Wein-Dossier
Am Tisch bei Nika
Text und Fotos: Thomas Vaterlaus
Im Osten von Georgien keltert der 44-Jährige Winzer Nika Bakhia nicht nur erstklassige Qvevri-Weine von grösstmöglicher naturbelassener Konsequenz, sondern lebt mit seiner Familie ein traditionell zeitgenössisches Leben, bei dem die tägliche Tischgemeinschaft mit Wein eine zentrale Rolle spielt.
«Auf der Suche nach der Kraft der Schlichtheit fand ich Frühling und Land und Menschen, die arbeiten. Es sind Weinbauern. Und der Himmel verbindet.» Diese Sätze schrieb Nika Bakhia zu einer Farbstiftzeichnung, mit welcher sich der Künstler, Architekt und Winzer vor einiger Zeit an der Kunstaktion «Show your Hope» beteiligte. Und nun sitzen wir also unter genau diesem Himmel gemeinsam zu Tisch, im Schatten eines Nussbaums, weit draussen in den südlichen Ausläufern des Kaukasus, im Alazanital, in der georgischen Weinregion Kachetien. Wo die reiche Vegetation den Blick freigibt, sehen wir kilometerweit über die grüne Ebene. Jedes Haus ist hier ein Hof mit Umschwung, ein eigenständiges, bäuerlich bodenständiges Universum, etwas versteckt vom Rest der Welt. Hätte Nika nicht unten an der Landstrasse auf uns gewartet, hätten wir seine Welt wohl nie gefunden.
«Gemeinsam am Tisch sitzen, am liebsten draussen, essen, reden und Wein trinken, das ist für mich der Ursprung des Zusammenlebens, es ist die Basis unserer Kultur, ja, es ist die Basis von allem. Der Tisch und der Wein darauf sind der Nabel der Welt, sie ziehen das Leben mit», sagt Nika. Mutter Luna und Vater Tariel arbeiteten beide als Physiker in Tiflis, bevor sie ihrem Sohn aufs Land folgten. Auch Anna, seine Frau, eine international tätige Opernregisseurin aus Russland, gehört zu dieser «Mehr-Generationen-Lebens- und Arbeitsgemeinschaft». Und seit einigen Monaten ist da auch noch Maria Sophia, die Tochter von Anna und Nika, die als Einzige das Privileg hat, am Tisch zu liegen. Das wäre also die Stammbesetzung an Nikas Mittagstisch. Doch oft sind da auch Gäste. Heute sind es etwa vier junge Männer aus Deutschland, Mitglieder einer christlichen Gemeinschaft, die regelmässig «auf Pfad gehen» und nun einige Tage bei Nika leben und arbeiten. Am Morgen haben sie den hölzernen Trog repariert, in dem schon abends die Trauben von Fuss getreten werden sollen, bevor sie in den Qvevris, den dünnwandigen, in die Erde eingepflanzten Tonamphoren, vergoren werden. Die vier sind bekennende Biertrinker, doch nun haben sie den strahlend frischen Dato Noah 2014 im Glas, einen reinsortigen Rkatsiteli, biologisch angebaut, im Qvevri vinifiziert und ungeschwefelt abgefüllt. Das Elixier zaubert schnell jene gewisse Aura an den Tisch, der sich auch die übrigen Gäste, wir zwei Schweizer mit unseren georgischen Begleitern und vier Japaner, die den Kaukasus bereisen, um die Seele des Naturweins zu erkunden, nicht entziehen können.
«Macht doch nichts, Mama!»
«Wir leben hier draussen, und die Welt kommt zu uns an den Tisch. Ist das nicht schön?», fragt Nika. «Ja», sagt die Mutter, «nur weiss ich nie so genau, für wie viele Leute ich kochen soll.» Wenn Gäste angekündigt seien, frage sie ihren Sohn jeweils morgens, wie viele Leute er dann erwarte. «Ach Mama, mach dir keine Sorgen, heute sind es höchstens zwei, drei oder vier», bekomme sie dann zur Antwort. Sie koche dann vorsorglich für acht. Aber nicht selten sässen schlussendlich 12 oder 14 Personen am Tisch. «Macht doch nichts Mama! Brot, Käse und Wein haben wir immer», antwortet ihr Sohn mit einem schelmischen Lächeln auf dem Gesicht. Für Nika ist es wichtig, dass sein Mittagstisch nicht nach starren Regeln, sondern spontan, ungezwungen, auch ein Stück weit improvisiert verläuft. Das steht in einem gewissen Gegensatz zur georgischen Tischkultur, die stolz ist auf ihre Rituale mit Trinksprüchen und Gesang. Oft wird gar ein «Tamada» bestimmt oder gewählt, also ein Tafelmeister, der die Darbietungen leitet und koordiniert. «So was mag Sinn machen bei einer Hochzeit oder einer grossen Familienfeier. Aber was ausländischen Besuchern hier oft bei Tisch vorgeführt wird, sind leider nur schlechte Interpretationen dieser Kultur mit Sprüchen und Ritualen, die nicht mehr sind als blosser Selbstzweck. Ich mag Humor viel lieber als Pathos», sagt er. Auch als Künstler hat sich Nika, der jahrelang in Saarbrücken und Berlin gelebt und gearbeitet hat, immer wieder mit dem Thema der Tischgemeinschaft befasst. Einige seiner schlichten Objekte, aus massivem Stein gefertigt, sind nichts anderes als Tische oder Altare, wenn auch solche mit zusätzlichen Dimensionen. «Der Altar ist die heilige Form des Tisches, ein sakraler Tisch gewissermassen für die Opfergaben, zu denen auch der Wein gehört. Und eigentlich sollte ja der Messwein gemäss der ursprünglichen Lehre ein unverfälschter Wein sein», sagt Nika. Tatsächlich: «Der Wein für die Eucharistiefeier muss vom Gewächs des Weinstocks stammen und naturrein und unvermischt sein, das heisst ohne Beimischung von Fremdstoffen», steht beispielsweise in der Grundordnung des Römischen Messbuchs von 2007. So gesehen sind Nikas Weine allesamt gesegnete Weine für gesegnete Augenblicke.
Ein Glas auf den Wind
Als wir kamen, war der Tisch noch fast leer. Wie von Zauberhand erschienen plötzlich Teller, Besteck und Gläser, und – viel wichtiger – Käse, Brot und natürlich Nikas Weine. Die erste Flasche wurde entkorkt. Irgendwann folgten gebackene Auberginen und Tomaten sowie gegrilltes Fleisch. Weitere Flaschen wurden entkorkt. «Ihr braucht nicht immer auf eurem Stuhl zu sitzen, spaziert hier ruhig ein bisschen rum, und schaut euch alles an, das verleiht dem Kreislauf und dem Geist neuen Schwung», sagt Nika. Und so erkennen wir, dass auf diesem Hof, der uns auf den ersten Blick einen etwas chaotischen Eindruck gemacht hatte, alles seine Funktion hat, jeder Schlauch, jeder Topf, jede Leine und auch die selbstgebauten Werkzeuge, die er für die Arbeit mit seinen Tonamphoren, den Qvevris, braucht. Aus dem mächtigen Holzstapel an einer Ecke des Hauses will sich Nika ein Atelier zimmern, irgendwann, wenn er dann mal Zeit hat. Bereits gebaut hat Nika eines seiner «Himmelsdächer», ein Kuppeldach im georgischen Darbazi-Stil mit einer Öffnung an der höchsten Stelle. Das von oben einfallende Licht zaubert eine ganz besondere Spiritualität in den Raum. «Perfekt für eine Wein-Tischrunde», meint Nika. Wenige Meter neben unserem Gartentisch hält derweil Vaso, der Nachbar und Mitarbeiter von Nika, die Stellung am Destillierapparat, der an eine rauchende Lokomotive erinnert. Unten tröpfelt Tresterbrand, hier zärtlich «Chacha» genannt, in ein Konfitürenglas. Ab und zu trägt der Wind den Rauch an unseren Tisch. Das ist der ideale Zeitpunkt für einen Trinkspruch. So erheben wir also das Weinglas auf den Wind, «damit er die nächste Stunde aus der richtigen Richtung wehen und so den Rauch von uns wegtragen möge». Später trinken wir auf Nikas Mutter, die das Mittagessen für uns bereitet hat, und am Schluss auf die göttliche Fügung, die uns heute an diesem Tisch beim Wein vereint hat. Gegen 14 Uhr erinnern die vier jungen Männer aus Deutschland unseren Gastgeber daran, dass sie wohl langsam weiterarbeiten sollten, wenn der Holztrog zum Stampfen der Trauben bis zum Abend fertig werden soll. Nika schaut in die Runde und sagt dann: «Ach, warten wir doch noch eine halbe Stunde. Und trinken zusammen ein letztes Glas Wein!»