Beobachten, verstehen, anpassen – Strategien zur
Herausforderung Klimawandel
Text: Anne Krebiehl, MW, Fotos: z.V.g.
Jahrhundertelang hat man in diesen Breiten Reife fetischisiert. Sogar Qualität hat man an Oechsle gekoppelt. Dann kam der Klimawandel und Deutschland profitierte von der Erwärmung. Dennoch gab 2018 einen Vorgeschmack auf eine etwaige, gar nicht mehr so entfernte Zukunft. Ist das ein Grund zur Sorge? Ein Anstoss zum Umdenken? VINUM spricht mit fünf Winzern, die es in ihren relativ heissen Lagen gelernt haben, Sonne, Wasserhaushalt und Wachstum in Einklang zu bringen.
Schattenspiele beim Spätburgunder
Der Neuenahrer Sonnenberg zählt zu den wärmsten Lagen der Ahr. Mit Südausrichtung und ihren Schiefer- und Grauwackeböden ist sie ideal für Spätburgunder. Früher garantierte das Reife, heute gilt es, die Feingliedrigkeit und Frische des Spätburgunders zu bewahren. «Es ist ganz anders, als mein Opa oder Vater das noch gemacht haben», sagt Paul-Michael Schäfer vom Weingut Burggarten über diesen rasanten Wandel, der sich in den letzten 30 Jahren vollzog. «Damals hat man alles getan, damit es reif wird.» Heute geht es darum, Reife zu zügeln. Die Trauben sollen langsamer Zucker aufbauen und ihre natürliche Säure behalten, während genügend Zeit zur Aromenbildung bleibt.
«Es ist nicht schwierig, einen Spätburgunder mit genau 96 Grad Oechsle (13 Prozent potenzieller Alkohol) zu lesen, das kann ich messen und zack, weg – ob der dann aber da auch seine optimale physiologische Reife erreicht hat?», argumentiert Schäfer. Damit meint er, dass die Kerne der Trauben braun sind und die Beerenschale ausgereift ist. «Zuckergehalt ist in den Hintergrund getreten und was viel wichtiger geworden ist, ist ganz klar die Säure.» Aber wie steuert man das? «Erträge müssen reduziert werden, damit man einfach zu einem früheren Lesetermin schon die physiologische Reife erreicht hat», sagt Schäfer. «Wir arbeiten auch ganz anders mit der Entblätterung, noch in der Blüte und kurz danach. Damit kann man die Blüte etwas stören, so dass sie ein bisschen verrieselt, was dann zu aufgelockerten Trauben führt, das mindert Pilzdruck.
Diesen Effekt haben wir mitgenommen, haben dann aber die Sonnenseite direkt wieder zuwachsen lassen, einfach, um wirklich Säure zu schützen. Das war 2018 ein ganz wichtiges Thema.» Sogar 2018 schaffte Schäfer es, in den warmen Grossen Lagen Trauben mit braunen Kernen, jedoch Höchstwerten von 13,2 Volumenprozent Alkohol zu ernten. «Dieses Spielen mit der Blattmasse ist schon interessant und wichtig», meint er. «Die Ziele sind anders geworden. Heute werden die Grossen Lagen zuerst gelesen, vor 15 Jahren noch haben wir die Top-Lagen so lange wie möglich hängen lassen. Es ist viel interessanter, viel besser, ein ganz anderer Wein, wenn das rechtzeitig gelesen ist.»
Ausgeklügelte Präzisionsarbeit an der Laubwand
«Es ist die früheste Lage im Austrieb und in der Ernte», sagt Kellermeister Karsten Peter von Gut Hermannsberg über die Traisener Bastei, eine der wärmsten und spektakulärsten Lagen der Nahe. Gerade mal 1,44 Hektar gross, ist sie eine Felsterrasse zwischen Fluss und der 202 Meter hohen Steilwand des Rotenfels, die höchste zwischen den Alpen und Skandinavien. «Der Fels dahinter ist ein riesiger Wärmespeicher, warum die Lage schon immer reife Trauben hervorgebracht hat», sagt Peter.
«Der Boden ist verwitterter Fels, Rhyolith und Quarzgestein mit ganz wenig Feinerde. Darunter ist auch nur Fels.» Das offene Tal jedoch bedeutet, dass sich die Hitze nicht staut, sondern Luft immer geht. «Da Bastei und Rebzeilung genaue Ost-West-Ausrichtung haben, haben wir auch eine 100-Prozent-Süd- und eine 100-Prozent- Nord-Seite», meint Peter. «Geschmacklich gab es da riesige Unterschiede.» Diese wollte er ausgleichen. Seine Massnahmen sind äusserstes Feintuning: Zuerst gab es Strohdeckung am Boden. «Damit spart man Wasser. Das ist das eigentliche Problem, es verdunstet mehr Wasser aus dem Boden, als die Rebe aufnimmt – und das versuchten wir zu minimieren. Das hat schon einen Tick mehr Frische ausgemacht und gleichzeitig auch die Rückstrahlung vom Boden reduziert.» Dann kam Entblätterung: «Auf der Sonnenseite machen wir relativ früh ein wenig Laub weg, damit Luft reinkommt. Auf der Schattenseite nehmen wir deutlich mehr, dass die Trauben gut durchlüftet sind und gesund bleiben. An der Südseite haben wir gar nichts mehr entfernt», erklärt Peter.
«Am liebsten hätte ich noch Blätter dazugehängt.» Ausserdem hat er die Laubwände erhöht. 30 Zentimeter lange Verlängerungen wurden an die Stickel angebracht und ein höherer Draht wurde gezogen. «Dadurch haben wir zwar mehr Assimilationsfläche (zur Photosynthese), aber wir haben auch mehr Schatten, vor allem auf der Traubenzone, damit die Sonne morgens etwas später hinscheint und abends etwas früher weggeht. Gleichzeitig haben wir auch die Traubenzone etwas höher gesetzt, wiederum um die Rückstrahlung zu mindern und die grössere Assimilationsfläche wieder zu kompensieren.» Karsten hat so erreicht, dass die fruchtige Opulenz der Bastei erhalten bleibt, sie aber von Frische durchwirkt ist.
Riesling auf den Kopf gestellt
An dieser exponierten Abbruchkante der Rheinfront, die das rote Gestein zutage bringt, reifte der Riesling schon immer verlässlich. Auch als das andernorts noch keine Selbstverständlichkeit war, diese Tatsache brachte den Weinen des Roten Hangs schon früh Weltruhm. Heute hingegen knallt die Sonne auf die Reben. «Weinbau heisst ja immer auch Anpassung», meint Kai Schätzel vom gleichnamigen Weingut in Nierstein. In der Vergangenheit sei ja alles auf Reife ausgerichtet gewesen, «aber wir Winzer nehmen die Natur und versuchen zu kultivieren – wir sind nicht Opfer, sondern Gestalter». Schätzel sieht im Klimawandel eine «unheimliche Spielwiese. Da ist ganz viel passiert, was mir extrem viel Freude macht und uns nicht dazu bringt, jetzt auf einmal Riesling rauszureissen und Cabernet setzen zu müssen.»
Während alle über immer wärmere Situationen reden, sei ihr Weinstil von 13 auf 11 Volumenprozent bei den trockenen Weinen runtergegangen. Die pH-Werte sind von über drei wieder zurück auf 2,8 gesunken, «weil wir einfach zugehört haben und nicht stumpf das weitergetan haben, was in kühleren Zeiten notwendig war». Der erste Schritt war Entschleunigung im Weinberg, indem sie zuerst einmal viel Energie herausgenommen haben. Der ganze Energiehaushalt der Vergangenheit war darauf ausgelegt, eine zwei Meter hohe Rebzeile zu erreichen. «Wir haben heute Weinberge, die nur 1,40 Meter hoch sind und trotzdem oben wieder zuwachsen dürfen, weil sie Schatten brauchen.»
Sie haben die Lese auf den Kopf gestellt. Früher habe man die negativen Trauben vorgelesen, um die besten noch weiter aufzukonzentrieren. «Heute schneiden wir die besten Trauben zuerst. Ganz früh schon in der Saison holen wir die ganz kleinen, goldenen, verrieselten Trauben», erklärt Kai Schätzel. «Sie kommen zuerst, weil sie reif sind und weil es keinen Grund gibt, diese Trauben nach deutscher Manier zu überkonzentrieren.» Man könne ja auch sagen, es sei einfach, kühlere Weine zu produzieren. Einfach früher zu lesen, aber unreife Trauben haben noch nie leckere Weine gemacht. «Das funktioniert auch in der Zukunft nicht. Wir brauchen physiologische Reife und da sind wie immer schon die besten Weinberge, die wärmeren Spots, auch die steilen Geschichten, physiologisch auf einem anderen Level. Das ist äusserst faszinierend», bringt es Kai Schätzel auf den Punkt.
Blühendes, lebendiges Gleichgewicht
Gleich seinen Kollegen ist Ludwig Knoll vom Weingut am Stein in Würzburg sehr darauf bedacht, dass seine Silvanertrauben möglichst langsam gedeihen. In seiner spektakulärsten Lage, dem Stettener Stein, dessen steiler Muschelkalkhang auf wolkenähnlichen Schaumkalkbänken oberhalb des Mains sitzt, ist das von besonderer Bedeutung, die ganze Lage wird von aufsteigenden Warmlüften geprägt. «Für mich ist der ökologische Weinbau ein wesentlicher Bestandteil. Wir haben im Biologischen eine höhere physiologische Reife bei noch nicht so weit fortgeschrittener Zuckerreife», meint Knoll, dessen Weinberge seit 2008 biodynamisch zertifiziert sind.
Zum einen ist es Nährstoffkonkurrenz, zum anderen eine höhere biodiverse Begleitflora und -fauna, die sich im Boden befindet. Die Rebe ist mehr angestrengt, sich überhaupt mit Nährstoffen zu versorgen. Sie muss ein tieferes Wurzelwerk bilden, verbraucht also mehr Energie für die Umsetzung ihrer eigenen Nährstoffe. Diese Energie kann sie nicht den Trauben zur Verfügung stellen. Daher sind die Früchte kleinbeeriger und kleintraubiger. «Wir haben weniger Trauben und wir bekommen in diesen kleinen Beeren eine bessere physiologische Reife hin als in den fetten, aufgeblasenen Trauben, die in erster Linie mehr Nitrate zur Verfügung haben. Dieses Zusammenspiel im Boden muss man verstehen», erklärt er.
«In der Rhizosphäre (das Erdreich in unmittelbarer Nähe der Wurzeln) spielt sich wahnsinnig viel ab. Dort sind ganz viele symbiotische Bedingungen mit der Begleitfauna gegeben. Je höher die Biodiversität dort ist, umso leichter fällt es einer Rebe, eine Traube mit hoher physiologischer Reife zu erzeugen.» Um diese Artenvielfalt zu fördern, gibt es eine spezielle Einsaat: «Wir versuchen, den Boden tief aufzuschliessen, und das können Beikräuter mit Pfahlwurzeln gut. Wir schaffen eine Kombination aus tiefwurzelnden Pfahlwurzlern, aus Leguminosen, die Stickstoff aus der Luft binden, und versuchen, auch etwas Blühendes mit hineinzubringen. Das ist wichtig für die oberirdische Fauna.» Wicke, Luzerne, Rotklee, Dill und Phacelia werden auch dieses Jahr wieder spriessen. Dem schlanken, nach Heublumen duftenden Silvaner GG aus dem Stein scheint das zu gefallen.
Gut geteilt ist doppelt gewonnen
Obgleich viele den markanten nach Süd und Südwesten schauenden Steilhang des Ihringer Winklerbergs gerne als «heisseste Lage Deutschlands» titulieren, wird er laut Kaiserstuhlwinzer Joachim Heger «immer eine Lage sein, die elegante, feine, nicht zu opulente, unglaublich vielschichtige Weine hervorbringt». Es sind ganz besonders die Spätburgunder, die sich darin bewahrheiten. Natürlich gilt es, auf die klimatischen Bedingungen des Bergs einzugehen, dessen Vulkangestein sich leicht erwärmt. Viele Register hat Heger bereits gezogen: «Erstens haben wir natürlich niedrigere Laubwände. Wenn wir neu anpflanzen, gehen wir auf höhere Pflanzdichte und achten darauf, die Laubwände niedrig zu halten», sagt er. Es ist wichtig, zwischen den Reihen trotz reduzierter Laubwand Schatten zu erhalten. In heissen Jahren sind Traubenbeschattung und gezieltes Entblättern zur Reduktion der Photosynthese bereits Standard.
Aber Heger kennt einen neuen Kniff. Dazu wurde ein Credo der Vergangenheit schlichtweg umgewandelt. Traubenteilung, wobei bei einer Traube die untere Hälfte abgeschnitten wird, so dass sich Saft und Kraft in den verbleibenden Beeren konzentrieren. Das wurde vor Jahren als Qualitätsmassnahme zur Ertragsreduzierung erkannt. «Das ist heute aber kontraproduktiv», meint Heger. «Da produziert man halbe Backsteine, die Traube wird dick.» Halbiert werden die Trauben trotzdem, aber längs. Die unteren Beeren der Traube haben nämlich mehr wertvolle Säure und der Wuchs der Traube bleibt gleichmässiger. «Die Längsteilung funktioniert wirklich so, dass die Säure bleibt und die Traube nicht so in die Dicke wächst», resümiert Heger. Auf diese Weise konnte er sogar im Jahrhundertsommer 2018 im Winklerberg reife, ausgeglichene Spätburgunder mit Mostgewichten zwischen 92 Grad und 97 Grad Oechsle ernten, das heisst zwischen 12,5 und 13 Volumenprozent im Wein.
Die Methode birgt auch andere Vorteile: «Man schafft nicht noch einmal eine neue Kompaktsituation, wie beim herkömmlichen Halbieren. Die Beeren hängen freier.» Sie sind somit weniger pilzanfällig. Diese Längsteilung muss relativ früh geschehen und zur richtigen Zeit von geschulten Kräften gemacht werden. Das ist aufwendig und kostenintensiv. Aber Heger meint unverdrossen: «Ich habe lieber ein warmes Klima und kann mir was einfallen lassen, als dass ich die Trauben nicht reif kriege.»