil Tsantali die einzigen auf dem Markt erhältlichen Mount-Athos-Weine keltert, ist alles etwas einfacher.
Irgendwann erreichen wir mit unserem Jeep eine Mauer mit aufgesetztem Draht und parkieren vor einem unscheinbaren grünen Eisentor. «Wir verlassen jetzt Griechenland», sagt Georgios Tsantali. Auf der anderen Seite wartet schon ein alter grüner Mercedes-Bus, eines der wenigen Benzinvehikelin der Mönchsrepublik. Mit ihren 336 Quadratkilometern ist sie immerhin 80-mal grösser als der Vatikan. 17 griechisch-orthodoxe Klöster, dazu jeweils ein serbisch-orthodoxes, ein bulgarisch orthodoxes und ein russisch-orthodoxes Kloster gibt es auf Mount Athos und zwölf Mönchsdörfer sowie 700 Kleinstgemeinschaften und Eremitenklausen. In der Blütezeit im 15. Jahrhundert sollen hier 40 000 Mönche gelebt haben. Heute sind es noch deren 1700.
Ein Mönch, ein Kloster, ein Wein
Übrigens ist nicht nur Frauen der Zutritt verwehrt, sondern auch weiblichen Tieren mit Ausnahme von Katzen und Hühnern. Das Wild allerdings, besonders die Wildschweine, die wie wir von Norden kommend durchs Gestrüpp ins heilige Land eindringen, entziehen sich der Geschlechterkontrolle. Nach rund zehnminütiger Fahrt erreichen wir Metochi Chromitsa, eine Aussenstelle des russisch-orthodoxen Klosters Agios Panteleimon. Noch vor 100 Jahren lebten allein in dieser Gemeinschaft rund 1500 Mönche. Heute befinden sich keine 50 Glaubensbrüder mehr im monumentalen, direkt am Meer thronenden Hauptkloster.
In der Aussenstelle Metochi Chromitsa treffen wir den fast 80-jährigen Pater Philaretos, einen gebürtigen Russen. Er lebt seit 50 Jahren hier und hat sein Zimmer in einer ansonsten leerstehenden Etage der Abtei über dem Keller, wo Tsantali heute die Inselweine keltert. Abends, wenn die rund zehn hier beschäftigten Tsantali-Rebarbeiter nach Griechenland zurückkehren, ist er ganz alleine im mächtigen Haus. Ohne Strom und elektrisches Licht, ohne warmes Wasser, ohne Fernseher, ohne Internet. Immerhin: Wenige Hundert Meter unterhalb seines Klosters lockt das strahlend blaue Ägäische Meer. Doch auch das Baden ist den Mönchen auf Mount Athos untersagt. «Im Sommer höre ich bei Westwind die Discomusik aus den Strandclubs der gegenüberliegenden Halbinsel», sagt er. Es sind für ihn verwirrende Signale aus einer ihm völlig fremden Welt.
Einsam ist Pater Philaretos trotzdem nicht. Seit das Weinhaus Tsantali hier die Rebberge restauriert hat und inzwischen auf rund 100 Hektar kontrolliert biologische Spitzenweine anbaut, ist tagsüber so viel los wie seit 100 Jahren nicht mehr. Vor allem die roten Cuvées aus der alteingesessenen Sorte Limnio (die kräftige, körperreiche Weine mit Kräuteraromen und präsenter Säure hervorbringt) in Verbindung mit Cabernet Sauvignon ergeben im sandigen, teilweise auch schieferhaltigen Terroir rund 400 Meter über Meer höchst eigenständige, charaktervolle Crus. Die Rebberge sind alle unbewässert und müssen mit den 300 Millimeter Regen auskommen, die hier pro Jahr und Quadratmeter fallen. Zu seinen Mount-Athos-Weinen ist das Weinhaus Tsantali gewissermassen durch göttliche Fügung gekommen. Im Jahre 1971 pilgerte der damals 57-jährige Evangelos Tsantali, der Onkel des heutigen Patrons, durch die wilden Hügel von Mount Athos. Überrascht von einem heftigen Gewitter fand er Unterschlupf in Metochi Chromitsa. Er sah die verwahrlosten Rebberge und machte den Mönchen das Angebot, dieses erstklassige Rebland inmitten einer fast unberührten Natur von neuem zu bewirtschaften.
Besuch von Wladimir Putin
In den ersten Jahren arbeiteten die russisch-orthodoxen Mönche noch in den Reben mit, dann übernahm das Tsantali-Team das ganze Projekt. Es fehlte den Mönchen schlicht an Zeit, immerhin sind sie angehalten, bis zu zehn Stunden pro Tag zu beten. Eine neue Dimension bekam die Weinbaurenaissance in Mount Athos am 9. September 2005. An jenem Tag besuchte das russische Staatsoberhaupt Wladimir Putin das russisch-orthodoxe Kloster Agios Panteleimon, kostete die hier gekelterten Tsantali-Weine und ordnete an, dass hier künftig der offizielle Wein des Kreml angebaut werden soll. Das Unterfangen wurde generalstabsmässig geplant. Önologen, Agronomen, ja sogar ein Arzt reisten aus Moskau an, um Qualität und Verträglichkeit des betreffenden Crus zu prüfen. Mit dem Jahrgang 2007 wurden schliesslich erstmals 3500 Flaschen vom Kormilitsa Gold Edition als exklusives Kreml-Gewächs abgefüllt. Er ist der griechische Icon-Wein schlechthin, die wenigen Flaschen, die in den Handel kommen, sind nicht unter 100 Euro zu haben. «Ich denke, die Genehmigung zur Produktion des Kreml-Weins zu bekommen, war wohl um einiges schwieriger, als Hoflieferant der englischen Queen zu werden», sagt Georgios Tsantali.
Halbinsel des guten Geschmacks
Doch nicht nur dank der Tsantali-Spitzenweine ist der Gottesstaat in den letzten Jahren zur Halbinsel des guten Geschmacks avanciert. Der 50-jährige, in Georgien geborene Mönch Epiphanios hat im Kloster Mylopotamos, das an der Ostküste liegt, zur gleichen Zeit die byzantinisch geprägte Mount-Athos-Küche revolutioniert. Während sich früher die Geistlichen vorwiegend von Gemüse, Salat, Oliven, Schafskäse, Nüssen, Wein und Brot ernährten, schafft es Epiphanios, auf offenem Holzfeuer in grossen Kesseln und Steingutgefässen eine Vielzahl von Gerichten zu bereiten, die Einfachheit und Raffinesse in sich vereinen. Anstelle von Salz und Pfeffer sind es oft das leicht rauchige Aroma vom Feuer und die speziellen Inselkräuter, die Gerichten wie Kichererbseneintopf oder in Wein geschmortem Oktopus eine spezielle Note verleihen. Sein 2010 erschienener Kochbildband «Die heilige Küche vom Mount Athos» hat weltweit Furore gemacht. Darin verteidigt er auch die Speisefolge, die für Montag, Mittwoch und Freitag nur eine vegan-fettfreie Mahlzeit vorsieht, während dienstags, donnerstags, samstags und sonntags jeweils zwei Mahlzeiten mit Fisch, Eiern, Milchprodukten und Wein vorgesehen sind.
Schon in den 90er Jahren hat eine Ernährungsstudie gezeigt, dass die Mönche vom Mount Athos weit weniger häufig unter Darm-,Magen- und Herzkreislauferkrankungen sowie Alzheimer und Parkinson leiden als die Bewohner der übrigen Welt. Gut möglich, dass dabei auch der stress- und existenzsorgenfreie Mönchsalltag und der Verzicht auf moderne Kommunikation eine Rolle spielen. Übrigens: Dank der Tsantali-Crus und der Rezepte von Pater Epiphanios haben selbst Frauen, für die der Mönchsstaat verbotenes Land ist, die Möglichkeit, den Mount Athos zu riechen und zu schmecken.
Mount Athos geniessen
Spitzenweine, mediterrane Klosterküche und Glücksgefühle auf dem Athos-Berg 2033 Meter über dem Meer – der Gottesstaat ist voller Spiritualität aber leider nur für Männer zugänglich.
Weine
Das nordgriechische Weinhaus Tsantali bringt ein beeindruckendes Sortiment an Mount-Athos-Crus in die Flasche. Schon die roten Basisweine Metochi Chromitsa und Agathon bestechen durch ihre charaktervolle, kernig-klassische Art und sind perfekte Essensbegleiter. Der Agioritiko Abaton, der in neuen Barriques reift, zeigt mehr füllige Eleganz und pfeffrig-dunkelbeerige Noten. Die besten Weine, die heute am Mount Athos reifen, sind der komplexe, vollmundige Agathon X und der überaus rare Kormilitsa Gold Edition, der offizielle Wein des Kreml. Tsantali verfügt zudem im Kloster Metochi Chromitsa im äussersten Norden der Mount-Athos-Halbinsel über einen Gästetrakt mit rund zehn Betten.
Infos: Tsantali Vineyards & Wineries, Agios Pavlos, GR-63080 Halkidiki, Tel. +30 (0)23990 761 00, www.tsantali.com
Küche und Rezepte
«The Cuisine of the Holy Mountain Athos», von Mönch Ephiphanios, Synchroni-Orizontes-Verlag, ISBN: 978-9603983354 – Bilder, Texte und 130 Rezepte vom Mount Athos. Das Buch ist nur in englischer Sprache erhältlich.
Besuch auf Mount Athos
Nur Männer über 18 Jahre können den Mönchsstaat Mount Athos während maximal vier Tagen (drei Übernachtungen in drei verschiedenen Klöstern) besuchen. Die Anreise erfolgt über Thessaloniki ins 145 Kilometer entfernte Ouranoupolis. Von dort geht es per Schiff nach Daphni, dem Eingangshafen von Mount Athos. Zuvor muss eine entsprechende Einreisegenehmigung («Diamonitirion» genannt) beantragt werden.
Die Adresse: Pilgerbüro Mount Athos, Egnatia Odos 109, GR-54635Thessaloniki, Tel. +30 (0)2310 25 25 78, E-Mail: piligrimsbureau@c-lab.gr