Die Unbeugsame

Interview mit Marimar Torres

Text: Eva Maria Dülligen, Fotos: Sergio Ruiz/srfoto

«Unbeugsam» klingt ein bisschen wie widerspenstig. Ja, wie kon-tra­produktiv. In Wirklichkeit hatte La Gran Maestra des kalifornischen Pinot Noir keine andere Wahl: Marimar Torres avancierte mit ihrer stoischen Gangart zur Ikone südeuropäischer Weinkultur im Golden State. Und zum Vorbild all jener, die zögern.

Señora Torres, wie kam es dazu, dass Sie sich ein Weingut im kalifornischen ­Sonoma statt im weitaus bekannteren Napa Valley zugelegt haben? 

Ich hätte mich tatsächlich beinahe als Weingutsbesitzerin im Napa Valley niedergelassen. Aber mit dem Geld, das mir Anfang der 1990er zur Verfügung stand, hatte ich die Wahl: für dieselbe Summe entweder sieben Hektar in Napa oder 23 Hektar in Sonoma zu kaufen. Da fiel mir die Entscheidung nicht schwer.

In den 1990ern war Sonoma international als Weinregion noch nicht sonderlich populär. Was war, abgesehen vom günstigen Kaufpreis, noch ein Auslöser für Ihre Entscheidung?

Ich beauftragte einen Weinbau-Experten, um den Boden meines Grundstücks im Green ­Valley analysieren zu lassen. Zuvor hatte ich meinen Bruder Miguel angerufen, um ihn in meinen Plan, hier Wein anzubauen, einzuweihen. Er war alles andere als begeistert, weil er meine Idee als zu riskant einstufte. Ich glaube, es gab zu dieser Zeit in ganz Sonoma kaum andere Weingüter, die Burgundersorten anbauten. Die Bodenproben indes bestätigten, dass die leichten, sandigen Lehmböden ideal für Chardonnay und Pinot Noir waren.

«Ich habe den Tempranillo nach Sonoma County gebracht.»

Ausserdem sind wir keine zehn Meilen vom Pazifischen Ozean entfernt, der diesen Standort mit kühlen Brisen für den Weinbau privilegiert.

Nicht nur die Belüftung durch Meeresbrisen prägt das Mikroklima. Kühle Nebel vom ­Pazifik ziehen morgens über die Weinberge und steuern das Temperaturprofil ebenfalls. Der Temperaturverlauf ist in meinen Weinbergen ausgeglichen, sodass die Zuckerreife in den Trauben sehr homogen ausfällt. Durch die lange Hängezeit der Trauben am Stock entsteht hohe Aromenintensität und gleichzeitiger kühle, frische Säure.

Sie entstammen der katalanischen Weindynastie Torres. 1870 in Vilafranca del ­Penedès gegründet, stand die Bodega zwar immer für Pionier-Arbeit, vor allem im Bereich Vermarktung – aber Frauen in der Weinbranche galten eher als Sakrileg. Wie konnten Sie den Widerstand brechen?

Man munkelt, dass mein Ehrgeiz noch durch meine Hartnäckigkeit übertroffen wird. Für die Antwort auf Ihre Frage muss ich in die faschistische Diktatur unter Francisco Franco während meiner Jugend zurückgehen. Eine bedrückende Zeit für Frauen, die über Kirche, Kinder, Küche hinausdachten. Mein Vater Don Miguel hatte meine Heirat mit einem wohlhabenden Mann – idealerweise aus einer aristokratischen Weinfamilie – schon vor Augen. Meine Mutter war ein emanzipierter und zugleich diplomatischer Charakter. Gemeinsam erreichten wir, dass ich meinen Betriebswirtschaftsabschluss an der Universität von Barcelona machen und ein halbes Dutzend Sprachen lernen konnte.

Trotzdem hatten Sie als Schwester von zwei älteren Brüdern nicht die besten Karten im patriarchal geprägten Spanien. Taten sich danach Wege für Sie auf, das Weingut Torres irgendwann weiterzuführen?

Mein Bruder Miguel wurde von klein auf darauf vorbereitet, die Leitung des Familienunternehmens zu übernehmen. Für mich war kein Platz reserviert. Eines Tages flog mein Vater auf Geschäftsreise nach New York und erkannte, dass die USA ein vielversprechender Exportmarkt waren. Daraufhin plante er eine dreimonatige Promotiontour für seine Weine in Übersee und bat mich, ihn zu begleiten. Von Chicago aus flogen wir die Ostküste entlang, dann an die Westküste nach Kalifornien. Wir verkauften Unmengen an Weinen auf diesem Trip – und ich wurde Exportmanagerin unserer Firma.

Sie lernten in San Francisco einen bedeutenden Weinkritiker kennen. Hat das Ihren Werdegang innerhalb der Weinbranche beeinflusst?

Als ich 1973 mit meinem Vater nach San ­Francisco zu einer Weintagung reiste, erfuhren wir, dass der Wein- und Restaurantkritiker Robert Finigan unseren 1955er Gran Corona als den besten Wein Spaniens bewertet hatte. Finigan zählte zu den massgeblichen Kritikern im Robert-Parker-Team. Deshalb meinte mein Vater, dass ich ihn treffen sollte, und so assen wir zusammen zu Mittag. Das Ganze endete 1975 in unserer Hochzeit, und ich zog kurz darauf zu Finigan nach San Francisco. Mein Ex-Ehemann war brillant, und er hat meine Karriere beeinflusst, indem ich jede Menge über Wein und gutes Essen von ihm lernen konnte.

Glich das nicht einem freien Fall, aus Ihrem behüteten Zuhause mitten in der kultur-ellen Revolution von San Francisco zu landen?

Als junge, freiheitshungrige Frau nach Kalifornien auszuwandern, war einerseits eine Revolte im Hinblick auf mein Elternhaus. Gleichzeitig war es ein persönlicher Kulturschock, sozusagen im «Late Summer of Love» San Franciscos aufzuwachen. Ich genoss die Freiheit fernab vom damals reaktionären Spanien. In diesem Kontext war es einfacher, hier als Frau Karriere in der Weinbranche zu machen.

Wie gelang es Ihnen, zur spanischen Wein-Ikone Kaliforniens aufzusteigen?

Freiheit bedeutet auch immer Raum für Kreativität. Und nur Kreativität führt zum Erfolg. Als ich Anfang der 1990er begann, Pinot Noir im Weingut Don Miguel zu pflanzen, meinten alle, das würde schiefgehen, weil die Rebsorte zu dieser Zeit hier keine Rolle spielte. Aber die Böden passten bestens zum Pinot Noir. Ich pflanzte verschiedene Pinot-Noir-Klone wie Dijon 115 und 667, sodass jeder Klon ein bestimmtes Profil des Weinberges widerspiegelt. Eine Tatsache, die das Experiment Pinot Noir erfolgreich ausgehen liess.

Noch unorthodoxer, als Pinot Noir auf Goldridge-Lehmböden im Russian River Valley zu pflanzen, war Ihre Idee, Tempranillo und Albariño ins Tal zu holen.

Ja, ich bin so ziemlich allein hier mit den beiden: Tempranillo ist für mich Spaniens hochwertigste rote Rebsorte. Im Weinberg Don Miguel findet sie den idealen Standort, vergleichbar mit den kühlen Arealen von Ribera del Duero oder dem nördlichen Teil von La Rioja. Den Albariño, der aus dem nordwestspanischen Galicien stammt, pflanzten wir zuerst in den Weinberg Doña Margarita. Aber es war selbst für diese Cool-Climate-Sorte zu kühl dort, und so pfropften wir den Albariño vier Jahre später auf den ein paar Grad wärmeren Weinberg Don Miguel.

Wo genau liegen die Unterschiede Ihrer nur einige Meilen auseinandergelegenen Weinberge Don Miguel im Green Valley und Doña Margarita in Sonoma Coast?

Die nach meinem verstorbenen Vater Don ­Miguel benannten 18 Hektar befinden sich in der kühlsten und nebeligsten Subappellation des Russian River Valley: Zehn Meilen vom Pazifik entfernt, ist das Terroir im Green Valley prädestiniert für Pinot Noir und Chardonnay mit frischer Säure. Die Goldridge-Böden – sandige Lehmerde – entwässern gut und zwingen die Reben dazu, tief zu wurzeln.

Derselbe Bodentyp wie im Doña Margarita Vineyard…

Richtig. Dieser nach Südwesten ausgerichtete Weinberg, den ich nach meiner Mutter taufte, hat ähnliche Standortfaktoren. Beide Rebflächen liegen auf maritimem Sedimentgestein, das durch Millionen von Jahren der Verwitterung entstand und für gute Drainage sorgt. Dies fördert die elegante Struktur und Mineralität in den Weinen beider Weingüter. Aber: Doña Margarita liegt noch einige Meilen näher am Pazifik, umgeben von Wäldern mit uralten Mammutbäumen. Hier ist es also noch kühler, und deshalb ist der Weinberg einzig dem Pinot Noir vorbehalten.

Nicht nur, dass Sie gegen anfängliche Widerstände Ihres Vaters ein eigenes kleines Wein-Imperium erschaffen haben: Es wird auch innerfamiliär weitergeführt. Wie vollzieht sich die Übergabe an Ihre Tochter Cristina?

Ich sehe uns als Unternehmen in fünfter Generation, denn ich bin eng mit unserem Familienweingut in Katalonien verbunden. Aber bei Marimar Estate ist es eine Premiere, dass das Geschäft von der Mutter auf die Tochter übergeht. Bei Familia Torres in Barcelona ging es bisher immer vom Vater auf den Sohn über. Cristina hat – von Kindesbeinen an – auf dem Weingut mitgeholfen. Aber ich hätte nie zu hoffen gewagt, dass sie in meine Fussstapfen treten würde.

Bevor Cristina Anfang 2023 von Ihnen zur Generalmanagerin berufen wurde, wagte sie berufliche Seitensprünge – etwa in die Modebranche. Hat Sie das nervös gemacht?

Es hätte mich nervöser gemacht, wenn Cristina lebenslang von der Idee besessen gewesen wäre, das Weingut zu übernehmen. Man geht das, was einem wirklich liegt, oft gelassener an, wenn man es über Umwege findet. Meine Tochter genoss eine akademische Ausbildung, sie lebte in London, Paris und Philadelphia. Sie hat für Jackson Family Wines im Brand-Marketing-Team gearbeitet und als Brand Managerin beim Weinimporteur John E. Fells. Zwischendurch hat sie sich bei den Modemarken Mango und Georges Rech im Marketing ausprobiert.

Wie würden Sie das Verhältnis zu Cristina beschreiben? Immerhin übernimmt sie Ihr Lebenswerk, ein Denkmal weiblicher Unbeugsamkeit.

Cristina war ihre erste Lebenshälfte an meiner Seite auf dem Weingut. Ich selbst habe keinen Tag auf dem väterlichen Weingut arbeiten dürfen. Sicher war für meine Tochter, die 1988 geboren wurde, vieles einfacher als Frau: der Zugang zu Universitäten, Gleichberechtigung in Job und Privatleben. Trotzdem wird sie genauso viele Kämpfe in ihrem Leben ausgetragen haben wie ich. Das sieht man an ihrer mentalen Stärke. Cristina ist meine beste Freundin. Und ich kann mir keine würdigere Nachfolgerin vorstellen.

Haben Sie eine Doktrin, die Ihre Sicht auf unsere heutige Weinwelt treffend beschreibt?

Da möchte ich sehr gerne meinen Bruder ­Miguel zitieren, der weltweit erfolgreich Weingüter betreibt: «Individualität und Aldi passen nicht zusammen.»

Wir danken Ihnen für dieses Gespräch.

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