Conegliano und Valdobbiadene

...wie gemalt

 

Text: Benjamin Herzog

  • Das historische Zentrum von Conegliano mit seinen Wandbildern.
  • Die Macherinnen von Le Vigne di Alice im Rebberg.
  • Eingang zum Castello di San Salvatore.
  • Der heilige Georg und der Drache von Künstler Carpaccio.
  • Typische Reblandschaft an der Prosecco-Strasse.

Ob man Prosecco mag oder nicht, die Wiege dieses Weines zwischen Conegliano und Valdobbiadene hat eine magische Anziehungskraft. Hier trifft traditionelle Küche auf moderne Weine, und historische Monumente treffen auf zeitgenössische Kunst. Eine Entdeckungsreise mit vielen Überraschungen.

 

Giovanni Battista Cima gehörte zu den produktivsten Kunstmalern des 15. Jahrhunderts. Er war auf das Malen von Altarbildern spezialisiert. Seine Werke findet man noch heute in Kirchen und Sammlungen im Veneto, aber auch in Paris, Moskau, San Francisco oder London. Der Kunstmaler stammte aus Conegliano in der heutigen Produktionszone des Prosecco Superiore DOCG. Wie auch sein venezianischer Zeitgenosse Vittore Carpaccio liess er sich von der Landschaft des Veneto inspirieren.

Die heutigen Exportschlager Coneglianos sind natürlich keine Gemälde oder Heiligenbilder, sondern es ist der Conegliano Valdobbiadene Prosecco Superiore DOCG. Wie Kunst Geschmacksache ist, so schmeckt auch Prosecco nicht jedem, viele Weinliebhaber lehnen den einfachen Prickler sogar kategorisch ab. Für die Prosecco-Verschmäher spielt es dabei keine Rolle, ob es sich um Prosecco DOC aus den Flachlagen des Veneto handelt oder um den in der Heimat von Giovanni Battista Cima angebauten Prosecco Superiore DOCG. Das ist verständlich, denn viele Produzenten haben wenig Interesse daran, den Weinfreak zu begeistern, sie wollen den Durst der ganzen Welt nach dem prickelnden Gute-Laune-Wein stillen. Die logische Folge davon ist die schleichende Angleichung aller Produkte an den Massengeschmack. Das ist schade, gerade wenn man die Region zwischen Conegliano und Valdobbiadene betrachtet. Die DOCG-Zone des Prosecco Superiore weiss zu überraschen, mit atemberaubenden Landschaften, Geschichte, Kultur und nicht zuletzt mit Weinkonzepten fernab von Massengeschmack, Marktbedürfnissen und industrieller Herstellung. Hier zeigt Prosecco auch mal Terroir.

Prosecco aus Flaschengärung

Cinzia Canzian und Pier Francesca Bonicelli stammen aus einer Prosecco-Familie. 2005 entschieden sich die beiden, ihr eigenes Projekt zu starten. Die Topprodukte von Le Vigne di Alice werden zwar aus der typischen Prosecco-Sorte Glera, aber nach französischem Vorbild mittels Flaschengärung erzeugt. Die Autoklaven – die Drucktanks für die zweite Gärung – werden in dieser Kellerei nur für die einfachen Qualitäten verwendet, und auch das würde man irgendwann gerne ändern. Gemeinsam mit Cinzia Canzian und ihrem Mann Umberto Cosmo, der für die Weine des Familienguts Bellenda verantwortlich ist, verkosten wir die Produkte in ihrem Agriturismo wenige Meter von der Kellerei entfernt. Wie an vielen Orten in der Region ist auch von hier die Aussicht atemberaubend: Wie ein grob gewobener Teppich liegen die Reben über den Hügeln, direkt vor dem Agriturismo steht ein Olivenhain. Das milde Klima im Hinterland von Venedig erlaubt auch dessen Kultivierung. Schon die einfachsten Weine von Cinzia und Umberto sind trockener und eleganter als manches, was wir in der Region je kosteten. «Die zweite Gärung in Autoklaven ist eine gute Methode, um das Prickeln in einen Wein zu bringen», meint Umberto Cosmo. «Für den Ausdruck unseres Terroirs ist die Flaschengärung aber besser geeignet.»

Hier in der Zone von Conegliano im Osten des Anbaugebiets sind die Böden von Gletschern geformt, neben Lehm hat man auch Kalk- und Steinanteile. Umberto ist überzeugt, dass man die Mineralität der Böden nur zum Ausdruck bringen kann, wenn man auf eine allzu technische Vinifikation verzichtet. Wer in ihrem Agriturismo «Alice Relais Nelle Vigne» übernachtet, kann das mit Verkostungen und Besichtigungen der Kellerei hautnah erleben. An den Tanks in der Kellerei hängt je ein farbiges, abstraktes Gesicht, gemalt vom befreundeten Künstler Maurizio Armellin. Zuweilen ist man sich nicht ganz sicher, ob man sich nun in einer Galerie oder einer Kellerei befindet. Nachhaltig in Erinnerung blieb uns neben der Kunst vor allem der Vigne di Alice PS Integrale Brut – einer der kompromisslosesten Proseccos, die wir je gekostet haben. Der Wein wurde mit Naturhefe auf der Flasche vergärt und kommt ohne Degorgement oder Zusatz von Schwefel auf den Markt. Das Gewächs überrascht mit seiner komplexen, nussig-blumigen Aromatik und vor allem mit dem knochentrockenen, mineralischen Gaumeneindruck. Paradox an dem Ganzen ist, dass es sich hierbei um die klassischste Version eines Proseccos handelt, um einen sogenannten «Col Fondo» oder «Sur Lie», wie man ihn schon lange vor dem Einzug der Autoklaven produzierte.

Follina: Sakral- und Kulturstätte

Das Städtchen Conegliano begrenzt das Anbaugebiet des Prosecco Superiore im Osten. Hier beginnt auch die «Strada del Prosecco», die sich durch ein Labyrinth von Weinbergen zwischen Conegliano, Vittorio Veneto und Valdobbiadene schlängelt. Je weiter wir Richtung Valdobbiadene fahren, desto aromareicher zeigen sich die Weine aus der Glera-Traube. Die Böden haben einen höheren Sandanteil und sind älter als die um Conegliano. Wir stoppen in Follina, einem eigentlich unscheinbaren Ort, der jedoch reich an Kultur und Geschichte ist, besonders des ehemaligen Zisterzienser-Klosters wegen. Ein Besuch der Abbazia di Santa Maria und vor allem der grossen Kreuzgänge gehört zum Pflichtprogramm.

«Die zweite Gärung in grossen Drucktanks ist geeignet, um das Prickeln in einen Wein zu bringen. Für den Ausdruck   unseres Terroirs ist es aber besser, die Metodo Classico – die Flaschengärung –anzuwenden.»

Umberto Cosmo, Bellenda, I-Carpesica

 

Am Hauptplatz von Follina befindet sich die«Bar al Milani», eine typisch italienische Kneipe, wo sich abends Menschen jeden Alters treffen. Wir bestellen einen Kaffee, da entdecken wir auf der Bar ein Buch: «Nuove Cattedre di Enologia e Viticultura» – «Neue Lehre von Önologie und Rebbau». Geschrieben hat es Giovanni Gregoletto. Wir besuchen ihn, aber nicht im Weingut seiner Familie, sondern in einer Industriehalle, die er gemietet hat. Hier braut er das Birra Follina, das man auch in der Bar «Al Milani» erhält, zudem befindet sich hier seine «Wunderkammer», wo er Literatur und Objekte zum Weinbau sammelt, ausserdem heckt er hier seine zuweilen verrückten Ideen aus. Kunst hängt an der Wand, es gibt Glasskulpturen von Rebschädlingen sowie alte Gerätschaften aus der Landwirtschaft. Giovanni spricht ohne Unterlass. Besonders stolz ist er auf seine umfunktionierte Hagelkanone, mit der er Musik in den Himmel schicken kann anstatt Chemikalien zur Hagelbekämpfung.

Auch wenn Giovanni Gregoletto lieber über anderes spricht, irgendwann enden wir bei seinen Weinen. Seine Familie gehört zu den wenigen, die neben Schaum auch Stillweine produziert. Einen aus der Prosecco-Sorte Glera, aber auch einen Merlot etwa. Giovanni Gregoletto ist überzeugt, dass die natürliche Weise der Prosecco-Produktion, also der zweiten Gärung auf der Flasche ohne Degorgement, zu den interessantesten Resultaten führt. Zwei «Col Fondo»-Versionen füllt er ab, verschlossen mit einem Kronkorken. «Das ist das Beste für unsere Weine», sagt Giovanni, noch bevor wir danach fragen können. Er ist ein wandelndes Lexikon, weiss zu vielen Themen etwas zu erzählen, aber gerade beim Wein, da macht ihm niemand so schnell etwas vor. «Ich bin der Direktor, darum arbeite ich nicht, sondern lese», sagt er mit einem Augenzwinkern. «In Italien ist das doch so!?» Und schon eilt der Tausendsassa zum nächsten Termin.

Süsser Grand Cru

Auf halber Strecke zwischen Follina und Valdobbiadene befindet sich das Produktionsgebiet des Cartizze – angeblich die beste Lage der Region. Atemberaubend anzusehen ist sie ohne Zweifel. Steil fallen die Reben ab und ergiessen sich dann förmlich über die kleinen Hügel. Die Reben sind hier besonders exponiert, und die Reife der Trauben ist besonders hoch, womit auch der traditionell süsse Stil der Cartizze-Weine begründet wird, obwohl sie in den Drucktanks technisch eingestellt wird. Die meisten Cartizze fallen in die süsseste Prosecco-Kategorie Dry. Diese Weine haben einen Restzuckergehalt von 17 bis 32 Gramm, was ungefähr der Kategorie Sec bei Champagnern entspricht. Cartizze gibt es nur von diesem 107 Hektar grossen Rebberg, entsprechend umkämpft ist der Markt für diese Trauben. Doch lässt uns der Eindruck nicht los, dass viele Winzer ihre Cartizze zwar teuer verkaufen, aber nicht wirklich ambitioniert sind, daraus etwas Spezielles zu keltern.

Silvia Franco vom Weingut Nino Franco hat auch einen Cartizze im Angebot, viel interessanter ist ihr Grave di Stecca, ein Prosecco Brut (bis 12 Gramm Restzucker), produziert in Drucktanks, jedoch mit einigen Jahren Reifung auf der Flasche. «Die allgemeine Ansicht, dass ein Prosecco nicht reifen kann, ist falsch», erklärt Silvia Franco. Der Grave di Stecca stammt aus einer Lage rund um den Agriturismo ihrer Familie, die «Villa Barberina». Der Wein verbringt nach der ersten Gärung sechs Monate auf der Feinhefe. Zurzeit ist der Jahrgang 2011 am Markt. Dieser ist aromatisch, vollreif, hat seine Gäraromen verloren, was Platz für nougatartige Noten macht. Am Gaumen ist er harmonisch und zeigt doch die typische Prosecco-Frische – fast schon ein Antikonzept in dieser Region.

Wer auf dem Weg von Valdobbiadene nach Conegliano die südliche Route wählt, erlebt, wie frappant sich diese Landschaft wandelt. Gerade noch auf der Prosecco-Strasse von Aussichtspunkt zu Aussichtspunkt gefahren, wird es hier flach. Die Landschaft ist nicht mehr von Reben, sondern von Feldern geprägt. Traditionell gab es hier viele Mischbetriebe, die neben Reb- auch Ackerbau und Viehzucht betrieben. Borgoluce ist eine der wenigen Farmen, die diese Vielseitigkeit bis heute beibehalten haben, und gehört zu den grössten Landwirtschaftsbetrieben des Veneto. Hier werden Prosecco, stille Weine, Büffelmozzarella, Olivenöl, Fleischprodukte, Honig, Mais und nicht zuletzt Strom aus Biomasse hergestellt. Die Produkte werden auch im Hofladen angeboten. Ausserdem bewirtet Besitzerfamilie Colalto Gäste in einer Osteria und vermietet Ferienwohnungen. Auch das Castello San Salvatore, wo jeweils Mitte Mai das Prosecco-Festival Vino in Villa stattfindet, gehört Familie Colalto. Lorenzo Surian ist verantwortlich für das Ferienangebot des Unternehmens, er arbeitet seit bald 30 Jahren für die Familie. «Ich mag Prosecco ehrlich gesagt nicht besonders», verrät er uns beim Mittagessen. «Unsere Rotweine schmecken mir besser.» Als Surian vor 30 Jahren zum Arbeiten in die Prosecco-Gegend kam, hätte er nie gedacht, dass er so lange bleiben würde. «Die meisten Gäste, die einmal bei uns waren, kommen auch immer wieder», sagt er lachend. Lorenzo Surian hat Recht, die Gegend zwischen Conegliano und Valdobbiadene zieht einen wirklich an – ob man Prosecco nun mag oder nicht.

Unsere Tipps

Die Gegend zwischen Conegliano und Valdobbiadene ist vom Flughafen Venedig in weniger als 40 Minuten erreichbar. Das kulturelle, touristische und kulinarische Angebot ist gross, mindestens eine der folgenden vier Stationen sollte man unbedingt in eine Reise einplanen.

 

SCHLAFEN

Villa Barberina, Valdobbiadene

Die venezianische Villa aus dem 18. Jahrhundert gehört Familie Franco vom Weingut Nino Franco. Das Haus war einst im Besitz von Seidenhändlern, die antike Schmuckstücke aus aller Welt hinterlassen haben. Heute ist es ein Bed and Breakfast. Das Ambiente im Inneren wirkt klassisch-feudal, draussen lädt ein Park samt Pool zum Ausruhen ein.

www.villabarberina.it

 

ESSEN

Al Larin da Bepo, Carpesica di Vittorio Veneto

In der urigen Trattoria dreht sich alles um den «Larin» – die regionaltypische, offene Feuerstätte mit Grill. Auf diesem brutzeln schon zum Mittagessen Bistecca Fiorentina und Co. Wer die Trattoria in den Wintermonaten besucht, sollte «Radicchio e Fagioli» probieren: Bitterer Radicchio trifft auf milde Bohnen.

www.allarindabepo.com

 

ESSEN

Ristorante da Gigetto, Miane

Für den Aperitivo geht man im «Ristorante da Gigetto» in den Weinkeller. Ein verwinkelter Ort mit einer der besten Selektionen der Region mit Schwerpunkt Italien und Europa. Das Essen ist so klassisch wie der Service sympathisch. Prosecco Superiore DOCG gehört ebenso zu den Rennern wie die klassisch zubereiteten Schnecken mit Knoblauch.

www.ristorantedagigetto.it

 

SEHEN

Pieve di San Pietro, San Pietro di Feletto

Ein Besuch der Kirche von San Pietro di Feletto (erbaut im 8. und 9. Jahrhundert) lohnt sich nicht nur des alten Gemäuers und der Wandmalereien wegen. Der Standort auf einem steilen Berg wurde so gewählt, weil man die Kirche dort von allen Seiten stets sieht. Folgerichtig gibt es auch ein atemberaubendes Rebenpanorama zu bewundern.

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