Magere Ausbeute
2017 – das Jahr, das den Weinmarkt verändert
Text: Ivan Barbic MW, Fotos: Sabine Jackson
Viel Arbeit, wenig Ertrag: Von der Rioja bis ins Wallis möchten Europas Winzer das Jahr 2017 so schnell wie nur möglich vergessen. Doch angesichts der sich abzeichnenden, punktuellen Weinknappheit dürfte uns dieses Weinkatastrophenjahr länger beschäftigen, als uns lieb ist…
Das Unheil lässt sich genau datieren: Ende April 2017 haben nach Ostern verheerende Frostschäden die Rebberge Europas heimgesucht. Die Schadensmeldungen schnellten wie ein Lauffeuer durch Europa, von Nordspanien bis in die La Mancha, durch das Languedoc und die Provence und über ganz Norditalien bis in die Toskana. In der Schweiz wurde nur das Genferseegebiet aufgrund der Abwärme des Seewassers verschont, in Deutschland erstaunlicherweise die nördlichen Anbaugebiete in Franken, Sachsen und Saale-Unstrut. Zu den wenigen Gewinnern in diesem Katastrophenjahr gehören die österreichischen Winzer, die fast 25 Prozent mehr ernten konnten als im langjährigen Durchschnitt…
Nach den verheerenden Frostschäden erholten sich die Reben in vielen Weinbaugebieten dank warmem Wetter. Der anschliessende Sommer war dann aber zu warm und vor allem im südlichen Europa viel zu trocken, was zu Hitzestress und eingetrockneten Trauben führte, was den Ernteertrag weiter schmälerte. Die Folgen dieser historisch kleinen Weinernte sind für den Weinmarkt immens: Nach Jahrzehnten, in welchen die europäische Weinproduktion die Nachfrage überstieg, müssen die Einkäufer der grossen Handelshäuser und der Supermarktketten nun plötzlich darum kämpfen, die nötigen Mengen beschaffen zu können. Die vom OIV publizierten globalen Erntezahlen 2017 zeigen auf, dass die Welt-Wein-Produktion erstmals seit langem unter denen des jährlichen Weinkonsums liegt. Die Weinqualitäten sind ein Nebenthema, wobei das, was geerntet werden konnte, in vielen Weinbaugegenden von bester Güte ist. Man muss Jahrzehnte zurückgehen, um ein Jahr zu finden, in welchem die drei führenden europäischen Produktionsländer – Italien, Frankreich und Spanien – eine mengenmässig so schwache Ernte auswiesen. Frankreich und Italien haben beide 2017 ihre quantitativ geringste Ernte der letzten fünfzig Jahre eingefahren. Österreich kann aufgrund der Erntemenge in diesem Marktumfeld sogar frohlocken und seine Stellung im Markt womöglich ausbauen. Deutschland hat knapp zwanzig Prozent weniger als in einer Normalernte eingefahren, und am schlimmsten in den CHAD-Ländern hat es die Schweiz erwischt. 2017 resultierte hierzulande die kleinste Weinernte seit 1978! Dies fällt umso stärker ins Gewicht, weil in der Schweiz seit 2013 nur gerade die Ernte 2016 mengenmässig über dem langjährigen Mittel lag.
Traubenproduzenten geben auf
Die Folgen sind dramatisch. Erstmals seit vielen Jahren werden Weinliebhaber nicht mehr alle ihre bevorzugten Weine finden können, und vor allem nicht zu den gewohnten Preisen. Am meisten Kopfweh bereitet die aktuelle Situation jedoch den Weinproduzenten. Diese riskieren, ihre treuen Kunden durch Mengenkürzungen und Preiserhöhungen zu vergraulen. Dabei ist es unmöglich, die fehlende Weinmenge mit einer adäquaten Preissteigerung zu kompensieren. Als Beispiel sei das Weingut Jauslin in Muttenz aufgeführt, das 2017 nur etwa zehn Prozent der üblichen Erntemenge eingekellert hat und nur einen einzigen Wein seines Sortimentes abfüllen wird, nämlich den Pinot Gris, von dem es 25 Prozent der üblichen Menge gibt. Die Verkaufspreise hat Urs Jauslin wenige Tage nach dem verheerenden Frost im April 2017 schon für die Weine der Ernten 2015 und 2016 um einen Franken pro Flasche angehoben. Eine absolute Notwendigkeit, wenn man den bevorstehenden Ertragsausfall berücksichtigt.
Der Weinmangel geht vielen Schweizer Winzern an die finanzielle Substanz. Im Wallis und im Waadtland haben die kleinen Erntemengen der letzten Jahre dazu geführt, dass viele Rebparzellen von Kleinbetrieben an finanziell kräftigere Unternehmen verkauft wurden, diese Konsolidierung auf Seite der Produktion dauert schon jahrelang. Doch der Erwerbsausfall ist nur eine Seite des Problems. Denn wenn die Winzer ihre Kunden – Restaurants, Weinhändler, Direktkunden – nicht beliefern können, werden sich diese mit anderen Weinen – womöglich aus Übersee – eindecken. Und es gibt keine Garantie, dass sie später wieder zu ihren angestammten Produzenten zurückkehren.
«Frostpaket» mit Solidaritätsbeitrag
Die Behörden versuchen den Weinproduzenten zu helfen. Im Wallis hat Ende August 2017 der Regierungsrat im Hinblick auf die zu erwartende, historisch kleine Erntemenge reagiert: Die Winzer dürfen 2017er Walliser AOC-Weine aus den Sorten Fendant, Gamay und Pinot Noir mit maximal zehn Prozent 2017er AOC-Weinen derselben Sorten aus anderen Kantonen verschneiden. Durch diese Massnahme wird schätzungsweise die zusätzliche Produktion von zwei Millionen Litern Walliser AOC-Wein ermöglicht. In der Deutschschweiz ist die Situation nicht weniger dramatisch. Eine der zwei Stadtzürcher Weinkellereien, die Landolt AG, hat ihre Kunden schon im Herbst 2017 über den bevorstehenden Mangel an Stadtzürcher Weinen informiert und dazu Alternativen aus der übrigen Schweiz vorgeschlagen. Doch gemäss Firmenchef Marc Landolt lassen sich nicht viele Kunden für solche «Ersatzweine» begeistern.
Die Rebbaugenossenschaft Spiez, welche sich selber als «Alpines Weingut» bezeichnet, wurde durch die Frostschäden ebenfalls arg gebeutelt. Sie bringt ihre klassischen Spiezer Weine (Riesling-Sylvaner AOC Thunersee und Blauburgunder AOC Thunersee) in nur sehr limitierter Menge als «Frostpaket» auf den Markt, dies mit einem Frostzuschlag von drei Franken pro Flasche, welcher als Solidaritätsbeitrag zur Minderung des immensen Schadens zu verstehen ist. Als zusätzliche Alternative wird den Kunden die neue Weinlinie «va bene» angeboten, welche aus Trauben und Weinen von befreundeten Winzern aus den Kantonen Wallis, Bern und Neuenburg gekeltert worden ist. Auch Urs Jauslin in Muttenz bietet eine ähnliche Notlösung an. Aus den zugekauften Trauben befreundeter Winzer konnte er vom Jahrgang 2017 letztlich doch noch einige «Ersatzweine» keltern, was 50 Prozent seiner üblichen Jahresproduktion entspricht. Übrigens: Das Weinjahr 2018 hat auf der südlichen Hemisphäre, wo die Trauben zwischen Februar und Ende März gelesen werden, mancherorts nicht viel besser begonnen, als in Europa das Jahr 2017 geendet hat. Südafrika meldet wegen extremer Dürre die schlechteste Ernte seit 2005…