Ernte 2016
Die Rettung kam im Herbst
Text: Joël Gernet, Thomas Vaterlaus, Christian Eder, Barbara Schroeder, Alice Gundlach, Fotos: Linda Pollari
Im Rebjahr 2016 gab es in Mitteleuropa fast nichts, was es nicht gegeben hat. Spätfrost. Hagel. Extreme Feuchtigkeit. Pilzdruck. Extreme Trockenheit. Wasserstress. Und am Ende eine erstaunlich gute Ernte. Vor allem bezüglich Qualität. Auch die Mengen fielen oft besser aus, als dies nach einem verhexten ersten Halbjahr voller Strapazen zu erwarten war.
Generell bringt 2016 in Europa eher fruchtige Weine hervor mit konzentrierten Aromen und weniger Alkohol als im heissen 2015. Es ist ein heterogener Jahrgang mit grossen Mengenunterschieden. Verantwortlich dafür waren neben Mehltau auch Hagel sowie Spätfrost – etwa im Burgund, an der Loire und in der Champagne, in diversen österreichischen und deutschen Gebieten sowie in der Deutschschweiz. Im Burgunder Grand-Cru-Rebberg Montrachet waren die Frostschäden so gravierend, dass alle sieben Produzenten ihre Ernte zusammenlegen mussten, um wenigstens zwei Fässer keltern zu können. Gravierende Schäden hat auch Hagel hinterlassen. Im Burgenland, in der Steiermark oder in der Languedoc-Appellation Pic Saint-Loup kam es zu dramatischen Einbussen. Auch das Burgund, das Piemont sowie diverse deutsche Weinbaugebiete waren punktuell betroffen. Während in gewissen Lagen die komplette Ernte zerstört wurde, blieben die Reben wenige Meter nebenan unversehrt. Keine grösseren Probleme machte dieses Jahr die Kirschessigfliege. Nach dem milden Winter und Schäden im Obstbau wurde zunächst das Schlimmste befürchtet. Am meisten beschäftigt hat die Weinbauern in Mitteleuropa die grosse und anhaltende Feuchtigkeit. Es war, als würde sich der launische April bis weit in den Sommer hineinziehen. In Folge kam es zu Verrieselung während der Blüte und zu hohem Pilzdruck. Vor allem der Falsche Mehltau hielt die Winzer auf Trab. Wegen der von Regen getränkten Böden war oft kein mechanischer Pflanzenschutz möglich. Zudem war enorm viel Arbeit zur Belüftung der Laubwand angesagt. Wer nach biologischen Richtlinien arbeitete, stiess nicht selten an seine Grenzen – mancherorts standen Winzer vor dem Dilemma: bio bleiben oder konventionell spritzen und die Ernte retten. Entsprechend laut war die Forderung, dass die EU den Wirkstoff Kaliumphosphonat im Bioweinbau wieder zulässt.
Sonniger Herbst vergoldet Qualität
In Bordeaux ist zudem die Diskussion um den Pestizideinsatz und dessen Folgen für die Umwelt und die Gesundheit der Winzer wieder aufgeflammt. Das Bordelais ist eines der wenigen französischen Weinbaugebiete, das 2016 eine grössere Ernte als im Vorjahr hatte. Auch qualitativ versprechen sich die Produzenten einiges – es werden bereits Vergleiche mit den grossen Jahrgängen gezogen. Auf einen sehr guten Jahrgang freuen darf man sich auch in Nord- und Mittelitalien. Vor allem im Piemont, insbesondere in Barolo und Barbaresco, wo es keinen Trockenstress gab und zur richtigen Zeit regnete. Der Süden Italiens hatte hingegen mit überdurchschnittlich starken Niederschlägen zu kämpfen. In Spanien freut man sich nach einem anspruchsvollen Jahr über einen guten Jahrgang. Die Ernte fällt unter anderem wegen grosser Trockenheit um zehn Prozent geringer aus als 2015. Dafür verspricht die Qualität, die letzten zwei eher durchzogenen Jahre zu übertreffen. Vor allem in Rioja und Navarra.
Nach einem oft schwierigen und arbeitsintensiven ersten Halbjahr gab es in weiten Teilen Europas eine entspannte Ernte mit gutem Wetter – so dass die Trauben lange hängen gelassen werden konnten. Dank der grossen Temperaturunterschiede zwischen Tag und Nacht konnten die Beeren eine ausgeprägte Aromatik entwickeln, bevor sie mit optimaler Reife gelesen wurden.
Weltweit wurden 2016 gemäss Schätzungen der Internationalen Organisation für Rebe und Wein (OIV) 259 Millionen Hektoliter Wein hergestellt. Das Minus von rund 14 Millionen Hektoliter ergibt eine der niedrigsten Produktionen der letzten zwei Jahrzehnte – und entspricht einem Rückgang von fünf Prozent.
Jahrgang 2016 – so sehen ihn die Winzer in Europa
Dão: Heisser Sommer – kühle Weine
«Wegen der Hitze vor der Ernte mussten wohl viele Winzer die Säure korrigieren. Ich habe sehr früh geerntet. Mitte September waren alle Trauben im Keller. Meine 2016er haben zwischen 11,5 und 12,5 Vol.-% Alkohol. Wenn man gezielt auf Frische arbeitet, ist das auch bei einem heissen Spätsommer möglich.»
João Tavares de Pina, Quinta da Boavista, Penalva do Castelo
Ribera del Duero: Gross und elegant
«Die Ernte in der Ribera del Duero war qualitativ sehr gut. Bei der Menge resultierte gar ein Rekordergebnis. Das war auch nötig nach der kleinen Ernte im Vorjahr. Die 2016er zeigten sich schon kurz nach der Gärung sehr ausgewogen, mit weichem, feinkörnigem Tannin, bei weniger Alkohol als in den letzten fünf Jahren.»
Antonio García Figuero, Bodegas García Figuero, La Horra
Franken: Für jedes Segment etwas
«Frost im April bescherte punktuell Ausfälle. Die Regen- und Trockenperioden danach waren zum Glück immer lang genug. Die pH-Werte sind etwas niedriger als 2015, so dass wir einen optimalen Gärverlauf haben, der eine gute Säure gewährleistet. Es gibt sowohl schöne leichte Gutsweine als auch grosse Weine.»
Nicole Roth, Weingut Roth, Wiesenbronn
Languedoc: Ruhiges Spitzenjahr
«2016 hat uns verwöhnt. Ein herrliches Sonnenwetter von Mai bis Mitte Oktober. Glücklicherweise blieben unsere Lagen vom Wassermangel verschont. Wir konnten in aller Ruhe die Reife jeder Parzelle abwarten. Potenziell handelt es sich um ein grosses Jahr mit frischen Weissen und ausgezeichneten Roten.»
Jean-François Bernabeu, Château d’Agel, Minervois
Baden: Aroma dank längerer Reife
«Am Kaiserstuhl und im Markgräflerland regnete es an günstigeren Zeitpunkten als im Breisgau. Wir haben ideale Erträge erhalten, nachdem auf den heissen August Regen folgte. Die Aromatik der Weine wird besser sein als 2015, weil die Trauben voll ausreifen konnten. Dennoch mussten wir stark selektieren.»
Patrick Johner, Weingut Karl H. Johner, Vogtsburg im Kaiserstuhl
Burgund: Kämpfen für das Beste
«Wir mussten kämpfen wie die Löwen. Frost, Mehltau und Trockenheit haben uns drei Viertel der Ernte gekostet. Wie viele Kollegen konnte ich den Bioanbau vergessen, wollte ich wenigstens einen Teil der Ernte retten. Was heute im Keller liegt, gehört dafür zum Besten, was ich je gekeltert habe.»
Laurent Fournier, Domaine Jean Fournier, Marsannay
Donaugebiet: Frost und feine Säure
«Beim Grünen Veltliner hatten wir spürbare Einbussen durch Frost. Regen war eine weitere Herausforderung. Die Veltliner-Lagen brachten extrem präzise und Terroir-bezogene Weine. Die Riesling-Qualität ist top, der Ertrag passt. Die 2016er haben eine sehr feine Säure. Das werden tolle Langstreckenläufer.»
Johannes Hirsch, Weingut Hirsch, Kammern
Mosel: Starke Einbussen in Steillagen
«An der Saar waren die Einbussen nicht so dramatisch, an der Terrassenmosel aber sehr. In den Steillagen konnte man nicht schnell genug auf den Peronospora-Druck reagieren. Qualitativ wurden wir überrascht, der Reiferückstand wurde ab August mehr als kompensiert. Das werden ausdrucksstarke Weine.»
Andreas Barth, Lubentiushof sowie Von Othegraven
Steiermark: Kleinste Ernte ever
«Der Frost im April hat alle Jungtriebe vernichtet. Als es wärmer wurde, konnte das dritte Auge einen neuen Austrieb bilden. Nur dank extrem viel Handarbeit konnten wir die verbliebenen Trauben schützen. Der trockene Herbst bescherte uns ganz grosse Weine und die kleinste steirische Ernte, die es jemals gab.»
Armin Tement, Weingut Tement, Berghausen
Neuenburg: Lagerweine mit Finesse
«Das nasse Frühjahr gab viel zu tun. Ab Juli war es fast zu trocken. Verglichen mit den Vorjahren haben wir sogar wieder etwas mehr ernten können. Dank der späten Lese und der kühlen Nächte im Herbst erwarte ich elegante Weine mit schöner Aromatik und Finesse. Ein toller Jahrgang für Lagerweine.»
Jean-Denis Perrochet, Domaine de la Maison Carrée, Auvernier
Tessin: Optimale Reife, gute Struktur
«Nach relativ spätem Austrieb folgte ein heisser Sommer mit viel Regen. Der Pilzdruck war gross und extrem lageabhängig. Dank sehr schönem Herbst konnten wie die Trauben mit optimaler Reife ernten. Qualität und Menge sind sehr gut. Wir erwarten gut strukturierte, elegante Weine mit ausgeprägter Frucht.»
Anna Barbara von der Crone und Paolo Visini, Barbengo
Piemont: Erinnerungswürdig
«Einem kühlen Frühling und trockenen Sommer folgte ein ausgewogener Herbst. Hagel sorgte leider teilweise für Totalausfall. Barbera zeichnet sich durch grosse Struktur aus, bei Nebbiolo sind Qualität und Quantität in perfekter Balance. 2016 gleicht einem Mix zwischen den sehr guten Jahren 1999 und 2004.»
Giuseppino Anfossi, Azienda Agricola Ghiomo, Guarene
Toskana: Ausgewogen und elegant
«Nach der Hitze im Sommer ist normales, kühleres Wetter zurückgekehrt, das für eine ausgewogene Qualität sorgte. Die Weine sind daher nicht übertrieben alkoholisch, aber fruchtig und elegant. Das kommt vor allem unserem historischen Sangiovese-Cru Asinone zugute, der schon jetzt einiges erwarten lässt.»
Federico Carletti, Azienda Agricola Poliziano, Montepulciano