Heiligenstein
Riesling vom Wüstensandstein
Text: André Dominé
Am Heiligenstein, früher Höllenstein genannt, reifen einige der besten Rieslinge Europas. Im Gegensatz zu allen übrigen Spitzenlagen für Riesling in Niederösterreich besteht sein Boden nicht aus Urgestein. Schon geologisch nimmt er eine Sonderstellung ein. Seine Winzer setzen alles daran, dass dies auch im Glas so bleibt, und sehen ihn als Langstreckenläufer.
Die Herbstsonne strahlt. Die Terrassen am Heiligenstein leuchten: die Gräser der Begrünungen, die Rotschattierungen des Sandsteins. Von Langenlois sind wir schnell in Zöbing, überqueren den Fluss Kamp, der dem Weingebiet westlich von Wien seinen Namen gab, fahren den Berg hinauf. Durch den dominierenden Wald. Aber die ins Kamptal abfallenden Hänge sind vorwiegend dem Wein vorbehalten. Alwin Jurtschitsch stoppt vor sorgsam aufgeschichteten Steinterrassen. «Dies hier war mein Einstieg in Österreich und in unser Weingut», bemerkt er lapidar. Als er 2007 nach mehreren Jahren im Ausland nach Langenlois zurückkehrte, konnte er die Miniterrassen mit teils verfallenen Mauern erwerben, weil niemand sie wollte. Früher bestand der gesamte Heiligenstein aus solchen Trockensteinmauern und schmalen, nur per Hand zu bearbeitenden Terrassen. Längst sind die meisten Mauern verschwunden und man hat breite, mit Traktoren zu bewirtschaftende Stufen angelegt.
Gestein. Die Wurzeln der Reben dringen so auf der Suche nach Wasser leichter in die Tiefe. In Österreich ist dies die einzige Sand-steinlage für grosse Rieslinge.»
Willi Bründlmayer
Weingut Bründlmayer
«Wenn ich heimkomme, muss ich bei der Basis beginnen: Das ist der Weingarten, das ist der Boden», sagte sich Alwin. «Ich habe die ersten zwei Jahre ausschliesslich im Weingarten verbracht. Das war zeitgleich mit der Bio-Umstellung des gesamten Weinguts.» Als Hobby kümmerte sich der zertifizierte Trockensteinmaurer um die Restaurierung seiner Terrassen am Heiligenstein. Brachte Tonnen von Kompost aus. Schickte eine Kräutersammlerin auf die Suche nach typischen Wildsamen. Schloss sich mit der Slow Food Community des Kamptals zusammen, die half, Mandelbäume, Weinbergpfirsiche und Kräuter zu pflanzen. «Dies ist einer der schönsten kleinstrukturierten Weingärten, die es gibt», hebt er mit berechtigtem Stolz hervor. Alwins biodynamische Pflege schlägt sich aber auch im Wein nieder. Zumal seit 2012, seit er und seine Frau Stefanie den Weinen längeres Hefelager geben und später abfüllen. Jetzt zeigen sie eine hervorragende salzige Mineralität, grossartige Spannung und Lebendigkeit.«Der Heiligenstein ist ein sehr brüchiges
Zöbinger Perm
Der von den Österreichischen Traditionsweingütern als Erste Lage klassierte Heiligenstein ist geologisch eine Ausnahmeerscheinung, Zöbinger Perm genannt. Entstanden ist er vor etwa 260 Millionen Jahren. «Es handelt sich um Wüstensandstein mit vulkanischen Bestandteilen und verkohlten Resten urzeitlicher Pflanzen», erklärt Spitzenwinzer Willi Bründlmayer. «Als Trockensediment ist der Heiligenstein ein sehr brüchiges Gestein, was auch bedeutet, dass die Wurzeln des Weines auf der Suche nach dem Wasser leichter in die Tiefe dringen. In Österreich ist dies die einzige Sandsteinlage für grosse Rieslinge.»
Die zweite Besonderheit hebt Fred Loimer hervor. «Dieser Berg steht ja etwas vorgerückt da. Dadurch gibt es klimatisch immer gute Luftdurchströmung und deutlich weniger Botrytis-Probleme als in anderen Lagen, und das ist gerade bei Riesling sehr entscheidend.» Mit der Ausrichtung nach Süden und Südwesten handelt es sich zugleich um eine besonders warme, besser gegen Spätfröste geschützte Hanglage. Deshalb wurde sie frühzeitig bepflanzt, und der Weinbau wurde von den Mönchen ab dem 12. Jahrhundert forciert. Weil die Arbeit dort so beschwerlich, so heiss war, bürgerte es sich ein, den Berg Höllenstein zu nennen. Michael Moosbrugger, Leiter des Weinguts Schloss Gobelsburg und Erzeuger von hervorragenden Rieslingen auf dem Heiligenstein, verweist darauf, dass sich der Name von «Hellenstein» (1240) und «Haelenstein» (1314) herleite. Damit waren schaurige Gegenden, waldige Schluchten oder enge, heisse Räume gemeint. «Eine ‹Helle› bezeichnet auch eine Gebirgskante mit scharfem Abfall am Rande eines Plateaus, das zu Treibjagdzwecken verwendet wurde, um grössere Tiere zu erlegen.» Wie Mammuts zum Beispiel. Direkt neben dem Heiligenstein wurde im Grub der älteste Freilandfundplatz von Steinzeitjägern entdeckt. Der Name Heiligenstein stamme jedoch von der Steiner Allerheiligenstiftung ab, so Moosbrugger, da die Trauben des Berges zur Finanzierung des dortigen Hospizes verwendet worden seien.
Naturschutzgebiet
Loimer, ein Neuling am Berg – er erwarb seine 25 Ar erst 2010 –, betont, dass der Heiligenstein immer einen guten Ruf genoss und als eine der ersten Rieden auf Etiketten Bedeutung erlangte, während man früher nur Ortsweinbezeichnungen verwendet habe. Dies stünde im Zusammenhang mit der Entwicklung des Tourismus durch die Kamptalbahn (ab 1889) und die Errichtung der Warte auf dem Heiligenstein 1897, meint Michael Moosbrugger. Früher war ein Drittel der Bergfläche Weideland. Inzwischen wurde der Heiligenstein zum Naturschutzgebiet erklärt. Aufgrund seines warmen Klimas findet sich zwischen den Rebflächen eine ungewöhnliche mediterrane Fauna und Flora.
«Dieser Berg steht etwas vorgerückt da. Dadurch gibt es klimatisch gute Luft-durchströmung und deutlich weniger Botrytis-Probleme als in anderen Lagen. Bei Riesling ist das sehr entscheidend.»
Fred Loimer Weingut Fred Loimer
Während in unmittelbarer Nähe des Heiligensteins Erste Lagen wie Grub, Lamm und Renner lössreiche Böden besitzen und bestens für Grünen Veltliner geeignet sind, gefällt es Österreichs Paradesorte nicht auf den kargen, trockenen Böden aus Sandstein und groben Konglomeraten. Nur an seinem unteren Ausläufer findet sich mehr Löss. Dort hat Peter Dolle als einziger Winzer unter den zwölf Traditionsweingütern des Heiligensteins Grünen Veltliner gesetzt. Weiter oben am 360 Meter hohen Berg hat auch Veteran Dolle nur Riesling stehen. «Das ist karg, karg, karg», bekräftigt seine rechte Hand Sebastian Krug. «Das heisst natürlich, dass die Weine keine Fruchtbomben sind. Heiligenstein ist ein Thema für Spezialisten, weil er einfach diese Struktur, diese Mineralität, die das Gestein hat, im Wein widerspiegelt.» Grossartig in Dolles wunderbar gereiftem 1990er.
Der Nachbar in Strass, das Weingut Allram, konnte im oberen Drittel des Heiligensteins Ende der 1990er Jahre eine Brache erwerben. «Von fern hat man nur einen bewaldeten Fleck gesehen», erinnert sich Erich Haas. «Je mehr wir herausgeschnitten haben, umso mehr ist uns bewusst geworden, was da eigentlich für ein Juwel liegt.» Hinter Sträuchern und Büschen waren die alten Trockenmauern erhalten geblieben. Der erste Jahrgang wurde 2001 gelesen. Mehr und mehr kümmert sich Sohn Lorenz um die Weine und schwärmt von der Feuersteinaromatik des Heiligensteins. «Das macht ihn zu einem sehr einprägsamen Riesling mit hohem Wiedererkennungswert.»
Seine Tante hat an der Langenloiser Strasse ein stattliches Gut errichtet. Weinbau-Kellermeisterin Birgit Eichingerfing 1992, 23 Jahre jung, mit 3,5 Hektar an. Dass sie ihren schönen Weinberg unter der Warte erwerben konnte, sieht sie als pures Glück an. Der frühere Besitzer, wohl mit allen Nachbarn zerstritten, war anscheinend in finanzielle Nöte geraten. Sie witterte ihre Chance und steckte ihm gleich Geld zu. «Jedes Jahr ist der Heiligenstein dunkelfruchtiger und mineralischer. Er hat mehr Spannung, er ist ein Langstreckenläufer.»
Vibrierende Mineralität
Bei Johannes Hirsch, dem Pionier des Schraubverschlusses in Kammern, werden die Weine gut zwei Stunden vor der Probe in eine eigens dafür entworfene Karaffe gefüllt. Denn sie benötigen viel Luft. Vom Verkostungsraum blickt man auf alle 33 Hektar Rebparzellen, darunter fünf Erste Lagen. Seit 1999 konzentriert sich Hirsch ausschliesslich auf Grünen Veltliner und Riesling. Seit 2006 werden alle Weinberge biodynamisch bearbeitet. Von da an schwankten sie – je nach Jahr – zwischen trocken und halbtrocken. Immer reizvoll und auf sehr hohem Niveau. Doch seinen Stil fand Hirsch erst 2013. Der Heiligenstein beweist es. Ohne spürbare Restsüsse tritt eine vibrierende Mineralität in den Vordergrund und verleiht den Weinen exzellente Präzision.
Mehrere Winzer in Langenlois besitzen Terrassen im Heiligenstein. Auch Ludwig Ehn, der das Weingut im Zentrum des Städtchens mit seiner Schwester Michaela betreibt. «Wir haben verschiedene Weingärten, aber alle im eher steilen Kernstück», berichtet sie. «Sehr steinig, sehr schwer zu bearbeiten.» Obwohl sie gut 1,5 Hektar besitzen, kommen sie dort kaum auf 3000 Flaschen. «Der Heiligenstein gibt nicht die vollsten, opulentesten Weine, weil der karge Boden doch die Weine schlanker macht», erläutert er. Dabei hat es den Anschein, als würden ihnen die wärmeren Jahre besser gelingen, wie der ausgezeichnete, elegante, intensiv fruchtige 2009er oder der seidige, harmonische 2005er beweisen. Beide mit feinkörniger Mineralik.
Die Kühle des Waldviertels
Beim Weingut Hiedler empfängt mich Sohn Ludwig, Jahrgang 1992, und stellt mir zum Vergleich drei andere Lagenrieslinge 2014 vor: den Steinhaus, den Gaisberg und den Kobelberg. Von schlank über saftig zu würzig mit zunehmender Mineralität. Doch der Heiligenstein übertrumpft sie alle drei an Dichte, Komplexität und Potenzial. Die anschliessende kleine Vertikale führt eindrücklich vor, dass die Hiedlers kühlere wie wärmere Jahrgänge mit verblüffender Konstanz meistern, immer mit charmanter Restsüsse. Höhepunkt wird – zu Ludwigs Freude – der 1992er. Feuerstein, Seidigkeit, Spannung, enorme Länge und ungebrochene Lebendigkeit. Hier zeigt sich, wie der Gegensatz zwischen der Kühle des Waldviertels, die durch das Kamptal dringt, und dem warmen pannonischen Einfluss des Donautals den Weinen hervorragendes Relief verleiht.
«Jedes Jahr ist der Heiligenstein dunkelfruchtiger und mineralischer. Er hat mehr Spannung, er ist ein Lang-streckenläufer.»
Birgit Eichinger Weingut Birgit Eichinger
Grösster Besitzer am Heiligenstein ist das Weingut Bründlmayer. Ihm gehört ein Drittel der insgesamt 33 Hektar Rebparzellen. Vater Bründlmayer hatte nach dem Krieg das richtige Gespür. Er träumte von feinen Weinen. In der damals so schwierigen Zeit war niemand an hochwertigen, aber sehr arbeitsaufwändigen Lagen interessiert, wo man doch in der Ebene mechanisch arbeiten konnte. So konnte er einen herausragenden Schatz an Ersten Lagen und damit die Basis des Weinguts schafen. Für VINUM zögerte Willi Bründlmayer nicht und stellte eine Verkostung von 47 Weinen aus dem Heiligenstein zusammen, zu der er auch sein junges Weinbergs- und Kellerteam einlud. Ein grossartiges Kaleidoskop. Es führte alle Facetten der berühmten Ried vor: von köstlicher Frucht, Frische und anregender Mineralität in jungen Jahren bis zur verführerischen, hervorragend gereiften Spätlese 1975. Nebenbei zeigte der Vergleich zwischen Korken und Schraubverschluss in mehreren Jahrgängen, dass sich der Heiligenstein mit seiner ausgeprägten Struktur eindeutig überzeugender unter Kork entwickelt.
Fünf Top-Rieslinge vom Heiligenstein
Weingut Peter Dolle, Grüner Veltliner Kamptal DAC Reserve Heiligenstein 1. ÖTW 2013
Der einzige Grüne Veltliner der zwölf Österreichischen Traditionsweingüter in dieser Ersten Lage. Intensive Kräuter und Birnenaromen in der Nase. Sehr saftig und kräuterwürzig, rassige Frucht, cremige Textur, feine Mineralität, sehr ausgewogen zwischen Frische und Fülle.
Weingut Allram, Riesling Kamptal DAC Reserve Heiligenstein 1. ÖTW 2013
Der Jahrgang mit kühlem und feuchtem Frühjahr und Herbst, aber heissem Sommer erbrachte beim Riesling eine grossartige Säurestruktur. Im Duft viel Feuerstein und noch verschlossen, aber sehr saftig mit Zitrusfrüchten, ausgezeichneter Spannung und salziger Mineralität. Viel Potenzial.
Weingut Birgit Eichinger, Riesling Kamptal DAC Reserve Heiligenstein 1. ÖTW 2014
Mit überreichlichem Regen wurde 2014 zu einem sehr komplizierten Jahrgang. Umso mehr erfreut ein Riesling wie dieser mit köstlicher Pfirsichfrucht und feiner Rauchnote. Am Gaumen viel Relief, schöne Fruchtsüsse, deutliche Mineralik und exzellente Länge.
Weingut Ludwig Ehn, Riesling Kamptal DAC Reserve Heiligenstein 1. ÖTW 2014
Von verschiedenen Terrassen im Herzen der Ried. Mit zwölf Stunden Maischestandzeit vinifiziert. Ausgeprägte Pfirsichfrucht, dezente Würze und Rauch im Bouquet. Frische, weisse Frucht im Mund mit schöner Rundheit, guter Länge und ansprechender, feiner Mineralität.
Weingut Fred Loimer, Riesling Kamptal DAC Reserve Zöbing Heiligenstein 1. ÖTW 2013
Biodynamischer Anbau, selektive Handlese, Spontangärung in älteren 600-Liter-Fässern, vier Monate auf voller und sechs Monate auf der Feinhefe. Loimers bislang bester Heiligenstein. Intensiv, weisser Pfirsich, Birne, Feuerstein. Entfaltet am Gaumen grossartige Mineralität. Hervorragendes Potenzial.