Dossier: Fruchtweine
Fruchtrausch im Norden
Text: Ursula Geiger, Fotos: Finn Brasen
Achtung! Pas på! Mit dem Lesen der folgenden Seiten begeben Sie sich in eine neue Dimension der Weinwelt: in jene ohne Trauben.
Frederiksdal – schon der Name ist Verheissung. Er klingt nach wogenden Weizenfeldern, blühenden Obstbäumen und stattlichen, weissgetünchten Gutshäusern mit einspännigen Kutschen und Männern in Breeches und Stiefeln davor. Stimmt (fast) alles. Doch sitzen wir nicht in einem Einspänner, sondern holpern auf einem vom Traktor gezogenen Anhänger zu Kirschgärten, die ihre Blüte schon hinter sich haben.
«Die kleine, intensive Stevnsbær-Kirsche hat auf dem Konsumenten- markt keine Chance. Mit unseren Kirschweinen tragen wir auf Frederiksdal zum Erhalt dieses kulinarischen Erbes bei.»
Jens Heinemeyer Kirschönologe
Auf Frederiksdal dreht sich alles um die Stevnsbær-Kirsche, die Ende Mai noch klein und grün an den Bäumen hängt. Aus ihr wird Jens Heinemeyer, der wohl erste Kirschönologe der Welt,Wein keltern. Kirschwein, der in Barriques liegt, Kirschwein, der ein Jahr auf der Hefe lagert, und einen Rancio, der wie im südfranzösischen Banyuls ein Jahr unter dänischer Sonne und nordischer Kühle in Glasballons reift. Danach wird der Wein in Cognac-Fässer gelegt. Er ergänzt dann jene 50 Prozent, die zuvor auf die Flasche gefüllt wurden, und reift eingebettet in den älteren Wein. Ein stetiger Kreislauf, der an das spanische Solera-System erinnert.
Der Rancio ist genial: Dem Zusammenspiel der puren Kirscharomen mit Bittermandelnoten und feinen Gewürznuancen folgt am Gaumen eine feine Süsse, eingebettet in präsenter Säure (12,9 g/l), rund 14 Vol.-% Alkohol und mächtig viel reifem Tannin. Der Rancio symbolisiert, was Sache ist: Unter dem grenzenlosen dänischen Himmel gibt es kein Limit für das Umsetzen neuer Ideen zur Bereicherung der Genusswelt um weitere Dimensionen.
Von der Farm zum Kirschen-Château
Drei Charakterköpfe haben diese dänische Trinkrevolte angezettelt. Es war 2006 bei einem Abendessen, als Frederiksdal-Besitzer und Agrarökonom Harald Krabbe von dem Kirschsegen seiner Plantage und den Schwierigkeiten, diese zu vermarkten, berichtete. «Mach doch Wein draus», riet Weinfreak und Journalist Morten Brink Iwersen. Die Welle der neuen nordischen Küche rollte gerade an, und Spitzenkoch Jan Friis-Mikkelsen, der Dritte im Bunde, bestätigte das Potenzial der Idee. Nun ist Krabbe nicht nur Agrarökonom, sondern auch der Prototyp eines Entrepreneurs, strategisch denkend, Trends erkennend, ein Teamplayer, der sich die richtigen Leute mit ins Boot holt.
Die drei bauten Frederiksdal von der Weizen-Weide-Kuh-Farm zum Kirschwein-Château um. Mit der Ernte 2012 stiess dann der deutsche Önologe Jens Heinemeyer dazu, der schon den aufkommenden dänischen (Trauben-)Weinbau beraten hatte und sein Fachgebiet just um die Kirsche erweiterte. Heute betreut er die gesamte Frederiksdal-Produktion. Eine Geschichte, die eher an den amerikanischen Traum oder die Aufbruchstimmung im Kalifornien der 1980er Jahre erinnert als an «good old Europe».
Dabei ist der Strukturwandel in der europäischen Landwirtschaft Taktgeber der Geschichte. Die dänischen Beeren und Früchte gehen in der EU-Marktwirtschaft unter. Sie reifen später, sind kleiner (dafür aber auch schmackhafter) und in der Produktion teurer. So produziert kann die dänische Kirsche gegen eine Ciliegia aus Italien nicht ankommen: Die ist praller, süsser, günstiger und viel früher in den Läden. Doch glücklicherweise sind Dänen genussaffin und sehr stolz auf die intensiv schmeckenden Früchte aus eigener Produktion. Und sie lieben Kirschwein. Ganz besonders zur Weihnachtszeit. Dann gehört der traditionelle Reis-Mandel-Pudding mit Kirschsauce auf jede Tafel. Dazu geniesst man ein Gläschen Kirschwein. Doch bei dem Weihnachtsgläschen bleibt es nicht.
Heute wird in Dänemark Kirschwein auch übers Jahr getrunken. Nur trockener, herber und wilder. Kirschwein hat sich zum Essensbegleiter gemausert. Er passt zu rotem Fleisch wie zu Rote Bete. Kirschwein steht nicht mehr als Solist auf dem Barwägelchen, sondern liegt in gut sortierten Kellern von Privaten und Gastronomen neben den Flaschen aus Bordeaux und Burgund. Auch der Export wächst. Stärkstes Exportland für die Produkte von Frederiksdal ist aktuell China. Und das kam so: Bei einem Staatsbesuch überreichte Königin Margarethe II. dem chinesischen Ministerpräsidenten eine Flasche Frederiksdal Kirsebærvin Sur Lie. Und weil die Chinesen die Symbolik positiver Geschichten und Ereignisse lieben, boomt der Kirschwein im Reich der Mitte. Die neue Order beläuft sich auf 17000 Flaschen. «Eine Zahl, bei der wir uns erstmal die Augen reiben und in die Backe kneifen mussten», erzählt Jens Heinemeyer.
Deutschland zieht nach. Hier steht noch viel Verkostungsarbeit an. Anders vor Ort: In der imposanten Scheune von Frederiksdal stellen Ende Mai die dänischen Fruchtwein-Winzer ihre Produkte vor, und die kommen beim Publikum gut an. «Danish fruit wines are blooming», wispert mir die Dame von Slow Food Dänemark zu, und eine schwedische Journalistin wischt sich verstohlen ein Tränchen der Rührung aus dem Augenwinkel, weil sie der Quitten-Eiswein «so sehr an Weihnachten im Kreis ihrer Familie erinnert».
In der Fruchtwein-Philosophie ist erlaubt, was gefällt. Das Credo lautet: Bei uns wachsen keine Trauben, also machen wir Wein aus Früchten, die bei uns besser gedeihen als weiter südlich. Kirschen, Äpfel, Quitten, Rhabarber. Genau, Rhabarber! Der Rhabarber-Schaumwein heisst «Rheum Boblende Rabarber». Und der haut mich um. Denn anders als erwartet – mein Gaumen hat sich auf erfrischend süss eingestellt – ist der Schäumer in Zartrosa furztrocken. Eine Herausforderung, die einen gründlich durchschüttelt und die Genusswelt dermassen auf den Kopf stellt, dass man nicht weiss, ob man lachen oder weinen soll. So klar der Rhabarber, so erfrischend die Säure, so zart die Bläschen und so verdammt speziell diese Sponti-Note vom Hefelager, die an Naturwein erinnert.
Der Urheber des Gefühlschaos ist Jens Skovgaard. Der stämmige Rotblonde mit Bürstenhaarschnitt und leichtem Silberblick grinst, sagt «Super» zu meinem «Rheum»-Gesicht und erzählt, dass er morgen einen Riesenstress hat, weil er neun Tonnen Rhabarber kaufen und einmaischen muss. Skovgaard produziert in Jütland auf der Cold Hand Winery bei Randers. Einer Gegend mit fetten Feldern, Schweinefarmen und Windrädern, deren Einzelteile einem bereits auf überbreiten Transporten auf der Autobahn begegnen. Die Windräder haben die Region reich gemacht. Deren Hersteller Vestas firmiert in Aarhus. Der Wohlstand der Stadt ist greifbar. Die Läden und Kneipen sind «hyggelig» gemütlich. Die Jeunesse dorée kleidet sich in Philippa K. und fläzt sich auf mit Schaffell bestückten Designsesseln. Im ARoS-Kunsthaus kann man komplett in einer rosa Wolke verschwinden. Eine beängstigende Erfahrung.
Das Herz rutscht auch in die Hose ob dem gelben Fähnchen, das hinterm Scheibenwischer hängt: 750 Kronen (ca. 100 Euro) für zehn Minuten über der gebuchten Parkzeit. So viel zu gefüllten Stadtkassen. Die Parkzeit geriet über dem einzigen dänischen Rohmilchkäse in Vergessenheit, der im neu eröffneten Käseladen Ara Unika zur Probe stand. Und das ist jetzt einfach paradox: Während bei den Früchten erlaubt ist, was Spass macht, steht die Käsetradition wegen des Exports unter der staatlichen Knute. «Traditionen killen jegliche Innovation», sagt Jens Skovgaard dazu, der auch im Ara Unika von auf den Punkt affniertem Käse eine Auswahl für sein Tasting am Abend trifft. Passend zum Käse kann man hier die Kirschweine von Frederiksdal und die Cold-Hand-Apfel-Eisweine kaufen.
Packende Geschichten – coole Weine
Der dänische Fachhandel ist für Fruchtweinproduzenten ein wichtiger Absatzmittler. Darum veranstaltet Skovgaard auf seiner Winery an den Abenden auch eine Verkostung nach der anderen. Im umgebauten Stall sitzen rund 20 Kunden von Weinhändler Thomas Elle an der langen Tafel. Sie starten mit dem «Rheum», zu dem Jens erzählt: «Die Inspiration zu diesem Wein stammt aus meiner Kindheit. Wir haben immer rohen Rhabarber gegessen, den wir im Garten stibitzten. Diesen Geschmack möchte ich in die Flasche bannen.»
Der Rhabarbermost wird chaptalisiert und gärt dann spontan und langsam. Mehr als 10 Vol.-% Alkohol entstehen dabei nicht. Und dann irgendwann im Herbst bildet sich Florhefe, die einen Teil der Säure abbaut. Erst dann wird mit der Zugabe von Zucker und Reinzuchthefe die zweite Gärung eingeleitet. Die Gäste aus Randers sind sich einig: Als Aperitif passt der Rhabarber-Schaumwein prima, noch besser zu Kaviar und frittierten Shrimps.
Zu Kirschwein und Wein aus Schwarzen Johannisbeeren gibt es Wildschwein und Gemüse. Die trockenen Weine passen hervorragend. Und zu jedem Produkt erzählt Jens die passende Geschichte. Überhaupt ist Skovgaard, der in seinem früheren Leben Direktor eines Internats war, ein begnadeter Geschichtenerzähler und Animator. Jetzt lebt er seine Liebe zu Früchten und Gemüsen aus. In seinem Obstgarten hinter der Winery sind verschiedenste Apfelsorten gepflanzt. Ein hölzerner Rabe auf einer Stele bewacht die Bäume.
Samson, der behäbige, braune Labrador, hat es nicht so mit der Jagd auf Apfeldiebe. Die Äpfel verkauft Skovgaard an Private und Restaurants. Vor einiger Zeit kaufte ein Politiker namens Berner alle seine Äpfel der aus der Schweiz stammenden Sorte «Berner Rosen» für seine Wahlveranstaltungen. Seit 2006 keltert Skovgaard Obstwein. Zuerst im kleinen Stil. Heute kauft er Früchte zu, sein Obstgarten könnte den Bedarf nicht decken. Flemming Villebro Jørgensen produziert Obst auf der Insel Fünen und ist sein Apfellieferant und Compagnon. Mit ihm hat Jens die Cidres aus gefrorenen Äpfeln ausgearbeitet. Kurz nach der Firmengründung reisten sie im tiefsten Winter nach Quebec. Dort bestätigte sich, was die beiden längst vermuteten: Der kanadische Apfel-Eiswein «Cidre de Glace» ist das Erfolgsmodell, nicht gewöhnlicher Cidre, der im Verkauf so viel einbringt, wie die leere Flasche im Einkauf kostet. Nach Japan und China liefern die Kanadier jedes Jahr rund eine Viertelmillion Flaschen Apfel-Eiswein. Das sind beeindruckende Zahlen.
Jens und Flemming kamen mit vielen Ideen im Kopf zurück. Ein paar Flausen waren bei Jens auch darunter, für den es das Wort «unmöglich» nicht gibt. Ob Stachelbeer-Schaumwein, Pflaumenwein oder Wein aus Tannenschösslingen, alles, was Zucker in irgendeiner Form enthält, gärt auf der Cold Hand Winery. Diesen Herbst wird RoteBete gekeltert, die als Dosage in einem der Apfel-Schaumweine für erdigen Geschmack und einen Hauch von Pink sorgen soll.
Doch das Big Business wird nicht mit dem verrückten Zeug gemacht. Denn ein bisschen «Fru Jensen», der dänische Ausdruck für Otto Normalverbraucher, steckt auch in den dänischen Gourmets, und die lieben den Kirschwein einfach ein wenig süsser als die Sommeliers der High-End-Restaurants. Für Jens Skovgaard kein Problem. Er lebt mit beiden Genusstypen gut. Die Nachfrage steigt. Für 2016 ist Jens gerüstet. Er hat die Kapazität von 30000 auf 60000 Flaschen erhöht und mit der aufwändigen Produktion Kapital gebunden. Nun platzt der Betrieb aus allen Nähten. Doch ein neues Projekt ist schon in der Pipeline: Hinter der heutigen Produktionsstätte soll einen eue Winery im nordamerikanischen Stil gebaut werden, mit Edelstahltanks und einer Degorgieranlage für die dänischen Frucht-Schaumweine. Das Kapital soll aus Fonds und Aktien kommen. Die Pläne sind gemacht. The sky is the limit! Hier, in Mittel-Jütland.
Stevnsbær-Kirsche
Der kleinbeerige, traditionelle Klon ist der Einzige, aus dem Kirschweine gekeltert werden können. Bemerkenswert ist der hohe Gehalt an Kalium und Polyphenolen, der dreimal höher ist als bei herkömmlichen Kirschen und auch die Werte von Traubenrotwein übertrifft. Das Mostgewicht kann bis zu 115 Öchslegrad erreichen. Doch korreliert der hohe Gehalt nicht direkt mit dem Zucker allein – wie bei Trauben –, sondern mit der hohen Konzentration aller Inhaltsstoffe. Auf Frederiksdal wird die Gärung mit gutseigenem Kirschdestillat unterbrochen, um einen harmonischen Restzuckergehalt zu bewahren. Dieser ist bei den hohen Säurewerten und dem immensen Gehalt an zuckerfreiem Extrakt und Phenolen sensorisch sehr gut integriert.
Unsere Weintipps - Fruchtweine aus Dänemark
Cold Hand Winery, Randers, Jütland – Rheum Boblende Rabarber 2014
16.5 Punkte | 2016
In der Nase sehr pure Rhabarberfrucht, dazu deutliche Hefenoten (Brioche). Dem zarten Mousseux folgt die heftige Säure des Rhabarbers. Dennoch ist alles schön leicht und erfrischend, im Finish Noten von reifen Haselnüssen. Passt zu Salzmandeln oder zu den in Salzlake eingelegten Bärlauch-Früchten (Bärlauchkapern). Mit einem Schuss von Jens’ Ribes Nigrum (Johannisbeerwein) wird daraus ein dänischer Kir Royal.
www.coldhandwinery.dk
Cold Hand Winery, Randers, Jütland – Vinter En Outcider
16 Punkte | 2016
Frische und pure Apfelaromatik in der Nase. Am Gaumen lebhaftes Säure-Süsse-Spiel, dazu kräuterwürzige Noten und eine feine phenolische Herbe, die Länge verleiht. Begleitet hervorragend eine Fischsuppe mit feiner Gemüseeinlage.
www.coldhandwinery.dk
Frederiksdal, Harpelund, Lolland – Rancio Ufiltered
17.5 Punkte | 2016 bis 2022
Der klassische Rancio-Duft nach Trockenfrüchten und Nüssen versteckt sich ein wenig hinter dem satten Kirscharoma mit der feinen Bittermandelnote, dazu kommen Gewürz (Sternanis) und getrocknete Kräuter. Geschmeidig und lang, mit Noten von reifen Pekannüssen, Mandeln und einem Hauch dunkler Schokolade im Finish.
www.frederiksdal.com
Frederiksdal, Harpelund, Lolland – Kirsebærvin Ufiltered Nielstrupmark 2012
16 Punkte | 2016 bis 2018
Einzellagen-Wein aus dem ältesten Kirschgarten von Frederiksdal. Der Wein reift 18 Monate in 400-l-Fässern aus französischer Eiche. Die Gärung wird mit Kirschdestillat gestoppt. Die Frucht ist tiefgründig mit komplexer Kirscharomatik, dazu kommen würzige Noten. Geschmeidig und lang am Gaumen, mit feiner Süsse. Kaum zu glauben, dass der Wein 11,5,g/l Säure und 85g Restzucker hat.
www.frederiksdal.com