Inselweine aus Korsika und Sardinien
Charmante Eigenbrötler
INSELWEINE AUS KORSIKA
Zurück in die Zukunft
Text: Joël Gernet
Inselwein soll Wein von der Insel sein – wild, würzig, eigenständig. Nachdem Korsikas Weinwelt ins Wanken geraten ist, erleben die einheimischen Sorten eine zweite Renaissance.
Es ist, als wollten die Reben die Wellen küssen. Nur wenige korsische Weinberge kommen dem Meer so nah wie die der Domaine Pieretti am Cap Corse. «Dieses Terroir ist einzigartig! Die Weine werden immer besser, und die Leute interessieren sich dafür», sagt Alain Venturi. Mit dem Interesse steigt auch die Anbaufläche. Zu den grössten Herausforderungen gehören hier – wie fast überall auf der Insel – Trockenheit, Wind und Wildschweine. Viele Rebberge sind umgeben von Macchia-Buschwald und Wildschutzzäunen. Mit fünf Kellereien und 30 Hektar Rebfläche ist Korsikas nördlichste Appellation die kleinste. Auf den felsigen Ton- und Schieferböden der Domaine Pieretti wachsen die einheimischen Sorten Niellucciu, Muscat à Petits Grains, Vermentinu und Alicante (Grenache). Bekannt ist die Domaine für ihre weisse Cuvée Marine, einen vibrierenden Vermentinu mit frischer Frucht, feiner Würze und salzigem Abgang.
Zusammen mit seiner Frau bewirtschaftet Alain Venturi die elf Hektar umfassende Domaine Pieretti in fünfter Generation. Lina Venturi-Pieretti hat das Weingut 1989 vom Vater übernommen und seither behutsam modernisiert. Die Mariage von Tradition und Moderne ist der Schlüssel zu Erfolg und Eigenständigkeit des korsischen Weins. Das mag abgedroschen klingen, doch die heutige Dominanz lokaler Sorten ist nicht selbstverständlich. In den 60er Jahren geriet die traditionelle Weinproduktion arg ins Wanken. Tausende sogenannte «pieds noirs» siedelten nach der Revolution in Algerien und der Loslösung von Frankreich nach Korsika über. Mit im Gepäck: ertragreiche Rebsorten für Massenweinbau. In kurzer Zeit vervierfachte sich die Rebfläche auf 31 000 Hektar. Erst in den 80er Jahren wurde die Weinschwemme durch Rodungen und EU-Fördermittel wieder eingedämmt. Es folgte eine erste Rückbesinnung auf einheimische Sorten – allen voran Sciaccarellu und Niellucciu, in Italien als Sangiovese bekannt, sowie die weisse Varietät Vermentinu. Unterstützt wurde die Renaissance durch die Einführung neuer Herkunftsbezeichnungen, darunter neun Appellations d’Origine Protégée (AOP), und durch Winzer wie Lina Venturi-Pieretti. Heute ist sie Vizepräsidentin der Winzervereinigung UVA Corse und Präsidentin des Weinfestivals Fiera di U Vinu. Dieses lockt im Juli jeweils Dutzende Winzer und Hunderte Weinliebhaber ins historische Zentrum von Luri.
Es gibt keine bessere Gelegenheit, um Korsikas Weine und Winzer kennenzulernen: Ein Weinfest mit kulinarischen Spezialitäten, Folklore und Rockmusik. Hier treffen wir auf die junge Winzerin Marie-Françoise Devichi. Dass sie uns als Erstes ihren Winzerkollegen Simon Giacometti vorstellt, ist sinnbildlich für die neue Winzergeneration: Man schätzt, inspiriert und unterstützt sich gegenseitig. «Wir sind jung, zahlreich – und wir wollen gemeinsam vorwärtskommen», erklärt Devichi.
Als wir sie am folgenden Tag im Herzen der Appellation Patrimonio besuchen, sind wir doppelt baff . Erstens von der atemberaubenden Aussicht bei der halbstündigen Überfahrt von der Ost- zur Westküste – auf dem Gipfel überblickt man innerhalb weniger Meter zuerst die eine, dann die andere Inselflanke. Zweitens von der Dichte an Spitzenwinzern, die sich hier wie Perlen an einer Kette aneinanderreihen. Mit 423 Hektar Rebfläche und 35 Kellereien ist Patrimonio Korsikas grösste Weinregion. Hier wurde 1968 die erste AOP ins Leben gerufen – der Anfang der Qualitätsrevolution.
Das jüngste Kind der Revolution
Eines der jüngsten Kinder dieser Revolution ist Devichi. Sie betreibt das Weingut in sechster Generation und hat nach einer Dekade Unterbrechung wieder damit begonnen, Weine unter dem Familiennamen abzufüllen. Das Medizinstudium in Marseille hat sie sausen lassen. «Seit ich den Betrieb 2012 endgültig übernommen habe, konnte ich unsere Rebfläche auf 40 Hektar verdoppeln.» Daneben hat sie dank geschicktem Einsatz von Social-Media-Plattformen wie Facebook dafür gesorgt, dass der Name Devichi wieder mit Spitzenwein in Verbindung gebracht wird. Wer von Bastia nach Saint-Florent fährt und ein Weingut besichtigen möchte, landet als Allererstes bei ihr in Barbaggio. Um ihre Reben besuchen zu können, geht es durch das Städtchen Patrimonio hinunter ins Tal. Anders als am Cap Corse mit seiner felsigen Küste schmiegen sich hier die Weinberge sanft an die Hügelketten. In Mitten ihrer Weinberge schlummert zwischen Eukalyptusbäumen ein verlassenes Landgut, das die Fantasie beflügelt. Hier möchte Devichi eines Tages ihren Wein keltern. Die Chancen stehen gar nicht so schlecht. Auch, weil Wein aus Korsika derzeit im Ausland beliebt ist. «Diese Welle müssen wir reiten», sagt Devichi entschlossen.
«Naturweine entfalten sich nach dem Öffnen und werden häufig besser. Herkömmliche Weine sind nach einem Tag oft tot.»
Sébastien Polly Domaine U Stiliccionu
Vor der Weiterreise empfehlen wir einen Abstecher ins nahe gelegene Saint-Florent. Im Hafenrestaurant «La Gaffe» bietet Christophe Chiorboli die wohl beste korsische Weinauswahl der Insel. Von Saint-Florent führt die Reise einige Kilometer weiter in die Désert des Agriates. Die Gegend ist geprägt von Hitze, Wind und kargen Felsen. Mitten im Niemandsland: ein Weingut mit Weiher, umgeben von Reben. Es ist die Oase von Simon Giacometti, den uns Devichi vorgestellt hat. «Wir haben vor allem unter den Jungen einen sehr guten Zusammenhalt», schildert Giacometti. Der 27-Jährige bewirtschaftet mit Vater Christian und Schwester Sarah 29 Hektar. Während die Rotweine in Patrimonio gewöhnlich auf schwereren Ton- und Kalkböden gedeihen, wachsen sie hier auf durchlässigen Granitböden. Kalk gibt Kraft, Granit sorgt für Finesse – deshalb sind Giacomettis Weine aus dem wilden Westen feiner strukturiert als ihre Brüder aus den Hügeln hinter Saint-Florent. Der Kalk fehlt hier zwar im Boden, ausgebracht in den Reben dient er aber als natürlicher Insektenschutz. Wie die meisten Patrimonio-Winzer arbeitet Giacometti biologisch.
Im gebirgigen Herzen der Insel
Es geht weiter in Richtung Süden nach Ponte Leccia, wo sich am Fuss der über 2500 Meter hohen Bergkette, die Korsika wie ein Rückgrat durchzieht, die einzige grosse Domaine im Zentrum der Insel befindet. Es sind zwei Weingüter in einem: Die Domaine Vico produziert auf 46 Hektar in rund 260 Meter Höhe ihre Weine. Die zum Betrieb gehörenden 26 Hektar des Clos Venturi wachsen gar in rund 460 Meter Höhe. Sämtliche Reben sind grossen Temperaturunterschieden ausgesetzt. Die einzigartige Lage und die Pionierarbeit von François Aquaviva sowie Jean-Marc und Manu Venturi, die das Weingut auf Qualität, Ökologie und autochthone Rebsorten getrimmt haben, liessen die Weine des Hauses zu den besten der Insel werden.
Auf der Domaine Vico erhält die frisch umgebaute Kellerei den letzten Schliff. Die gigantischen Betontanks aus früheren Zeiten wurden zweckentfremdet: Die wohnzimmergrossen Wannen beherbergen heute Flaschen, Barriques und Amphoren. Klasse statt Masse auch hier. Vom Keller ins Glas: Sehr eigen präsentiert sich der reinsortige Carcajolu aus der Weinlinie 1769. Dieses Purpur bringt sonst kaum ein korsischer Wein ins Glas. Neben frischer dunkler Frucht sind auch Noten von Veilchen auszumachen, dazu eine saftige Säure und feine Tannine. «Hier gehen wir voll auf die Frucht», erklärt Kellermeister Fabien Guillermier. Der Carcajolu gehört – wie Biancu Gentile, Barbarossa, Minustrellu oder Aleatico – zu jenen korsischen Sorten, die vermehrt reinsortig ausgebaut werden. Da die AOP-Weingesetzgebung diesem Umstand noch nicht Rechnung getragen hat, verzichten zahlreiche Winzer auf eine entsprechende Zertifizierung. Raus aus der Appellation, zurück in die Zukunft! Zu einer Renaissance verholfen haben diesen Sorten Produzenten wie Winzerlegende Antoine Arena, Jean-Charles Abbatucci oder Yves Canarelli.
Naturwein-Raritäten aus dem Süden
Am südwestlichen Ende des Gebirges befindet sich die Domaine Comte Peraldi, ein weiterer Familienbetrieb mit Pionierstatus im Qualitätsweinbau. Heute ist Guillaume de Poix für den 50-Hektar-Betrieb am Stadtrand von Ajaccio verantwortlich. Wie die meisten jungen Winzer hat der 28-Jährige seine Ausbildung auf dem Festland absolviert. «Als ich im Burgund das erste Mal Pinot Noir trank, habe ich fast nichts gespürt», erinnert er sich. «Heute schätze ich Pinot und sehe Parallelen zum Sciaccarellu, der auch eher weniger Farbe und Tannin hat.»
Wir beenden unseren Roadtrip bei Sébastien Poly, einem der interessantesten Winzer der Insel. Seine Domaine U Stiliccionu liegt am südlichen Ende der AOP Ajaccio. Poly keltert Demeter-zertifizierte Naturweine, spontan vergoren und ohne Filtration oder Sulfitzusatz abgefüllt. Die Produktion der sechs Hektar kleinen Domaine ist jeweils in Windeseile vergriffen. Poly ist etwas in Hektik, seine Abfüllmaschine hat einen Achsenbruch erlitten. Und jetzt gibt’s auch noch Probleme mit einer Weinlieferung nach Kanada.
Die Domaine ist ein Einmannbetrieb, Poly hat sie vor rund einer Dekade nach Wanderjahren in Cahors, Neuseeland und Tokaij von seiner Familie übernommen. «Für mich war immer klar, dass ich biodynamisch arbeite», erklärt er. Das Interessante am biodynamischen Naturwein sei, dass er sich nach dem Öffnen super entfalte und häufig besser würde. Herkömmliche Weine seien nach einem Tag an der Luft oft tot. Als wir dem Geheimnis von Polys Naturweinen auf den Grund gehen wollen, folgt die Ernüchterung. «Wein? Ich habe keinen Wein, alles abgefüllt und verkauft», sagt Poly mit grösster Selbstverständlichkeit. «Dégustation et vente» sagt hingegen das Strassenschild vor der Domaine. «Muss noch abgehängt werden», meint die Einmannarmee, bevor doch noch zwei Flaschen auftauchen. Wir verkosten einen vielschichtigen Vermentinu mit feiner Würze und runder Frucht. Der Wein vereint Opulenz und Raffinesse, hat aber auch eine wilde, ungezähmte Seite. Eigentlich ein schönes Sinnbild für die Weine Korsikas – und die Insel, auf der sie wachsen.
Unsere Weintipps aus Korsika
Von Sciaccarellu über Niellucciu bis zum wiederentdeckten Biancu Gentile – Korsika verfügt über eine Vielzahl einheimischer Sorten. Strukturierte Schätze mit frischer Frucht, feiner Würze und oft auch einer gewissen Salzigkeit.
Domaine Pieretti, Muscat du Cap Corse AOP 2015
17 Punkte | 2016 bis 2036
Für einen aufgespriteten Vin Doux Naturel ist dieser Muscat erstaunlich frisch in der Nase. Daneben sind Birne, Quittengelee, etwas Honig und weisse Blüten sowie eine feine Würze auszumachen. Im Gaumen sanft und cremig. Zunächst animiert eine feine Würze, dann macht sich ein feiner Säurenerv bemerkbar. Süss, spannend, elegant.
Marie-Françoise Devichi, Patrimonio AOP Mlle D 2014
17.5 Punkte | 2016 bis 2026
Meist unterscheidet sich Niellucciu durch sein ausgeprägtes Tannin von der zweiten roten korsischen Leitsorte Sciaccarellu. Nicht bei Devichi. Ihr Niellucciu begeistert mit viel Frucht und Trinkfluss. «Ich möchte etwas machen, das mir gefällt und das mich vom Rest unterscheidet.» Das hat sie geschafft!
Domaine Giacometti, Patrimonio AOP Cru des Agriate Rosé 2015
17 Punkte | 2016 bis 2019
Rosé ist eine korsische Spezialität, die man nicht übergehen darf. Vor allem, wenn er so frischfruchtig, würzig und mineralisch ist wie bei Giacometti. Die Niellucciu- und Sciaccarellu-Trauben wurden direkt gepresst und zusammen vergoren. Perfekt für die Terrasse, aber auch als Essensbegleiter.
Clos Venturi, Vin de France 1769 Biancu Gentile 2015
17.5 Punkte | 2016 bis 2023
Die autochthone Weissweinsorte wird immer öfter auch reinsortig gekeltert – zum Glück! Mit ihren exotischen Nuancen und ihrem üppigen Körper ist sie eine schöne Alternative zum zitrisch-frischen Vermentinu. Beim Clos Venturi sind neben Agrumen-und Pfirsicharomen auch Noten von Rose und Muskat auszumachen. Cremig und salzig im Finish.
Domaine Comte Peraldi, Vin de Corse Cuvée Guillaume 2013
17.5 Punkte | 2016 bis 2026
Die Cuvée aus Niellucciu, Syrah und Carignan hat das Peraldi-Sortiment als Letztes erweitert, benannt von Guy de Poix noch seinem Sohn Guillaume. In der Nase elegant mit dunkler Frucht, im Gaumen strukturiert mit viel Tannin und Pfeffer, Lakritz und feiner Kräuterwürze. Ein Wein mit Kraft und Zug.
Domaine U Stiliccionu, Serra di Ferro, Ajaccio AOP Emy-Lidia 2015
18 Punkte | 2016 bis 2021
Gewachsen auf Granit, spontan vergoren und ohne Sulfit vinifiziert, präsentiert sich dieser Vermentinu mit komplexen Aromen von Pfirsich und Birne über weisse Blüten bis zu Safran, Mandeln und Butter. Würzig im Auftakt mit runder Frucht und animierender Säure. Langer, kraftvoller Abgang.
INSELWEINE AUS SARDINIEN
Urig und ehrlich
Text: Christian Eder
Der Barrosu wurde schon als der Sassicaia Sardiniens bezeichnet: Giovanni Montisci keltert ihn aus der roten Cannonau. Die Brüder Ragnedda widmen sich der Vermentino-Traube.
Mehr als eine Stunde dauert die Fahrt von der sardischen Küste hinauf ins Hinterland, in eine grüne Landschaft mit Wäldern, Feldern und kargen Granitfelsen. «Più pastori che pescatori», mehr Hirten als Fischer gäbe es, heisst es über Sardinien. Das trifft ganz sicher auf die Barbagia zu, eine gebirgige Region in der Provinz Nuoro. Ziel ist das Dorf Mamoiada, bekannt für seinen Karneval. Berühmt aber auch, weil Giovanni Montisci hier seinen Barrosu keltert. Eigentlich ein Garagenwein: Gleich neben dem Verkostungsraum stehen ein historischer Fiat 500 und eine Vespa 50, beide perfekt gepflegt. Die erste Liebe des 50-jährigen Winzers galt nämlich den Motoren. Er selbst fuhr Autorennen, seine Brüder führen noch immer die familieneigene Autowerkstatt im Dorf.
Heute wird im Keller in erster Linie vinifiziert, gereift und verkostet: Giovanni bringt gerade einen alten Jahrgang seines Barrosu auf den Tisch. «Cannonau wurde lange als einfacher, frischer Trinkwein unterbewertet», meint er, «dabei hat die Traube ein grosses Potenzial, mit autochthonen Hefen, ohne Chemie und ohne Schwefel elegante, langlebige und vor allem natürliche Weine hervorzubringen.» Als Beweis entkorkt er einen Barrosu Riserva 2007. Die Trauben stammen von einem winzigen, nicht einmal einen Hektar grossen Rebberg: Eine seiner drei Reblagen, insgesamt zwei Hektar Buschbäumchen, die gut durchlüftet auf einem Hügel liegen.
Im Keller nutzt Giovanni das Holz zur Vinifikation:«Il legno per farlo, il vetro per invecchiarlo», erklärt er. Das Holz, um ihn zu machen, die Flasche für die Reife. Er meint, dass die Barbagia, die gebirgige Region im Herzen Sardiniens, einen grossen Vorteil habe, um natürliche Weine zu produzieren: Das seien das ausgewogene Klima mit den grossen Temperaturunterschieden zwischen Tag und Nacht und die Ventilation: Die Rebberge rund um Mamoiada reichen bis in Höhen von 700 Metern. Ebenso wichtig seien die Böden, mit Granit durchzogen, die Basis der mineralischen Weine.
Er sei Autodidakt, erzählt er gerade über einem Glas Barrosu: Alles, was er über Rebbau und Vinifikation wissen muss, hat er von seinem Grossvater gelernt oder sich selbst beigebracht. Und natürlich auch, wie man mit einer der ureigensten Trauben Sardiniens umgeht: Cannonau. Lange Zeit war die Sorte einfache Kellermedizin für Weine auf dem Festland und die Basis fruchtig-frischer Weine, wie sie in den Trattorien Sardiniens getrunken wurden. Heute setzen Giovanni Montisci, Giuseppe Sedilesu, Alberto Loi oder die Tenute Dettori auf ihre Eleganz und ihren Charakter.
Reben findet man natürlich auch an der Küste: Der kernige rote Carignano del Sulcis ist ein Extrakt aus der würzigen und charaktervollen Carignano-Traube: nach Waldbeeren duftend, vollmundig und mit grosser Länge. Der Vermentino dominiert den felsigen Norden der Insel. Einige Produzenten setzen dabei auch auf eine füllige Vendemmia Tardiva-Variante. Wie Capichera in Arzachena: Mario Ragnedda und sein Bruder Fabrizio waren neben Argiolas und Santadi unter den Ersten, die schon in den 1980er Jahren in Sardinien auf Qualität setzten. 50 Hektar stehen heute unter Reben: Carignano und Syrah als rote Varietäten und vor allem Vermentino, das weisse Aushängeschild Sardiniens.
«Wir müssen das Erbe pflegen»
Capichera liegt gerade mal zehn Kilometer vom Meer entfernt: Stark sind daher die Einflüsse der See, allen voran die kühlen Winde aus dem Norden. «Sie sorgen für die Säure und Knackigkeit im Vermentino», erklärt Mario Ragnedda. Die Capichera-Weine sind auch die Latte, an der sich alle Etiketten Sardiniens messen lassen müssen: die finessenreichen Vermentino Capichera, Vign’Angena, Santigaini und die Spätlese VT, aber auch die noblen Carignano Assajé und Manthèngja und der saftige Syrah Albóri di Làmpata.
In strikter Ertragsbegrenzung, Klonauswahl und Qualitätsarbeit im Rebberg und im Keller liege die Zukunft Sardiniens, meint Mario Ragnedda: «Wir müssen das Erbe pflegen, und dazu gehört neben unserer Geschichte und der weitgehend unberührten Natur auch der Weinbau.» Davon profitieren die Touristen: Ein frischfruchtiger Vermentino aus der Gallura mit seinen Holundernoten und der knackigen Säure passt perfekt zu einem Tag am weissen Strand von Istana oder der Costa Smeralda.
Sogar Giovanni Montisci in der gebirgigen Barbagia hat einen Vermentino im Angebot: Der Jahrgang 2015 kombiniert exotische Fruchtaromen mit salzigen Noten, Mineralität mit Eleganz. Aber Giovannis weisses Gegenstück zum Barrosu ist der Modestu: ein trockener Moscato, fünf Tage mazeriert, ein «Natural Wine» mit einer ausladenden Struktur, aber auch grosser Finesse.
Unsere Weintipps aus Sardinien
Opulent in der Nase, finessenreich am Gaumen – diese Cannonau, Vermentino und die Cuvée Turriga machen Freude.
Giovanni Montisci, Cannonau di Sardegna DOC Barrosu 2014
17.5 Punkte | 2017 bis 2023
Konzentrierte Beerenaromatik, feine Würze, Noten von Kirschen und Schokolade; nach der opulenten Nase erwartet man am Gaumen einen ebensolchen Wein, aber weit gefehlt: Der Barrosu ist überraschend elegant, finessenreich und harmonisch. Er erinnert in seiner Textur an Barolo oder Pinot Noir.
Capichera, Vermentino Santigaini 2011
18 Punkte | 2017 bis 2025
Duftet nach exotischen Früchten, Gewürzen und mediterraner Macchia; komplexe Textur mit lebendiger Säure, gute Balance zwischen mineralischen und balsamischen Komponenten. Die Finesse dieses Vermentino sticht selbst die exzellente Spätlese Capicheras aus. Kann auch reifen.
Argiolas, Turriga Isola dei Nuraghi IGT 2012
17.5 Punkte | 2017 bis 2023
Die Weine der Familie Argiolas sind ein Aushängeschild der Insel, allen voran der Turriga, der aus autochthonen roten Rebsorten gekeltert wird. Wächst auf felsendurchmischten Kalkböden und reift bis zwei Jahre in neuem Holz. Komplexe Nase mit Noten von Pflaumen, Vanille und Gewürzen; elegant und doch auch mit Struktur, langanhaltend.