Vom Heil- zum Genussmittel
Swissness in Vermouth
Text und Fotos: Kaspar Keller
Gefühlt jede Stadt und jede Bergspitze der Schweiz hat mittlerweile ihren eigenen Gin, nun hat diese Entwicklung auch einen anderen Getränketyp erreicht: Vermouth. Der Aperitif-Wein ist auf dem Siegeszug, auf den nun auch Winzerinnen und Winzer aufspringen. Doch um zu verstehen, wes-halb diese neue Art von Vermouth so aussergewöhnlich ist, lohnt sich ein Zeitsprung zurück in die Vergangenheit.
Wer an einem sommerlichen Abend an der Terrasse einer hippen Cocktailbar vorbeigeht, dem dürfte das Comeback des Vermouths nicht entgehen. Genippt werden diese Aperitif-Weine pur und in Cocktails wie dem Negroni. Auch in den Flaschenregalen dieser Bars erkennt man den Wandel. Vorbei die Zeiten, in denen der italienische Marktführer dort verstaubte. Heute trinkt sich Vermouth diverser und regionaler. Doch was ist Vermouth? Eine Suche sowohl nach dem Wein im Vermouth als auch nach den Kräutern, die diesen ausmachen.
Vermouth, die englische Bezeichnung hat sich an den meisten Orten durchgesetzt, beschreibt einen verstärkten und aromatisierten Wein. Die Basis bildet ein Weisswein, selbst beim sogenannten «Vermouth Rosso» oder «Sweet Vermouth», dessen Farbe meist vom Karamell oder von den Gewürzen stammt. Rosé-Vermouth auf Rosé-Basis beziehungsweise Roter Vermouth auf Rotwein-Basis ist eine eher neue Entwicklung. Aromatisiert werden die Weine mit einer oder mehreren Wermut-Arten sowie anderen Kräutern und Gewürzen. Verstärkt werden sie mit Alkohol, wobei die Wahl meist auf ein neutrales Destillat oder auf einen Weinbrand fällt. Doch während die Alkoholbeigabe bei Weinen wie Sherry oder Portwein hauptsächlich der Haltbarkeit wegen erfolgt, ist die Raison d’être des Vermouths die Bitterkeit des Wermut-Krautes und dessen magenöffnende Wirkung. Oder anders ausgedrückt, dessen Funktion als Aperitif.
Vom Heil- zum Genussmittel
Was wir unter Wermut-Wein verstehen, hat sich in den letzten Jahrtausenden laufend verändert. Schon die alten Griechen und Römer tranken mit Wermut-Kraut aromatisierten Wein, Jahrhunderte bevor sich die Destillation und Zucker als Süssungsmittel durchgesetzt haben. Zudem stammen einige Gewürze und Früchte, die man heute in diesen Produkten findet, ursprünglich aus Afrika, Indien oder dem Fernen Osten. Die Handelsrouten mussten erst erschlossen und die Zutaten zu einem vernünftigen Preis verfügbar sein.
Zwar sind die Zeiten vorbei, in denen alkoholhaltige Getränke als gesundheitsfördernd vermarktet werden durften, die medizinische Funktion von Wermut-Kraut ist jedoch – damals wie heute – unbestritten. Auf die Verbindung zwischen der Medizin und alkoholischen Getränken geht der amerikanische Autor Camper English in seinem Buch «Doctors and Distillers» ein. Laut English wurden Wermut und Wermut-Wein hauptsächlich bei den Magen und die Verdauung betreffenden Beschwerden konsumiert. So habe man Wermut als Appetitanreger, als Mittel gegen Magenschmerzen und Übelkeit, bei Menstruationsbeschwerden sowie als Abführmittel verwendet.
Die heutige Vermouth-Kultur etablierte sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts im Piemont und in Savoyen, die damals zum Königreich Sardinien gehörten. In den damaligen Rezepturen spielt der besonders bittere Echte oder Grosse Wermut (Artemisia absinthium) jedoch eine untergeordnete Rolle. Es dominierte der Kleine oder Römische Wermut (Artemisia pontica), der mit anderen Kräutern der Alpen sowie Gewürzen, die über Hafenstädte wie Genua Europa erreichten, vermischt wurde. Während Produzenten wie Antonio Benedetto Carpano oder die Cinzano-Brüder in Turin den süsslichen roten oder italienischen Vermouth-Stil prägen sollten, etablierten sich einige Jahrzehnte später die französischen Stile: in Lyon (später Marseilles) mit Noilly Prat der trockene und in Chambéry mit Dolin der weisse. Mit der Industrialisierung im 19. Jahrhundert bewegte sich Vermouth immer mehr weg von einem Wein, hin zu einer Marke. Noch heute können viele Konsumenten mit dem Begriff Vermouth weniger anfangen als mit dem Namen des Marktführers Martini.
Eine Revolution in der Cocktail-Kultur
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hat sich Vermouth zum berühmtesten, jedoch keineswegs zum einzigen Aperitif auf Weinbasis entwickelt. Parallel zum Vermouth-Revival der letzten Jahre feierte auch Quinquina auf Basis von China-Rinde ein Comeback. Dank Marken wie Dubonnet, Byrrh oder Lillet etablierte sich in Frankreich der Ausdruck «se requinquer» zum Synonym für «sich wieder in Form bringen». Für Verwirrung dürfte der mit Enzian und Wermut aromatisierte Americano sorgen, denn die Bezeichnung steht auch für einen gemixten Drink aus Campari, Sweet Vermouth und Soda. Andere Weinaperitifs sind wieder verschwunden, etwa weil die Zutaten inzwischen verboten sind. Dazu gehört der Vin Mariani auf Kokain-Basis, der einige namhafte Liebhaber hatte, darunter zwei Päpste, Queen Victoria, Jules Verne und Thomas Edison.
Zu den «Vermouth-Influencern» des 19. Jahrhunderts zählten die Millionen italienischen USA-Auswanderer. Vermouth für diese wachsende Zielgruppe zu exportieren, wurde zu einem immer lukrativeren Geschäftsfeld, zumal da ab den 1870ern immer mehr Amerikaner auf den Geschmack kamen. Und mit Begeisterung bauten sie die Zutat in eine der grössten Erfindungen Amerikas ein: den Cocktail. Aus dem Martinez, einem Cocktail aus Genever (einem niederländischen Getreide-Wacholder-Destillat) oder einem gesüssten Old Tom Gin mit Sweet Vermouth entstand zunächst der Martini, der sich dann ab den 1890ern in seiner trockenen Ausführung zum Inbegriff des Cocktails wandeln sollte: dem Dry Martini mit London Dry Gin, Dry Vermouth und zwei Spritzern Orange Bitter. Die Kombination aus Spirituose, Vermouth und Bitter findet man auch in Klassikern wie dem Manhattan oder dem Negroni, wenn auch in unterschiedlichem Verhältnis gemischt.
Vermouth ist zurück – und wie!
Noch heute sind genau diese Cocktails und deren Deklinationen die wichtigen Treiber hinter dem jüngsten Vermouth-Boom. Diese essenzielle Zutat steuert einem Drink Süsse, Körper und Kräuteraromen bei. Doch wie sieht es mit den Aromen der Weine aus, die dafür verwendet werden? Gar nicht mal eine so einfache Frage, verstecken sich diese doch oft hinter den Botanicals und dem Zucker. Böse Zungen behaupten zuweilen, dass Vermouth bloss eine Möglichkeit sei, Weine grenzwertiger Qualität doch noch verwerten zu können. Eine neue Generation von Produzenten beweist jedoch schon seit Jahren, dass die Wahl des Weines essenziell für einen hochwertigen Vermouth ist. Ein namhaftes Beispiel ist die Vermouth-Marke Belsazar aus Deutschland, die vor über zehn Jahren lanciert und 2018 vom Spirituosen-Riesen Diageo gekauft wurde. Spirituosenkonzerne, die bereits ein Vermouth-Sortiment hatten, reagierten ihrerseits auf den Premium-Trend, indem sie bestehende Linien erweiterten und – zumindest teilweise – um die Herkunft des Weines kein Geheimnis mehr machten.
Auch die Schweiz mausert sich zunehmend zum Vermouth-Land. Zu den ersten, die seit dem neu erwachten Interesse auf aromatisierte und verstärkte Weine setzten, gehört die Brennerei Matter-Luginbühl aus dem Berner Seeland. Der Vermouth Formula O. Matter basiert auf einem Wein aus dem Piemont, wie auch der Quinquina Kina l’Aero d’Or, dessen Grundlage die Cortese ist und der international eine beachtliche Fangemeinde hat.
Viele Schweizer Brennereien sind in den letzten Jahren mit einem eigenen Vermouth nachgezogen. Und weil Regionales und Lokales im Trend ist – und man mit den günstigen Produkten aus dem Ausland sowieso nicht konkurrieren kann –, fällt die Wahl nicht selten auf einen Schweizer Wein. Das gilt auch für viele Gin-Produzenten, die in den letzten Jahren ihr Sortiment mit einem Vermouth erweitert haben. Eine Strategie, welche die Matte Brennerei (Schweizer Rotwein), Gryff (Weingut Jauslin) sowie Deux Frères/Helvetico (Zürcher Pinot Noir für Rotwein, Aargauer Pinot Noir für Weisswein, Aargauer Riesling-Silvaner für Dry) verfolgen. Nennenswert sind auch das Vermouth-Projekt von Kaspar Fenkart und Marius Frehner (Cuvée aus Spanien) aus Zürich, Vermouth da Gents von Hans-Georg Hildebrandt (Pinot Noir aus Zürich, gesüsst mit Süsswein aus Frankreich), der Maxmaro (Chasselas aus dem Lavaux) oder der Simpatico-Vermouth von Oliver Klose aus Bern (Bio-Sangiovese aus Italien). Eines der kleinsten Projekte stammt von der Pensiun Aldier in Sent im Unterengadin. Nur 500 Flaschen werden jährlich auf Basis eines Bio-Weines aus Umbrien hergestellt.
Auch traditionelle Brennereien und Produzenten wie Lateltin (Jsotta), Thomas und Cordula Heiner aus Zug, Zeltner aus Dornach (Vermouth auf Bier-Basis) oder Morand aus Martigny, welches das Vermouth-Start-up Alata aufgekauft hat, setzen mittlerweile auf Vermouth. Einige Produzenten bringen neben lokalen Weinen und Kräutern auch regionale Destillate in die Flasche. So fortifiziert der Zitrusfrucht-Produzent Niels Rodin seinen aussergewöhnlichen Vermouth «Rose» mit einem Wassermelonenbrand. Die Brennerei Studer im Entlebuch spritet für den weissen Si-On eine Chardonnay-Chasselas-Cuvée mit einem Kernobstbrand und für die rote Edition einen Wein aus Gamaret und Garanoir mit einem Steinobstbrand auf. Ergänzt wird das Sortiment mit Si-Off, welcher einen entalkoholisierten Wein als Basis hat. Auch Jsotta hat eine alkoholfreie Vermouth-Linie, diese wird jedoch mit einem Traubensaft-Konzentrat hergestellt.
Wie Winzer Vermouth denken
Die schiere Anzahl an neuen Vermouths aus der Schweiz erinnert stark an den Gin-Boom der letzten Jahre. Im Unterschied zu Gin werden bei Vermouth die Kräuter und Gewürze nur mazeriert, nicht destilliert. Daher erstaunt es nicht, dass nun auch einige Winzerinnen und Winzer auf den Vermouth-Zug aufgesprungen sind. Was diese Produkte verbindet, ist, dass sie vom Wein her gedacht sind. Das zeigt sich etwa darin, dass man sie wie einen Wein trinken kann: in einem Weinglas und nicht, wie es sonst üblich ist, mit Orangen- oder Zitronenschnitz und mit Eis. Sie sind oft weniger bitter und benötigen daher auch weniger oder gar keinen Zucker zur Balance. Beispiele für «Winzer-Vermouth» findet man in Lutry bei Terres de Lavaux und im Aargau bei Hoss Hauksson. Letzterer ist in den letzten Jahren mit besonders aussergewöhnlichen Vermouths aufgefallen. Die Kräuter werden ungetrocknet im Wein mazeriert, und nur das macht schon einen immensen Unterschied: Frischer Wermut riecht unverkennbar aromatisch. Die Weine sind ungesüsst, nicht fortifiziert und sollten, wenn geöffnet, bestenfalls an einem Abend leergetrunken werden. Dies gilt insbesondere bei den kohlensäurehaltigen Editionen. Für die weissen Vermouths Hvítur verwendete Hauksson schon einen Pét Nat, im Jahr darauf entstand ein Vermouth mit traditioneller Flaschengärung.
Trotz des Booms ist Vermouth noch immer eine Nischenkategorie. Doch der Quantensprung in der Qualität und der wachsenden Vielfalt hat in den letzten Jahren einiges in Bewegung gesetzt: Vermouth, und mit ihm der Apéro, hat sich seinen Platz bei einer neuen Generation von Liebhabern erobert.
Der Jsotta-Macher aus Winterthur
Um die Jahrtausendwende nahm der Winterthurer Spirituosen-Produzent und -Importeur Lateltin die Schweizer Vermouth-Marke Jsotta aus dem Sortiment. Seit dem Relaunch wurde die Linie nun laufend erweitert, jüngst mit einer trockenen Version. Martin Strotz ist seit 30 Jahren Betriebsleiter bei Lateltin. Als solcher hat er das Ende und die Wiedergeburt der Kult-Marke begleitet.
Jsotta Dry
15.5 Punkte
Gelb mit etwas Hellrosa. In der Nase oxidativ mit Noten von Melone und Kräutern. Voluminöser Körper, leichte Süsse von kandierten Früchten, geschnittener roter Apfel und eine dezente Bitterkeit. Die Kräuter-Note fügt sich harmonisch in diesen fruchtigen Wein ein. Ein eher süsslicher Dry Vermouth, den man pur auf Eis geniessen kann.
Martin Strotz, Sie waren schon in den 1990er Jahren für die Herstellung von Jsotta zuständig. Was hat sich seit-her verändert?
Jsotta war in dieser Zeit der wichtigste Vermouth in unserem Sortiment. Es wurden riesige Mengen produziert, und um die Weine zwischenzulagern, mussten wir teilweise auf die Infrastruktur der Brauerei Hürlimann zurückgreifen. Die Produktion haben wir 1999 wegen des Wechsels im Steuersystem aufgegeben (Anm.: Aufhebung des Steuervorteils für Schweizer Spirituosen). Vor dem Relaunch 2016 verwendeten wir importierte Weine. Heute setzen wir auf Swissness mit Schweizer Weinen.
«Weine, die am besten mit den Kräutern harmonieren.»
Martin Strotz
In der Hochphase, den 1960er und 1970er Jahren, haben Sie bis zu 480 000 Flaschen jährlich produziert. Wie viel produzieren Sie heute?
Viel (lacht). Wir produzieren drei- bis viermal jährlich. Wir sind glücklich, kommunizieren aber keine genauen Zahlen.
Wie hat die Kundschaft auf den Relaunch reagiert?
Viele Konsumenten können die Kategorie Vermouth noch immer nicht ganz einordnen. Auf der anderen Seite war Jsotta eine be-kannte Marke. Daher gab es wirklich viele Rückmeldungen von älteren Leuten, die sagten: «Wow, Jsotta kommt wieder.» Jsotta war ein schweizweiter Begriff.
Sie haben mit Weiss, Rosé, Rot und Dry vier alkoholhaltige Vermouths. Welche Weine benutzen Sie dafür?
Da werde ich oft gelöchert (lacht). Das ist ein Betriebsgeheimnis. Es ist Schweizer Wein. Der Weisse tendenziell eher aus der Romandie, beim Rotwein sind wir lokaler.
Also Chasselas und Blauburgunder?
Nein (lacht). Aber was man sagen kann, ist, dass es keine Lagenweine sind. Preislich könnten wir sonst nicht mithalten. Aber es sind qualitativ hochstehende Weine, die am besten mit den Kräutern harmonieren.
Diana
Diana
16 Punkte
Rotbraun mit Trübstoffen. In der Nase herbal, floral und fruchtig. Voluminöser Körper, die Frucht dominiert mit Heidelbeere und Hagebutte, ergänzt durch eine komplexe Kräuteraromatik. Beim Antrunk hält die Süsse den Wermut im Zaum. Der lange Abgang ist jedoch sehr, sehr bitter. Doch Diana wird mit jedem Schluck besser. Perfekt auf Eis.
Im Sommer 2023 schliesst Barbara Hess die Kräuterausbildung am Inforama ab, der bernischen Landwirtschaftsschule. Die Fotografin interessiert sich schon lange für Kräuter. «Ich habe früher oft Pflanzen gesammelt und mir meine Tees und Tinkturen zusammengemischt. Durch die Ausbildung wollte ich mein Wissen vertiefen und mehr Selbstvertrauen im Umgang mit Heilpflanzen gewinnen», sagt sie. Die Idee, als Diplomarbeit einen Vermouth zu produzieren, kommt bei einer Reise ins Piemont. Im Gespräch mit Winzern lernt Barbara Hess, dass diese bei Weinen, die etwas «überegheit» sind, Kräuter hinzufügen. «Quasi um Food Waste oder eben Drink Waste zu vermeiden», so Hess.
«Zwölf Liter, alle vier bis sechs Wochen.»
Barbara Hess
Für Diana, benannt nach der römischen Göttin der Jagd (die griechische heisst Artemis), verwendet sie 19 heimische wilde Kräuter, Früchte und Gewürze, darunter Wermut, Brennnessel, Löwenzahn, wilde Heidelbeeren, Hagebutten und Fenchelsamen. Die Zitrusnote stammt vom Sauvignon Blanc des Rebguts der Stadt Bern am Bielersee. Diana ist das vermutlich kleinste Vermouth-Projekt der Schweiz: «Ich produziere jeweils zwölf Liter, alle vier bis sechs Wochen. Verkauft wird mein Vermouth in einer Drogerie und in einer Bar in Bern», so Hess.
Gryff x Weingut Jauslin
Gryff White
17 Punkte
Gold. In der Nase Blütenhonig, Rosmarin im Vordergrund. Rund und am Gaumen mit einer präsenten Süsse von Karamell und einer Frische von oxidierter Quitte. Die Kräuter und die Bitterkeit gut integriert in die Noten des Riesling-Silvaners. Ein süffiger weisser Vermouth, der sich auch auf Eis gut entfaltet.
Gryff Red
15.5 Punkte
Kirschrot. Getrocknete Zwetschge, Vanille und Orange in der Nase. Leichter Körper am Gaumen, mit einer Süsse von Karamell und einer Frische von Zitrone. Würzig-herb mit fruchtigen Noten von schwarzen Kirschen. Tannine dominieren den langen, adstringierenden Abgang. Ein Vermouth, der als Dessertwein und zu Käse brilliert.
Das Weingut Jauslin kenne man in Basel und man sei von Anfang an offen für eine Kooperation gewesen, sagt Chris Kaiser von Gryff Spirits: «Unser Ziel war es, ein möglichst lokales Produkt herzustellen.» Der weisse Vermouth hat einen Riesling-Silvaner als Basis. «Dieser harmoniert mit seiner Zitrusnote bestens mit den Kräutern», sagt der 28-jährige Adrian Jauslin, Mitglied der Winzerfamilie.
«Der rote Vermouth schmeckte anfangs zu stark nach Glühwein.»
Für den roten Vermouth fiel die Wahl auf den Pinot Noir. Die Kräuter werden alle einzeln in einer Alkohol-Wasser-Mischung während drei Wochen mazeriert, ehe sie nach Rezept gemischt und mit Karamell gesüsst dem Wein hinzugefügt werden. Trotz der Erfahrung in der Verwendung von Kräutern verging einiges an Zeit, bis das Rezept feststand. «Der rote Vermouth schmeckte anfangs zu stark nach Glühwein. Deshalb haben wir radikal alle Gewürze entfernt, die man mit Weihnachten assoziieren könnte», sagt Chris Kaiser.
Hoss Hauksson
Hvítur (Barrique)
16.5 Punkte
Dunkles Gold. Gestern geschnittenes Gras, Wermut und zitrische Noten in der Nase. Am Gaumen und im Abgang dominieren Aroma und Bitterkeit von frischem Wermutkraut. Im Hintergrund eine ausgewogene Balance aus Säure und Mineralität. Ein sehr trockener Wermut, der bestens zu Blauschimmel- und Geissenkäse oder in einen Dry Martini passt.
Hvítur (Pét Nat)
18 Punkte
Trüb, helles Rosa und perlend. In der Nase ist der Wermut aus Pinot Noir mehr gezähmt, dafür eine präsentere Frische des Ysops. Trocken und mittlere, feinperlige Kohlensäure, voluminöser und strukturierter Körper. Gut integrierte reife Säure von Johannisbeeren und Grapefruit. Vielschichtig und ausbalanciert im Abgang.
Hvítur (Méthode Classique)
17 Punkte
Rosagold, moussierend. Grünes Gras, Schafgarbe, Menthol und Pfirsich in der Nase. Trocken, leichter Körper und mit reifer Säure von Pfirsich und Kornelkirsche. Verhältnismässig leichte Bitterkeit des Wermutkrauts und etwas Hefe am Gaumen.
Rauður
15 Punkte
Tiefes Rubinrot. In der Nase Cassis und frisches Wermutkraut. Am Gaumen sehr bitter, trocken und mit einer Säure von Cassis und Johannisbeeren. Der Körper ist eher leicht, hinter der Bitterkeit des Wermutkrauts verstecken sich feine Tannine. Zu fetthaltigen Speisen oder als Cocktail mit Gin oder Bourbon im 1 : 1-Verhältnis.
Der Boden zwischen Hoss Haukssons Reben ist begrünt. An und für sich nichts Ungewöhnliches in einem biodynamischen Weingut, wo auch Schafe zwischen den Stöcken grasen. Aussergewöhnlich ist nicht, dass bei Hauksson neben den Weintrauben noch etwas wächst, sondern was dort noch alles wächst. Besonders auffallend ist der Grosse Wermut, Artemisia absinthium, der auch für Absinthe verwendet wird.
«Wermut habe ich ursprünglich für Kräuterextrakte gepflanzt», sagt der Winzer.
Wermut gilt, wie auch Thymian oder Minze, als abschreckend gegen Insekten wie die Kirschessigfliege. Für seine Wermut-Linie verwendet der 55-Jährige frische, nicht getrocknete Kräuter aus eigenem Anbau. Neben Wermut nutzt er noch Ysop, Schafgarbe und teilweise Holunderblüten. Die Kräuter werden mal in den fertigen Wein gegeben, mal werden sie während der Fermentationhinzugefügt. Dies nicht zuletzt, weil die Wermut-Linie nicht mit Alkohol verstärkt wird. Und als wäre diese nicht schon aussergewöhnlich genug, umfasst sie neben einem weiss-trockenen und einem rot-trockenen Wermut auch noch zwei kohlensäurehaltige Abfüllungen, eine mit einer Pét-Nat-Basis, eine als Schaumwein mit traditioneller Flaschengärung. haukssonweine.ch
Terres de Lavaux
1890 Lavaux Blanc
17 Punkte
Helles Gelb. Noten von Kamille und Wermut, dazu Zitrusnoten des Chasselas. Die Kamille sticht in diesem kräuterbetonten Vermouth heraus. Fülliger Körper, trocken und mit einer reifen Säure von Sauerkirsche und weissem Pfirsich. Ein harmonischer, süffiger Vermouth, der gut zu leichten Speisen und Brie passt.
1890 Lavaux Rosé
17.5 Punkte
Lachsrot. Noten von Rosenblättern, Wermut und Zitrusfrüchten in der Nase. Fülliger Körper mit exotischen Gewürzen, unreifen roten Beeren und einer dezenten Bitterkeit am Gaumen. Langer Abgang, wobei die Frucht dominiert. Ein erstaunlich komplexer Rosé-Vermouth auf Œil-de-Perdrix-Basis. Ideal zu leichten Tapas.
1890 Lavaux Rouge
16.5 Punkte
Cuvée aus Gamaret, Garanoir, Pinot Noir und Gamay. Kirschrot. In der Nase dominiert die Vanille, dazu Nelken, Cassia-Zimt und Muskatnuss. Am Gaumen eher leicht mit einer gut strukturierten Bitterkeit. Reife Brombeeren und rote Kirschen in Balance mit den herben Noten der Gewürze. Lässt sich ideal mit Irish Whiskey kombinieren, schmeckt aber auch pur als Dessertbegleiter.
Egal wie oft ich mit dem Zug in die Romandie fahre, der Blick auf das Lavaux und den Genfersee in den letzten Minuten vor Lausanne macht mich noch jedes Mal sprachlos. Einen Moment später stehe ich in Lutry vor dem Weinkeller von Terres de Lavaux und schüttle die kräftige Hand von Jean-Charles Estoppey.
«Wir exportieren wie kaum jemand in der Schweiz.»
Bis 2020, genau zwei Jahrzehnte lang, leitete er die Terres de Lavaux AG, auch als diese noch als Kooperative La Viticole de Lutry bekannt war. Vor einigen Jahren hat Estoppey gemeinsam mit einem befreundeten Winzer aus der Domaine Chaudet in Rivaz «The Lavaux, Swiss Wine and Fondue Bar» im West Village in Manhattan eröffnet, dank der Terres de Lavaux, die Wein und Vermouth exportiert wie kaum jemand in der Schweiz. Estoppey hat das Vermouth-Projekt 2020 ins Leben gerufen. Was diese Vermouths aussergewöhnlich macht, sind neben den lokalen Weinen der Verzicht auf Zucker und die Methode der Mazeration in nicht verdünntem reinen Alkohol. Der Prozess dauert eine Arbeitswoche, wobei nicht alle Botanicals gleichzeitig eingelegt werden. «Rosa Pfeffer füge ich am Montag zu, Wermut erst am Donnerstag», so Estoppey. terresdelavaux.ch
Le Stim’
Le Stim’ – Quinquina Naturel
15 Punkte
Herrliches Rubinrot. Orangenzesten, Kirsche, Zimt und Spargel in der Nase. Am Gaumen eher süss und leicht pikant. Interessantes Spiel der Säure des Weissweins mit der Beerigkeit des Rotweins, die Bitterkeit ist mehr im Hintergrund. Leichter Körper und leicht adstringierend. Ein erfrischend-fruchtiger Quinquina.
«Alkoholische Getränke mit gesundheitlichen Vorteilen vermarkten? Keine Chance!»
Dank Raoul Cruchon, seiner Frau Lisa und Carine Bosson feiert der Westschweizer Quinquina aus dem Jahr 1860 ein Comeback. Im Jahr 2019 kaufte das Trio den Nachfahren des Bündners Emmanuel Gamboni und des Piemontesers Joseph Salina das Aperitif-Rezept ab. Die beiden hatten sich seinerzeit in Morges nieder-gelassen, um eine Brennerei zu betreiben. Ihr bekanntestes Produkt: Le Stimulant. Auch Raoul Cruchon wollte ursprünglich diesen Namen verwenden. «Die Etiketten waren schon gedruckt», so der 64-Jährige, doch das Gesetz ist heute restriktiver als früher. Alkoholische Getränke mit gesundheitlichen Vorteilen vermarkten? Keine Chance! Im Unterschied zu früher wird Le Stim’ heute nicht mehr mit spanischen Trauben, sondern mit 60 Prozent Chasselas und 40 Prozent Gamaret-Gamay aus der Waadt hergestellt. Le Stim’ wirbt jedoch nicht mit Regionalität, schliesslich will man auch den Walliser Markt erschliessen. Neben Roter Chinarinde wird der mit Zucker gesüsste Wein unter anderem mit Wacholder, Kalmus, Kamille, Zimt und Bitterorangenzesten aromatisiert. Dazu werden die Kräuter und Gewürze für 15 Tage in neutralen Alkohol gelegt. Nach einer ersten folgt eine zweite Mazeration mit denselben Kräutern, da diese noch Aromen enthalten. Und da die Kräuter nach dem Absieben wiederum viel Alkohol enthalten, werden diese noch destilliert. Diese drei hochprozentigen Komponenten machen etwa 20 Prozent von Le Stim’ aus, der Rest sind Wein und Zucker. lestim.ch